Und schon fällt der Regen - wie gerufen.
#1
Camilla lehnte, nein drückte sich kramphaft gegen die Gassenmauer. Das musste sie, zu sehr war einem Teil ihres Körpers danach nachzugeben. Der Geschmack ihres Bluts, herrührend von der Platzwunde an ihrer Unterlippe lag ihr im Mund. Ein starker pulsierender Schmerz machte darauf aufmerksam, dass sie zumindest "ein" Jochbein im Gesicht besaß, und ein Schmerz im Rücken wies sie daraufhin, dass zumindest eine Niere noch ums Überleben kämpfte.
Aber... das war alles nicht dramatisch. Das war die Nachtwache. Und so würde sie sich im Laufe der nächsten Tage wieder zusammenflicken lassen. Der Räube hatte nicht das Glück. Das Gefühl einer höheren Zufriedenheit kam ihr allerdings gänzlich abhanden, während sie rücklings, mitten in der Nacht, an der kalten Mauer in Löwenstein lehnte. Eine heiße Nacht, der Schweiß lief ihr bereits wieder das Gesicht hinab und ließ sie ihre Blessuren im Gesicht spüren. Eine Minute lang genoss sie das Gefühl ihren Körper so deutlich zu spüren. Genau die eine Minute die es dauerte bis einer ihrer grundlegendsten Nachtwächterinstinkte einsetzte: Der Halbwachschlaf im Stehen, im Angesicht größter Zermürbung. Nachtwächter in Ravinsthal hatten diese Technik förmlich perfektioniert. Es würde einen zwar Umbringen zu versuchen mehrere Tage damit auszukommen, aber an vereinzelten Tagen konnte sie einem Nachtwächter die Haut retten.

Camilla Hall. Das einfachste Wesen der menschlichen Schöpfung war sie für Andere oftmals wohl nicht. Doch auch sie funktionierte nach simplen Prinzipien. Genauso wie ihre Träume. Und ihre Träume waren simpel: Stets verbunden mit Momenten in denen sie sich lebendig fühlte. Moderne Seelenforscher hätten gesagt, dass Camilla sich deswegen so hart gibt, damit sie den Hammer des Lebens um so deutlicher auf ihrer eisernen Hülle spürt. Camilla hätte einem solchen Seelenforscher den Finger gezeigt, nur um ihn abzulenken, ihm ihr Knie in den Schritt zu rammen, und ihm mit einem Schlag von "Klopfi" den Rest zu geben. Camilla hatte nicht sonderlich viel übrig für solche Menschen.
Trotzdem träumte sie von simplen Sachen. Tagen die sie mit ihren Brüdern verbracht hatte bevor sie nach Indharim entsandt wurden. Tage mit ihrem Vater. Vergangene Zeiten.
Diesmal war sie allerdings woanders.
Träume sind eine tückische Angelegenheit, der Fokus unserer Aufmerksamkeit mag auf einem Ding liegen, trotzdem erinnern wir uns nicht daran, sondern an all die kleinen Details von denen man meinen sollte sie entgingen uns. Camilla würde sich später an einen kleinen Raum erinnern. Viel sagte sie nicht. Es war wahrscheinlich etwas wie "Zum Gruß", und von mehreren Stellen wurde dieser Gruß erwiedert, das war aber nicht wichtig genug um sie zu zählen. Camilla wollte etwas. Das machte sie klar. Das wurde verstanden. Camilla sah ein Lächeln, und Camilla hörte Geschnatter. Gezische. Letzteres ignorierte sie, ersterem hätte sie nicht viel Beachtung geschenkt. Aber einen Moment schien es als würde das stumme Lächeln im Angesicht endlosen Geschnatters den Raum um sich herum anordnen. Sich selbst zum Zentrum davon erklären. Camilla war nie ein Mensch viele großer Worte gewesen, und würde es auch nie werden. Dann aber wiederum... Camilla war anders. Als Nachtwächterin war es nicht ihre Aufgabe zu zentrieren. Es war ihre Aufgabe notfalls in einer Menschenmenge zu stehe ohne dass jemand Notiz von ihr nahm. Nachtwächter zu sein bedeutete nicht Pauken und Trompeten. Nachtwächter waren diejenigen die einen zu Betrunkenen freundlich darauf verwiesen dass es immer noch Regeln gibt, man sich jetzt besser an sie halten sollte, eine Strafe zahlen un den Heimweg antreten sollte. Nachtwächter waren jene die die Messer im Rücken hatten wenn die Tagwache es in den Sand setzte.
Den Raum oder auch nur eine Armlänge Radius um sich zu zentrieren kam ihr nicht im Leben in den Sinn. Dafür würde sie nicht gut genug bezahlt. Aber dies Schweigen und dies Lächeln blieb ihr trotzdem so unnützerweise genau deswegen im Sinn. Die vage Frage ob man etwas verlieren konnte bevor man es hatte schwebte in den Raum und Camilla wurde sauer.
Das brachte sie dazu aufzuwachen. Ob das gut oder schlecht war, würde schwer zu sagen sein, selbst mancher Heiler würde davon absehen der übellaunigen Wächterin zu sagen dass sie mehr schlafen sollte. Fakt war dass sie unzufrieden war. Und obwohl sie angeschlagen war, überwiegte die Unzufriedenheit. So rückte sie, wie immer, Klopfi an ihrem Gürtel zurecht. Es war kein Drama, es war keine große Geschichte. Sie zog den Helm etwas tiefer und trat aus der Gasse heraus auf den Platz.
Das trippelnde Geräusch auf ihrem Eisenhut kündigte es an.
Camilla legte den Kopf in den Nacken und reckte ihr Gesicht dem Himmel entgegen. Manche Gedanken behielt man für sich. Camilla behielt viel für sich. Sie schätzte Leute die Dinge für sich behielten.
Und doch... mit diesem unbestimmten Gefühl in der Brust sah sie in den Himmel, mit den leisen Worten auf den Lippen die ausnahmsweise nicht so klangen als würde jemand gleich ein Gelenk in unvorhergesehener Position wiederfinden:

