FSK-18 Vogelflug
#1
Man sagt, die Elster efreut sich an glänzenden, glitzernden Dingen – so sehr, dass sie davon magisch angezogen wird, dass sie jene in ihrem Besitz wissen will.
Selbst wenn das glänzende Objekt bereits vergeben ist, schreckt sie vor Diebstahl nicht zurück. Die diebische Elster, nimmt was nicht ihr gehört, ohne Reue und Gewissen.

So kam es, dass die Elster ein gar wertvolles, wenn nicht das Wertvollste aller Dinge besaß. Es glänzte und schimmerte so hell, wie die Sonne und wurde sicher in ihrem Nest verwahrt, um es vor dem Rest der Welt zu schützen. Das helle Strahlen war so reizvoll für die Elster, dass sie immer wieder mit dem Schnabel dagegen pickte, in Bewunderung und Faszination. Im Laufe der Jahre, verlor das Objekt nach und nach seinen Glanz. Es ermattete und formte sich allmählich nach dem Willen der Elster.
Aber nicht nur das. Eine eigenartige Co-Abhängigkeit entstand. Denn die Elster konnte an nichts anderes mehr denken, als an das was ihr gehörte. Jeder Gedanke kreiste nur noch um ihren Besitz, den es vor der grausamen Welt zu beschützen (oder zu zerstören) galt.

Man sagt, was die Elster einmal findet, gibt sie nicht mehr her. Denn sie ist nicht bereit, loszulassen, egal wie schädlich es ist. Obwohl die Elster stets ein wachsames Auge auf ihre Dinge hat, kann es doch vorkommen, dass ab und an, etwas verloren geht. Fortgeblasen durch den Wind, gestohlen von anderen diebischen Kreaturen oder einfach aus den Augen verloren.

So kam es, dass ihr wertvollster Besitz eines Tages verschwand und wie der Mond die Sonne benötigt, um durch ihr Licht in Erscheinung zu treten, so sehnte sich auch die Elster nach ihrem hellen Stern. In allen Winkeln der Welt suchte sie und fand doch Nichts. Im Laufe der Jahre wurde die Elster müde und ihr Herz schwer, voll Einsamkeit und Trauer. Glaubte sie doch, dass ihr wertvollstes Kleinod für immer verloren war.
Doch dann, an einem Tag, wie jeder andere auch, in einer Stadt, die sie noch nie zuvor betreten hatte, von einem Mann, den sie noch nie zuvor gesehen hatte, erhielt sie die ersten Hinweise auf den Verbleib ihres Besitzes.
Noch am selben Abend fand sie, was einst ihr gehörte und immer ihr gehören wird. Auch wenn Frau und Kind an seiner Seite saßen und er so hell strahlte wie noch nie zuvor – Isabelle wusste, dass sie die dunkle Seite in ihm wieder hervorkehren würde. Sie war ein Teil von ihm, der friedlich und tief schlummern und doch nie gänzlich verschwinden konnte. So wie er sie einst in den Abgrund riss und sie ihn dann noch tiefer hinab - so eng waren ihrer beider Schicksal miteinander verknüpft.

Und in ihrem Kopf ratterte nur noch ein Gedanke, ein Wort – denn alles andere war in Unwichtigkeit versunken:

Kyron Kyron Kyron Kyron Kyron Kyron Kyron Kyron Kyron Kyron Kyron Kyron Kyron Kyron
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#2
...und ich nahm deine Hand und wir schauten uns an. Sekunden voller Gier und dann warst du bei mir. Und ich für immer bei dir…

Für einen Moment war die Welt wieder ganz. Für einen Moment war es perfekt. Kyron stand vor ihr, Kyron lebte. Kyron war hier. In ihren Armen, in ihrer Reichweite. Und sie würde ihn nie wieder gehen lassen. Er gehörte ihr und sie würde alles und jeden vernichten, der ihr im Weg stand. Aber vorerst hieß es geduldig sein, um wieder zu alter Stärke zu gelangen.
Die Elster war geduldig, die Elster kann warten..

