Zwei Banner für eine Baronie...
#1
Bug 
Mit den letzten beiden Wassereimern schleppte sie sich keuchend die Treppenstufen hinauf und verschnaufte. Sie spürte das ziehen in den Waden und den Oberschenkeln, welches für den nächsten Tag einen gehörigen Muskelkater ankündigte. Dabei war dies erst der Anfang. Sie setzte die beiden hölzernen Eimer schwankend ab. Als Dank dafür schwappte das Wasser über den Rand und platschte auf den Dielenboden. Sie quittierte das lediglich mit einem Schnaufen und hing sich erschöpft mit dem Oberkörper über das Treppengeländer. Ihr Rücken dankte es … zumindest kurzzeitig. Schon ganze fünfzehn Mal hatte sie den Gang von der Wasserstelle bis zum Trog vollführt, um ihn mit diesen beiden letzten Eimern voll des mäßig kühlen Wassers zur gewünschten Fülle zu verhelfen.

Noch ein paar Minütchen hing sie da über dem Geländer, wie ein altes, vergessenes Handtuch, ehe sie sich seufzend wieder hochdrückte und die beiden Eimer zum Bottich schleppte, der sich heute mal ausnahmsweise auf dem Balkon sonnen durfte. Sie klemmte einen Keil unter die Tür, damit jene nicht gleich wieder ins Schloss fiel und leerte spritzend und plätschernd den Inhalt in den Behälter. Klappernd warf sie die Eimer dann beiseite, die für den heutigen Tag ihren Dienst erwiesen hatten und undankbar einen Ehrenplatz in der Rumpelecke des Zimmers bekamen. Danach schlurfte sie zu den Lagerfässern, öffnete vom rechten, oberen Fass den Deckel und klaubte die großen Salzbrocken heraus. Damit bewaffnet kehrte sie zu dem Balkon zurück und begann sie in das Wasser zu zerbröseln. Als auch das letzte Stück klaglos in der Tiefe versank, nahm sie den langen Holzstecken und tauchte ihn in den Salzsud. Langsam und mit kräftigen Rührbewegungen begann sie ihn darin kreisen zu lassen, wobei sie ihn mit beiden Händen festhielt. Ein Wirbel bildete sich dabei im Inneren, der stetig größer wurde und immer wieder die einzelnen Klumpen zu Tage förderte, die sich noch nicht auflösen wollten. Nach einer Weile und immer mehr ermüdenden Armen, ließ sich kein einziger Krümel mehr blicken und als sie die Stab herauszog und die Wasserwirbel immer kleiner wurden, blieb nichts als eine trübe, glatte Brühe zurück.

Sie nahm die bereits am Vormittag bereit gelegten Stoffbahnen und warf sie in den Trog. Kurzum wurde der lange Rock hochgerafft und recht wenig kunstvoll, aber praktisch, um die Hüftknochen geknotet. So würdelos vorbereitet, stieg sie tatenfreudig erst mit dem rechten und dann mit den linken Fuß in den Bottich. Das heißt sie tauchte erst die Zehen ein, quietschte laut und bibberte, ehe sie wieder nachsetzte, wie es sich für Frauen geziemte. Mit den Füßen tauchte sie die Stoffe unter, walkte sie mit Tritten und Stampfen kräftig durch. Keuchend hielt sie sich dabei vornübergebeugt an der Balkonbrüstung fest. Passanten, die zufälligerweise gerade nach oben sehen sollten, sei es um Vögel zu beobachten, sei es um die Wolkenbilder zu analysieren…wurden wohl mit dem recht amüsanten Anblicks eines hochrotem, angestrengten Kopf mit wirren, zerzaustem, blonden Haar belohnt werden, der über dem Balkongeländer hin und her wackelte. Erst als auch die letzte Faser richtig eingeweicht war, entstieg sie dem Sud wieder.

Sie löste den Keil, der Balkontür um sie wieder zu schließen. Die Stoffe würden erst einmal bis zum nächsten Abend dort einweichen, bevor sie jene zum trockenen aufhängen konnte. Sie nickte zufrieden der verschlossenen Tür zu.

