Von Leuchtfeuern und Seemannsgarn
#1
Von Leuchtfeuern und Seemannsgarn



|| Erzählungen rund um den städtischen Leuchtturm von Löwenstein und seinen Wärter Lysander Ó Domhnaill ||



Aktueller Leuchtfeuer-Status und andere allgemein bekannte Sachverhalte in eigenem Abschnitt nachzulesen unter: [Löw] Das Leuchtfeuer brennt!


OOC
Umzug einiger schon verfasster Abschnitte hierher, um künftig eine sinnvolle Trennung, gemäß den Foren-Sektionen zu ermöglichen.






Episode 1 - Und er leuchtet doch

Um den 08. Julmond 1401
Löwenstein



Die Zeiten für die Seefahrt an Servanos Küsten waren, wie in vielen Teilen des Reiches nicht die besten. Der anhaltende Krieg hatte auch in diesem Geschäft seine Spuren hinterlassen, nicht, dass es den Glauben an einen Sieg geschmälert hätte! Doch die vielen Seeleute, die seit der Konfiszierungen ohne Schiff und Heuer an Land festsaßen, fanden nur selten neue Dienstherren. In der Natur der Sache lag begründet, dass (abgesehen von den Skippern, Steuermännern und derlei Fachleuten) der Seemann von Welt überall gleich war, ob nun Amhran oder Galatia. Öfter unstete Seelen, als sesshaft, nicht immer dem Gesetz so treu ergeben, wie andere - doch dem König? Gewiss, dem König schon. Denn war es nicht gottgegebenes Recht, dass es Herren und Gemeine gab? Und der einfache Seemann, der hatte wirklich genug mit sich selbst und seinen Schiffen zu tun, als sich über große Politik zu sorgen.
Die Politik war es nun, die einem dieser wenigen glücklichen Seeleute, die Heuer an Land fanden, eine Aufgabe verschafften, die ihm gefiel.
Der Stadtrat von Löwenstein hatte nämlich beschlossen, dass es an der Zeit war, den Neuen Hafen wieder schiffbar zu halten. Das Hafenbecken selbst war in Ordnung, solide angelegt und der Strömung dank der Hafenmauern nicht ausgesetzt. Kais, Kontore und Werft waren in bester Ordnung, wenn man einmal vergaß, dass ihre Besitzer schon vor Jahren wegen dem Krieg pleite gegangen waren.
Was fehlte - das war ein funktionierender Leuchtturm. Und da wollte der Stadtrat Abhilfe schaffen, schließlich rechnete man jederzeit mit der Rückkehr des Königs, als glorreichem Sieger aus dem Wüstenreich! Da dürfte die Stadt Löwenstein, seine Stadt, nicht duster vor ihm liegen, sondern in hellstem Licht erstrahlen. Oder zumindest... der Leuchtturm, auf dass er auf keine Untiefen liefe.

Von diesem Vorhaben hörte ein galatischer Leutnant in der Stadtwache, jener besagte glückliche Seemann, der doch eine Heuer gefunden hatte. Als Stadtknecht war er zwar ständig auf festem Boden, aber wusste immerhin, sein täglich Brot zu verdienen. Zudem glich der Wachdienst dem schichtweisen Wachdienst an Bord sehr, so dass er sich bald heimisch in der ewig wiederkehrenden Routine fühlte.
Die See fehlte ihm indes, und so kam der Aufruf zur Bewerbung für den Posten eines Leuchtturmwärters sehr gelegen! Ohne Federlesens bewarb sich der Galatier beim zuständigen Ratsherren Nefyr, über den Amtsweg der Wachstube Neustadt und wurde schon bald im persönlichen Gespräch geprüft, schließlich für tauglich befunden.

