(K)eine Liebesgeschichte
#11
Eine Woche war nun vergangen, seitdem sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Das Gesicht, das sie einst so liebevoll hatte anschauen können: zerschunden. Humpelnd, dreckig, der ganze Körper gezeichnet von all der Gewalt, die er heraufbeschworen hatte. Oder sie?

Ihre Eltern hatten sie zu Disziplin erzogen. Die eigenen Gedanken oder Gefühle gehörten nicht in die Welt hinausgeschrien. Man belästigte andere Leute nicht mit seinen eigenen Befindlichkeiten, es war schlichtweg unhöflich. "Lächle Rahel, wenn es dir schlecht geht", hatte sie die Worte der Mutter noch im Ohr und so lächelte sie. Meistens jedenfalls. Und knickste und war höflich, wenn sie ein freundliches Wort hörte, oder zeigte zumindest ihre Dankbarkeit.

War es ein Fehler gewesen, dass sie zu Garion gegangen war? Nein. Er war ein Freund und sie hatte sich mitteilen müssen. Irgendwem mitteilen, denn der Schock über das, was passiert war, war zu groß. Nur der Umstand, dass ihre Offenheit ihm gegenüber gleich größere Kreise gezogen hatte, war ein Fehler. Sie hatte die Umstände nicht beeinflussen können. Grahl war einfach da gewesen und hatte mitbekommen, warum sie dort war.

Sie war nicht von dem Gedanken besessen, sich rächen zu müssen. Wozu auch? Sie hatte bis heute keine Erinnerungen an diesen Abend. Nur die Träume, diese entsetzlichen Alpträume, die sie schon als Kind gehabt hatte, waren wieder da - jede Nacht. Das Gefühl zu Ertrinken. Das Gefühl in eiskaltes Wasser zu tauchen, dass das Herz schon bei der eisigen Umklammerung einige Schläge auszusetzen schien, die Kälte einem die Luft nahm, bis das kühle Nass über dem Kopf zusammen schlug. Das hiflose Gezappel und Gerudere mit beiden Armen, um wieder an die Oberfläche zu kommen und man doch immer tiefer sank. Das Gefühl, dass der Atem immer knapper und das Brennen in der Brust immer größer wurde, bis es in Dunkelheit explodierte. Die Todesangst. All das kam jede Nacht und sie erwachte jedes Mal in Schweiß gebadet.

Aber andere hatten sich in ihrem Namen rächen müssen. Warum nur? War es wirklich geschehen, weil man sie mochte? Oder war es eher aus dem Grunde, weil das vermeintlich Böse, das Animalische in ihm zu stark geworden war? Etwas, das wohl in jedem Menschen schlummerte, wie sie selbst hatte feststellen müssen und das zu bekämpfen eine der herausfordernsten Aufgaben jedes Menschen sein sollte, damit die Ordnung regierte und nicht das Chaos. Weil nur die Ordnung und ihre Einhaltung uns von den Tieren unterschied und das war, was man Zivilisation nannte. Und waren sie damit nicht selbst zu Tieren geworden? Hatten sie damit nicht selbst ihrem animalischen Trieb Raum gegeben? Vielleicht hatte er es sogar verdient, nur sie hegte diese Gedanken an Rache nicht. Ja, sie konnte ihn nicht einmal hassen. Er war so, wie er war.

Was blieb, war Traurigkeit und Leere. Er fehlte ihr, das war eine Tatsache. Aber es war auch eine Tatsache, dass er zu weit gegangen war. Es war eine weitere Tatsache, dass sie Angst vor ihm hatte. Angst davor ihm noch einmal zu verfallen. "Du willst es doch auch." Er kannte sie mittlerweile recht gut, aber sie hatte diesem Impuls, seinen Worten nicht nachgegeben, die Angst war größer gewesen und die Disziplin. Sie hatte ihn weggeschickt und er war gegangen. Es hatte ihn Mühe gekostet, aber er war gegangen. Und ein wenig später hatte sie die Geschichte gefunden, draussen vor ihrer Tür. Sie gefiel ihr und ihr war bewusst, was es ihn gekostet haben musste, das zu schreiben. Er hasste Geschichten. Und er hasste Gedichte und doch hatte er sich in beidem versucht und es war immer gut gewesen. Es rührte sie und vertiefte das Gefühl der Trauer und der Leere.