Zusammen ist man weniger allein, sagt man. Die Wahrheit ist aber eher die: Zusammen leidet man weniger, als allein. Oder - die Wahrheit ist ein Versprechen: Wenn ich leide, dann leidest du noch viel mehr.

Mit Cahira ließ es sich arrangieren. Sie war wie stets eine treue Seele, die zu Kyron hielt, was auch geschah. Irritierend war nur, dass Cahira, Isabelle zur Familie zählte. Eine Aussage, die wohl kaum ernst gemeint sein konnte, war sie doch einst die Frau, die ihr kleines, glückliches Heim bedrohte.
Aber es arbeitete nur für Isabelle, Cahira zumindest nicht gegen sie zu wissen. Sie würde ihre Freundlichkeit ausnutzen, solange es nur ging.

„Der Meister lebt.

Mit der Freude des Wiedersehens, kam das Entsetzen. Jahrelang war das Mal ruhig und kaum mehr als eine blasse Narbe, so blass wie die Erinnerung an das Leben, das Isabelle einst führte. Ein Leben voll Blut, Angst, Grauen und Tod. Und mit der Zeit lernte sie, all die Grausamkeiten die man ihr entgegenbrachte zu erwidern, wenn nicht gar zu übertrumpfen. Doch das sollte vorbei sein. Eine dunklen Erinnerung, an ein dunkles Leben, die sie nur noch Nachts in ihren Träumen plagte.

Aber der Meister lebte und er gab Isabelle die Wahl. Natürlich hatte sie nicht wirklich eine Wahl und so fand sie sich wenig später auf den Knien wieder und sprach ihren Schwur. Ein Schnitt, eine neue Narbe, auf dem ohnehin schon reich verzierten Körper. All die Lehren, die ihr über die Jahre in den Kopf und Körper gehämmert wurden und im Laufe der Zeit in den hintersten Winkel ihres Verstandes gedrängt wurden, sie kamen sintflutartig zurück.

Nur wenige Tage später sollte sie noch eine unliebsame Begegnung machen. Belshira Karde weilte durchaus noch unter den Lebenden. Eine Marionette mehr, der Meister würde zufrieden sein. Aber der Person selbst wollte und konnte Isabelle nicht trauen. Sie war voll und ganz zerstört und schürte in Isabelle die Angst, dass sie eines Tages ebenfalls so enden würde. Eine Hülle, in der nur noch Hass und Abscheu existierten.

Eine Weile lebte Isabelle also in Löwenstein, bei ihrem guten Freund Lawin. Tatächlich bezeichnete sie ihn als ersten Mensch, unter all ihren Bekanntschaften, als Freund. Er war seltsam, auf seine Art und Isabelle hatte das Gefühl hinter der freundlichen Fassade, lauerte etwas. Was, das galt es jedoch noch herauszufinden.
Isabelle machte weitere Bekanntschaften, hielt die meisten aber oberflächlich. In einer Stadt wie Löwenstein, ging ohnehin fast jeder seinen eigenen Geschäften nach und zeigte wenig Interesse an Fremden.
Und dann ging es weiter nach Ravinsthal, wo ein rauerer Wind wehte. Ein Ort, der Isabelle besser gefiel als die Stadt mit ihren Adeligen und Schmalzlocken. Die Zeit würde zeige, ob sie in Rabenstein Fuß fassen konnte.

Das Leben nahm also erneut eine Wende und trieb Isabelle zurück in die Arme des Kultes. Ins Verderben namens Kyrthon Dureth.
Natürlich war ihr immer klar, wer einst die Dunkelheit berührt hat, kann ihr nie wieder entkommen.
Manchmal, gab es Tage, an denen sich Isabelle wünschte endlich verrückt zu werden. Den Verstand komplett zu verlieren, statt mit wachsendem Entsetzen in den Augen, die Wahrheit zu erkennen. Welche Wahrheit? Und vor allem, wessen?
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#3
„Töte sie.“

Wie versteinert stand Isabelle in der verfallenen Kirche, vor dem Meister, vor seinen Lakaien und vor der Frau, deren Lebensende soeben entschieden wurde. Sie war mittleren Alters und doch in ihrer Schönheit noch nicht verwelkt. Isabelle schluckte die aufkeimende Panik hinunter, die drohte ihr die Kehle zuzuschnüren und ihre Ohren klingeln ließ, so dass es unglaublich schwer fiel, die folgenden Worte überhaupt zu hören, geschweige denn zu verstehen.