Vierzig Holzklafter Brennholz mussten zu Beginn jeder Nacht auf der Brandplattform ordentlich aufgeschichtet und so mit Zunder und Lampenöl versehen werden, dass sie auch bei widrigem Wetter gleichmäßig die ganze Nacht durchbrannten. So hatte man ihn instruiert - und so hatte Lysander es heute Abend in Angriff genommen.
Die vom Ratsherren Nefyr und dem Zimmermann Seamus Killian erhaltenen Hölzer schaffte er noch am selben Abend seiner Zusage und Aufforderung hinauf zum Leuchtturm. Dort oben, in luftiger Höhe, nur den salzig-süßen, kühlen Wind der dunklen See um sich, fand er das Wohlbefinden, das ihm die letzten Monde vermehrt gefehlt hatte.
Doch davon ließ er sich nicht zum säumen anregen - vielmehr schichtete er das Holz sorgfältig in einem Kegel auf und versah es mit ausreichend Zunder aus dem eigens mitgebrachten Beutel, dazu eine solide Menge Lampenöls. Auf die gleichmäßige Verteilung kam es an. Die Nächte wurden immer kälter und man musste jederzeit mit Schneefällen rechnen, da konnte es nie schaden, auf Nummer sicher zu gehen.
Nach der dritten Überprüfung, während der er über die ausladende Brandplattform kraxelte, Geruch und Wind des Meeres in der Nase und im Haar, stieg er wieder auf die geländerlose Treppe neben der Plattform. Von dort aus entfachte er den Zunder mittels seiner altgedienten Zunderdose.


[Bild: YuUDq73.jpg]

[Bild: 99nY9QS.jpg]


Zuerst züngelten die kleinen Flämmchen zäh und müde vor sich hin, ehe sie sich in den Zunder hinein fraßen, und tiefer noch, weiter, voran - da brannte das Holz zögerlich. Immer mehr, heller, höher, das Bersten und Knacken in Brand geratenen Holzes.

[Bild: 1w4dV1N.jpg]

Bald schon musste der einstige Seemann gänzlich hinunter auf die Aussichtsplattform ausweichen, die er eingedenk seiner Schulung Marssaling taufte.

Heiß und hell brannte das Leuchtfeuer über dem Neuen Hafen und würde jedem nahenden Schiff sicher den Weg weisen und als Peilung zur Navigation dienen.

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#2
Episode 2 - Probelauf "Brandmittel Mischholz"

11. Julmond 1401
Löwenstein



Es war wieder an der Zeit für einen weiteren Testlauf am Leuchtturm.
Die Formalitäten waren mittlerweile alle erledigt.
Die Stadt übernahm die Kosten für Umbau und Nachschub an Brennmaterial. Wie man dem frischgebackenen Leuchtturmwärter im Rathaus mitgeteilt hatte, musste er nur die Quittungen der Käufe zum Monatsende an die Amtsstube überstellen. Eine Rückzahlung der Auslagen würde dann in die Wege geleitet. Ebenso stand ihm nun eine Besoldung als offizieller Stadtbediensteter zu, über die sich der Galatier rechtens erfreute. Mehr noch bereitete ihm freilich die Aussicht darauf Freude, im Turm Wohnung zu beziehen. Hierzu würde er, wenn alles glatt lief, noch diese Woche mit dem Schreinermeister und Landsmann Ley Animar den Turm sichten und die schon im Briefverkehr ausgetauschten Umbau-Ideen vor Ort auf ihre Stichhaltigkeit überprüfen. Ja… wenn alles glatt lief, konnte der Bau noch zum Ende der Woche beginnen. Vielleicht war dann vor dem endgültigen Schneefall-Einbruch mit Wohnungsbezug zu rechnen! Jener Ley Animar war auch einer der künftigen Lieferanten, ebenso wie der Schiffszimmermann Seamus Kilian. Er würde den Zimmermann aus dem Armenviertel selbstredend in die Bauarbeiten einbinden. Vier Hände waren schneller, als zwei. Außerdem sahen die Ratsherren es gerne, wenn Handwerker vor Ort tatkräftig zur Seite standen, wenn es um das Wohl Löwensteins ging.
Und das Wohl Löwensteins, genauer seiner Seeleute und auf lange Sicht auch des Königs (sollte er denn bald heimkehren), war es auch, das den galatischen Leuchtturmwärter dazu antrieb, an diesem frühen Abend einen weiteren Probelauf zu starten. Die offiziellen Stellen wussten, dass der regelhafte Betrieb noch ausstand, denn die Umbauarbeiten und Brandmittel-Proben mussten unbedingt im Vorfeld stattfinden. Nicht auszudenken, wenn mitten im tiefsten Winter oder Frühjahrssturm ein Ausfall zu verzeichnen wäre, nur, weil man es an der Geduld und Vernunft zu Beginn hatte mangeln lassen!
So kam es, dass Lysander an diesem Abend die Plattform nicht mit Bruchholz versah, sondern mit Schaiten von Mischholz aus dem servanischen Forst. Im Schlichtmuster ähnelte es dem des Brucholzes – in sauberen, ordentlichen Reihen aufgeschossen, Schicht auf Schicht, nach außen hin nahm der Anteil an Zunder und Lampenöl signifikant ab. Einzig im Kern des so entstandenen Kegels fand sich ein Nest aus Zunder und Lampenöl, um die Befeuerung rasch voranzutreiben.


