FSK-18 Familiengeheimnisse
#1
[Bild: jr2o-2v-779f.jpg]

~.~ Servano 1385 ~.~

Das kleine achtjährige Mädchen stand an der offenen Türe und hielt den hellen, wachen Blick der großen, runden Augen auf den Weg gerichtet, der zum Hause hinaufführte. Ihr Vater Herron stand neben ihr und hielt ihre kleine Hand, die beinahe vollends in der seinen verschwand. Auch sein Blick ging hinaus auf die Straße. Er wirkte angespannt und unruhig und verlagerte immer wieder das Gewicht vom rechten Bein auf das Linke, zupfte mit der freien Hand sein Wams zurecht oder tupfte sich mit einem Tuch die Stirn ab. In der rechten Hand, hielt das Kind einen kleinen, aber dafür recht opulenten Strauß mit Wildblumen fest, um dessen Stängel dekorativ ein weißes, weiches Band gebunden war.

Es war einer jener heißen Sommertage, an denen sie eigentlich viel lieber mit ihren Freunden am Weiher gespielt und Kröten gesammelt hätte. Sie hätte schwimmen können, lachend und kreischend Wasserschlachten ausführen und danach die Sonne die Wassertropfen auf der Haut trocknen lassen können. Stattdessen stand sie hier und wartete.

Die Luft zitterte und vibrierte in der Hitze und verzerrte die Sicht auf die Straße, begleitet von dem leuchtenden Flimmern des Staubs, der in diesen trockenen Tagen stetig über den Wegen flirrte.

Sie war zurecht gemacht worden wie ein lebendiges Püppchen. Sie trug ein hübsches, weißes Kleidchen, das eigens für diesen Tag von ihrem Vater selbst genäht wurde und sich perfekt an den jungen Mädchenkörper schmiegte. Nur der Rockteil fiel in weichen Stufen und in unzähligen Lagen bis hinunter über ihre Knie und war mit einer welligen Rüschenborte am Saum abgesetzt. Der obere Teil des Kleides war mit zahlreichen Stickereien versehen, die sich mit dem rot und grün deutlich vom Stoff abhoben. Die Ärmchen der Kleinen steckten in großen, weit ausladenden Puffärmeln, die sie so leidenschaftlich hasste, wie der Schnee die Sonne. Doch dies jemals zu äußern, würde sie nie wagen…zu groß der Respekt vor dem Vater, der hin und wieder sogar der Angst wich. Ihre lichtblonden Haare waren kunstvoll hochgesteckt, wie es die großen Damen manchmal trugen, die im Geschäft ihres Vaters hin und wieder ein und aus gingen. Kleine Strähnen waren bewusst aus dem Flechtwerk gezogen worden und kunstvoll eingedreht worden. Dafür musste sie stundenlang unter dem strengen Blick ihres Vaters still sitzen, durfte nicht einmal das Haupte bewegen oder reden, nur um hier jetzt zu stehen und zu warten.

In der Ferne hörte sie es leise trommeln. Jetzt wurde auch sie nervös und mit einem weichen, warmen Schwall, stieß sie den Atem aus. Ertappt sah sie daraufhin gleich zu ihrem Vater auf. Doch er war ihr nicht böse darum, er lächelte ihr zu und streichelte mit dem Daumen beruhigend über ihren Handrücken. Dann löste sich wieder der Blick der warmen, braunen Augen und richtete sich wieder auf die Straße, in deren Ferne sich die Staubwolke verdichtete und immer näher kam.

Das Klopfen der Hufe wurde lauter und wurde begleitet von dem Knarren der Räder, die über Steine und den trockenen, unebenen Boden ratterten. Die Kutsche kam…sie kam.

Den Körper des Mädchen durchfuhr ein zittern und es schien als wolle sie sich jeden Moment losreißen. Diesmal sah ihr Vater streng zu ihr herab. Leise lösten sich die Worte von seinen Lippen: „Sei stolz mein Kind und sei stark. Ich weiß das du es schaffst!“ Regelrecht trotzig schob sie das Kinn vor und nickte fest. Heute würde das Spiel endgültig beginnen…das Spiel, auf das ihr Vater sie vorbereitet hatte.

Die Kutsche kam vor dem Haus zum stehen und die Pferde schnaubten, vom Adrenalin gepeitscht.

Das Mädchen lächelte. Sie lächelte, wie nur ein fröhliches Mädchen lächeln konnte. Mit strahlendenem Blick und Grübchen, die sich tief in ihre Wangen gruben.