Mit Gwendolyn hatte sie reden können, jedenfalls für eine Weile, bis das Gespräch auf das kam, was sie wirklich trennte und sie konnte den Vorhang förmlich fallen sehen und danach war nur noch Distanz. Garion war nicht da. Mit Grahl wollte sie nicht reden, nicht nachdem, was sie gesehen hatte im Kerker und danach. Und Viktor? Wie hatte sie so naiv sein können, ihn als Freund zu sehen? Er hatte sie auf offener Strasse, nur aufgrund einer Vermutung, abgekanzelt wie ein kleines Mädchen und sein eiskalter Blick ließ sie noch immer erschauern. Seine Worte waren schlimmer gewesen, als ein Schlag ins Gesicht.

Die Emsigkeit der ersten Tage, der erneute Umzug, die beiden größeren Aufträge hatten sie eine Weile abgelenkt. Sie hatte versucht das Loch, das blieb, damit zu füllen, vergebens. Sie versuchte es mit Beten, aber auch Mithras half ihr scheinbar auf diesem Weg nicht. Und als der Bewahrer den Segen über 'seine Kinder' sprach, fühlte sie es deutlich, dass sie auch hier nicht dazu gehörte. Es war unangemessen gewesen, ihnen in die Burg zu folgen und so hatte sie sich heimlich und leise allein auf den Weg zurück gemacht.

Was blieb war die Leere und die Trauer und so manchen Morgen wäre sie lieber im Bett geblieben, um die Welt dort draussen auszuschließen und sich ihren trüben Gedanken hinzugeben, wäre da nicht die Disziplin gewesen.

"Lächle Rahel, wenn dir schlecht geht."
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#12
Vergangen aber nicht vergessen

[Bild: dpwp8bqt.png]

Als ihn die Sonnenstrahlen an der Nase kitzeln blinzelt er und sieht ihr Gesicht in friedlicher Vollkommenheit vor sich. Wieder einmal fallen ihm all die Worte ein. Sinnlich, anmutig, zart und zerbrechlich. Stumm sehnt er sich danach den sinnlichen Schmollmund zu küssen. Die Schwarzhaarige spitzt die Lippen unbewusst, wenn sie ihn ansieht. Es verlockt ihn förmlich dazu sie zu schmecken. Aber sogar wenn die jungen, weichen Lippen zu einem festen Strich zusammen gepresst sind oder sie einen beleidigten Schmollmund zieht kann er sich von dem Anblick nicht los reissen. An das vollkommene O, das sie formen, wenn sie stöhnt oder schreit will er dabei besser nicht denken.

Die Augenlider sind sanft geschlossen und verbergen die großen, tiefblauen Augen. Natürlich würde das jeder Mann über seine Angebetete sagen aber sie hat die schönsten und tiefgründigsten Augen die er je gesehen hat. Die geschwungenen Augenbrauen thronen über ihren Augen und sind sogar im Schlaf leicht aristokratisch erhoben. Er erinnert sich an die zarte Falte zwischen ihren Augenbrauen, wenn sie die Stirn runzelt und wünscht sich jedes Mal sie dort zu berühren oder zu küssen, damit der kleine Makel verschwindet. Seine Mutter sagte einst solche Falten würden sich hartnäckig halten und irgendwann würde man jederzeit grüblerisch aussehen.

Er würde sich daran nicht stören. Grüblerisch, lachend oder nachdenklich, er mag jede Facette dieser Frau. Sie regt sich leicht und entlockt ihm ein seltenes Lächeln, als sie mit Schlafzimmerblick zu ihm aufsieht. Ihr Haar, welches sie immer so bedacht bürstet ist durcheinander gebracht. Ein paar Strähnen stehen in verschiedene Himmelsrichtungen ab. Die Wangen sind leicht rosig und sein Blick streift bis zum Kinn hinab, wo sich die zarte Falte unterhalb der Lippen bildet, als sie lächelt.

Die Benommenheit löst sich langsam von ihr und als sie ihn betrachtet weiten sich langsam die Augen. Wie mit einem Paukenschlag tritt Entsetzen und Furcht in ihre rießigen Augen. Er kann ihren Herzschlag förmlich erahnen, der zu rasen beginnt. Das unwirkliche, hektische Pochen erfüllt die Szene und schließlich seinen Kopf. Ihr stockt kurz der Atem und ihr Körper erbebt in Panik. Als er intuitiv die Finger ausstreckt, um sie zu berühren löst sich ihr verstörender Anblick in Nebelschwaden auf und er erwacht jäh aus dem Traum.


Sein Erwachen passiert plötzlich und unfreiwillig. Mit einem Keuchen fährt sein Oberkörper hoch und sendet ein Zucken durch seinen Körper, welches sich mit einem beissenden Schmerz paart. Sinnloserweise tastet seine Hand neben sich das Bett ab, spürt aber nur Leere. Jedes Erwachen fühlt sich wie ein Schlag ins Gesicht an. Die quälende Erinnerung, die jeden verdammten Morgen wieder kehrt ist sicherlich gerechtfertigt. Sein Verstand soll ihn jeden Tag aufs Neue ermahnen was er für immer verloren hat.
Er lässt den Kopf hängen und wünscht sich für einen Augenblick er wäre nicht hellwach. Langsam kommen die spärlichen Gedanken des Vortages zu ihm zurück. Als er sich langsam zur Kommode umdreht blickt er durchs Fenster in den nebeligen Morgen. Er erinnert sich an das Stück Pergament, welches er in der Schublade deponiert hat und dreht das Papier bedacht in den prankenhaften Händen. Nur langsam faltet er die Nachricht auf, als würde er auch hier befürchten sie könnte in seinen Händen zu Staub zerfallen. Auf dem leicht schmutzigen Papier stehen wenige Worte, nieder geschrieben von seinem wachsamen Botenjungen.
'Eine Frau Durán hat sich heute im goldenen Raben ein Zimmer für drei Nächte genommen. Die Wirtin weigert sich pikante Details zu ihren Gästen Preis zu geben. Trotzdem wirkte sie bei den Worten 'Galatierin' und 'Rotschopf' dennoch hellhörig.'

Auch wenn die Worte vielversprechend klingen musste es sich nicht unbedingt um seine Mutter handeln. Trotzdem ist er nicht bereit es dabei zu belassen. Zwar hat er nicht explizit nach seiner Mutter gesucht doch der junge Bote kommt viel herum und schnappt so einiges an Tratsch und Geschehnissen auf. Obwohl sein Bein von dem Vorhaben nicht begeistert sein wird muss er zum goldenen Raben. Zumindest wäre ihm der kleine Erkundungsausflug eine willkommene Ablenkung.

Während er eine schlichte Robe überwirft und sich für den Karrentransport bereit macht denkt er an seine leibliche Mutter. Traurigerweise sind fast zehn Jahresläufe ins Land gezogen seit denen er Miriam nicht mehr gesehen hat. Zugegebenermaßen hatte er sich damit abgefunden sie nie wieder zu Gesicht zu bekommen. Trotzdem macht sich etwas Neugierde breit, da sie wohlmöglich so nah ist. Was macht sie in Servano? Wie verdient sie mittlerweile ihren Lebensunterhalt? Hat sie einen neuen Mann, vielleicht hat er sogar Halbgeschwister. Da sie den Namen ihres früheren Ehemanns noch trägt – ohne den Aki nicht einmal auf sie aufmerksam geworden wäre – geht er davon aus, dass sie nicht erneut geheiratet hat.
In den Jahren hat sich das letzte Bild eingebrannt, dass er von seiner Mutter im Kopf hatte. Die ebenmäßigen Züge waren vor Entsetzen und Unglaube verzogen, als Eduart sie aus dem Haus jagte, welches Jahrelang ihr Zuhause war. Ihre Wange glühte noch von der saftigen Ohrfeige, die sie sich eingefangen hatte. Aki's Vater warf ihr vor eine Hexe zu sein und ihr blieb schlussendlich nur die Flucht. Entweder hätte er Miriam der Miliz ausgeliefert oder sie eigenhändig getötet. Bis vor Kurzen hatte Aki den Gedanken noch fort geschoben aber er war sich mittlerweile sicher, dass sein Vater zu Beidem fähig gewesen wäre. Immerhin teilt der die Veranlagung zur Grausamkeit, was er zum Teil seiner Erziehung und dem Vater zu verdanken hat.

Er hat sich mühsam die Treppe hinunter gearbeitet, als von draußen bereits Pferde schnauben und ein Karren krachend am Feldweg Halt macht. Immerhin hat der Bauer Stroh geladen und der Transport wird bis auf gelegentliches Pieksen abgefedert. Der holprige Weg führt über die gepflasterte Straße bis nach Zweitürmen, wo der Bauer sein Transportgut ablädt. Nachdem ein paar Münzen Silber Aki's Geldkatze verlassen haben macht er sich humpelnd an den restlichen Weg bis zur Herberge.
Bereits nach wenigen Schritten, die so langsam wie die eines alten, buckligen Mannes voran gehen hört er ein unheilvolles Grollen von der grauen Wolkendecke. Der Tag ist ohnehin trist genug und als die ersten Regentropfen platschend auf das Pflaster treffen kümmert sich der Wanderer nicht sonderlich darum sondern zieht die Kapuze über das Haupt. Er spürt den feuchten Dreck zwischen den nackten Zehen, als er weiter voran geht, denn ein Stiefel am geschienten Bein ist zur Zeit undenkbar. Als er die Mauer erreicht lehnt er die freie Hand dagegen und stützt sich zusätzlich. Das Stockende klackt dumpf auf die Pflastersteine und kündigt sein Eintreffen an.

Die Grenzsoldaten beachten den humpelnden Vermummten in der nachtblauen Robe nur halbherzig. Im Schankraum schiebt er die leicht feucht gewordene Kapuze zurück. Wie ein Hund schüttelt er einige Wassertropfen ab und nickt der Schankdame Dana zu. »In welchem Zimmer nächtigt Frau Durán?« erkundigt er sich mit tiefer Stimme, in der Überzeugung seine Mutter ist tatsächlich nur wenige Schritt von ihm entfernt. Dana mustert ihn mit aufkeimendem Misstrauen schickt ihn aber die Treppe hinauf zum ersten Zimmer links.
Humpelnd nähert er sich der Türe und lehnt die Wange gegen das Holz. Tatsächlich nimmt er für zwei Herzschläge eine weibliche und männliche Stimme wahr, die aber verstummen, als hätten sie ihn gehört. Er nimmt einen tiefen Atemzug und klopft an. Ihm antwortet Stille. Aki zählt die Herzschläge, bis sich die Türklinke bewegt. Die Handfläche drückt leicht gegen die Türe, um ein plötzliches Zuschlagen zu verhindern, je nachdem wer ihn empfängt.

Ihm sieht ein höchst misstrauisches, grünes Augenpaar entgegen, welches ihn von oben bis unten mustert. Der strohblonde Kerl wird von ihm auf Mitte Dreißig geschätzt und trägt eine schlichte Reisekluft aus Leder und Stoff. Durch den kleinen Türspalt kann er jedoch nicht feststellen, ob sich noch jemand anderes im Raum befindet. Als bei der ausgiebigen Musterung kein Gruß folgt setzt Aki zu einem 'Wohlen Abend' an. Kaum ausgesprochen schwingt die Türe ein Stück weiter auf und der Unbekannte deutet auf einladende und zugleich Argwohn erregende Weise ins Zimmer.

Der Hüne zieht auf der Schwelle den Kopf ein und humpelt in den verdunkelten Raum. Das Fenster ist mit einem Laken verhangen und dämpft die abendliche Sonne. In den wenigen Strahlen, die ins Zimmer finden tanzen Staubpartikel. Ihm bleibt keine Zeit weitere Eindrücke in sich auf zu nehmen oder die Gestalt zu mustern, die sich in der Ecke verborgen hält. Der Mann tritt gezielt gegen das Stockende und reisst es ihm damit aus der Hand. Der Holzstab fällt mit einem dumpfen Laut auf die Dielen und bereits einen Atemzug später findet sich der Schmied mit einem Messer an der Kehle wieder, den Rücken gegen die Wand gepresst.
Er hebt die Hände an und zeigt die leeren Handflächen, um seine Wehrlosigkeit deutlich zu machen. Die Geste interessiert den Bewaffneten jedoch wenig und die die Klinge bedrängt die Bartstoppeln knapp neben dem Kehlkopf. Wäre der Mann mit einem anständigen Messer ausgestattet würde der Druck bereits Blut freisetzen. Demnach schließt der erfahrene Waffenschmied, dass er ein stumpfes Brotmesser am Hals hat. Sein Verstand wägt die Möglichkeiten ab. Es wäre ein Leichtes dem Angreifer das Messer zu entwenden, aber dank der Verletzung wäre es ein zu großes Wagnis sich mit dem Kerl zu messen.
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#13
...


»Was suchst du hier, Durán?« zischt der Blondschopf aufgebracht und bleckt angriffslustig die Zähne. Aki zieht die Brauen leicht zusammen und späht an dem Mann vorbei in die Ecke, als sich dort die Siluette bewegt. Ein Sonnenstrahl streift die kurze aber durchaus scharfe Klinge, die in der Hand der näher kommenden Frau hinab hängt. Er spannt sich wappnend an und streckt den Körper soweit es geht.

Der Ton der kupferroten Mähne kommt ihm schmerzlich bekannt vor. Sein Herz stockt einen Moment, als die saphirblauen Augen die seinen treffen. Sie hebt die fein geschwungenen Brauen an, die vollen Lippen überrascht gespitzt. Ihr Gesicht hat sich bis auf ein paar zarte Fältchen kaum verändert und er erkennt sie eben so schnell wie sie ihn.
»Lass ihn los.« haucht Miriam mit der charakteristisch, rauchigen Stimme und scheidet die Klinge.
Der fremde Mann bewegt sich nicht, weswegen die Worte strenger wiederholt werden. »Das ist nicht Eduart.«
Aki atmet aus, als die Klinge von seiner Kehle weicht. Die Galatierin schiebt den Mann beiseite und streckt die feingliedrigen Finger nach dem Gesicht ihres Sohnes aus. »Darf ich dich umarmen..?« fragt sie achtsam, wobei in den tiefen Augen ein unruhiges Zögern liegt. Er nickt vage und sie schließt ihn in die Arme. Da er sie um einen Kopf überragt lehnt er sich entgegen kommend zu ihr hinab und zieht den Geruch aus Kindheitstagen von ihren Haaren ein. Seine Arme bleiben dabei nutzlos hängen, während Miriam's Finger am Rücken über den Robenstoff gleiten und abschätzen, was aus ihrem Jungen geworden ist. Sie riecht nach einer Kombination aus Kräutern und Holz, aber ihrem Haar haftet der Geruch von Veilchen an. Bedauerlicherweise erinnert ihn diese Note mittlerweile auch an Rahel.

Der Unbekannte hat sich von der Szenerie ein Stück zurück gezogen, das Messer jedoch immer noch in der Hand. Miriam löst die Umarmung und lässt dem Mann eine beschwichtigende Geste zu kommen. Aki's Blick trifft den des Anderen und die beiden Männer funkeln sich einen Moment an. »Beruhig dich, Joseph. Das ist mein Sohn Aki. Gewähr uns ein paar Momente unter vier Augen.«
Joseph nickt wiederwillig aber verlässt das Zimmer.
Miriam atmet aus und zieht einen malträtierten Stuhl heran, den sie Aki zurecht schiebt.
»Du hast dich kaum verändert.«
»Du dafür schon. Du siehst ihm schrecklich ähnlich.« Auf die Worte verzieht er das Gesicht. Miriam lächelt bitter. »Entschuldige.«
»Schon gut. Du hast ja Recht. Leider nicht nur Äußerlich.«
Miriam presst die Lippen zu einem Strich zusammen, setzt sich ans Bettende und reibt sich über die Oberarme. Ihr Blick weicht keinen Wimpernschlag von ihm. Sie trägt einen tannengrünen Reisemantel sowie einen breiten Ledergürtel mit allerhand Beuteln und der kurzen Scheide. Der Heft ist verziert und kommt Aki bekannt vor. Als Miriam weiter spricht hebt er den Blick wieder an.

»Entschuldige die raue Begrüßung. Wie ist es dir ergangen, mein Sohn?« Die Betitelung klingt ungewohnt in seinen Ohren.
Er erzählt ihr von Löwenstein und dem Laden dort und bemüht sich oberflächlich zu bleiben. Sie streckt sich vom Bett weg und berührt mit den Fingerspiten seinen Handrücken. Als seine Finger leicht zucken gleitet wieder das wissende und zugleich bittere Lächeln über ihre Züge. Er hasst es. Warum kann er das nicht unterdrücken?
»Ich bin auf der Durchreise. Aber ich habe nie einen Hehl daraus gemacht wo ich bin oder wer ich bin. Ich dachte eines Tages wirst du mich finden, wenn du so weit bist.« Bei dem Gedanken lächelt sie offen und weckt ein kurzes Gefühl von Geborgenheit.»Sagst du mir nun was dich bedrückt? Sieh mich nicht so an. Ich kenne dich und deinen Vater viel zu gut, um zu übersehen, dass es dir mieserabel geht. Was ist los? Geht es um eine Frau?«
Sein Blick ist ein Leitfaden bei ihrer Spurensuche. Mit jedem Wort werden seine Züge verbitterter. Sie weiß genau wo sie ansetzen muss aber das erstaunt ihn wenig. Miriam's Lächeln bekommt einen besorgten Zug, was ihn dazu veranlasst das lang vermisste Gesicht zu studieren. Erst nach einer Pause antwortet er langsam. Sie gewährt ihm so viel Zeit, wie er benötigt.

»Ich war verlobt.« Aki fängt einen zugleich erstaunten aber auch wohlwollenden Blick ab. Miriam öffnet die Lippen unterbricht ihn aber nicht. »Sie heißt Rahel Goldblatt und ist eine Bürgerin Löwensteins. Sie ist ... etwas ganz Besonderes.« Er stockt und atmet tief durch. Jeder Gedanke an sie schmerzt und er fühlt sich als würde er barfuß über Scherben laufen. Seine Mutter drängt ihn nicht sondern beobachtet nur stumm sein Leiden.
»Sie ist schön, intelligent und gläubig. Zudem die erste Frau, die so offen war mich und meine Eigenheiten zu akzeptieren.«

»Was ist passiert?« Für einen Moment sieht er tiefes Mitgefühl und Anteilnahme in den saphirblauen Augen aber es stört ihn nicht.
»Ich hab sie fast getötet. Bis zu einem bestimmten Punkt mochte sie die Kontrolllosigkeit aber dann ...« Aki stößt ein tiefes Seufzen aus und Miriam nickt rasch. Er ist sich sicher, dass sie ganz genau weiß was er meint. Jedes weitere Wort wäre sowieso überflüssig.
»Keine Frau ist stark genug dafür, Aki. Nich einmal ich. Aber dein Vater hat mich geliebt. Auf seine eigene, verdorbene Art und ich kann ihn einfach nicht hassen. Weder damals noch heute. Es gab zu viele Momente in denen ich einfach nur glücklich war und mich behütet gefühlt habe. Ich wusste wie gefährlich es ist aber das war mir egal. Er war es einfach wert. Sieh was dabei raus gekommen ist.« Sie betrachtet ihn mit mütterlichem Stolz. Umso länger sie spricht umso deutlicher wird der galatische Akzent hörbar. Obwohl seine Mutter sich so wenig verändert hat fühlt sich die Begegnung und das Gespräch noch immer ungewohnt an.