[Bild: Aj9uApi.jpg]

Die Funken von Stahl und Flint aus seiner Zunderdose besiegelten letztlich den zweiten Probelauf. „Brandmittel Mischholz“ musste sich nun beweisen.
Und wie es sich bewies! Das Feuer züngelte zu Beginn zaghaft, wie eh und je, brannte dann jedoch bald in bester Manier kräftig und heiß! Der Leuchtturmwärter stand schon bald auf der mittleren Aussichtsplattform, seiner ‚‘Marssaling‘, und bestaunte das kräftige Leuchtfeuer. Zufrieden, ja, das konnte er sein. Auf eines der Wachstäfelchen in seinem Diptychon schrieb er neben „Brandmittel Mischholz“ ein schwungvolles „Feuer klar“.


[Bild: krE2hiQ.jpg]

In den nächsten Nächten wollte er sich weiteren Erprobungen zuwenden. Wie stand es um Brennmaterialien fernab von normalem Holz? Holzkohle vielleicht? Oder Kohle aus den Bergwerken? Vielleicht sollte man auch mit verschiedenen Mischungen experimentieren.
Es war ja nicht so, dass er sich auf die Erfahrungen eines Vorgängers oder Aufzeichnungen stützen konnte. Der letzte Leuchtturmwärter der Stadt Löwenstein war vor langer Zeit, vor Kriegsbeginn im Dienst. Und ganz offensichtlich gehörte er nicht zu denjenigen, die gerne Bücher führten. So blieb nur der Weg, selbst Erfahrungswerte zu sammeln.
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#3
Episode 3 - Planung und Baubeginn

12. Julmond 1401
Löwenstein



Nachdem sie im postalischen Verkehr gestanden hatten, stand heute endlich der Ortstermin mit dem Sägewerksinhaber Ley Animar an.
Er war ein Landsmann, was Lysander sehr zu pass kam - und obendrein einer der fähigsten Zimmerleute in Bauangelegenheiten, der in dieser Gegend zu bekommen war.
Die Ausbau-Arbeiten, das zeigte sich rasch, würden nicht unbedingt einfach werden. Der singuläre Stützbalken musste verschoben und, um die Tragsicherheit zu gewährleisten, womöglich durch weitere Pedants vertärkt werden. Die Wände direkt vor die Zinnen zu setzen, war jedoch bei genauerer Betrachtung sinnlos, fanden sie so doch keinen soliden Halt - außer, man brach für jeden einzelnen Schwellbalken ein Loch. Zudem würde wertvoller Platz, der ohnehin dort oben auf dem Turm rar war, verloren gehen. Ein Blick nach Norden versprach eine Lösung: Man würde wohl nicht darum herumkommen, die Holzwände des Anbaus auf die Turmmauer aufzusetzen, vergleichbar einem Hurden-Ausbau, wie er an der nördlich anschließenden Kurtine vorgenommen worden ist. Indem die Konstruktion in die Zinnen eingespannt wurde, würde sie sich selbst Halt geben und, gepaart mit ... was auch immer die Zimmerleute sonst in solchen Fällen taten... jedenfalls klang das nach einer guten Lösung. Ley wusste ja, was er tat.
Nach kaum einer halben Stunde hatte sich der Schreinermeister einen Plan skizziert und war in die Stadt losgezogen, um sich Inspirationen bei den hiesigen Bauten zu suchen. Vielleicht konnte man sogar schon diesen Nachmittag mit den Bauarbeiten beginnen. Neben Ley würde sein Zunftkollege Seamus und meine Wenigkeit mit Hand anlegen. Zusammen würde man die Arbeit noch vor dem endgültigen Wintereinbruch volenden können, so hoffte er.
Während der Dauer der Bauarbeiten war der Leuchtturm nicht zugänglich, davor warnte Ley ihn schon, doch das war für Lysander kein Problem. Seine Dienstherren wussten bereits, er hatte es ja öfters schriftlich und mündlich erwähnt, dass der reguläre Betrieb vor dem neuen Jahr und den Umbauarbeiten nicht zu gewährleisten war.