Sie war da…!
Zitieren
#2
[Bild: jr2o-2x-7d46.jpg]

Herron hatte seine Hand von der ihren gelöst, während die Kleine immer noch mit ihren großen, runden Augen fasziniert auf die exorbitante Kutsche blickte. Natürlich hatte sie schon andere Kutschen gesehen, doch die wenigstens waren so vollständig geschlossen wie jene und schon gar nicht so hübsch. Das dunkle, gewachste und polierte Holz glänzte in der hellen Sonne und zarte, stilvoll gemalte Ornamente zierten den Rahmen und die Fenster. Unbewusst wischte sie die feuchten Fingerchen an ihrem Kleide ab, als sie auch schon die Hand ihres Vaters im Rücken spürte, wo sie sanften Druck ausübte und ihr somit andeutete sich in Bewegung zu setzen. Sie machte zwei unsichere Schritte nach Vorne und reckte die Hand mit dem Strauß in die Höhe. Sie spürte wie das Sonnenlicht auf ihrem Ärmchen brannte, dennoch senkte sie jenen nicht, sondern begab sich einen weiteren Schritt nach vorn, auf die Kutsche zu. Knechte eilten mit großen, hölzernen Eimern voll frischem, klarem Wassers aus dem Brunnen heran und hoben sie pflichtbewusst vor die Nüstern der Pferde. Der Kutscher rutschte von seinem Bock und mit einem dumpfen Laut landete er mit seinen schweren, ledernen Stiefeln auf dem Weg, was mit einer aufwirbelnden Staubwolke belohnt wurde. Mit teilnahmsloser Mimik klopfte er sich das Wams ab, klappte die Treppe unter der Türe aus und öffnete sodenn pflichteifrig die leise, knarrende Kutschentür. Flüchtig flatterte durch den Luftzug der kurze, beige Vorhang am Fenster auf und sank lautlos wieder herab. Stille legte sich über das Geschehen, durchbrochen von dem gierigen Schlürfen der durstigen Pferde. Es war, als würde selbst die Welt um sie herum erwartungsvoll die Luft anhalten.

Unermüdlich hielt sie den Blumenstrauß der offenen Türe entgegen und spähte neugierig in das dunkle Innere. Doch nichts war zu sehen. Nach einer scheinbar endlosen Weile, ging ein Schaukeln durch die Kutsche und das erste was sie erspähen konnte, war ein heller, fein verzierter Damenpantoffel, der Halt auf der obersten Stufe der Kutsche suchte. Es folgte auch sogleich der Zweite und sie erblickte den gewellten Saum eines langen, schweren Rüschenrocks in einem dunklen Tone. Ihr Blick wanderte an der Dame höher, deren Silhouette nun den Türrahmen ausfüllte. Für das junge Mädchen wirkte sie riesig, auch wenn sie vielleicht gerade einmal 170 Finger maß und einfach nur wunderschön. Ihre Haut war blass, nahezu weiß wie unberührter Schnee im Winter. Den Körper eingehüllt in einem weinroten, auf den Leib geschneiderten Leinenkleid mit derart komplexen Stickereien und Borten bestückt, wie sie es selbst in der Schneiderei ihres Vaters noch nie erblickt hatte. Um die schlanke Taille, war ein Leinenmieder geschnürt, im gleichen hellen Farbton wie der ihrer Schuhe. Ihren Hals zierte eine breite, silberne Halskette mit einem etwa drei Fingerbreit großen, saphirbesetztem Medaillon, welches zwischen den beiden ausgeprägten Schlüsselbeinen ruhte. Die Augen über den markanten Wangenknochen glänzten in demselben intensiven Blau wie Edelsteine ihres Kolliers, welche ebenfalls an ihrem Ohrschmuck zu finden waren. Ihre Ausstrahlung war von einer derart kühlen Eleganz, dass sie das Mädchen beinahe vollständig einschüchterte, die nur noch durch den strengen Blick des Vaters, den sie in ihrem Rücken spürte, aufrecht gehalten wurde.

Diese Frau wusste sehr wohl ob ihrer Wirkung auf andere, was ihre selbstbewusste und stolze Haltung bewies.