"Isabelle."

Starr ruhten die dunkelgrünen Augen auf der Frau, die mit stolz erhobenem Haupt von zwei Kultisten festgehalten wurde, jedoch keine Gegenwehr zeigte und Isabelle keines Blickes würdigte. Isabelle kannte die Frau, wusste sie war einer seiner höherrangigen Diener und doch hatte sie nie Worte mit ihr gewechselt. Natürlich nicht, dafür war Isabelle zu unwichtig, zu weit unten im Gefüge um überhaupt wahrgenommen zu werden.
Warum also sprach der Meister nun zu ihr? Erwartete er, dass sie jemandes Leben beenden würde? War es eine Prüfung? Was wenn sie sich weigerte?
Ein tiefes Ausatmen machte Isabelle erst bewusst, dass sie ihre Luft angehalten hatte.

„Elster!“

Der Name drang Isabelle durch Mark und Bein und ließ sie unwillkürlich schaudern. Aus ihren Gedanken gerissen sah sie langsam zum Meister. Oder zumindest dorthin, wo sie den Meister zuletzt sah. Dort stand jedoch niemand mehr, stattdessen spürte sie wie Finger sich in ihre Schultern gruben und eine Präsenz in ihrem Rücken, die ihr Blut zu Eis gefrieren ließ.

„Töte sie, Isabelle.“

Flüsterte eine grausame Stimme nahe an ihrem Ohr und Isabelles Körper versteifte sich, als Grauen und Angst ihr erneut den Atem nahmen. ‚Nein‘ – flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf. ‚Ich will nicht‘.
Und doch verließ kein Wort ihre Lippen. Sich weigern bedeutet den Tod oder schlimmer, sich weigern bedeutet Schmerz, der so viel schlimmer war als der Tod.
Wie um den Beweis anzutreten, begann sich ein stechender Schmerz von ihrem Mal auszubreiten, während Finger mit spitzen Nägeln sich hart in ihre Schulter gruben.

„Sie hat uns verraten. Sie muss sterben. Wie faules Fleisch, muss sie herausgeschnitten werden. Töte sie, Isabelle. Beweise ihm deine Loyalität.“

Der Schmerz war noch erträglich und erlaubte ihr einen Blick auf Kyron zu werfen, der ihr zunickte, als würde er die Worte für gut und richtig befinden. Dann sah sie weiter zu Belshira, deren Gesicht zu einer gehässigen Grinsen verzogen war. Und da waren weitere gesichtslose Fratzen, die ihre Zustimmung gaben. Die nach Blut und Tod lechzten. Es gab kein Entrinnen, keinen Ausweg. Nur das hier und jetzt und gehorchen, gehorchen, gehorchen.
Wie von einem unsichtbaren Faden gezogen hob sie den Arm an, der unklar ob aus Angst oder Schmerz, zitterte. Die Zeit schien für einen Moment still zu stehen, genauso wie Isabelles Herz, als sie ihre Klinge durch den Brustkorb der Frau trieb, um das Herz der Frau zu durchstoßen.
Sorgsam darauf bedacht, nicht in das Gesicht der Frau zu blicken, sah Isabelle auf die Klinge hinab, die bis zum Heft in der sterbenden Hülle steckte. Sie musste nicht in das Gesicht der Frau blicken, denn sie wusste bereits, dass dort nur Hass und Abscheu auf sie warteten.
Als die Frau auf die Knie herab sackte, folgte Isabelle treu der Bewegung, so dass einzig das Schwert, dass in der Brust der Verräterin steckte, deren Oberkörper aufrecht hielt. Die spitzen Fingernägel lösten sich von Isabelles Schultern, der Schmerz verebbte abrupt und doch wagte Isabelle nicht aufzublicken. Ein Röcheln und letztes Ausatmen verriet ihr, dass die Frau ihren letzten Atemzug getan hatte. Sie war tot. Isabelle hatte sie umgebracht. Getötet. Ermordet. Ein Leben genommen.
Mit einem hässlichen, feuchten Geräusch glitt der tote Körper langsam von ihrer Klinge und nun konnte Isabelle einen Blick in die toten Augen der Verräterin werfen. Sie starb nicht friedlich und ihre Seele hatte im Abyss keine Gnade zu erwarten. Und doch wirkte ihr toter Blick, wie der einer Schlafenden, entspannt und irgendwie erleichtert.
Erst als sich zwei warme Hände (nicht kalt, nicht der Meister) an ihre Wangen legten und Daumen Flüssigkeit wegstrichen, merkte Isabelle, dass Tränen ihre Wangen benetzten.