Zu den eigentlichen Bauarbeiten - Beiträge 7-10 in [Löw] Das Leuchtfeuer brennt!
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#4
Episode 4 - Einzug und weitere Proben

23. Julmond 1401
Löwenstein



Ein paar Anpassungen hatte man beim Bau der Dienstwohnng an der Ostflanke machen müssen. Davon konnte er sogar profitieren, bedeutete es doch ein Quentchen mehr Platz, so dass er den Eingangsbereich dorthin verlegen ließ. Die Rechnung der beiden Zimmermanns-Meister hatte er schon an die Stadt weitergegeben und würde Ende des Jahres oder Anfang des kommenden dafür Sorge tragen, dass das Geld auch ausgezahlt wurde. So war es schließlich abgemacht.

Sein Landsmann Ley und der Hohenmarschener Seamus hatten ganze Arbeit geleistet. Sein neues Heim war größer als alles, was er von Bord der Schiffe oder aus den Kammern und Wachstuben der Stadtwache gewöhnt war. Sicher, die Hütte seiner Eltern drüben auf Svesur war größer - aber das war ja auch ein Hof! Lysander war zufrieden. Er hatte endlich stabile, solide eigene vier Wände, Ausblick auf die Bucht und die daraus hervorgehende offene See. Weit drüben im Westen meinte er sogar an klaren Tagen jene wilden, unberührten Landstriche zu vermuten, die die Amhraner Wildlande nannten. Wer weiß, wenn es Seamus tatsächlich gelang, ein Schiff zu bauen, könnten sie sich diese Gestade einmal ansehen.
Aber seine aktuellen Sorgen galten erst einmal anderen Dingen.
Eifrig ging er nach der Übergabe von Wohnungsschlüssel und Dokumenten an die Arbeit - er holte die überschüssigen Lagerfässer seines Kumpels Matthijs ab, dazu einen alten Tisch und zwei Hocker und ein einfaches Bett. Dazu brauchte er einen guten Teil des Nachmittags, und als er alles aufgebaut hatte, war die Sonne schon gefährlich nahe an der Kimm im Westen. Keine Pause, er befeuerte den Kachelofen und stopfte sich eine Pfeife, nachdem er mit kundigem Blick und mittels der Finger seiner rechten Hand überprüft hatte, wie viel Zeit ihm bis zum Sonnenuntergang noch blieb. Eingepackt in den warmen, gewachsten Kutschermantel in den Farben der Stadtwache machte sich der Leuchtturmwärter daran, das Holz aus dem Lager im Obergeschoss des Turmes zu holen.
Beim Hinaufwuchten von Fuhre um Fuhre an Bruchholz wurde es ihm rasch wieder warm, trotz des kühlen, zugigen Windes dort oben, der voller frostiger Versprechen war. In den Geschmack der See von rassem Salz mischte sich jener von Schnee und Eis. Bald...
Mit schwerem Atem und Schweißperlen auf der Stirn war er schließlich fertig.
Erneut hatte er Mischholz zur gängigen Prozedur hinzugenommen. Dieses Mal wollte er jedoch eine Mischung ausprobieren: Der innere Korpus bestand aus Bruchholz, ordentlich aufgeschichtet mit ein wenig Zwischenraum zur Luftzirkulation, dazu das übliche Konglomerat aus Zunder und Lampenöl bis zum Plattformrand. Als äußere Schicht, gleicham einem Mantel, kamen zwei Schichten Mischholz-Scheite darum herum.