Als sie endlich Schritt für Schritt das Ende der kurzen Treppe erreichte, senkte sich allmählich das Augenpaar auf das Mädchen. Endlich kam Regung in die Miene der Dame. Der Blick unter ihren unglaublich langen Wimpern wurde weicher und auch die rosé farbenen Lippen formten nun ein dezentes, würdevolles Lächeln. Mit der rechten Hand raffte sie den Saum etwas auf und sank ein wenig in die Hocke um dem Mädchen den Straß aus der müde werdenden Hand zu nehmen. Als Krönung jedoch, beugte sie sich noch ein Stück herab, um ihr einen warmen, weichen Kuss auf den Scheitel zu setzen.
„Danke mein Kind“ Raunte sie ihr mit einer, tiefen wohlklingenden Stimme zu, die völlig im Kontrast zu ihrem kühlem Äußeren stand. Dann richtete sie sich wieder auf, ergriff das feuchte Händchen der Achtjährigen und wand sich mit jener an ihrer Seite Herron zu, der unauffällig näher getreten war um sie mit einer höflichen Verbeugung zu begrüßen. „Herzlich Willkommen in meinem bescheidenen Heime, Edle Finja Burgwald!“ Seine Stimme klang sicher, kein Zaudern oder nervöses Schwanken im Tone. Er klang tatsächlich wie immer, wenn er seine Kunden begrüßte. Beschwichtigend winkte die edle Dame in einer grazilen Bewegung ab. „Richtet euch auf guter Mann, ich erwarte heute keinerlei Gebaren, ist mein Aufenthalt doch vertraulich und ich möchte keinerlei Aufsehen erregen.“ Verdutzt sah die Kleine sie an. Selbst in ihrem Alter begriff sie die Farce jener Worte. Abgesehen von der prunkvollen Kutsche, würde allein die Präsenz der Edlen sie mehr verraten, als ihr vielleicht lieb war. Aber vielleicht neigte der Adel ja nicht zu solcher pragmatischer Denkweise? Sie sah zu ihrem Vater auf, doch sein mahnender Blick zwang den Ihren wieder zu Boden. Die Hand der Frau drückte sanft die des Mädchens. „Ist dieses zauberhafte Kind eure Tochter?“ Das Kind wagte nicht aufzusehen, doch erahnte sie das Nicken des Vaters. „In der Tat meine edle Dame, dies ist meine Tochter und mein Lehrling.“ Das leise, melodische Lachen, welches dann ertönte, wirkte ehrlich erheitert. „Soso euer Lehrling und das in diesem zarten Alter? Doch werdet ihr mir hoffentlich vergeben, dass sie diesen Wert für mich nicht darstellt. Stattdessen will ich euch jedoch bitten, sie mir für die kurze Zeit meines Aufenthalts als Zofe zur Verfügung zu stellen.“

Diesmal schwankte die Stimme des Vaters einen Deut, jedoch so schwach, dass nur ein nahestehender es wohl erkennen mochte. Allerdings wohnte ihr keinerlei Nervosität inne, sondern gar Erleichterung. „Wie ihr wünscht edle Dame, sie wird euch nicht von der Seite weichen.“ Das kleine Herz des Mädchens pochte schnell, dennoch fühlte auch sie, wie es ihr leichter darum wurde.

Die erste Hürde, ward genommen.
Zitieren
#3
[Bild: jr2o-34-a8c4.jpg]

In der Diele war es angenehm kühl. Das war der Vorteil an den Häusern Servanos, mit den dicken Steinwänden. Wenn man dafür sorgte, dass die Hitze draußen blieb, konnte man sich in das angenehme Innere zurückziehen. Aber wehe, man ließ durch ein vergessenes Fenster oder eine stetig offene Türe die Wärme herein, dann hielt sie sich mitunter Wochenlang in dem Gemäuer und machte den Schlaf in den Nächten zunichte. Hinter den Eintretenden wurden die Pferde abgeschirrt und in die Stallungen geführt, während andere sich gegen die große Kutsche stemmten um diese im Kutschenhaus unterzustellen.

Wie selbstverständlich hatte die Edle Burgwald das Mädchen an die Hand genommen. Ein Umstand den nicht nur die Kleine verwirrte, sondern auch Herron, auf dessen Stirn sich in jenem Moment Sorgenfalten bildeten. Offenbar war so ein inniges Verhalten dann doch unüblich. Sie schritten den abgedunkelten Flur entlang und die groben, hölzernen Bohlen knarrten unter den Schritten des kleinen Trupps. Sie passierten die Tür zum grünen Salon, welche heute verschlossen war. Hinter jener hörte sie das leise Murmeln einer angeregten Unterhaltung, die ihre Mutter mit dem Gast führte, der bereits gestern angereist war.

