FSK-18 Der Ruf der Verdammnis
#1
“He, Du da!”

Geschichten, die so begannen, endeten nie im Guten. Besonders nicht wenn sie ihren Anfang in einer schäbigen, namenlosen Kaschemme nahmen. Ich hatte schon lange aufgehört, mir Namen von Orten oder Landstrichen zu merken. Sie waren im Grunde genommen nicht weiter wichtig und mein alkoholvernebelter Geist hielt an der Erinnerung nie lange fest.

Die Kneipen, in denen ich meine Münzen für irgendein scharfes Gesöff auf den Tresen legte, glichen sich im Grunde genommen wie ein Ei dem anderen. Der ewig grimmig dreinblickende Wirt mit den pockennarbigen Wangen und der schmierbäuchigen Figur polierte hinter der Theke, die manchesmal nichts weiter war als ein wurmstichiges Brett über zwei Fässern gelagert, mit einem vor Dreck starrenden Lappen trüben Gläser. Einige schiefe, mehrfach zusammengezimmerte Stühle, Bänke und Tische waren im verwinkelten Laden verteilt und dienten den Gästen sowohl als Abstellmöglichkeit ihrer Getränke, Spieltisch für nicht selten gezinkte Würfel- oder Kartenspiele als auch hartes Kopfkissen im Suff. Volle Spucknäpfe mit übelriechenden Inhalt gärten vor sich hin und fauliges Stroh bedeckte den von vielen Stiefeln abgewetzten Boden. Der schale Geruch von alten Bier und Schnaps mischte sich mit dem Fluidum ungewaschener Körper und Pisse. Die Sonne verirrte sich nie an solchen Orten. Die Fenster waren mit staubigen, mottenzerfressenen Gardinen zugehängt. War es bereits Mittag oder gar spät in der Nacht? Man verlor sich im trüben Dämmerschein der rußpuckenden Kerzen, aber genau das war es wohl was die trinkfreudigen Besucher auch wollten.

Ich hob meinen Kopf, blinzelte, zog schlürfenden den Speichelfaden ein, der sich langsam aber sicher einen Weg von meinem Mundwinkel in die Bierlache gebahnt hatte, in der ich bis eben noch so friedlich schlummerte. Allmählich begann aus zwei lumpenärschigen Kerlen, die sich neben mir aufgebaut und mit ihren schmierigen Fingern auf mich gezeigt hatte, nur einer zu werden. Ich grollte ihm in gutturales “Hrmpf? Hrmpf!” entgegen und angelte nach meinem Bierkrug. Leer, natürlich.

“Du sitzt auf meinen Stammplatz, Schlampe.” Gerade noch kippte ich den Becher gen Schlund, um auch den letzten Tropfen meine Kehle runterrinnen zu lassen, als diese Anrede mich doch zusammenfahren ließ. Natürlich hätte ich nun den vermutlich einfacheren, friedfertigen Weg wählen und mich woanders hinsetzen können. Aber als ich den Kerl so musterte, schien er mir niemand zu sein, der seine Aufforderung zum Tanz so einfach ins Leere laufen lassen würde. Also konnten wir das ganze doch etwas abkürzen, nicht wahr?

“Und was willst Du dagegen tun?”, schnurrte ich ihm entgegen und streifte eine fettige, schwarze Haarsträhne in lockender Geste zurück und schloß die Faust fest um meinen Becher, symbolisierte ihm damit, dass ich den Platz nicht einfach aufgeben würde. Er hatte meine Sprache verstanden, so wie sie sie immer verstanden. Schnaufend schwang der Kerl seinen linken Haken gegen mich und ich ließ den Krug auf seinen Kopf niedersausen und schneller als gedacht rollten wir uns balgend auf dem Boden.

Jeder Hieb ließ mich innerlich aufjuchzen. Der Schmerz, der durch meine Gebeine fuhr, ließ mich fühlen, dass ich noch am Leben war und mir noch nicht jedwede Menschlichkeit versoffen hatte. Zum anderen hoffte ich irrsinnigerweise gleichzeitig, dass mich irgendeine dieser Raufereien, die nicht immer nur mit den Fäusten ausgetragen wurde, endgültig in den Abyss schicken würde, wo ich nutzloses Stück Vieh mit meiner verderbten Seele, auch hingehörte.