[Bild: bsJLdlT.jpg]

Bald, nachdem er Zunder und Lampenöl entfacht hatte, brannte das Leuchtfeuer lichterloh. Das Mischholz wurde für's Erste nur langsam und schwach angegriffen, was der Brenndauer sicherlich förderlich sein würde. Das hieß für ihn eine weniger aufreibende Nacht. Und für den Leuchtturm ein stabileres Feuer. Das war zumindest seine Einschätzung - die Praxis der heutigen Nacht musste es beweisen.
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#5
Episode 5 - Behördengänge, Wintereinbruch

30. Julmond 1401
Löwenstein



Sein Gespür und seine Nase hatten ihn am Abend des 23. Julmonds nicht hinter's Licht geführt: Der erste Schnee fiel und blieb seitdem hartnäckig auf den Feldern, Wäldern, in den Gassen und Straßen. Ebenso, wie sich auf den gepflasterten Straßen spiegelglattes Eis bildete, kroch die Kälte auch in die Dienstwohnung des Leuchtturmwärters.
Keine Frage, die Arbeit der beiden Meister Animar und Kilian war makellos ausgeführt und ließ keinen Grund zur Klage. Doch trotz der mehrschichtigen Bauweise und Verdämmung drang an einigen Stellen eisig kalter Luftzug durch die Wände herein. Und da die Stürme jetzt im Winter von der Meerseite her nur mehr zunahmen, denn abzunehmen, war es notwendig, Maßnahmen einzuleiten. Schließlich wollte er nicht unnötig frieren müssen oder eher, dank des Kachelofens, es zwar warm haben, aber Unmengen an Holz zu verheizen. Holz kostete schließlich Geld und das Kontingent an Bruchholz, das er von der Stadt pro Monat gezahlt bekam, war schließlich für das Leuchtfeuer vorgesehen; zumindest das Gros.

Während er am heutigen Abend in der Schreibstube des Rathauses saß und darauf harrte, dass der Stadtschreiber Ceslav ihm die Quittungen heraussuchte, die er überstellt hatte, sann er über das Verdämmungsproblem nach. Kalfatern. Ja, das hatte er schon zu Baubeginn in Erwägung gezogen. Daran würde er nun wohl tatsächlich nicht vorbeikommen - so sehr es zu Anfang auch stank, es half, das wusste er noch von seiner Zeit auf See. Was das Eindringen von Wasser vermied, hielt auch Luftzug, Kälte und Frost ab. Jawohl, so würde er es machen...
Die Gedankengänge, die ihn schon dazu führten, eine Liste im Kopf zu allem anzulegen, was er benötigte, wurden abrupt unterbrochen: Der Stadtschreiber Ceslav teilte ihm mit, dass mit der Ernennung des neuen Stadtvogts auch interessante Neuerungen für die Stadtangestellten nahen würden. Ein jeder habe sich aufs Neue zu bewerben! Doch das sei wohl eher Formsache, genaueres wisse er aber auch noch nicht. Eben dieses kam dann am späten Abend mit dem Brief von Frau Misitia in seine Dienstwohnung. Ein Beamtentreffen zu Beginn des kommenden Jahres sollte die Informationen bieten, auf die sie alle sannen, die sie im Sold der Stadt standen.
Er fragte sich wieder einmal, warum alles so kompliziert sein musste in Amhran. Bürokratie, wie sich es hier nannte, galt als regelrechter Selbstzweck. Doch er murrte nicht, denn es war nur natürlich, dass es Herren gab und jene, die es nicht waren. Und der neue Vogt war eben ein solcher - ein Herr. Da war es sein gutes Recht, sich selbst ein Bild seiner Dienstleute zu machen.
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#6
Episode 6 - Alltag