Vor der nächsten verschlossenen Eichentüre blieben sie dann stehen und sahen abwartend zu Herron.
„Edle Dame Burgwald, ich habe bereits angeordnet, dass man die Kleider bereit legt. Sie warten auf euch im Terassenzimmer, nebst einer Erfrischung, die euch sicherlich sehr zusagt nach eurer langen Reise.“ Erwiderte jener sogleich, als er sämtliche Blicke auf sich spürte. Er wirkte wieder ruhig und gelassen wie eh und je. Jene Art von Ruhe, die hin und wieder kalt und unbeteiligt, aber höflich distanziert wirkte. Die Edle lächelte ihm zu und nickte anerkennend. Er drückte die schwere Bronzeklinke herunter und öffnete ihr einladend Den Eingang zu dem Raume. Das Kind an der Hand schritt sie auf ihre anmutige, stolze Art hinein und wartete, bis er die Tür wieder hinter ihr verschloss.

Einen Wimpernschlag später, als das leise metallische Klicken des Türschlosses die Stille durchklang, sackte sie seufzend in sich zusammen und schloss die Augen. Das Mädchen sah fasziniert zu ihr auf. All‘ die Würde und kühle Arroganz schien aus ihren Armen und Beinen herauszufließen und sie stand für eine Weile schlaff und schweigend da, ohne die Hand von der Kleinen zu lösen. Auf einmal wirkte sie so zart und zerbrechlich wie ein trockener Strohhalm im Wind. In dem Licht, welches durch den Spalt der Vorhänge in das Zimmer fiel, wirkte die helle Haut nahezu durchscheinend und dünn wie das weiße Porzellan der geliebten Teetassen ihrer Mutter. Doch wirkte sie auf eigentümliche Art und Weise entspannt, als hätte sie eine schwere Last abgeben und sich befreit. Die Kleine besann sich ihrer Instruktionen und holte tief Luft, ehe sie mit ihrer leisen, glockenhellen Kinderstimme anhob:
„Seid ihr durstig Edle?“

Ein Regen ging durch den schlanken Körper und zitternd hoben sich die Lider mit den langen Wimpern. Das Leuchten in ihnen war geblieben, hatte sich gar verstärkt und doch lag noch etwas ganz anderes in ihnen. Erleichterung, Glückseligkeit und…? Das Mädchen wusste es nicht zu deuten. Es entzog sich ihrem jungen Sinn und all‘ jener Worte, die sie kannte…und dabei war ihr Gedächtnis tatsächlich überdurchschnittlich ausgeprägt. Die feinen Züge der Frau änderten sich, und die Lippen verzogen sich zu einem ehrlichen, herzlichen Lächeln. Dem ersten an diesem Tag, wie sie wohl selbst registrierte, denn plötzlich kicherte sie mädchenhaft auf. „Weißt Du, jetzt wo wir alleine sind und unter uns…nenne mich doch bitte Fynia.“ Nun endlich gab sie das kleine Händchen frei und strich mit der Rückseite ihrer Finger sachte über die Wange des Mädchen. „Danke mein hübsches Kind, meine Kehle ist in der Tat wie ausgedörrt nach den vielen Stunden der Reise.“ Brav nickte die Kleine und lief eilig zu dem kunstvoll geschnitzten Beistelltisch, auf dem Gläser, ein Zinnkrug mit gekühlter Molke und einer mit frischem Birnensaft bereitstanden. „Edl…ich meine Fynia, was darf es denn für euch sein?“ Der Blick der Angesprochenen wanderte zu ihr hinüber und die feinen, geschwungenen Brauen hoben sich einen Deut. „Ach wie Schade, kein Wein?“ Das Kind schüttelte zögerlich das Haupte. „Aber ich kann erfragen, ob man nicht…“ Fynia hob abwehrend die rechte Hand um sie zum Schweigen zu bringen. „Nein…nein, schon gut. Ich nehme ein Glas von dem Saft. Ich genieße es ganz und gar, niemanden von den Speichelleckern um mich zu wissen, die tagein und tagaus um mich herum dienern und sich anbiedern.“ Sie gestikulierte mit den Händen in der Luft. „Sie buckeln und kauern, lassen mir kaum Luft zum atmen. Sie sonnen sich in einem Namen, der nur auf dem Papier existiert und das nur um eigene Pläne zu verfolgen. Sie lauern auf die Fehltritte, auf die Angst in den Augen und auf ein falsches Wort, nur um dann endlich die ewig bereitliegenden, gewetzten Dolche in den Rücken zu rammen!“ Noch während sie sich in Rage redete, nahm sie dem erschrocken dreinblickendem Mädchen das Glas aus der Hand, nur um jenes sogleich mit einem einzigen Schluck herunterzustürzen. Die Frau in dem teuren Zwirn, die noch eben wirkte wie eine zerbrechliche, hübsche Puppe zeigte die menschlichen Züge eines Jedermanns.
Ein seit einigen Jahren fürsorglich gehegtes Weltbild in dem Mädchen zerbrach. In den Gute-Nacht-Geschichten ihrer Mutter, waren die edlen Damen stets altruistisch, schön und weise. Sie fielen nie aus ihrer Fasson oder redeten daher wie ein Marktweib an einem Quelltagnachmittag. Sie verspürten nie Zorn, waren ihrer Rolle niemals leid und alle mochten sie sogar weit über die Grenzen der Lehen hinaus. Sie tat das, was vermutlich alle kleinen Mädchen in dieser Situation tun würden.