Jetzt würde sie sich selbst erstmal ein Bad gönnen. Den Zettel für Bruce, dass der Balkon derzeit nicht zu betreten sei, konnte warten. Sie stutzte. Was wenn er aber früher nach Hause käme? Ach was, egal…Pech für ihn!

[Bild: jr2o-2y-3469.jpg]
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#2
Im letzten Dämmerlicht des Abends, kniff sie das linke Auge zu und sah fachmännisch prüfend in den Trog. Über Nacht war das Gewebe ordentlich aufgequollen und hatte den, für dieses Verfahren üblichen, matten Glanz angenommen. Außerdem wurde es so widerstandsfähiger gemacht und konnte mehr den hungrigen Winden und auch den restlichen Freveleien des Servanoer Wetters entgegensetzen. Jeder Muskel schmerzte bereits vom gestrigen Tage, dennoch krempelte sie sich die Ärmel hoch, wenn auch langsamer als üblich und mit vor Schmerz verzogener Miene, und begann die Stoffe noch einmal fest durchzukneten.

Hätten sie gekonnt, hätten sie sicherlich wohlig dabei geseufzt.

Dann zog sie jene Stück für Stück aus dem Salzsud und wrang sie, jedes Einzelne für sich, kräftig aus.

Hätten sie gekonnt, hätten sie nun sicherlich dabei geröchelt.

Mit einem feuchten Schmatzen und Klatschen landeten sie im beigestellten Weidenkorb. Ein kurzer Blick wurde über das Balkongeländer geworfen, um sich zu vergewissern, ob nicht doch noch ein heimlicher Verehrer, Nortgarder, Minnesänger (Es sei denn es wäre Irik), netter Nachbar oder gar Kunde unter jenem verweilte. Leider war dort aber auch kein Büttel, Mithraspriester, Steuereintreiber, Grauwolf oder andere unangenehme Besucher, sondern schlichtweg niemand. So hob sie recht enttäuscht, mit an die Wand gestemmten Füßen und den Einsatz ihrer letzten, verbliebenen Kräfte, die hintere Seite des schweren Troges an, um das Wasser über den Balkonabsatz auf die Straße rinnen zu lassen. Erst plätscherte nur ein dünner Rinnsal herab, doch je mehr sich der Bottich leerte, umso schneller rann das Bächlein nach unten. Sowie er auch seinen letzten Tropfen gelassen hatte, lehnte sie ihn kopfüber und schräg an das Geländer, auf dass er erst einmal trocknen würde, bevor sie sich am nächsten Tag seiner einträglichen Reinigung widmen würde.

Sie schnappte sich den Weidenkorb und ließ ihren geliebten Balkon einsam und alleine im schwindenden Tageslicht zurück. Am Treppenabsatz hielt sie inne und seufzte. Seit gestern schien sich die Anzahl der Stufen eindeutig vermehrt zu haben. Zumindest behauptete das der Muskelkater, der sich inzwischen von den Waden, über die Oberschenkel, gar bis in ihr Hinterteil zog und sie mit jedem Schritt drangsalierte. Langsam und stöhnend, ging sie Schritt für Schritt, einer alten Vettel gleich, die Stufen herab und stöhnte dabei wie ein Grabgeist, bis sie schließlich auch die letzte Stufe im Erdgeschoss überwand.

Hätten die Stoffe in ihrem Weidenkorb gekonnt, hätten jene sie ausgelacht.

Sie trug den Korb zur alten Gerberei auf der anderen Seite der Bogengasse und spannte die Stofflagen mit hölzernen Klemmen auf die Wäscheleine. Nur jene Strippen dort waren so lang, dass sie die viele Knoten reichenden Tücher, straff gespannt, aufzunehmen vermochten. Hier sollten sie bis zum nächsten Tag trocknen, was bei der Hitze, die seit Wochen in den Mauern der Stadt wohnte, nicht allzu lange dauern sollte. Jeder Wahrscheinlichkeit nach, konnte sie diese bereits am nächsten Tag zur höchsten Mittagsstunde wieder abnehmen.
Die Dunkelheit war bereits herein gebrochen, als sie endlich auch den letzten Zipfel mit der Klammer feststecken.