Ich saß gerade rittlinks auf meinem Kontrahenten und prügelte ihm genüßlich die Zähne in sein Hirn, als ein Schmerz, viel heftiger, tiefer, markerschütterndern als alles, was ich jemals kannte, von meiner linken Hand in den Arm durch den Körper schoß. Er nahm mir die Luft, für einige Momente gar die Sicht und ich ließ vom Mann ab und starrte auf die geöffnete Fläche meiner blutig zerschlagenen Hand. Die Narbe, Zeugnis meiner Vergangenheit und eines Bundes, den ich schmählichst vernachlässigt hatte, schien eitern aufgerissen, pulste weiter die pure Pein durch meinen Leib. Dass sie mir nun wie eine frisch klaffende Wunde entgegen zu grinsen schien, kam ganz sicher nicht von den Schlägen, denn das Mal war bereits verblasst gewesen, nichts weiter als eine kleine Erhebung in meiner Handfläche. Ich starrte die Hand an und war nüchtern wie die letzten fünf Jahre nicht mehr. Was ist passiert, was hat sich geändert?

Dem Kerl unter mir begannen die Lebensgeister wieder zu erwachen, er regte sich, spuckt Blut und Zähne aus und röchelte beinahe tadelnd: “Na, was ist denn nu?” Meine Hand schloß sich zur Faust und ich katapulierte den Mann mit einem kurzen, kräftigen Schlag ins Reich der Träume. “Ich habe jetzt wirklich keine Zeit für Spielchen.”, murmelte ich schon im Aufstehen. Ich schmiss dem Wirt einige Münzen auf den Tisch für das zu Schanden gekommene Möbilar und torkelte nach draußen ...
... wer die Hand in Blut wäscht, muß sie in Tränen baden ...
Zitieren
#2
Das Mal führte mich. Ich hatte keine Ahnung, wohin. Auch wenn mir das nicht passte, ich hatte keine anderer Wahl, als die Wege einzuschlagen, welche mich näher zum Ziel führten - wo immer, wer immer das auch sein sollte. Wich ich vom erzwungenen Pfad ab, sandte das Mal zunächst erträgliche Schmerzwellen aus; sollte ich dann immer noch dumm genug sein, diesen dezenten Hinweisen nicht Folge zu leisten, wurde der Schmerz stärker und immer stärker, bis ich mich krümmte wie eine Made und einfach nicht mehr weiter gehen konnte.

Abgesehen davon war ein beständiges Kribbeln in meiner linken Handfläche zu spüren, als ob Ameisen unter meiner Haut wuselten. Es war zumutbar, aber unangenehm und auch mein täglicher Suff konnte dieses Gefühl nicht betäuben. Dazu war die Narbe aufgebrochen. Eine ständig blutende, eiternde Wunde, deren Anblick sogar mich ankotzte. Ich gewöhnte mir an, Handschuhe an beiden Händen zu tragen.

Meine Rechte umschloß schon länger ein eng sitzender Lederfingerling. Die Stadtwache und Mithraspriester in Guldenach waren nicht zimperlich gewesen was ihre Befragungsmethoden anging. Ein Hammer war ein einfaches, aber höchst effektives Foltergerät und hatte mir, nach der Frage der Rotkutte, mit welcher Hand ich schreiben würde, alle Finger der rechten Hand gebrochen. Der Mann hatte das Werkzeug auch noch an meiner Kniescheibe ausprobiert, aber als ich dann wohl bewußtlos zusammen gesackt bin und dies mein Geständnis gefährdete, wurde der Hammer verbannt - und mein ehemaliger Folterknecht, seines Spielzeuges beraubt, sass den Rest des Verhörs wie ein schmollender Schulbengel in der Ecke und starrte mir bösartig entgegen.

Das enge Leder des Handschuhs half dabei, dass sich die geqüalten Gliedmaßen nicht wieder wie ein totes Insekt zusammenkrümmten. Es war ohnehin ein kleines Wunder, dass ich die Hand wieder einigermassen benutzen und mich ohne allzu behinderndes Nachziehen meines malträtierten Beins fortbewegen konnte. Die Schmerzen, die ich dann doch noch hatte, wurden von Brandwein, Starkbier oder Schnaps zum Schweigen gebracht. Ich hatte mich auch an anderen narkotisierenden Substanzen versucht, aber diese waren vergleichsweise teuer und schwer zu bekommen. Säufer waren anerkannte Mitglieder der Gesellschaft und ich reihte mich nur allzugerne in deren Riege ein, ohne lästige Fragen beantworten zu müssen.