Sie zog eine Schnute.
Zitieren
#4
[Bild: jr2o-3k-1fca.jpg]

Ein deutliches, scharfes Kratzen war von der Wand aus zu vernehmen und sie fuhr erschrocken zusammen. Die Edle, soeben noch zu sehr mit dem Nachfüllen des Saftglases beschäftigt, sah mit hochgezogenen Augenbrauen zu jener Stelle. Ihr Blick war schlagartig wachsam und sie verengte die Lider. „Ratten..!“ Haspelte die Kleine, die sehr wohl wusste, was dieses Geräusch bedeute. „…wisst ihr, hier auf dem Land sind sie wirklich eine Plage. Manchmal höre ich sie des Nächtens durch die Wände kreuchen.“ Das war noch nicht einmal wirklich gelogen. Die Züge der Dame entspannten sich wieder einen Deut. „Wie schrecklich. In unserer Behausung haben wir jemand, der sich um solche Plagegeister kümmert, aber diesen Luxus, kann natürlich nicht jeder genießen, nicht wahr?“ Sie lächelte schmal, offenbar war ihr das Thema alles andere als angenehm, aber es war immerhin noch besser, als die Wahrheit. Das Mädchen atmete tief durch. Die Gefahr schien abgewendet. Fynia spitzte die Lippen und leerte dann ein weiteres Glas. Diesmal ließ sie sich dabei sogar ganze zwei Schlucke Zeit. Mit einem hölzernen Pochen stellte sie es ab und sah durch den Raum. „Wohin wurden die Kleider gebracht?“ Das Kind tippelte voraus und deutete auf eine schmale Tür in der Wand. „Gleich nach nebenan, in das Ankleidezimmer. Benötigt ihr Hilfe beim aus- und ankleiden?“

Sie öffnete ihr die Türe, zog sich wie selbstverständlich einen Hocker heran. Sie nahm eine schmale Kerze aus der Schatulle im Regal des Räumchens und lief damit in die Küche, um jene vorsichtig am Kochfeuer zu entzünden. Eilig wanderte sie zurück, erklomm den Schemel und begann damit nach und nach die Lichter in den hölzernen Laternen zu entzünden. Sie schob den großen Spiegel noch zurecht und stellte den Hocker zurück. Dann wies sie einladend in das Innere, was der Edlen, die das Treiben aufmerksam beobachtet hatte, ein stilles Lächeln entlockte. „Beim auskleiden und dem späteren wieder ankleiden wärest du wirklich eine große Hilfe. Aber bei dieser Art von Kleidungsstücken, die mich dort erwarten, benötige ich sie nicht…jedoch…“ Sie betrachtete das Mädchen für einen Moment mit nachdenklich verklärtem Blicke. Dieses begann unter jenem Augenschein nervös mit Daumen und Zeigefinger an ihrem Rocksaum zu nesteln. „…hole dir deinen Hocker wieder und leiste mir dort drin Gesellschaft! “ Der Blick der Kleinen wanderte bei dem Deut erst zum Schemel, dann zu der Kammer und zurück zu Fynia. Verwirrt krauste sie die Nase. „aber….ist das nicht zu eng mit all den Gewandungen und…?“ Wieder unterbrach sie die Frau mit einer abrupten Handbewegung. „Für dein Alter machst du dir ziemlich viele Sorgen mein Kind.“ Sie hob skeptisch eine Braue. „Wer soll mir denn sonst sagen, wie mich die Kleider zieren und ob die Farben überhaupt für sich sprechen.“ Das Lächeln um die Mundwinkel der Dame wurde wieder milder. „Ziere dich nicht, wir sind doch unter uns und mir sagte einst eine der Ammen, Kindermund täte Wahrheit kund.“ Die noch eben unwirsche Hand wurde wieder nach ihr ausgestreckt. Das Kind biss sich kurz auf die Unterlippe und verkniff sich ein Lächeln. Dann nickte sie langsam, ging zurück um den dreibeinigen Schemel wieder aufzunehmen und ergriff die dargebotene, zierliche Hand der Edlen.