Anfang Hartung 1402
Löwenstein




Mittlerweile vermochte er eine regelmäßige Befeuerung des Leuchtturms zu gewährleisten, seit die Vesorgungskette mit den Meistern Seamus Kilian und Ley Animar sichergestellt war.
Allabendlich hatte sich so eine Routine innerhalb weniger Tage eingebürgert.
Tagsüber hatte er meistens Verwaltungsaufgaben innerhalb des zeughauses der Stadtwache wahrzunehmen, selten Wachgänge; alles in allem allerdings deutlich weniger, als zuvor. Denn er brauchte den Schlaf für die nun (wieder) häufigeren Nachtschichten, die in der Natur der Sache eines Leuchtturmwärters lagen.
Pünktlich zur Dämmerung stand er deswegen immer auf der Turmplattform und wuchtete Bruchholz in rauen Mengen die Leiter hinauf zur Brandplattform. Der alte Kniff, die zumamengelegten Finger zwischen die untergehende Sonne und die Kimmlinie zu halten, erwies sich auch hier als wertvoll und nützlich.
So vergingen die ersten Tage des neuen Jahres mit Wachdienst, Papierkram (oh, wie hasste er ihn!) und dem Leuchtturmdienst. Allein, zumeist.
Nicht, dass es ihm allzu viel ausmachte. Lysander war im Vorfeld der Bewerbung schon klar gewesen, dass ein Leuchtturmwärter viel zeit alleine verbrachte, war er doch besonders zu Nachtesstunden auf den Beinen. Wenn er bei den Probeläufen mit den anderen Hälzern - Mishcholz, Eiche - und Kohle voran kam, konnte er vielleicht sogar die Ruhezeiten in der Nacht verlängern. Bisher musste er alle zwei Stunden, spätestens, hinauf und das Feuer überprüfen... mit dem richtigen Verhältnis an langbrennenden Hälzern konnte er vielleicht die Wach- und Schlafphasen erreichen, die er von seiner Zeit auf See gewohnt war.
Und in der Folge tagsüber wieder mehr wie ein Mensch herumzulaufen, als wie ein Schlafwandler.

Eine willkommende Abwechslung im routinierten Einerlei boten zwei Personen - ein Amhraner und eine Galatierin.
Als höchst erfreulich und schmeichelnd stellte sich das zufällige Treffen auf die Medica Eirene Kerlow heraus. Sie kannten uns schon vom Sehen eine geraume Zeit, denn jeder Galatier war in der Fremde sehr sensibilisiert auf die Anwesenheit seinesgleichen. Wirklich viel zu tun hatten sie indes lange nicht. Bis zum 04. Hartung, an dem sie sich kurz hinter dem Glockenturm über den Weg liefen und ins Gespräch kamen. Schnell machte man gemeinsame Bekannte aus, später, im Laufe des gemeinsam auf dem Leuchtturm zugebrachten frühen Abends stellte sich zudem heraus, dass ihre Väter sich kannten. Ihr Vater, Heilkundiger wie sie selbst, lebte wie ihre ganze Sippe auf Prenne. Mit den Kerlows standen die Domhnaills seit einem Besuch auf der Insel in Kontakt, als es darum gegangen war, eine Brautsteuer in Form eines Fischerboots abzuholen. Per Handschlag, wie es recht und billig war.
Das Wissen um eine gemeinsame Vergangenheit ihrer Sippen ließ die letzten Barrieren brechen, so dass sie offen über ihre jeweilige Vergangenheit, die Gründe der Abreise aus der Heimat, ihr bisheriges Leben in Amhran - kurz.. über alles sprachen, was sich eben gerade bot. Ein paar Anekdoten zur See und ihren abenteuerlichen Gefahren inklusive, was bei einer Seefahrer-Sippe wie der der Domhnaills nicht allzu schwer war.
Der klugen Medica aus Prenne schien es zu gefallen, denn sie lud Lysander dazu ein, einmal mit ihr Fisch nach Art Prennes zu essen. Überhaupt sei es ja eine Schande, dass so viele Leut' den Fisch als Nahrungsmittel schmähten, denn er wäre doch unvergleichbar in Geschmack und Wert. Da waren sie sich absolut einig. Lysander wollte ihrem Angebot auf jeden Fall nachkommen, ja, fühlte sich geehert - als sie dnan auch noch mit einem Teppich, einem Bärenfell und Wolfsfellen als Geschenk und Spende daherkam, schlich sich sogar etwas Betretenheit dazu. Das hätte er sich selbst kaum leisten können...Aber sicher, sie war ja auch Beraterin seines neuen Dienstherren, des Stadtvogts. Eine Wahl, die der Edle sicher nicht bereuen würde.