Müde gähnend nahm sie den nunmehr leeren, glücklicherweise jetzt leichten Korb wieder auf und schlenderte die Straße zurück nach Hause.

Hätten die Stoffe auf der Leine gekonnt, hätten sie jetzt geschlafen und ganz gewiss auch geschnarcht.


[Bild: jr2o-30-2c31.jpg]
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#3
Der Glockenturm begann mit seinem ersten dumpfen Glockenschlag zur Mittagsstunde, der von den Häuserwänden der Altstadt mehrfach zurückgeworfen und verstärkt wurde. Der Boden unter den dünnen Sohlen ihrer leichten Sommerschuhe vibrierte unter dem klangvollen, metallischen Ton. Jeder andere hätte bei diesem Lärm seinen Kopf auf den Schultern suchen müssen, doch nach zwei Jahren, in denen sie nur zwei Häuser nebenan eingezogen war, hatte sie sich daran gewöhnt und wusste wo ihr Kopf zu Hause war, auch wenn die Lautstärke oft genug ihre eigenen Gedanken übertönte.

Mit dem zweckdienlichen Korb unter dem Arm bewaffnet, machte sie sich auf den Weg zurück zur alten Gerberei. Die verräterische Pfütze unter dem Balkon war im Laufe des Vormittags immer mehr geschrumpft, bis sie vollends verschwunden war. Das einzige was vielleicht noch verräterisch wirken konnte war, dass die Pflastersteine an dieser Stelle viel sauberer waren. Doch wer in Löwenstein, hatte schon Augen für solche Kleinigkeiten. Hier war man mehr mit sich selbst beschäftigt…oder damit vor den Türen anderer zu kehren und es für die eigenen Zwecke zu nutzen. Am besten hinterrücks mit dem Dolch ins Auge.

Der letzte Glockenschlag hallte noch zwischen den Mauern, als sie die Gerberei erreichte. Bei den Wäscheleinen angekommen, prüfte sie die Stoffe zwischen Daumen und Handfläche. Der Stoff war durch die Salzlösung wesentlich weicher geworden, seine nun glänzende Struktur würde sich mit der Färbung erst richtig entfalten und was ganz wichtig war: Er war trocken und durch die warmen Sonnenstrahlen regelrecht aufgeheizt. Erleichtert seufzte sie und sie nahm eine Klemme nach der anderen ab, welche die Tücher an Ort und Stelle hielten, verstaute sie im Korb und legte die Stoffe sorgsam zusammen gefaltet oben auf.

Sie bückte sich um den Korb wieder auf die Arme zu heben, fluchte plötzlich vollkommen undamenhaft mit Wörtern, die hoffentlich niemals wiedergegeben werden würden, und irgendwas von Lugh’s wohl rechten behaarten Hinterteil beinhalteten, als ein weiteres Mal ein stechender Schmerz durch ihren Rücken jagte. Das nächste Mal würde sie mit dem Baron zusätzlich über Massagen verhandeln müssen. Ächzend drückte sie sich wieder in den Stand und taumelte mit vollbeladenen Armen zum Haus zurück.

Ihr graute es bereits jetzt schon davor, den Gang heute ein weiteres Mal gehen zu müssen.

Die Stufen, ach ja die elendigen Stufen. Wieder nahm sie jede einzeln, immer wieder rechts und links am Wäscheberg vorbeispähend um nicht falsch zu treten, bis sie das Obergeschoss erreichte. Sie schob das Weidengeflecht mit den Stoffen auf den Boden und ließ sich daneben auf dem Hocker vor dem Spinnrad plumpsen. Jener, offenbar überrascht von dem Besuch des euphorischen Hinterteils mit zuviel Schwung, entschied sich auch zu plumpsen. So kippten sie beide nach hinten weg und sie landete hinterrücks im Wäschestapel. Sie schielte ärgerlich zur Decke und rief den 21 Göttern des Pantheons mit nach oben gerichteter Faust zu: „Ohjaaaaa, ihr habt ja soooooooviel Humor! Ich habe den Wink mit Zaunpfahl schon verstanden!“ Im letzten Moment verkniff sie sich den Zusatz, dass nicht nur Lugh’s, sondern all‘ ihre Hinterteile über zuviel Körperbehaarung verfügten und rappelte sich wieder auf. Soviele Opfergaben, wie diese Bemerkung erfordert hätte, konnte sie sich gewiss nicht leisten. Sie las die Stoffe aus dem kläglichen Weidenresten des nun vollkommen geborstenen Korbes zusammen, trat diese ärgerlich unter das Bett und trug die Stofflagen wieder auf den Balkon. Ins Zimmer zurückgekehrt, nahm sie die lange, fleckige Schürze vom Haken und band sie sich um.

