FSK-18 Die schwarze Heilige
#1
Sie hatte eine Zeichnung vom Inneren eines Menschen gesehen. Dort war alles so geordnet. Hier war alles durcheinander. "Bitte, Morana, hol es raus, sie dürfen es nicht erfahren!". Ich bin keine richtige Heilerin. Ich reagiere nur auf das, was ich sehe und handle nach Gefühl. "Du hast dem Mann das Leben gerettet!" Aber ich kann nicht einfach in dich hineingreifen und es rausholen. Bitte Morana. Bitte. Ich flehe dich an. Tu es! Wenn ich dich verliere... Ich hätte es nie... Bitte Morana. "Du weißt nicht, wie es ist." Ich habe Angst. All das Blut. Morana! Mach, dass es aufhört. Nun habe ich es doch getan. Von jetzt an bete ich für meine Seele.

Morana schreckt aus dem Schlaf hoch. Dabei kann sie am Friedhof doch immer so gut schlafen...
Egal wie grausig und furchteinflössend das Leben sein mag - stell dich ihm stets wie eine Lady.

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#2
Blut ist Leben. "Auch wenn es weh tut, am Ende hat es alles besser gemacht." Wenn man Pech hat, sickert es nur so aus einem heraus. "Es war doch notwendig!" Es hatte nicht viel Leben. Doch es hatte so viel Blut. "Jetzt ist alles gut. Jetzt kann mein Leben von vorne beginnen." Blut, das nun an meinen Händen klebt. Und übrigens auch auf dem Teppich. Meine Seele gehört in den Abyss und ich werde sie niemals zurückbekommen. Egal wie viel ich beichte. Egal wie viel ich bete. Es wird niemals genug sein. Du bist dein Problem los. Nun trage ich den Sohn an meiner Brust.
Egal wie grausig und furchteinflössend das Leben sein mag - stell dich ihm stets wie eine Lady.

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#3
Ich wollte doch nur mal etwas Schönes sehen. Man kann sich nicht aussuchen, wer Hilfe braucht. Die Leute unterschätzen die Macht eines schönen Anblicks. Nein, das kann man nicht. Sonst hätte ich nicht immer diese schrecklichen Männer und Frauen um mich herum. Ich will doch nur eine schöne Erinnerung, bevor ich sterbe. Wenn sie die Kinder wollen, dann gehen sie woanders hin. Wenn sie nicht gerade verbluten und halb aufgefressen sind, gehen sie zu den anderen, aber nicht zu mir. Nein. Ich habe nur die hoffnungslosen Fälle. "Morana, bitte lass mich gehen." "Morana, wie konntest du nur?" Warum bleibst du nicht eine Weile hier bei mir? Ich meine, dein Kind, das könnten du und ich doch... "Morana, bitte. Ich flehe dich an." Und doch warst du ein zweites Mal hier. Und nun ein drittes. Mal keinen toten Blutkumpen in den Händen halten, der kaum an ein menschliches Wesen erinnert. Ein Kind. Ein echtes Kind. Morana...bitte... Eine schöne Erinnerung nur.
Egal wie grausig und furchteinflössend das Leben sein mag - stell dich ihm stets wie eine Lady.