Vater hatte recht. Es war tatsächlich ratsamer, naiv und einfältig zu wirken. Die Menschen gewöhnen sich zu schnell und zu gerne daran, zu unterschätzen.

Mit nur einem leichten Zug am Knauf, schloss sich die Tür hinter den beiden lautlos und fast automatisch.
Zitieren
#5
[Bild: jr2o-3t-bb40.jpg]

In dem Räumchen roch es ein wenig muffig. Er wurde nie besonders oft genutzt, denn die wenigstens von Vaters Kunden waren es gewohnt zum ankleiden ein eigenes Zimmer zu nutzen und legten einfach da ab oder an, wo sie gerade standen. Im hinteren Winkel standen mehrere hölzerne Herrendiener, auf denen feinsäuberlich und griffbereit die neuen Kleidungsstücke aufbewahrt wurden. „Hilf mir doch bitte beim Mieder!“ War die knappe Ansage der Frau und so trat sie hinter sie, hob die Arme über den Kopf und versuchte die dicken Schnüren mit den kleinen Kinderhänden aufzunesteln. Der wachsame Blick der Frau ruhte auf dem großen Wandspiegel mit dem kunstvoll gedrechselten Rahmen, der seitlich zu ihnen an der Wand befestigt war und beobachtete sie bei dem unterfangen den festen Knoten zu lösen. „Du wirst einmal sehr schön werden, weißt du das?“ Sagte sie dann und das Mädchen hielt inne, um an dem grazilen Rücken irritiert hinauf zu blinzeln. „Denkt ihr…ich meine…denkst Du das wirklich? Ich bin doch nicht…“ Sie kaute auf der Unterlippe. „…so wie Du eben!“ Endlich bekam sie die richtige Stelle zu fassen und zog an der Kordel. Dieses vertrauliche zuzulassen stellte sich für sie genauso schwierig heraus, als wie es andersherum gewesen wäre.

Als das Mieder sich zu lösen begann strich sich die Edle es an den schmalen Hüften herab und wand sich zu ihr um die kleinen Schultern fest zu packen und sie ernst anzusehen.
„Der Stand ist gar nicht so sehr wichtig wie du glaubst. Schönheit ist viel wichtiger! Es ist wie eine scharfe Schneide, eine Herausforderung und eine Eintrittskarte. Sie ist zusammen mit der Verführung das, was uns bleibt um zu bekommen, was wir wollen!“ Das Kind sah sie mit großen, runden Augen verblüfft an. War es jetzt so weit? Hinter der Stirn des Mädchens arbeitete es, aber sie versuchte es sich nicht anmerken zu lassen. Kein besonders leichtes Unterfangen. Sie rief sich die Lektionen ins Gedächtnis und stellte sich vor wie sie der Stimme des Vaters lauschte. Fynia war nicht dumm und sie war misstrauisch, also musste sie sich in Acht nehmen. Es half. Die Vorstellung zu zuhören, verpasste ihr die entsprechende Mimik und die Edle fühlte sich offenbar nicht beunruhigt und sprach ungehindert weiter, während sie den Griff um die Kinderschultern löste und sich selber aus den weinroten Kleid schälte. „Du bist gesegneter als dir bewusst ist und du könntest ein Freigeist sein und dabei doch gewinnen. Du kannst alles haben was du willst.“ Sie schlüpfte aus den Schuhen und befreite die Beine nacheinander von den dicken Strümpfen, die weit hinauf über die Oberschenkel reichten. „Ich sollte deinen Vater bitten, dich mir mitzugeben, ich könnte dich so vieles lehren. Du wärest dann eine kleinere Ausgabe von mir. Wie ein Anziehpüppchen.“ Sie kicherte und entkleidete sich weiterhin selber, während das Mädchen einen Schritt zurücktrat und den Blick auf den Spiegel freigab. Sie wusste nicht ob sie gerade beleidigt sein sollte oder nicht, andererseits würde das jemanden wie Fynia auch nicht ansatzweise kümmern, wenn sie es wäre. Also beschränkte sie sich auf ein Lächeln. „Hast Du denn alles was Du willst. Wirklich alles?“ Da fiel auch das letzte Kleidungsstück, das dünne Unterkleid zu Boden und allein des Reflexes wegen, schaute die Kleine somit nach unten.

