Gegen den Uhrzeigersinn
#1
Jede Geschichte hat einen Anfang und ein Ende.
Märchen sind nicht wahr weil sie erfunden sind.
Worte tragen Bedeutung und Zeit ist die einzig wahre Maßeinheit.
Seit sie denken konnte, wusste Meralinde Haupt dies alles besser. Und sie tat gut daran die meiste Zeit darüber den Mund zu halten.

~

Es war wieder geschehen.

Das zerschlissene Hemd und der Haferbrei waren fort. Manche die sie kannten und davon wussten, hätten Meran in Verdacht gehabt. Aber die selben Menschen hätten wieder daran gezweifelt dass sie solchen Schabernack betreiben würde.
Meran war übrigens Meralinde Haupt, doch der Kreis jener die die Geschichte Meralinde Haupts erzählen würden, war nie sehr groß gewesen und wurde beständig kleiner. Die Geschichte Meralinde Haupts, Tochter von Jeron Haupt und Aislinn Riddell hatte ihr Ende gefunden als Meran entschieden hatte Meran zu sein. Meralinde Haupt war eine traurige Geschichte und traurige Geschichten kannte diese Welt zu Hauf. Lieber würde Meran eine andere erzählen.
Eine neue Schüssel Haferbrei wurde im Dachbalken der Taverne "Drachentöters Rast" bereitgestellt. Meran war jung. Genauso wie Tara und Lieselotte. Also sollten sie sich den Hausgeist der Taverne wohlgesonnen stimmen, denn wie jeder wusste respektierten Geister vor allem das Alter, und keine von ihnen konnte ein Alter aufweisen das einen Geist auch nur zögern lassen würde. Und wie dumm wäre es gewesen anzunehmen, dass sie in dieser Taverne allein waren?
In einer Ecke der Taverne erneuerte sie den Haufen Salz. Er würde die ungehobelten Wichte fernhalten, die des Bieres oder nur des Vergnügens wegen zweifelsohne früher oder später ein Auge auf die Schenke werfen würden. Wenn sie so darüber nachdachte kam sie manchmal nicht darum herum Tara mit einem Wicht zu vergleichen. Natürlich nicht wegen der Größe. Keinesfalls wegen der Größe. Dazu müsste man erwähnen dass Meran Wichte nicht für per se böse hielt. Natürlich sie bedeuteten Ärger, aber nur weil sie so erregbar waren und fürchterlich hartnäckig sein konnten wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatten. Dann war da noch die latente Gewaltbereitschaft und... nun gut, eigentlich waren sie gar nicht so wie Meran Tara sah, trotzdem konnte sie sich bei ihrem Tun ein leichtes Lächeln nicht verkneifen während sie sich ausmalte wie eine Wichtelfrau die sie alle "Kupferlöckchen" nannten, gerade den Anführer einer Gruppe sehr betreten dreinschauender Wichtel zusammenschrie.
Sie legte dem Hausgeist noch eine zerschlissene Hose neben der Schüssel Haferbrei bereit. Er würde Kleidung brauchen. Wenn sie sich mit dem Hausgeist gut stimmten, würde er sie beschützen. Natürlich manche hätten an dieser Stelle gesagt, dass derlei lächerlich, abergläubisch und übervorsichtig war. In Galatia hätten ihr manche gesagt "so viel Aufstand für einen Kobold im Keller?". Das war umgangssprachlich. Ein Kobold im Keller war an und für sich keine schlimme Sachen, man würde ein paar Dinge woanders finden, etwas Schnaps würde fehlen, vielleicht wird einmal ein Huhn gestohlen. Der Kobold im Keller war ein Problem das per se vorhanden war, aber es war nicht tragisch, man konnte es leugnen, oder drum herum arbeiten - es wäre wahrscheinlich die Mühe es zu beheben nicht wert. Ganz anders stand es um den Troll in der Küche. Und Meran wusste zu gut, dass jeder gute Troll in der Küche einmal als Kobold im Keller begonnen hatte.
Also hielt sie sich an die Regeln und erwies ihren Respekt. Und das am besten bedächtig vorauseilend - ausgleichend wo jemand Anderes vielleicht bereits unbedacht begonnen hatte Brücken einzureißen.
Und nachdem all dies erledigt war, begann sie den Kupferstich neben dem Pappmachédrachenkopf von Staub zu befreien. Der Kupferstich - er zeigte die Königin der Feen, Mutter Krone und ihr Gefolge. Ein bunter Haufen in einer heiteren Prozession, tanzende Feen, Irrlichter im Hintergrund, raufende Wichte, lauernde Kobolde. Und die zwei Schönheiten die ihnen vorangingen. Der Kupferstich hing neben dem Drachenkopf wahrscheinlich nicht sehr günstig, denn der Blick der meisten Menschen würde wohl von dem Drachenkopf aufgefangen werden - da machte sie sich kaum Illusionen.
Trotzdem war sie froh dass es genau dort hing, denn es zeigte, dass noch nicht alle vergessen hatten, dass es nicht die Menschen, nicht einmal die Sterblichen, ihre Taten oder auch nur ihre Namen waren, deren Wirken die große Illusion überdauern würde.
Und als ihr Werk im Hintergrund getan war, zog sie weiter. Ja, Menschen kümmerten sich dieser Tage um wichtige Dinge. Politik spielte eine große Rolle, es wurden Helden und Dynastien geschaffen und gleichsam niedergerissen. Große Geschichten mit vielen Worten gewoben und gar niedergeschrieben.
Doch Meran kümmerte sich um die kleinen Geschichten, stets einen Fuß vor den anderen setzend, und die kleinen Dinge im Auge behalten.
~
Denn wie die meisten Galatier wissen: "So einige Trolle in der Küche begannen einmal als Kobold im Keller."
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#2
"Sie kannte die Musik - kannte sie im tiefsten Kern ihres Seins - auch wenn sie sie nie zuvor gehört hatte.
Zwar fremdartig, war sie trotzdem immer in ihr gewesen, darauf wartend geweckt zu werden. Dem tiefsten Kern alter Mysterien entwachsen, welche Geheimnissen ihr Entzücken verliehen, und Religion ihre Ehrfurcht. Fordernd akzeptiert zu werden durch einfachen Glauben, nicht zerlegt und in Frage gestellt, gleichzeitig aber darum bettelnd angezweifelt und erforscht zu werden..."