Sie nahm die beiden Eimer, die bis dahin noch immer lieblos in der Ecke ihr Dasein fristeten, nachdem sie am Vortag ihren Soll erfüllt hatten und ging mit ihnen ins Zwischengeschoss, um sie am dort bereitstehenden Wasserfass zu füllen. Für die jetzige Aufgabe war kein frisches Brunnenwasser mehr von Nöten, dafür tat es auch das bereits seit einem Tag abgefüllte aus dem Fass. Aus der Kommode nahm sie einen Tiegel mit blauem Farbpulver, einen mit jenem für gelbe Mischungen und verstaute sie in einem der Lederbeutelchen an ihrem Gürtel. Auch wenn Frau nur zwei Hände hatte, zu helfen wusste sie sich dennoch auf pragmatische Art und Weise. Mit den aufgefüllten Behältnissen schleppte sie sich die Stufen wieder hinauf und drapierte sie auf der Sitzbank des Balkons. Sie förderte wieder den Farbstaub zu Tage und leerte das blaue Döschen zu einem dreiviertel über dem einen Eimer und das Gelbe zu einem Viertel über den anderen. Sie verschloss jene wieder und steckte sie zurück. Danach zog sie schnell die Tür zu den Räumlichkeiten zu. Diesen, Nasenschleimhäute beleidigenden Duft, der Marquards Körperausdünstungen sehr nahe kam, wollte sie keineswegs in ihrem Hause wissen. Angewidert nahm sie wieder den Stecken zur Hand und verrührte die Farbe, bis sie sich mit dem Wasser verband und es gleichmäßig einfärbte. Hier und da gab sie noch ein paar Krümel mehr dazu, bis die Kolorierung des Blautones der des Ordens im Südwald glich und das Gelb sich mehr und mehr zu einer strahlenden Goldfärbung änderte. Erst dann legte sie den Stecken zurück, der nun die Farbe eines interessanten Krötengrüns angenommen hatte, die entfernt an alten Schimmel erinnerte.

Die Stofflagen wurden wieder in fachmännischer Form den Eimern übergeben und mit den Händen durchgewalkt und wieder durch die Farbe gezogen, bis der Stoff eine gleichmäßige, fleckenlose Färbung angenommen hatte, danach kräftig ausgewrungen und daneben gelegt, bis sie zuletzt 12 lange, blaue Stofflagen hatte und sechs Güldene. Durch die Färbgänge , hatte sich der Inhalt der Gefäße zum Glück weitestgehend minimiert, sodass es diesmal ein Leichtes war, die schlecht riechende Flüssigkeit zur Gerberei zu tragen und dort gewissenhaft zu entsorgen. Dort stank es sowieso immer wie ein Faulsumpf im Hochsommer.

Noch einmal ging sie zurück um die nun gefärbten Tücher zu holen, den geborstenen Wäschekorb unter dem Bett hervorzusuchen (natürlich wieder so undamenhaft fluchend, wie sie es nur wagte, wenn sie alleine war), ihn um die Wäscheklammern zu erleichtern und mit all‘ dem bewaffnet gleich wieder zu den schon bekannten Wäscheleinen zurück zu marschieren. Diesmal hingen die bunten Stoffe schon schneller auf der Leine, ein eindeutiges Zeichen dafür, dass auch der Muskelkater seinen Stolz hatte.

Tropfend und schlaff hingen sie in der Nachmittagssonne und sie betrachtete zum ersten Mal mit einer gewissen Zufriedenheit ihr Werk. Endlich sah man zumindest ein wenig den Fortschritt, auch wenn noch viel Arbeit vor ihr liegen wird. Den restlichen Tag würde sie damit verbringen aus acht Eisenbarren in der Schmiede, zwei Armlange und zwei kürzere, fingerdicke Eisenstangen zu ziehen, welche später als Gewichte für das Banner dienen sollten.