Von dem Gegenüber kam ein Seufzen. „Sieh mich an!“ Das Mädchen sah auf seine Schuhspitzen, als wolle sie jene hypnotisieren und eine Röte begann sich auf den Wangen auszubreiten. Die Stimme wurde wieder herrischer. „Du sollst mich ansehen! Sofort!“ Verschämt hob sie den Blick an. Die Haut der Frau war von solcher Blässe, dass man an den verschiedensten Stellen sogar die blauen Adern durchschimmern sehen konnte. Sie wirkte zarter als die dünnsten Wollfäden, nahezu makellos. In dem halbdunkel der Kammer konnte sie nichts erkennen, was auf Narben hinwies. Das Mädchen wusste nicht, wie oft sie schon gestürzt war beim spielen, sich die Knie aufgeschlagen hatte und dergleichen. Die Frau schien das niemals getan zu haben. Ihr Blick wanderte von den gepflegten Füßen, an den zierlichen Waden hinauf zu ihren Knien. Nein, Fynia hatte sich mit Sicherheit niemals ein Knie aufgeschürft. Ihre Augen wanderten höher, an den straffen Schenkeln hinauf und verharrten an dem dunklen Busch, der da thronte, wo die Beine sich teilten. Der flache Bauch der Frau war ebenfalls glatt und etwas höher, war das was bei ihr, laut ihrer Mutter, auch bald wachsen würde. Die Brüste war fest und recht ausgeprägt. Die dunklen Brustwarzen waren verfestigt auf den heller ausgeprägten Warzenhöfen. Alles in allem war sie nackt tatsächlich sogar schöner anzusehen, als in ihrer hübschen Gewandung.

War es das was sie sehen sollte?
„Siehst du mein Kind, so sieht wahre Macht aus!“ Das Mädchen lächelte schüchtern und meinte verlegen: „Ja, du musst in der Tat sehr mächtig sein…“ Dann hielt sie einen Moment die Luft an und griff dann zu der ersten Garnitur auf einem der Herrendiener, um ihr jene dann zu übergeben. Jetzt kam es darauf an, vorsichtig zu sein. „Hast du Macht über jemanden oder etwas…? Ich meine, darum geht es doch dabei oder?“ Die eisblauen Mädchenaugen waren neugierig nach oben gerichtet. Sie erntete ein regelrecht verschmitztes Lächeln dafür und die Dame bleckte die Zähne. „Nicht nur über Jemanden oder etwas…sondern so einige Jemande…sehr sehr wichtige Jemande sogar!“ Sie nahm dem Kind die Garderobe ab. „Pass auf, ich werde es dir erzählen, aber sollte es jemals diesen Raum verlassen…“ Sie deutete mit der freien Hand um sich. „…werde ich dich töten lassen.“ Die letzten Worte betonte sie im Einzelnen so sehr, dass sie wie Peitschenhiebe klangen.
Zitieren
#6
[Bild: jr2o-3v-c0fd.jpg]

„Reich mir das Gewand dort!“ Der Zeigefinger deutete auf den Herrendiener, der sich rechts außen befand. Die Kleine zupfte kurz den Saum des eigenen Kleides zurecht und eilte hinüber zu dem Ständer. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und zog es bedächtig von dem glatten Holz herab, wobei sie mit den Fingerspitzen bewundernd den feinen, hauchdünnen Stoff befühlte. Sie liebte diesen Stoff, denn er war nicht einfach nur etwas Besonderes, sondern auch etwas ganz besonders teures. Ihr Vater stellte ihn selbst her und auch nur er. Kein anderer durfte dieses extrem aufwändige und schwierige Verfahren durchführen. Nicht die Gesellen und schon gar nicht die Lehrlinge. Erst recht nicht sie. Zumindest noch nicht, auch wenn sie ihm dabei schon oft zusehen durfte. Die Wolle wurde doppelt so lange wie ursprünglich gewässert, bis sie ganz weich und hell wurden. Dann wurden sie mit einem bestimmten Kantholz über Stunden, manchmal sogar Tage geschlagen, bis sie sich in ganz feine, dünne Fäden auftrennen ließen und der Zartheit von Spinnenseide glichen, mit der die Achtbeiner ihre filigranen Netze webten. Daher konnte der Stoff dann auch nicht auf dem großen, schweren Webstuhl gewoben werden, sondern sie wurden an einem speziell dafür angefertigten, Tischgroßen Webrahmen vorsichtig durchgezogen und ebenso behutsam festgeklopft. So entstand der regelrecht durchsichtige Stoff, den sie Fynia gerade heranreichte. Diese streifte den schmeichelnden Stoff über und betrachtete sich im Spiegel. Die Augen des Mädchens wurden noch ein Stück größer.