"Und schon fällt der Regen... wie gerufen."
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#2
Sie fuhr nahezu wie erschrocken aus ihrem Halbschlaf auf, einen Moment schwer atmend. Die Platzwunde an ihrer Unterlippe hatte wieder zu bluten begonnen und ihr linkes Jochbein machte sich wieder pochend bemerkbar. Ein leichter nächtlicher und den Herbst ankündigender Schauer ging in den Straßen Löwensteins nieder, aber für ihren Wachmannhalbschlaf hatte sie sich eine überdachte Stelle zum Anlehnen gesucht. Man konnte diese Art des Schlafens nicht einmal wirklich Schlaf nennen, denn wahrscheinlich würde es jemanden nach drei Tagen umbringen. Aber damit konnte sie Zeit überbrücken und gleichsam noch halb wachsam sein. In ihren Augen war das nicht einmal ein Mangel an Pflichterfüllung. Zu glauben man könne die Straßen sauber halten wäre illusorisch gewesen. Ihre Aufgabe bestand darin dafür zu sorgen, dass all die Halunken ihre Beutelschneidergeschäfte in Gassen und fernen Hinterhöfen abwickelten. Wehe ihnen wenn sie es direkt vor ihrer Nase tun zu können glaubten.
Und so schön und gut das alles in Gedanken gewesen sein mochte, sie war in den letzten Nächten unzufrieden. Eine Unzufriedenheit die sie wütend machte. Eine Wut die ihre Spuren hinterließ in Form von Blutergüssen und Schnittwunden.
Vieles war geschehen was ihr keineswegs passte, viele Menschen hatten definitiv an Respekt ihrerseits verloren und einmal mehr war sie so hart auf dem Boden der Tatsachen gelandet wie sie es zu vermeiden versuchte, aber das war alles nicht genug um sie wütend zu machen. Etwas fehlte und etwas schrie in ihr Protest.
Der Regen fiel, sie leckte ihre Wunden, und irgendwo zwischen den Schläfen und ihrer Stirn pochte es, eine irrationale Wut. Nicht dass die meisten den Unterschied merken würden. Aber sie spürte ihn. Und jede einzelne Nuance davon verdarb ihr die ohnehin nicht gerade sonnige Laune aufs Neue.
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#3
Es war Nacht, Camilla war alleine draußen und hatte vor es eine Weile zu bleiben und da sie in Gedanken war, war es irgendwie nur natürlich, dass bereits Wolken aufzogen. Rabenstein war nie wirklich ihre Heimat gewesen - sie hatte mit ihrer Familie dort Zeit verbracht, aber es war nie wirklich Heimat geworden. Sie ging auf diesen Wegen zwar vor langer Zeit in der Uniform einer Wache, aber diese Zeiten waren längst vergessen. Die Gesichter hatten sich verändert und sie war in ihrer Abwesenheit zur Fremden geworden. Und entsprechend fühlte sich auch diese Siedlung für sie fremd an. So fremd wie Löwenstein. Sie hörte einmal jemanden sagen "Stadtluft macht frei", und wahrscheinlich hätte sie dem zugestimmt. Durch eine aufgeschnittene Kehle ließ es sich sicher sehr frei atmen.
Die Zeit in Rabenstein hatte sie unruhig gemacht, denn sie hatte nicht gefunden was sie gesucht hatte, wahrscheinlich eher etwas verloren. Das Haus ihrer Familie in Ravinsthal stand nicht zur Debatte - sie hatte ein halbes Dutzend guter Gründe dem nicht zu nahe zu kommen und entgegen weitläufiger Meinung war sie gewiss kein wankelmütiger Mensch.
Manche Menschen behaupten immer man solle glücklich sein mit dem was man hat. Meinten sie mit dem was einem immer zu Verfügung stand? Eine Genügsamkeit entwickeln die dazu führt dass man immer glücklich sein könnte? Camilla war nicht feingeistig genug um diesen Gedanken zu lange und mit zu großer Freude nachzuhängen.

Aber mit dem Regen als ständigen Begleiter, könnte sie auch genauso gut lernen es zu genießen. Das war ihr Gedanke als sie ihre Sachen gepackt hatte und nach Löwenstein aufbrach.
Und natürlich - schon fiel der Regen. Wie gerufen.
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