„Warum weinst du, Isabelle?“

Als sie aufblickte, kniete Kyron vor ihr und lächelte, als sei er der glücklichste Mann auf Erden. So, als hätte sie soeben etwas Großartiges vollbracht. Und in dem Moment, indem seine Lippen, die ihren berührt sollten, zerfloss Kyrons Gestalt, wie ein Stück Butter, das zu lange in der Sonne lag. Blut, Schleim und andere Körperflüssigkeiten sickerten in Isabelle, als wolle die Flüssigkeit sich mit ihr vereinen.
Nicht mit einem Schrei, aber mit einer Panikattackte, die Isabelle die Luft zum Atmen raubte, erwachte sie.

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Spät Nachts im kleinen Zimmer über der Taverne, mit tiefen Ringen unter den Augen, saß Isabelle und studierte einen Brief, der lediglich mit den Initialen Y.K. unterzeichnet war.
Auch wenn der Traum nicht der Realität entsprach, war er doch zu ähnlich, um kalten Schweiß auf Isabelles Stirn aufbrechen zu lassen.

„Warum jetzt? Was willst du?“

"Hmmm?"

"Nichts, Lawin. Schlaf weiter. Es war nur ein Traum."
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#4
Lawin konnte nicht schlafen oder besser gesagt... er wollte es gar nicht.
Seine Prioritäten hatten sich erst einmal geändert.
In dieser Nacht galt es für seine Freundin da zu sein und sich um sie zu kümmern.
Also streichelte er immer mal wieder sanft liebkosend ihr Haar oder summte eine leise Melodie.
Sollte sie einmal mehr von einem schlimmen Traum geplagt erwachen, würde er für sie da sein.
Ihr einen Tee kochen, sie in den Arm nehmen und ihr beruhigende Worte zuflüstern.

Aber... das war keine langfristige Lösung für das Problem.
Es musste eine Lösung her. Besser Gestern als Morgen.
Eine Lösung, die nicht die Hilfe von übertrieben viel Schlafmohn benötigte, so wie Isabelle es vielleicht gerne gehabt hätte.
Und nicht die Lösung, die Sam anstrebte und ihm sehr seltsam anmutete. Sie hatte angeblich einen obskuren Plan mit Diamanten und einer Glaskugel um die Albträume zu vertreiben. Das roch faul. Das roch nach irgend welchem Hokus Pokus.

Y.K.
Er war ihr bereits auf der Spur.
Er würde sie finden.
Er würde sie anlächeln und höflichst mit ihr reden.
So wie er es immer tat...
Und wenn sie eine Gefahr darstellte...
Oder einfach nur daran Schuld blieb dass einer seiner Freunde von Schlaflosigkeit gequält wurde...
Nunja, dann würde er genügend Gift parat haben...
Genügend leere Fässer, in die der Frauenkörper schon reinpassen würde... auf die eine oder die andere Art...
Das Meer war auch nie weit entfernt, sodass man das Fass auf eine weite, weite Reise schicken konnte...
Und so die Götter der Dame wohlgestimmt waren... so würde sie vielleicht sogar lebendig irgendwo ankommen... danach aber hoffentlich niemals wiederkehren.
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