Das Gewand verbarg nichts. Wirklich absolut gar nichts. Sie sah durch den Stoff die dunklen Brustwarzen schimmern und auch das Dreieck ihrer dunklen Scham zeichnete sich deutlich sichtbar ab. Dabei war der Ausschnitt so spitz und vor allem tief geschnitten, dass er nur knapp in der Mitte zwischen den wohlgeformten Brüsten der Frau herabführte, ohne sie wieder gänzlich zu entblößen. Als Fynia den Blick des Kindes gewahr wurde, begann sie zu lachen.
„Siehst du! Das meinte ich.“ Sie deutete auf den Schemel. „Setz dich Mädchen!“ Die Stimme hatte trotz ihres Lachanfalls und der dabei entstandenen Tränen, die sie mit dem Handrücken nun fortwischte, nichts an der vorhergehenden Schärfe verloren und der Kleinen war klar, dass es auf ganz Amhran wohl niemanden gab, der sich dem widersetzen wollte oder konnte. So nahm sie folgsam den Hocker und setzte sich zu ihr, wo sie immer wieder verstohlen einen Blick auf das Spiegelbild der Edlen wagte.

Diese saugte kurz an ihrer Unterlippe und hob leise an zu sprechen:
„Man kann sie sich so leicht gefällig machen. Das senken der Lider im rechten Moment, ein verlegenes Lächeln und erröten. Im Nu‘ sind sie dir verfallen. Die Armen wie die reichen unterscheiden sich in einem nicht – Sie sind Männer. Mein Mann zum Beispiel. Er denkt bis heute, dass jede unserer Begegnungen zufällig waren. Er glaubt tatsächlich immernoch, er würde alles lenken. Seine Macht ist meine Macht und er merkt es nicht einmal. Jede Idee die er äußert, habe ich ihm wie Medizin unbemerkt eingeflößt. Die Kunst der Verführung liegt darin ihm langsam aber sicher die Kontrolle zu nehmen, ohne dass es ihm jemals bewusst sein wird. Eine Marionette in meinen schönen Fingern. “ Fynia lächelte dem Kind über ihre Spiegelbild hinweg zu und betrachtet bei den Worten ihre eigene Hand.

„Irgendwann sind sie unfähig ohne dich zu leben. Sie brauchen dich wie die Luft zum atmen und dann ist es Zeit für das Spiel. Seine Schwächen sind Ansatzpunkte für den Hebel der anderen. Seine Entscheidungen helfen jenen und vernichten die anderen…und was denkst du wohl wer denen das auch wieder einflüstert? Intrige mein Mädchen…Intrige und Schönheit sind der ebenste Boden der Macht und der einfachste Weg.“

Die Kleine wand sich innerlich. Das klang furchtbar. Das klang falsch. Diese schöne Frau war eine giftige Schlange in ihrem Inneren und dennoch faszinierten ihre Worte sie. Am liebsten hätte sie sich die Ohren zugehalten, doch das durfte sie nicht. In diesem Moment empfand sie das erste Mal in ihrem Leben Ekel vor sich selbst. Sie hörte sich selbst die Worte formulieren, doch klangen sie fremd, wie aus weiter Ferne, als würde die Stimme nicht zu ihr gehören:

„Es ist ein Spiel? So...wie mit Puppen?“

Fynia wirkte einen Moment unschlüssig ob sie lachen oder sie schelten sollte, doch dann wurde ihr Blick nachdenklich. „Ja…ja…du liegst gar nicht so falsch meine Kleine! Es ist ein Spiel mit Puppen, nur ist ein viel größeres Puppenhaus und natürlich viel größere Puppen. Du allein, kannst die wichtigste Puppe sein, indem du vernichtest, indem du jemanden ruinierst, oder betrügst und dir mit nur ausreichend Geduld das nimmst, was du allein möchtest, bis du die einzige Puppe bist, die mit nichts und niemanden auch nur irgendetwas teilen musst. Das Einzige was dich zwischen ganz unten und ganz oben trennen vermag, ist dein überflüssiges, schlechtes Gewissen. Ja, es ist so unglaublich überflüssig und ich frage mich, wann Menschen das endlich begreifen. Es hilft niemanden - nicht denen bei den der Schaden angerichtet wurde und noch weniger dir selbst.“ Sie ließ das durchscheinende Gewand wieder von der Haut gleiten und griff nach einem bestickten, leichten Leinenkleid.

Dem Kind wurde schlecht. Sie wollte niemals so sein, wie diese unsagbar schöne Frau vor ihr, mit dem Herzen voller Gift. Wieder zerbrach etwas in ihr und sie wusste, dass es niemals heilen würde. Doch sie stellte die Frage, diese eine, die wohl die wichtigste war in der bisherigen Unterhaltung:

„Bist du diese einzige Puppe Fynia?“
Zitieren




Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste