FSK-18 Ein guter Titel kommt immer erst zum Schluss
#1
Still zog der Wind durchs Lager, welches in das goldene Licht der Nachmittagssonne getaucht war. Es konnte ein heimeliger Anblick sein, wenn man nicht mitten in diesem Lager stand und der stille Wind eiskalt über alles streichelte. Selbst die Pferde verharrten dicht beieinander, um sich vor der messerscharfen Kälte zu schützen. Die Jurin, die gerade das Zelt verlassen hatte, zog das Halstuch höher und wickelte sich noch tiefer in den Mantel. Es dauerte nur einen Wimpernschlag bis die Kälte ihre Augen zum Tränen brachte und das leise Schniefen einer hochgezogenen Nase die Stille kurz unterbrach.

Je länger man jenes Bild beobachtete desto lebendiger schien es zu werden. Die fast vor Kälte erstarrten Tiere schnaubten dann und wann und vor jeder Nüster und jeder Nase bildeten sich kleine Atemwölkchen. Das Mähnenhaar und Schweifhaar der dunklen Tehins peitschte im Wind, ebenso wie das rabenschwarze Haar der Jurin. Der nun mehr gefrorene Schnee knirschte unerhört laut unter den schweren Schritten, als die Frau sich zur Herde bewegte und in dieser untertauchte. Nur der blutrote Stoff des Mantels, der vom Wind dann und wann verräterisch angehoben wurde, verriet die junge Frau in der Herde, während vereinzelt graue Wolken am Himmel entlangzogen. Erst nach einer ganzen Weile löste, sie sich wieder mitsamt ihrem schweren Hengst aus der Herde und brachte das Tier an den Anbinder. Die Mimik der Jägerin war in sich gekehrt, konzentriert und nachdenklich. Man sah sie eh meist mit einem mürrischen Ausdruck, doch die Abweisung in ihren Zügen, fand zu diesem Augenblick ihren Höhepunkt.

Hätte man sie angesprochen, hätte sie vermutlich überrascht aufgesehen, sich ihrer Gestik und Mimik nicht im Mindesten bewusst, doch sie war allein und begann den Hengst mit kräftigen, energischen Zügen das Fell zu pflegen. Jede Bewegung war auf den Punkt, nicht zu hektisch, doch energisch genug, um jedes Zögern auszuschließen, selbst als sie das Fell auf den Pferderücken legte und schließlich den Fellsattel dazu. Beim Anlegen des Zaumzeugs wurde deutlich wie eingespielt diese Jurin mit ihrem Pferd war, als das Tier ihrem Fordern entgegen kam, statt sich zu sträuben und sich bereitwillig die weichen Lederbänder übers Genick ziehen ließ. Leise knirschte die Zähne des Hengstes über das ledrige Gebiss, als die Zügel über den Sattelknauf gelegt wurden und auch noch als die Satteltaschen gefüllt wurden. Erst als die Jurin die Zügel ergriff und ihr Blick vor dem Aufsteigen nochmal den Himmel entlang glitt, hörte das Tier auf mit den Zähnen zu knirschen und blickte seiner zukünftigen Reiterin entgegen. Schließlich stieß sich die junge Frau vom Boden ab und der blutrote Mantel wölbte sich breit, ehe er wie eine Decke wieder auf seine Trägerin und das Tier hinabsank. Noch ehe die Frau zu dem langen Speer griff, warf sie sich ein breites Wolfsfell über die Schultern und verschloss es dicht vor ihrem Hals mit zwei Reißzähnen. Dann wandte sie das Tier um, griff nach dem Speer und die weitgreifenden Schritte des Tehins lenkten sich gen Ausgang. Nur einzelne Strähnen lösten sich aus dem langen Haar unter dem Fell und wurden vom Wind erbarmungslos in die ein oder andere Richtung getrieben. Kurz hob sie ihren Speer an als sie das Lager verließ.

„Stolz und Stärke!“ erklang ihre raue etwas dunklere Stimme.
„Stolz und Stärke Lilya! Mögest du in Artios Schatten reiten!“ ertönte die verabschiedende Antwort des wachenden Juren.

Lilya hob kurz ihr Kinn etwas stolzer an, statt etwas zu erwidern und entfernte sich nur langsam vom Lager. In einem langsamen Trott lenkte sie die Schritte den Weg entlang und ihr Kopf schwebte scheinbar hinter der Palisade entlang, bis sich kurz vor der Brücke nochmal das gesamte Bild von Ross und Reiterin zeigte. Es schien als hätte die Jurin alle Zeit dieses Tages für ihre Reise eingeplant und so bewegte sie sich langsam nur vorwärts, weiter über die zweite Brücke nach Hohenquell und schließlich in die Ebene des Hexensees.

Laut und schrill echote das Wiehern ihres Hengstes über die Ebene als die wilden Stuten davon stoben, ein Wiehern das aus den Tiefen des Tieres kam noch und lange im Körper nachbebte. Aufmerksam verfolgten Lilyas Augen die Herden doch ihre Mimik war noch immer verschlossen und nachdenklich. Endlich hatte sie Zeit für sich gefunden, Zeit all das was ihren Geist in Unruhe versetzte zu ordnen. Sie ließ all die, im Grunde, fremden Gesichter vor ihrem inneren Auge vorbei ziehen. Mit vielen hatte sie mal mehr oder weniger viel zu tun gehabt, manche Gesichter sah sie lieber als andere und wieder anderen vertraute sie mehr als anderen. Doch all jene Gesichter schienen ihr in der verschneiten, frostigen Ebene nicht viel zu bedeuten. Langsam verblassten jene Gesichter und übrig blieben nur wenige, neben den jurischen Gesichtern blieben noch Elda und Koren, doch auch jene verblassten, bis gerade mal nur noch drei Augenpaaren ihr entgegenblickten. Dhena, einäugig, im Grunde ruhiger als man annehmen würde, doch mit dem Durst der Morrigu in ihrem Blick. Darjhen, still und Wärme spendend. In seiner Gegenwart, hatte sie stets das Gefühl in der Mitte der heimatlichen Herde zu weilen. Und schließlich Taifur. Einst war er ihr Bruder gewesen, doch irgendetwas hatte in verändert. Er wirkte zerrissen auf sie manches Mal und im Grunde wunderte es sie nicht. Nun war er hier, hatte nach ihr gesucht und sie saß fern neben ihm. Lange schweifte ihr Blick über den vereisten See, bis die Hufe des Tieres sie langsam wieder auf den Heimweg lenkten. Sie hatte den Dingen, die sie beschäftigten, in die Seele geblickt, doch fraglich war, ob es sie weiter gebracht hatte. Am Ende des Tages sollte es ihr um sich selbst gehen, jeder wäre stark genug ein Leben ohne sie zu führen und auch sie wäre im Zweifel stark genug ein Leben ohne jene zu führen. Dennoch war der letzte Gedanke noch nicht gedacht, als die Hufe des Tehins dumpf über die letzte Brücke traten und die Palisade des Lagers sich erneut vor ihr erhob und ihr noch verborgen blieb, wie viele sich erneut an den Feuern eingefunden hatten.

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