Nur ein Brief
#1
Dunkelheit hatte das in diesen Zeiten so stille Löwenstein tröstlich umarmt, als zwei Gestalten vor dem Seitentrakt der grossen Kathedrale des Mithras in ein leises Gespräch vertieft waren. Eine trug den roten Habit der Sonnenlegion, die andere dunkle, warme Reisekleidung und einen robusten, wollenen Umhang.

"Das ist er." Erklang eine Frauenstimme. Die andere Gestalt streckte die Hand aus und die Frau überreichte ihm einen Brief.

"Das ist alles? Der Preis ist der gleiche, auch wenn ihr mir mehr Briefe oder sogar kleine Pakete mitgebt." Ein tiefer, rauer Bass - ein Klang, so vom Wetter gegerbt wie sein Sprecher.

"Ja, das ist alles. Mehr als das gibt es nicht zu überbringen." Erwiderte sie im nachdenklichen Blick auf den Brief in seiner Hand.

"Nun gut, es ist euer Geld." Der bärbeissige Bote zuckte mit den Schultern und verstaute den Brief sorgsam in der Satteltasche. "Nortgard also? Und ihr wisst nicht genau wo dort?"

"Nein. Nortgard ist alles was ich weiss. Die Namen wisst ihr noch?" Sie sah wieder zu ihm auf.

"Hochwürden ..." Es klang fast ein wenig vorwurfsvoll. "Ich wäre nicht so lange in diesem Geschäft, wenn ich mir Namen und Adressen nicht merken könnte. Arndt und Enna Sahlinger."

"Ja. Arndt und Enna Sahlinger." Wiederholte sie nachdenklich, im Blick auf die Satteltasche, in der der Brief verstaut worden war.

"Freunde von euch?" Eine beiläufige Frage im Plauderton, während er die Zügel seines Pferdes ordnete.

Die Frau zögerte. "Verwandtschaft." Kam es als einsilbige Antwort.

Der Mann zuckte in einer 'soll-mir-recht-sein' Art die Schultern und wandte sich ihr zu. "So bleibt nur noch eines zu tun." Er hielt ihr die linke Hand hin.

Eine ansehnliche Menge Münzen wanderte in seine Hand. Verhaltenes, metallisches Klingeln. Der Mann blickte auf die Münzen, nickte und brummte zufrieden.

"Alsdenn, wenn sie noch leben, werde ich sie finden. Auch wenn es eine Weile dauern wird. Verlasst euch darauf." So bärbeissig seine Art auch sein mochte, sein sonorer Bass strahlte zuverlässige Entschlossenheit aus.

"Ich danke euch. So begleite euch denn Mithras Segen und eine sichere Heimkehr sei euch beschieden."

"Seid bedankt, Hochwürden." Er neigte in einer respektvollen Geste den Kopf, ehe er sich umdrehte und aufstieg.

Die Frau verharrte noch eine Weile einsam im Dunkeln und lauschte den leiser werdenden Klängen gemächlicher Huftritte hinterher. Aber ihr Blick ging weit darüber hinaus. Hinaus gen Nortgard, dem letzten ihr bekannten Aufenthaltsort ihrer Eltern.






Möge Mithras sich eurer erbarmen, Vater, Mutter


Die Kunde erreichte mich, dass ihr euer Ravinsthaler Kontor aufgegeben habt um gen Nortgard zu ziehen. Des Profites wegen, nehme ich an. Welche anderen Gründe sollte es bei euch auch sonst geben.

An dieser Stelle schreibt man wohl, dass man hoffe, dass die Botschaft den Empfänger bei guter Gesundheit erreichen möge. Man soll mir nicht nachsagen können, den Regeln von Form und Anstand nicht zu genügen. Alsdenn mögt ihr annehmen, dass an dieser Stelle - der Form folgend - dieser Hoffnung Ausdruck verliehen worden ist. Und dem soll sogleich die Warnung folgen, dass dieser Brief keine Hinweise auf lukrative Geschäfte oder lohnende Beziehungen enthält. Ich kann mir eure gelangweilte Enttäuschung vorstellen, wenn ihr erkennt, dass dieses Schreiben lediglich dazu dient, euch über einige - in euren Augen vermutlich belanglose - Entwicklungen im Leben eines eurer Kinder in Kenntnis zu setzen. Der Tochter in diesem Fall. Denn eure beiden Söhne sind in des Königs Gefolge gen Indharim gezogen. Ja, Hagen und Arvid entschlossen sich, das Reich und die Ordnung mit ihrem Leben zu verteidigen, statt den profitablen Pfaden von verschlagenen Pfeffersäcken zu folgen. Ich kann mir eure Enttäuschung darüber lebhaft vorstellen. Ich für meinen Teil bin stolz auf sie.

Anhand des anfänglichen Grusses werdet ihr bereits erahnt haben, dass ich den von euch so verachteten Pfad voll Treu und Glauben weiter gegangen bin. Ja, Berengars Saat ist aufgegangen. Ihr habt in dem Versuch, es zu verhindern, versagt. Mehr noch: Die Heilige Kirche des Mithras nahm mich auf und schenkte mir einen Pfad, den ich voller Dankbarkeit gehe. Ich gehe ihn im Rang einer Hochwürden, denn ich wurde dazu berufen, der Sonnenlegion als Novizenmeisterin zu dienen. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht voller Stolz das Rot des Flammenden Herrn auf dem Leib und seine Lehren im Herzen trage.

Da all diese Kunde bislang keinerlei Aussicht auf lukrative Geschäfte enthielt, kann ich mir vorstellen, wie wenig interessiert ihr bis hierher gelesen habt. Und es überkommt mich eine würgende Übelkeit, wenn ich daran denke, dass euch das folgende auch nur deshalb interessieren wird, weil ihr darin nach Möglichkeiten suchen werdet, daraus Profit zu schlagen. Ich habe aus diesem Grund lange mit mir gehadert, ob ich euch überhaupt darüber in Kenntnis setzen soll. Aber manche Dinge ist ein Kind seinen Eltern einfach schuldig. So wenig diese Eltern auch an ihrem Kind interessiert sind.

So seid denn darüber in Kenntnis gesetzt, dass ich mich vermählen werde. Der Dispens der Heiligen Kirche des Mithras - gewährt durch ihre Seligkeit, der Erzpriesterin Lisbeth Winkel - ermöglichte es mir, den Antrag des Mannes anzunehmen, der mir Licht und Liebe meines Lebens geworden ist. Dieser Mann ist der einstige Baron von Südwald, nun Lehensritter von Servano, Serbitar Morgenstern von Löwenwacht.
Oh, wie sehr ich zu Mithras flehe, dass ihr diese Zeilen nicht allein mit gierigem Funkeln in den Augen lesen werdet, sondern die viel wichtigere Botschaft darin erfassen könnt: Mir wurde das seltene Geschenk zuteil, einem wundervollen Mann zu begegnen, den ich bedingungslos liebe. Ein Mann, der diese bedingungslose Liebe im gleichen Mass erwidert. Ich nehme nicht an, dass ihr die Kostbarkeit darin erkennen könnt. Und ihr werdet wohl auch nicht verstehen können, dass ich immer wieder im Stillen darum gebeten habe, er möge kein Baron und kein Lehensritter mehr sein. Sondern einfach nur der Mann mit dem ich mein Leben teilen will. Aber er ist was er ist, und ich habe erkannt, dass ihm seine Pflicht gegenüber Servano ebenso teuer ist wie seine Liebe zu mir. Gerade so wie meine Pflicht gegenüber der Kirche mir nicht minder teuer ist wie meine Liebe zu ihm.
Serbitar und mich verbindet weitaus mehr als diese alberne, zuckrig süsse Liebe aus den schwülstigen Minnegesängen. Wir haben gemeinsam Schlachten geplant und wir sind gemeinsam in den Kampf gezogen. Wir haben gemeinsam geblutet und gesiegt, gebangt und gelacht. Wir sind verbunden im Glauben und im Dienst an Kirche und Reich. Er ist mir so viel mehr als nur mein zukünftiger Gemahl: Er ist mir Gefährte, Vertrauter, Waffenbruder, Geliebter. Er ist jener, dessen Gesicht ich als erstes sehen will wenn ich am Morgen erwache. Und er ist der, dessen Antlitz ich als letztes sehen will, wenn sich meine Augen dereinst auf ewig schliessen.
So werden wir also den Pfad des Lebens fortan gemeinsam beschreiten; Serbitar und Eylis Morgenstern. Ja, ihr habt richtig gelesen. Elisabeth Sahlinger gibt es nicht mehr. Sie starb in jener Nacht zusammen mit Oheim Berengar, als dieser durch euer Wirken - so indirekt es auch gewesen sein mag - ermordet worden ist. Seither gibt es nur noch Eylis. Ich trage den Kosenamen, den Berengar mir gegeben hat, voller Stolz. Und nun wird aus dieser Eylis schon bald eine Eylis Morgenstern.

Da ich um die langen Wege nach Nortgard weiss, werden Serbitar und ich wohl schon vermählt sein, wenn ihr diese Zeilen lest. Ich kann nicht sagen, dass ich euch am Tag meiner Vermählung vermissen werde, dafür ist einfach zu viel geschehen. Zu viele Wunden wurden geschlagen, die immer zwischen uns stehen werden. Ihr wisst das so gut wie ich. Dennoch war es mir ein Bedürfnis, dass ihr erfahrt, dass ich nun glücklich bin. Und nun, wo ich das Schreiben dieser Zeilen fast beendet habe, ist mir bewusst geworden, dass ich euch das gleiche wünsche. Ihr wart mir niemals die Eltern, die ein Kind haben sollte. Und gewiss war ich euch niemals die Tochter, die Ravinsthaler Eltern haben möchten. Aber schliesslich können wir doch nicht leugnen, wer wir sind: Ihr werdet stets meine Eltern sein und ich werde stets eure Tochter sein. Und so will ich dieses Schreiben mit dem innigen Wunsch schliessen, dass auch ihr euer Glück gefunden haben mögt. Ich wünsche euch alles Glück dieser Welt und Mithras Segen.


Lebt wohl.


Eylis


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