Es hatte durchaus seine Vorteile sich zumindest ein wenig mit der Feinschmiedekunst beschäftigt zu haben und damit keinen anderen Handwerker belästigen zu müssen. Natürlich abgesehen von dem Schmiedemeister Beric in jenen Räumlichkeiten - obgleich man schwer sagen konnte, ob nicht wohl er mit seinem kaum stillstehenden Mundwerk und den mit Tränensäcken verzierten, mürrischen Blick eher als Belästigung gelten mochte.

Jedenfalls wäre damit endlich das Grobe, Geruchsintensive, Körpereinsatzverlangende, Rückenstrapazierende und Plattfußfördernde an diesem Auftrag erledigt und sie könnte sich endlich wieder ihrer Lieblingsbeschäftigung widmen. Dem Sticken, Nähen und Fransen knüpfen und dabei endlich wieder kreativ sein.

[Bild: jr2o-31-2461.jpg] [Bild: jr2o-32-ac1b.jpg]
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#4
Im Zwischengeschoß herrschte rege Betriebsamkeit. Das erstaunlichste dabei war, dass jene von einer einzelnen Person ausging, die um den großen Tisch herumwirbelte und es dabei schaffte, dass diese Hektik den ganzen Raum auszufüllen schien. Bereits seit der Früh, nämlich der fünften Morgenstunde, war sie auf den Beinen und arbeitete weiter an dem Banner. Die getrockneten Stoffe wurden noch in der Morgendämmerung aus der Gerberei geholt und in sauberen Lagen auf den Tisch gestapelt. Selbstverständlich nach Farben sortiert. Den Göttern sei Dank, hatte alles funktioniert wie geplant. Das Blau war kräftig und fleckenfrei und bei dem gelbgoldenen Tuch machte sich das Laugenbad besonders gut bemerkbar, indem der Stoff so fein glänzte, als wären es tatsächlich Goldfäden darin verwoben. Die Mühe und Plackerei hatte sich also gelohnt.

Das Ganze stellte sich zwar einen Deut schwieriger heraus als gedacht, nachdem sie sich am gestrigen Abend an der Esse noch eine Brandblase am Daumen zugezogen hatte und sie eine Strafpredigt von Beric über die Benutzung von Handschuhen bei der Bearbeitung von Metallen im Feuer über sich ergehen lassen musste. Jedoch mit einem zweckdienlichen, notdürftigen Verband und genug Stress um Schmerzen jeglicher Art zu vergessen, war alles durchaus zu schaffen. Die Götter waren diesmal verdammt schnell im Bestrafen für unangemessenes Fluchen. Aber wer wird schon gern auf seine Körperbehaarung angesprochen.

So saß sie nun zwischen Schnittmustern, die die Form des Löwen von Servano aufwiesen, den bereits erwähnten Stoffstapeln, einer halbvollen und inzwischen ausgekühlten Tasse Tee, sowie einem kleinem Teller, der noch einige verirrte Krümel vom beiläufig eingenommenen Frühstück aufwies. Zwei Stundenläufe hatte sie damit zugebracht, die Fäden und Garne zu wachsen, damit sie widerstandsfähiger und wasserabweisender wurden. Schließlich sollte die Baronie noch lange etwas von ihren Bannern haben. Sie breitete die blauen Stoffbahnen vor sich auf dem großen Tisch aus. Die Maße nahm sie sorgfältig mit dem Knotenmaß und hängte sich jenes, weiterer Dinge harrend, um ihren inzwischen verschwitzten Nacken. Mit weißer Kreide hatte sie die innere Form eingezeichnet und den Außenrand zum Vernähen mit gestrichelter Linie markiert. Sie griff voller Tatendrang zur großen Stoffschere, fädelte die Finger in die dafür vorgesehenen Löcher und schnitt das Banner entlang der Linie zügig, aber sorgfältig aus.

In solchen Momenten konnte selbst eine der großen Kanonenkugeln aus einer der Ravinsthaler Kanonen neben ihr einschlagen, sie hätte sie vermutlich nicht einmal bemerkt. Es hatte eben seine Vor- und Nachteile perfektionistisch zu sein.