Ihre ozeanblauen Augen durchschauen ihn und seine Gedanken und sie rutscht vom Bett und nimmt zu seinen Füßen Platz. Ihre Hand streichelt beruhigend die seine und kurz legt sie diese aufeinander und lächelt sanft bei dem Größenunterschied. »Du öffnest dich viel zu langsam. Ich bin deine Mutter, Aki und doch sehe ich nur Misstrauen. Ich sehe immer noch einen scheuen Jungen und keinen Mann.« Ihre Worte werden eindringlicher und schärfer. »Mit Distanz und Furcht vor Nähe kommst du nicht weiter. Du lässt dich davon beeinflussen was du gesehen und erlebt hast. Eduart war kein bisschen anders. Er hat alle von sich gestoßen und ich bezweifle, dass er es mittlerweile einsieht. Einsamkeit mag vielleicht sicher sein aber sie macht nicht glücklich. Sei nicht so dumm wie dein Vater.«
Er schnauft einerseits wütend aber auch ertappt und sieht seine Mutter trotzig an. »Was soll ich denn deiner Meinung nach tun?«
Miriam sieht ihn einen langen Moment abschätzend an, die matten, stahlblauen Augen treffen auf die klaren, saphirblauen. »Das was ich von deinem Vater erwartet hätte. Zeig Größe und Reue. Geh auf die Knie und bitte um Verzeihung. Aber mach dir keine falschen Hoffnungen, du wirst nicht zurück bekommen was du verloren hast. Aber mit ehrlicher Absicht kannst du vielleicht wieder Respekt aufbauen, im besten Fall sogar ein wenig Vertrauen wieder herstellen.«
»Und wenn nicht?«
»Dann passiert das, was du jetzt schon im Kopf hast. Lass mich raten du willst nie wieder jemanden an dich heran lassen jetzt wo dein Herz gebrochen wurde. Das ist eine schrecklich romantische Vorstellung, mein Junge, aber du hast es nicht verdient den Rest deines Lebens zu leiden.«
»Ich will sie nicht erneut in Gefahr bringen. Vermutlich ziehe ich aus Löwenstein ab, um ein Wiedersehen zu vermeiden.«
»Das ist natürlich ein sehr edler Gedanke, nachdem du sie fast umgebracht hast. Durch Feigheit wird es nicht besser.«
»Sie wird jemand anderes finden.«
»Jemand Besseres, natürlich. Glaub nur daran.«
»Hast du niemanden mehr für dich gefunden, Mutter?«
Der rasche Wortwechsel flacht ab und Miriam sieht ihm mit tiefer Zuneigung in die Augen. »Ach Aki.« Er hebt erwartungsvoll die vernarbte Braue. »Ich muss jetzt aufbrechen, verzeih mir.« In ihrem ausweichenden Blick sieht er aber die Antwort nach der er sucht. Nein. Nach all der Zeit ...

Der Humpelnde erhebt sich mühsam und wird nochmals in eine feste Umarmung geschlossen. Sie haucht ihm einen mütterlichen Kuss auf die Wange. An ihrem Ohr raunt er eindringlich: »Seh ich dich wieder?«
»Ich weiß es nicht. Die Zeit wird es zeigen. Halte nach mir Ausschau, mein Sohn. Und bring nächstes Mal bessere Neuigkeiten.«
Er nickt fest als stummes Versprechen und greift nach dem Stock, bevor er zur Tür wendet. Als er nochmals zurück sieht kann er Bitterkeit in dem Gesicht seiner Mutter sehen. Ihn beschleicht das unwohle Gefühl, dass es eine endgültige Verabschiedung ist.

Sobald er die Herberge ohne ein weiteres Wort verlassen hat erreicht ihn ein ungewohntes Gefühl. Seit Langem spürt er etwas wie Verlustangst und fragt sich insgeheim, wie weh es tun wird, wenn ihn das Gefühl im Bezug auf Rahel einholt. Tief in ihm herrscht noch ein kleiner Funken Hoffnung, dass er irgendwann erneut in die intensiv blauen Augen sehen kann und darin etwas anderes findet als Furcht und Distanz.
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