Der Leuchtturm sollte dieser Tage noch mehr Besucher sehen. Zwar nicht so anmutige Rothaarige, aber immerhin. Irgendwie gefiel es ihm ja dann doch, nicht so allein dort oben zu sein...
So hatte die Stadtwache jüngst einen neuen rekruten in dem SIlendirer Harold Vanke gefunden. Ein Kerl mit Allerweltsgesicht, der seiner Ausrüstung nach zu urteilen aber wußte, sich zu wehren. Auf's Maul gefallen war er auch nicht, nur vielleicht noch etwa zartbesaitet, was die peinliche Befragung anging. Aber das würde man ihm schon austreiben. Er hatte ein gesundes Verhältnis zur Obrigkeit, von ihm würde Lysander sicher nie solch gefährlichen Mumpitz hören, dass man "das Volk beteiligen" müsste oder solch ein Mist, auf den manch andere Amhraner kamen! Und das war auch gut so!
Er hatte keine Zweifel, dass Vanke sich schnell einleben würde. Unterweisungen im Wachdienst und den Verordnungen hatte er schon auf dem Plan für den Jungen.
Bald würde Vanke das verinnerlicht haben, was er schon auf unserem ersten Wachgang bemerkt hatte - Stadtknecht zu sein, heißt vor allen Dingen, gut zu Fuß zu sein, mit dem Knüppel nicht zu zögern und sich aus unnötigem Ärger herauszuhalten.
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#7
Episode 7 – Verdammt

19. Hartung 1402
Löwenstein




In Löwenstein hatte man es als Galatier überraschend gut, dafür, dass man sich in der Hauptstadt des Königreiches befand. Natürlich konnte man nur bedingt darauf hoffen, dass irgendein Landsmann es je zum Adel schaffte – wobei sie ja nun, wenn man den Gerüchten Glauben schenkte, sogar einen Juren zum Ritter geschlagen haben! Einen räuberischen, wilden Juren! Der Lysander hatte das noch immer nicht ganz verdaut.
Bei den Göttern! In Candaria sollten sie so etwas machen, seinetwegen. Nur nicht hier in Servano! Das wäre ja noch schöner… am Ende würde man noch einen galatischen Hauptmann sehen. Allerdings, wenn man es recht bedachte, wäre es um des Soldes und Ansehens Willen eigentlich ganz adequat. Nur glaubte er nicht, das Colin oder er jemals über den Leutnant hinaus kommen würden. Dass sie überhaupt Leutnante werden konnten – inklusive aller notwendiger Schwüre im Mithrastempel, vor Mithraspriestern, im Namen des Gottes Mithras, und das alles als galatische Mondwächter – grenzte ja schon an ein Wunder. Weder Colin, noch Lysander hätten damit gerechnet, hätte man es ihnen zum Jahreswechsel 1400 zu 1401 erzählt. Im Gegensatz zu ihrer Heimat Galatia änderte sich hier in Amhran offenkundig vieles in Politik und Gesellschaft sehr schnell und oft auch äußerst heftig.
So war es ja auch der Löwensteiner Stadtverwaltung ergangen. Der mehrere hundert Jahre alte Stadtrat wurde zu Gunsten einer Vogtei zu Grabe getragen. Der neue Vogt war, wenn er es recht in Erinnerung hatte, ein ehemaliger Ratsherr, Orestes Ceatano. Kopf einer Gruppierung, die sich Silberfalken rief. Selbstredend, dass Ränkespiele damit in Verbindung standen, aber das störte den Leuchtturmwärter nicht, da es nur natürlich war. Erst Recht war es ihm egal, wenn er in der Nacht in der warmen Stube saß, beim vor sich in knisternden Kachelofen, auf dem Tisch einen Becher warmen Weins, dazu Käse und Speck. Jüngst hatte er in diesen wachen Nachtstunden damit begonnen, auf seinen Wachstafeln, die er sonst für Notizen auf Wachgängen verwendete, erste Grundgerüste für ein Handbuch anzulegen; und die meisten gleich wieder zu verwerfen.