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#4
"Vergib mir, oh Herr", haucht Morana leise, während sie in einem Stall in Ravinsthal kniet und betet. Ravinsthal. Einem Lehen, das so kalt ist durch die Abwesenheit des wahren Glaubens. Dass sie hier auf ihre Worte achten muss und allen vorspielt, eine Mondwächterin zu sein, ist ihr persönlicher Frevel. Sie spricht keine Worte, die andere wissen lassen, sie sei Anhängerin des falschen Glaubens; viel eher lässt sie die richtigen Worte unausgesprochen, in ihrem Herzen eingeschlossen, um ihr Leben zu retten.
"Ist mein Leben wichtiger als mein Glaube? Und was ist mein Leben wert ohne Mithras?"
Sie japst nach Luft, als sie sich den Riemen umlegt. Eine Beichte, vier Gebete am Tag, eine Spende - all das würde nicht ausreichen, dass man ihr vergebe. So legt sie sich die Schlinge um den Hals, um die Atemlosigkeit und den Überlebenswillen zu spüren, den auch ihr Glaube fühlt. Sie will sich strafen, denn sie kann nicht tatenlos zusehen. Ihre Luft wird knapp. Wenn der Galgen sie nicht durch den Ruck tötet, so wird er sie würgen, wie sie es gerade selbst tut. Sie muss nur rechtzeitig aufhören. Denn einige Momente zu viel und sie würde erst vor Glück frohlocken und dann sterben. Einen Augenaufschlag vor dem seligen Glück lockert sie den Riemen um ihren Hals und fällt röchelnd auf die Hände. "Oh Mithras, habe Gnade mit dieser Sünderin..."
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#5
Sie liegt im Stall und der Schlaf verwehrt ihr seinen Besuch.
Ohne Ordnung und Sauberkeit verliert sie die Kontrolle über sich. Sie weiß, dass es zu warm für Nebel in der Nacht ist, und doch sieht sie ihn unter der Stalltüre aufziehn. Es ist der grün leuchtende Nebel aus den Sümpfen ihrer Heimat. Der Abyss vermisst offenbar einen Dämon in dieser Nacht: Ihre Herrin, die sie mit einem Liebeszauber verführt hat...
Morana schließt die Augen. "Mithras, steh mir bei...", wimmert sie, während sie auf dem dreckigen Stroh liegt. Der verführerische Duft nasser Erde liegt in der Luft und verdrängt den Gestank der Pferde. "Jetzt nicht. Bitte, jetzt nicht..." Ist das ein Schatten, der nach ihr greift?
Sie muss ihre Gednken ordnen oder der Zauber würde sie beherrschen, der auf ihr lag.
Sie denkt zurück an den Tempel des Mithras in Löwenstein, den sie nie wiedersehen wird. Ein Ziehen schnürt ihre Brust zusammen. Nirgends sonst ist es sicherer vor ihrer Herrin Einfluss als im Tempel. Sie muss an etwas Schönes denken, um sich zu beruhigen. Sie darf nicht nachgeben. So denkt sie an... Ehrwürden Alveranth... und das Ziehen verschwindet nicht, es wandert nur ihren Körper hinab. Oh ja. An diesem Abend wird kein Dämon sie bekommen. Ihr Herz gehört der Kirche. Der Sumpfnebel zieht sich zurück, während sich Morana am Boden windet. Von nun an würde es schrecklich seltsam werden, Elian unter die Augen zu treten.
Egal wie grausig und furchteinflössend das Leben sein mag - stell dich ihm stets wie eine Lady.

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#6
Die Nächte werden kalt im Stall. Morana deckt sich mit dreckigem Stroh zu. Immerhin wird man am Ende sagen: Was hat die Heilerin damit zu tun? Sie lag doch nur im Stall.
Sie betete, die Pferde mögen sie nicht zertrampeln. In dieser Nacht tun sie es nicht. Doch sie wetzen die Hufe und warten auf den Moment, in dem Morana ungeschützt ist.
Egal wie grausig und furchteinflössend das Leben sein mag - stell dich ihm stets wie eine Lady.

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#7
Ich habe dich auserwählt.
Du bist bemerkenswert, genau wie ich.
Aber du verlierst langsam den Verstand.
Du sinkst immer tiefer in den Abgrund hinein und hast keine helfen Hand, die dich wieder hinauf zieht.
Ich warte unten auf dich.
(aus Kholat)
Morana fror. Sie hatte sich und ihre Wäsche gewaschen und offenbar waren ihre Sachen noch nicht ganz trocken. Doch das war es wert.
Ihre Reiserobe hat den Dreck der Straße, dazu noch den Dreck der Grauwölfe, wie die Trauben, die Marquard auf sie geworfen hat. Einzig der Riss vom Angriff war nicht geflickt. Morana brauchte ihre Nadel für andere Dinge....
Egal wie grausig und furchteinflössend das Leben sein mag - stell dich ihm stets wie eine Lady.

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#8
Morana saß im Gras und hatte eine neue Freundin auf der Hand. Beide streckten ähnlich elegant ihre langen Glieder aus.
"Mach dir keine Sorgen", sprach Morana sanft, "der Richtige wird schon noch kommen und einen wunderschönen Faden an dein wunderschönes Netz knüpfen."
Es war Paarungszeit und ihre neue Freundin würde sich bald sekundenlang, aber dafür öfter, vergnügen. "Ich glaube auch, er wird ganz lecker sein.", fügte sie schmunzelnd hinzu. Irgendwie beneidenswert.
"Was bei mir so ansteht? Ach, nur noch eine wilde Flucht."
Schade, dass sie sich an diesem Abend wieder von ihrer kleinen Freundin verabschieden musste. Hach. Sie würde so schöne Kinder haben, wenn sie mehr nach ihrer Mutter kämen...

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#9
Die Zeit zwischen dem ersten Sonnenstrahl und dem Moment, an dem die Sonne sich vom Horizont loslöste, war irgendwie... lang.
So lange musste Morana beten.
Bei ihren ersten Gebeten war sie mit voller Hingabe dabei. Jetzt fiel ihr irgendwie nichts mehr ein, das sie beten sollte. Es war wie ein einseitiges Gespräch mit unangenehmer Ruhe dazwischen.
"Mithras, ich bete um deine Führung, ich schilde meine Augen im Angesicht deiner strahlenden Herrlichkeit, ich bitte dich, nimm dich dieser unwürdigen Sünderin und Verbrecherin an..."
Denn ja, sie hatte in Zweitürmen ein Verbrechen begangen, das sie dem Baron noch gestehen musste - diese Order kam von Seligkeit Winkel höchstselbst. Nur war es gerade wirklich kein guter Zeitpunkt, waren die Grauwölfe doch eben erst wieder in Servano und hatten einen sehr, sehr wackligen Stand... nun, Seligkeit Winkel sagte nicht wann...
Sie bat Mithras um die Kraft, ihr Leben und ihre Gedanken - auch die vergnüglichen - in mithrasgefällige Bahnen zu lenken, aber irgendwie schien der Sonnengott immer ein vorwurfsvolles "Uuuund?" hinterherzuschieben.
"Vergib mir, dass ich an der Kirche und somit an deinen Stellvertretern in dieser Welt zweifelte."
Uuuund?
"Vergib mir, dass ich Geschenke, die man mir darbot, voller Gier an mich nahm."
Uuuund?
"Vergib mir, dass ich das Leben zweier erwachsener Männer und elf Kindern beendete."
Uuuund?
"Vergib mir, dass ich mit Dämonen paktierte..."
Uuuund?
"Achja, die Zwiebeln..."
Endlich war die Sonne aufgegangen und Morana riss sich von ihrem Gebet los. Puh. War doch gar nicht so schlecht.
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#10
Bei einem Gebet geht es nie nur um die Zuwendung zu Mithras oder das Lauschen auf seine gloreiche, vorwurfsvolle Stille. Es geht auch darum, die Kontrolle über seine Gedanken zu haben. Kontrolle über Gedanken ist der Schlüssel zu Kontrolle über Emotionen und schließlich Taten.
Morana liebte ihr schauerliches Schauspiel - ja, fand sich sogar selbst so großartig darin, dass sie mit ihren Übertreibungen ihr Leben auf's Spiel setzte - des hysterischen Frauenzimmers. Hysterische Weiber würzten das Drama auf der Bühne des Lebens...



(03.09.2015, 13:14)Servok Darkas schrieb: In Moranas Schlafgemach ist noch alles so geblieben wie sie es einst hinterlassen hatte. Niemand hat sich bemüht es zu säubern, aber ebenso hat niemand etwas weggeräumt oder entwendet, vermutlich war einfach niemand in ihrem Zimmer gewesen all die Tage.
Der Spuk bleibt nicht lange unbemerkt, schon gar, weil der Totengräber selbst ständig auf dem Friedhof ist.
Am ersten Tage geht der Blick lediglich von außen zu ihrem Zimmer hoch.

Am zweiten Tag wird ein kleiner Zettel unter ihrer Türe hindurch geschoben.

"Willkommen zurück, ihr wurdet vermisst, S.D."

Am dritten Tag steht der Totengräber selbst in ihrer Türe um sie zu begrüßen.


Morana hatte sich gerade 11 Kerzen angezündet und trug nur ihr enttäuschend zugeknöpftes Nachtgewand, als Servok vor der der Türe stand. Er stand da und atmete abwartend. Dieser Atem, Hauch des Lebens, Hauch Mithras... sie wollte diesen Atem schmecken...
Wie ein Gebet sprach sie Höflichkeiten herunter, sie brauchte sich nicht einmal mehr darauf konzentrieren, sie kamen einfach. "Herr Darkas, ich habe mich sehr über Brief gefreut" hier, "Ihr habt Euch exzellent in meiner Abwesenheit um die Blumen gekümmert" da.
Morana hatte Mühe, ihm nicht dauernd auf den Mund zu schauen, wo ihm dieser heiße Atem entglitt, entglitt und in der Ewigkeit der Welt verschwand und neue Atemzüge ihm folgten.
Es überraschte sie, sich selbst zu hören, wie sie ihren Vorgesetzten in ihr Zimmer hinein bat. Sie, dem Tode so knapp entronnen, endlich wieder an einem Ort, den sie gerne "Zuhause" nannte.
"Friss ihn", dachte sie irgendwo in ihrem Hinterkopf. Ein anderer Gedanke war, dass sjenicht so forsch sein durfte, schließlich musste das Männchen am Netz des Weibchens anknüpfen und nicht umgekehrt....
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