Zwei Leben
#61
“... und dann zerfiel der Vampir zu Asche, die vom Wind in alle Richtungen geweht wurde. Die Gebrüder Hel und Van waren wieder vereint.” “Und Pfote?” “Mit Pfote natürlich.”

Cahira hatte anfangs gezögert, die Ereignisse umrund der Vampirjagd, die im Eisenthal ihren Anfang und an den Gestanden im Flüsterwald ihr Ende genommen hatte, den Kindern als Gute-Nacht-Geschichte zu erzählen. Natürlich hätte sie ohnehin die blutigen Details ausgelassen, dennoch wollte sie alte Ängste nicht wieder schüren: Lionel war damals bei der Blutkonklave dabei gewesen; hatte gesehen, wie sich diese Wesen mit ihren Klauen und Zähnen durch die Gäste gefressen hatten. Bis heute erschien es Cahira wie ein Wunder, dass sie diesem Massaker entkommen waren. Dannach hatten den Jungen Alpträume geplagt und ohne Nachtlicht war an Einschlafen kaum zu denken. Auch heute noch gab es Abende, an denen das Licht brennen musste, weil dem Jungen die späten Schatten zu lang und die Geräusche der Nacht zu bedrohlich vorkamen.

Brynja erschien der Mutter auch noch zu zart für solche Schauergeschichten und sie versuchte, ihre Tochter so weit wie möglich von den Schrecken der Welt abzuschirmen. Aber die Kleine schlummerte meist seelig und brubbelte ab und an ein paar Fragen in die Erzählung. Besonders das Wohlergehen von Pfote, dem zahmen Wolf der Vampirjäger, hatte es ihr angetan. Lionel hingegen hörte aufmerksam zu, ohne Zeichen von Panik oder Furcht, stellte Fragen, ließ die Geschichte in sich wirken und schloß wohl in seiner eigenen ruhigen Art seine Interpretation.

Cahira hatte gedacht, mit der Teilnahme an der Jagd einen Teil der trüben Gedanken, welche sie seit dem Fortgang ihres Ehemannes und dem gewaltsamen Tod des Kindermädchens Nora überkommen hatten, zu vertreiben. Aber das Eisenthal war voller Erinnerungen: Die alte Baracke der Klinge, das Minenhaus, welches Kyron als erstes Heim für seine Familie auserkoren hatte, als er sich noch mehr mit dem Rüstungsschmieden beschäftigte, das Hirschenheim, ihr zu Hause während des einjährigen Paktes mit Dureth  - überall lauerten die Geister der Vergangenheit und ließen die braune gelockte Frau kaum zur Ruhe kommen. Auch wenn sich ihr Magen umdreht bei dem Gedanken, wie das erste Treffen mit ihrem Ehemann verlaufen würde: Sie musste ihn sehen, diese Ungewissheit musste ein Ende haben.

Was Isabelle schlussendlich bewogen hatte, sie zu Kyron zu führen, war ihr schleierhaft. Höchstwahrscheinlich schlug in der Brust der jungen Blonden doch ein weicheres Herz als jene zugegeben mochte. Sie waren sofort aufgebrochen. Cahira noch in Arbeitskluft, die einzige Bewaffnung ihr kleiner Dolch an der Seite. Eine verhasste Fährfahrt später stand sie nach kurzer Wartezeit ihrem Ehemann endlich gegenüber. Er sah verändert aus. Ausgezehrt, wie nach einer langen Krankheit. Wildgulasch, schoß es Cahira einen Moment durch den Kopf und sie atmete schwer ein.

Sie hatte sich diesen Moment oft ausgemalt. Von verhassten Triaden bis in die Arme fallen war eigentlich das gesamte Spektrum eines lang aufgeschobenen Wiedersehens dabei gewesen. Letztendlich war es weniger erfreulich als erhofft aber auch annähernd weniger schlimm als befürchtet. Sie hatte das Gefühl, dass er mit allen Mitteln versuchte, sie von sich fort zu schieben und drohte sogar, sie in den nahen Fluß zu werfen. Er brachte Lionel ins Spiel, wohl weil er hoffte, sie würde sich mit Händen und Füßen wehren, dass der abtrünnige Vater seinem Sohn zu nahe kommt. Jeglicher Protest ihrerseits hätte seine Argumentation bestätigt, dass sie ihm letzten Endes ganz entgegen ihrer Worte doch nicht über den Weg trauen würde. Cahira hielt dagegen und war im Nachhinein sogar recht erstaunt über sich selber, wie ruhig sie in ihren eigenen Augen geblieben war. Doch ihre Überzeugung und ihre Gefühle waren nicht so leicht ins Wanken zu bringen, ganz gleich, was ihr an den Kopf geworfen wurde.

Was sie jedoch überraschte: Er sah nicht, welche Veränderung sie durchgemacht hatte. Erwähnte er es nur nicht, weil Aki und Isabelle als stille Zaungäste dem Wiedersehen der Mendozas beiwohnten, oder konnte er es tatsächlich nicht sehen, weil er vielleicht zu begierig war, sie aus seinem jetzigen Leben zu drängen? Das Treffen endete schließlich damit, dass Cahira von selber den Rückzug antrat, aber nicht ohne zu verkünden, wiederzukommen, und er ihr versprach - oder eher unheilig prophezeite - zu zeigen, was nun zu seiner Lebensaufgabe geworden war.

Keinen Wochenlauf später eröffnete eine suspekte Taverne in den Ruinen der alten Feste im Flüsterwald und obwohl Cahira solche Etablissements auch schon während Klingenzeiten eher gemieden hatte, schien dies ein guter Anlaufpunkt, um ihren Ehemann wieder zu treffen. Und sie hatte nach ein paar Besuchen auch die Gewissheit, dass er, zumindest ab und an, sich dort sehen ließ ...
[Bild: Cahira-Sig.jpg]
Herzlichen Dank an Morrigan!
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