~

Ein leise, gesummte Melodie ertönte in den ersten Tagen des Lenzing um ein kleines Anwesen in Hohenquell. Es war eine galatische Melodie, eine alte Melodie, normalerweise begleitete Gesang diese Melodie und Flöte verlieh ihrem Gefühl Ausdruck.
Doch die junge Frau die sie summte, verzichtete wie oftmals auf die Worte, und ließ das Gefühl Blüten tragen.
Ihr Gesicht trug eigenartige, aber nicht zu auffällige filigrane Muster, die mit schlanken Fingerspitzen, und feuchter Asche aufgetragen wurden. Sie erinnerten entfernt an Ranken die sich über ihr Gesicht wanden.
Und ähnlicher Machart waren die Muster, die sie nun vorsichtig mit ihren blanken Fingern des nachts auf die blanke Rinder der alten Bäume malte, welche wie ein Wald in einem Märchen um eine geheimnisvolle Burg, dieses Anwesen in Hohenquell umgaben.
Die junge Frau mit der Narbe am Kinn, deren Herz ein-, zwei-, dreimal gebrochen wart, summte die alte Melodie leise und unentwegt, während sie wie im Traum wandelnd ihrem Werk nachging.
Es heißt das Herz wäre Gefäß einer ganz eigenen Art der Magie, die in dunklen Nächten aus so manchem gebrochenen Herz nur herausströmte, stets Gefahr laufend, eine leere Hülle zurückzulassen.
Dies war hier nicht die Gefahr, soll an dieser Stelle gesagt sein, denn dies ist nicht die Geschichte dieser Frau. Es ist die Geschichte des Lieds, der eigenen Magie die in dieser Geschichte und der Melodie mitschwingt. Eine Geschichte die eine blasse Erinnerung aufrecht erhält, um ein altes Omen.
Es ist die Geschichte der wilden Jagd. Das unausweichliche Todesomen, scheinbar abhängig von der Willkür der Feengestalten die dieser Hatz zugehörten. Eine Naturgewalt. Vergessen, aber nicht vergangen. In Zeiten in denen die Magie dieser Welt immer mehr Willen und Zweck unterworfen wurde, blasse Vernunft die Illusion von Kontrollierbarkeit erzeugte, war die wilde Jagd Zeugin einer ursprünglicheren, urtümlicheren Magie. Einer Kraft die man zu besänftigen hoffen konnte, aber sich nicht darauf verlassen konnte. Eine Kraft der man sich nicht leichtfertig zuwandte. Eine Naturgewalt der in düstereren Zeiten die Menschen einen anderen Respekt zollten.
In Gedenken an diese Kraft, zeichnete die junge Frau, wie in Trance ihre Muster an die Bäume. Ritualisierte Muster, eine Bitte an die Götter und die Geister des Waldes. Die wilde Jagd zu lenken, dass sie das Haus verschonen mögen, sollten Musik und Hufgetrampel dieser unerbittlichen Prozession jemals die Richtung dieses Zufluchtsorts einschlagen.
Und auch wenn die junge Frau nur selten darüber sprach, für Viele nur die Aschespuren an den Bäumen zurückblieben, so war sichtbar dass hier etwas geschah. War sichtbar dass hier an alte, ursprüngliche Kräfte appelliert wurde. Und im Hinterkopf mancher Betrachter regte sich vielleicht ein Hauch des Gedächtnisses, dieser Mischung aus Liedern, Märchen und Hörensagen, das die alte Magie ein wenig lauter atmen ließ, derer diese Bäume seit jeher stumme Zeugen waren. So wie sie stumme Zeugen der Bewohner - Geister, Feen und Götterwesen waren - die oft ungesehen aber manchmal doch so spürbar durch die Wälder wandelten, waren.
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