Die Zuschnitte wurden dann in drei Lagen akkurat aufeinander abgelegt, der Rand doppelt umgeschlagen und dann festgenäht. Dieser doppelte Vorstich würde dafür sorgen, dass die Ränder nicht ausfransten, wenn der Wind an ihnen zerrte. Sie zeichnete die Umrandung des Löwen-Schnittmusters auf dem gelben Stoff und schnitt auch diesen sorgsam aus. Jener wurde sodenn mittig aufgelegt und mit einem einfachen Laufstich darauf festgehalten. Im oberen und auch im unteren Drittel, nähte sie mit einem Stoffrest vom Verschnitt, eine Tunnelschlaufe, in der später die Gewichte eingeführt werden sollten. Dazu ließ sie am oberen Rand als Zugang die Führung eine Daumennagelgroße Öffnung. Genau so wurde auch das zweite Banner vorbereitet, ehe es dann zur Mittagsstunde endlich an die Feinarbeiten gehen konnte.

Vollkommen in ihrem Element, führte sie in absoluter Konzentration den Faden durch das Nadelöhr, was einem Betrachter vermutlich zu äußerster Belustigung verführt hätte. Das linke Auge zugekniffen, die Zungenspitze fest und durchaus sichtbar im rechten Mundwinkel eingeklemmt, peilte sie das Löchlein mit dem Ende des Fadens an und zog diesen bereits beim ersten Versuch hindurch. Ganz offensichtlich war diese seltsame Taktik sehr erfolgreich und hätte den Lachenden spätestens jetzt verstummen lassen. Mit Nadel und Faden bewaffnet, begann sie entlang seiner Konturen, den Löwen mit einem doppelten Steppstich fest auf das blaue Tuch zu bannen. Dann verpasste sie ihm mit filigranen Schnurstichen endlich seine Struktur. Er bekam seine Augen, die wilden Strähnen seiner Mähne, die Längen und Tiefen seiner Pranken und die feine Verzierung seiner Krone. Sie lächelte dem Wappentier zu. Jenes brüllte stumm mit seinem offenen Maul zurück. Sie nahm sich das zweite Banner vor und erschuf auf jenen seinen Zwilling. Ein Weibchen hätte ihm sicherlich besser gefallen, aber dies war nun mal von Südwald nicht verlangt worden. Das musste er wohl leider einsehen und so hinnehmen.

Sie betrachtete die Ränder des Banners. Eine Weile schwankte sie mit hin und her wiegendem Haupte und angespannten Auf-der-Unterlippe-kauen zwischen einem Zweigstich für jene, oder aber einen Fischgrätenstich. Einen halben Stundenlauf und eine Tasse Tee später entschied sie, dass die Baronie den letzteren verdient hätte, da er wesentlich kunstvoller wirkte als der einfache Zweigstich. Dafür benötigte sie nun die gülden gefärbten Wollfäden. Wieder vollführte sie den wenig anmutigen Akt der Konzentration um die Vereinigung von Nadel und Faden und setzte sorgsam Stich um Stich das fein ineinander verwobenen Fadengeflecht.

Zu allerletzt schnitt sie aus dem gleichen Faden etliche Fransen zurecht, zog sie mit einer dünnen Häkelnadel an den Rändern durch die Fäden, schob die Enden durch die damit entstandene Schlaufe und knüpfte sie somit in kurzen, regelmäßigen Abständen an das Banner. Dann bürstete sie jene noch auf und atmete tief durch. Sie nahm die mit Schweiß, Blut und Brandblase gefertigten Eisenstangen zur Hand und schob sie in die Tunnelführungen des Stoffes.

Dann ließ sie sich auf ihren Stuhl zurückfallen, stieß die Arme in die Luft und lehnte den Kopf in den Nacken. Die Jubelschreie, die sie dabei ausstieß waren eher schon tierischer Natur als menschlicher.

Diese Götterverfluchten Banner waren endlich fertig und jetzt wollte sie jene auch eine verdammt lange Zeit nicht mehr sehen.

[Bild: jr2o-33-fa81.jpg]
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