Eine Zeit lang erleichterte dann doch ein dürrer Klepper mein Fortkommen, aber eines Morgens war er verschwunden. Schlaues Vieh. Ich hatte zum Glück nicht viele Sachen, die zu schleppen oder wert gewesen wären, geklaut zu werden. Meine abgetragene Lederkluft, ein kleiner Dolch, ein Bogen mit wenigen Pfeilen, eine traurig eingefallene Geldkatze am Gurt. So kam ich schließlich in diesem Drecksloch von Stadt an, welches den hochtrabenden Namen Löwenstein trug … und traf ausgerechnet auf die Elster.
... wer die Hand in Blut wäscht, muß sie in Tränen baden ...
Zitieren
#3
Ich hatte mir einen Glimmstengel vom Musterknaben gestohlen und mich mit Feuerstein und Zunder auf den Turm der Ruine zurück gezogen. Ich mochte diesen erhöhten Platz. Man hatte eine wunderbare Aussicht über den Flüsterwald und das angrenzende Meer. Doch die Aussicht war nur die halbe Wahrheit, weshalb ich dort hinauf stieg. Die ganze Warheit würde wohl lauten, dass ich es vorzog, alleine zu sein und dort oben, wo sich auch die Gemächer des Meisters befanden, traute sich beinahe niemals jemand hin.

So war ich also alleine, hing meinen Gedanken nach, bließ Rauchkringel in die kalte Winterluft und beobachtete, wie die Nacht ihre Finger über die Baumwipfel gleiten ließ, das Land mit Dunkelheit umfing. Schon lange, nachdem die Kippe geraucht sein würde, würde auch die Sonne wieder aufgehen - gleißend, doch ohne Wärme - bis mir das Licht in den Augen stach und ich mich einer Ratte gleich in den Bauch der ruinösen Festung verkriechen würde.

Ich habe unzählige Abende und Nächte dort oben verbracht. Zeit hatte ich genügend - ob das nun gut oder schlecht war, wusste ich mir noch immer nicht zu beantworten, trotz der nächtelangen Grübeleien. Das Stundenglas hatte keine Bedeutung und so verlor ich manchmal jedes Gefühl dafür, wie oft die Sonne auf- und wieder untergegangen war. Es hätte ein Tag sein können, ein ganzer Wochenlauf, vielleicht ein Jahr ... Allenfalls der Hunger, dieser schreckliche, nie zu stillende Hunger, ließ mich das Areal verlassen, um auf die Jagd zu gehen.

Unter mir hatte sich die Räuber in gesichtslose Schehmen verwandelt. Zwei Gestalten drückte sich nach kurzer, grober Turtlei in eine Ecke und ließen ihren tiereischen Instinkten freien Lauf. Ich saugte an meiner Zigarette und beobachtete sie einige Momente wie wohl ein Forscher ein Insekt betrachten würde. Doch auch dieses Schauspiel, im Grunde immer gleich, konnte meine Aufmerksamkeit nicht lange fesseln und ich wandte mich schlußendlich ab, besinnte mich einer Aufgabe, der ich mehr schlecht als recht nachkam und stieg zu den Gefangenen hinab.

Der Geruch von ungewaschenen Leibern und Auscheidungen lag in der Luft. Eingepfercht auf engsten Raum hielten wir sie dort wie Vieh, bis endlich der Tag gekommen war, sie ihrem zugedachten Schicksal zuzuführen. Einige hatte der Mut schon längst verlassen. Ich sah es an ihrem leeren Blick, dass sie keine Lebensgeister mehr hatte. In anderen jedoch schwelte noch immer die Hoffnung, dass dies hier ein gutes Ende nehmen würde. Ich sammelte etwas Obst und Brot zusammen, füllte ein paar Krüge mit Wasser und trieb die Glücklosen von den Gitterstäben weg.

Wie würde sie sich dort machen? Schreien, weinen, nach Hilfe brüllen, bis ihre Stimme ganz heiser und kratzig war? Oder würde sie ihre Schultern straffen und sich der Situation wie eine Dame stellen? Es reizte mich, dies auszuprobieren, doch eigentlich war sie mir zu schade hierfür. Beging ich Frevel mit diesen Gedanken? Höchstwahrscheinlich, denn sie wäre ein Juwel für den bleichen Lord, ein Opfer, welches er sicher zu gerne in Empfang nehmen würde. Doch ich behielt sie für mich, für mich alleine, denn sie war eine Figur eines anderen Spieles, was ich noch längst nicht bereit war, aufzugeben.
... wer die Hand in Blut wäscht, muß sie in Tränen baden ...
Zitieren
#4
Soll ich euch ein Geheimnis verraten? Belshira Karde ist nicht in dieser anonymen Zelle gestorben.

Im Grunde genommen ist sie nun bestimmt schon mehr als zwanzig Jahre tot, ihr Körper im fernen Silendir von Würmern und Ratten zerfressen, ein einfaches Holzkreuz, der Name eingeritzt, ziert die Stelle auf einem der Armenfriedhöfe von Guldenach. Ich weiß es, ich habe es gesehen.

Sie wurde fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, so genau kann es ich es nicht sagen. Wie auch? Die ganze Geschichte musste ich mir aus dem wirren Gerede einer ehemaligen Säuferin zusammenreimen.

Das Kind war schon bei Geburt mit dem Makel des Todes belastet gewesen: ein kleines, schmächtiges, blau angelaufenes Ding, als sie aus dem Leib ihrer Mutter gepresst worden war. Nur aufopfernder Fürsorge, die so vielen Müttern zu Eigen war und jener ganz besonders, denn sie war eine anerkannte Heilerin, war es zu verdanken gewesen, dass das Mädchen so viele Jahre überlebt hatte, während die Atemzüge immer qualvoller und jede Bewegung zur mühevollen Last geworden waren. Bis sie eines lauen Sommerabends, während die endlosen Weizenähren sich im Winde wogten, schlichtweg erstickte. Die Mutter versank in Agonie, ertränkte ihren Kummer in billigem Fusel; der Vater hatte sich schon Jahre zuvor ins Grab gehurt.

Doch gänzlich wollte der Ruf ihrer Kunst nicht verblassen und als eine Hebamme benötigt wurde, deren Schweigen man mit Gold erkaufen konnte beziehungsweise die niemand vermissen würde, brachte eine dunkle Kutsche die verwirrte Frau in eines der besseren Viertel in Guldenach.

Der Alkohol dämpfte ihren Argwohn. Normalerweise schickte die gehobene Gesellschaft ihre ungewollt schwanger gewordenen Töchter aufs Land und hielten sie nicht in einem Verlies unter dem Haus gefangen. Normalerweise wurden diese Töchter trotz ihrer Verfehlung mit allem Komfort ihres Standes bedacht. Normalerweise wollte man werdende Mutter und Kind retten. Doch mit einer kühlen Schnoddrigkeit wurde der Frau befohlen, das Kind einfach aus dem Leib zu schneiden, wenn es denn nicht anders ging. “Und das Mädchen?”, war die bange Frage der Heilerin, worauf sie ein emotionsloses “Meinetwegen, lasst sie krepieren.” als Antwort erntete.

Diese Stimme aus dem schummrigen Dunkel des unterirdischen Kerkers, von meinem ach’ so verhassten, integrierenden, über Leichen gehenden Vater, kam ihr bekannt vor, doch war es ihr Glück, ihn nicht mit seinem Namen anzusprechen. Hätte sie ihn zur Gänze erkannt, wäre sie vermutlich ebenso tot gewesen wie ich. Doch ihre Gedanken schwirrten nur um das bleiche, geschwollene Mädchen, welches sich dort im Saft der längst überfälligen Niederkunft wälzte. Wenigstens eine der Seelen wollte sie retten und schnitt das Kind aus dem aufgedunsenen Leib heraus ...

Als dies geschehen war, wurde das Mädchen belanglos, nur noch eine leere Hülle, deren Zweck erfüllt worden war. Das Neugeborene wurde der Hebamme wider Willen für einen dicken Goldbeutel grob entrissen, nachdem man sich vergewissert hatte, dass es den Eingriff unbeschadet überlebt hatte. Man überließ die Frau sich selbst, die Kutsche würde sie nach Hause bringen. Doch anders als angedacht, lebte das zerteilte Mädchen mit flatterndem Herzen noch, tat einen Atemzug nach dem nächsten …

Die Heilerin nähte den Schnitt, der von der Scham bis beinahe zwischen die Brüste reichte sorgsam wieder zu. Und betete. Sie hatte eine Tochter verloren, aber hier eine Neue gefunden. Ein armes, kleines Ding, wie Abfall weggeworfen worden, welches sie nun gesund pflegen konnte.

Und sie nannte mich nach ihrer verstorbenen Tochter Belshira.
Kein gutes Omen, oder?
... wer die Hand in Blut wäscht, muß sie in Tränen baden ...
Zitieren




Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste