Taranis
#1
Er hat sich dem Faun immer am nähesten gefühlt. Die Handfestigkeit der Götter und deren Gelüste und Begehren an Opfern hat ihm ein Gefühl der Sicherheit gegeben, und nicht umsonst waren zwei seiner drei Schicksalsgöttern dem Faun zugehörig. Gerade Artio hat er in seinem Leben schon oft und reichlich seine Opfer dargebracht - schon als Kind lehrte ihn sein Vater, welche Beute der Göttin am meisten gefiele, so wie er es von seinem Vater gelernt hatte, und dieser von seinem.
Druiden waren in der Wildniss Hohenmarschens nicht sehr weit gesäht. Oft sah man sie nur an einer Hand voll Tagen im Jahr. Alte Greise, die wie Geister aus den wilden, gefährlichen Marschen kamen, mit ernsten Augen und blassen Gesichtern, oder gebeugte Frauen, deren Ketten aus Knochen und Horn bei jedem Schritt rasselten wie ihre von der Feuchtigkeit zerstörten Lungen. Junge, vitale Druiden sah man kaum, schon gar nicht an den Außenbezirken, wo jede Familie fast einen Tagesmarsch entfernt voneinander lebte. Die Ausübung der Pflicht gegenüber der Götter war hart, und der einzige wirkliche Zirkel lebte weit weg von den Westmarschen, sodass es meist Einzelgänger waren, Eremiten, die ihre Dienste den Gläubigen darbrachten. Und so hatte Ceras viel von seinem Vater lernen müssen, und dieser wusste nichts von Taranis, jenem Florgott, den Ceras nie verstanden hatte.




Der Regen klatscht ihm ins Gesicht. Das Haar ist nass und schwer auf seinem Haupt. Es ist so kalt, dass er meint, erfrieren zu müssen, und die Narben auf seiner nackten Brust ziehen sich schmerzvoll zusammen. Vor allem jene eine, knotige, lange Narbe, geschlagen von einem Verrückten, damals noch, im Armenviertel. Sie war damals nur unregelmäßig verheilt, denn er hatte zu einem Schneider gehen müssen, was zu der Zeit sehr viel billiger gewesen ist als ein Heiler.
Er bekämpft den Drang, ins Haus zu gehen, wo ein warmes Feuer auf ihn wartet, bleibt stur im Hof stehen, das Gesicht dem Himmel zugewandt. Es ist ein rauer Regenschauer, jeder Tropfen schlägt mit Kraft und Gewicht auf den gierigen Erdboden. Dies ist nur ein kleiner Teil deiner Macht, schießt es ihm durch den Kopf, und er richtet seine Gedanken direkt hinauf zu den Wolken, wo der Gott der Gewalten zu sein pflegt, zusammen mit seiner Sturmbraut. Und ich trotze dir nicht - schon einmal hast du mir gezeigt, einen kleinen Einblick nur, wie mächtig du sein könntest. Ich bitte dich, zeige mir einen Sturm mit Blitz und Donner, der deinem Namen gebührt.
Er hebt die Arme an. Wasser rinnt wie kleine Bächlein über seinen Körper. Er ist vollkommen durchnässt, und der Wind zerrt an ihm. Würde seine Bitte erhört werden? Würde der Gott der Gewalten einen Sturm schicken? Würde sein Opfer ausreichen, die Stunden, die er hier steht, während der Regen die Nacht noch weiter aufwühlt?



"Du wirst auch ihm ein Opfer bringen müssen." Die Stimme des alten Mannes klang rasselnd. Viele versterben an Lungenentzündungen oder anderen Krankheiten, die das Atmen erschweren. Dann folgt Fieber. Schüttelfrost. Wenn es nicht die Lunge ist, sind es die Gelenke. Gicht und Arthritis lässt vielen Frauen und Männern die Hände zu klauen werden. Jeder Schritt scheint für sie dann eine Qual, und oftmals verenden sie in ihren Betten, ohne noch einmal wie in ihren Jugendjahren aufzustehen und herumzulaufen. Oder Seuchen. Der Gedanke ließ den jungen, blonden Knaben aufschaudern. Wie so viele Kinder in diesem Landstrich war er dürr und nicht sehr groß. Das Haar war strohblond wie das des kleinen Mädchens neben ihm. Nur wenige hatten dunklere Haare in den Westmarschen, nicht zuletzt deswegen, weil die Not es verlangte, Vettern und Basen zu verheiraten, wenn es sonst niemanden gab, der frisches Blut hereinbringen konnte.

Der Alte musterte das Geschwisterpaar. Der Vater der Kinder stand daneben, gebeugt und untersetzt, mit vielen Sorgenfalten im Gesicht, das blonde Haar verfrüht ergraut. Doch seine Hände waren stark. Er konnte noch jagen. Er konnte noch arbeiten. Ceras sah seinen Vater an, und er fühlte eine starke Liebe in seiner kleinen Brust, ehe er sich wieder dem Druiden zuwandte, einer gebeugten Gestalt mit einem grauen Bart, der ihm fast bis zu dem Nabel reichte. Zufrieden stellte der Alte fest, dass weder bei dem Jungen noch bei dem Mädchen verräterische Inzestflecken in den Augen zu sehen waren. Dürr und unterernährt, gewiss, aber ansonsten wohlgeraten.
"Ich sehe hier nur ein Opfer für Artio, und eines für Nodons. Du brauchst noch eines für Taranis, junger Mann."
Das kleine Gesicht des Knaben verzog sich widerwillig. Er war sehr stolz auf seine Ideen gewesen - die Schlange, die er mit seinen eigenen Händen gefangen hatte, war sehr groß für ihn gewesen und hätte ihn fast gebissen gehabt, und auch sein Kampf mit dem Nachbarskind Ruben schien einige der anderen Kinder beeindruckt zu haben. Seine Lippe tat noch immer weh, und er würde einige blaue Flecken vorzeigen können, aber der ganze kindliche Stolz sackte zusammen, als er die strengen Augen des alten Mannes vor sich sah.
"Ich weiß nicht, was man ihm geben könnte", sagte er leidlich. Niemand hatte Taranis in ihrer Familie, außer Ceras. Das kleine Schwesterchen an seiner Hand ging in die Hocke und begann, unaufmerksam mit einem Finger im Dreck zu puhlen.
"Weißt du denn, was für ein Gott er ist?"
Ceras runzelte die Stirn. Wie viele der Kinder, die arm aufwuchsen, konnte er schon recht ernst wirken. Kleine Erwachsene, die schon von jung auf lernten, wie man zu überleben hatte. Lange genug, um Kinder zu zeugen und es ihnen zu zeigen. "Er macht die Stürme", sagte er dann langsam, und verzog das Gesicht. "Und den Blitz und den Donner." Die Abneigung in seiner Stimme war nur schlecht verborgen. Letztes Jahr hatte er einen guten Freund verloren gehabt, einen Jungen namens Stefan, der während eines Sturmes verloren ging. Der Alte wusste gut davon - er hatte die Eltern des Jungen trösten müssen, und ein Opfer dargebracht.
"Er steht auch für den Wandel und Wechsel der Jahreszeiten. Er hat den Menschen die Fähigkeit gegeben, ihre Gemüter zu wechseln. Da du ihn als deinen Schicksalsgott hast, mein Junge, solltest du daher lernen, ihn auch so zu ehren, wie du es mit Artio und Nodons tust..."




Er schüttelt den Kopf, um sich von den Erinnerungen zu befreien. Er hat erst sehr viel später erfahren, dass der alte Druide fast blind gewesen ist. Wie alt er wohl gewesen ist? Ob er noch lebt, oder gestorben ist? Ceras war erst neun gewesen an jenem Tag. Eine seltene Gelegenheit, von dem Druiden selbst zu lernen, wie man jenen Göttern dient, die man nur vom Namen kennt.
Der Regen hat nachgelassen. Kaum mehr als ein feiner Niesel ist übrig geblieben, und der Wind hat sich gelegt. Heute Nacht würde es kein Gewitter mehr geben, und erschöpft, müde und eiskalt geht er wieder hinein in das kleine Haus. Er legt neue Scheite in das Feuer, bis es hoch und kräftig brennt, und heizt auch den Ofen ein, ehe er sich abtrocknet und dick einwickelt. Jedes Mal, wenn er sich diesem einen Florgott widmet, hat er bald das Gefühl, lungenkrank zu werden. Doch bis jetzt hatte ihn Taranis geschont und Mabon behütet. Bleibt nur noch zu hoffen, dass sein Wunsch ihm gewährt wird, und der Gott der Gewalten über Ravinsthal marschiert.
[Bild: style5,Ceras.png]

[02:58:55] <Lisbeth> Das sagst du nur bis ich Ceras Bolzen ins Bein scheiße
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