Ein Handbuch für Leuchtturmwärter sollte es werden, und das trieb ihn im Moment mehr um, als die Politik, an der er ohnehin nichts ändern konnte, geschweige denn wollte. Ein Grundgerüst schwebte ihm immerhin mittlerweile schon vor: Ein einleitender Teil über den Sinn des Handbuches, vielleicht mit einem Vorwort – das taten die amhranischen Gelehrten oft, hatte Lysander sich sagen lassen. Oder war es hier fehl am Platze? Das war schließlich eher eine Dienstanweisung, als ein… nun ja, ein Buch für kluge Leute. Er nahm sich vor, dazu seinen Landsmann Luca zu befragen, der für seine jungen Jahre und seine Herkunft außerordentlich belesen war. Der würde es wissen. Gefolgt von dieser Einleitung wollte er sich mit der Geschichte des hiesigen Leuchtturms befassen, denn es lag ihm als Galatier im Blut, die Ahnen nicht unerwähnt zu lassen. Nur, wenn man über sie wusste, war man wirklich seiner selbst gewahr. Wieso sollte es bei einem Leuchtturm anders sein? Außerdem, das gab er insgeheim zu, war die Neugier doch zu stark, um es bleiben zu lassen. Vielleicht gab es in den Stadtarchiven zu all dem noch etwas, denn der Turm war wohl schon vor langem außer Dienst genommen worden. „Der Krieg“, hieß es, wie so oft.
Nach all dem Vorgeplänkel wollte er sich schließlich dem eigentlichen Kern zuwenden. Die Dienstanweisungen. Verhaltensregeln, Gefahrenhinweise, Brennmaterialien und ihre Vor- und Nachteile, die Pflege der Brandplattform und des Turmes, Seezeichen, Wetterkunde, Navigation, Schiffskunde… mehr war ihm an sinnvollen Themenfeldern bislang nicht eingefallen. Offen gestanden musste er auch noch die Muße finden, darüber zu schreiben. Die amhranische Schrift lag ihm immer noch nicht. Das Schreiben blieb ihm einfach etwas Fremdes, Ungeliebtes. Er nahm sich vor, einmal Eirene oder den Luca zu fragen, ob sie ihm im wahrsten Wortessinne zur Hand gehen wollten. Zum Schreiber der Stadtwache wollte er damit nicht. Der war ja schon griesgrämig, wenn man ihn dazu aufforderte, einen Bericht ins Reine zu schreiben.

Berichte, wie etwa dieser schreckliche Versuch eines ihrer neuen Rekruten. Er hatte sie dazu aufgefordert, in Anlehnung an bestehende Berichte, die sie als Vorbild nehmen solle, eigenständig einen Bericht zu den jüngst im Armenviertel aufgetauchten Giften und … diesen Objekten, die Feuer und Rauch spuckten, zu verfassen. Wie sich herausstellen sollte, kam dabei nichts ordentliches heraus, wurde jedoch dadurch ausgeglichen, dass Gotmar wenig später mit detaillierten Informationen vom Stadtvogt kam. Derzeit wurden Gegenmaßnahmen erwogen, um den freien Handel zu behindern. Das war, so fand Lysander, recht und billig. Denn diese schrecklichen … Dinger.. waren Hexenwerk oder etwas Ähnliches! Nicht auszudenken, was sie in den falschen Händen anrichten konnten. Die Furcht vor ihnen hinderte ihn aber nicht, zu befinden, dass es rechtens wäre, wenn die Stadtwache Zugriff auf sie hätte. Er wollte verdammt sein - wie sehr würde es etwa Razzien erleichtern…! Bei den Göttern, auf jeden Fall würde er dann doppelt so viele Amulette tragen, wie jetzt; nur zur Sicherheit! Was indes das Gift anging, so mochte er damit nichts zu tun haben. Schon seinerzeit, als er selbst noch auf Seiten des alten Hafens stand und nicht auf jener der Stadtwache… hatte er Gift nicht ausstehen können. So was mochten dreckige Juren oder diese verlausten laskandischen Herumtreiber verwenden. Ein Galatier sicher nicht!
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#8
Episode 8 - Altes in neuem Gewand

09. Brachet 1402
Löwenstein




Der neue Leuchtturm war vollendet.
Mitte des Jahres hatte Lysander dem Vogt die Erlaubnis aberungen, auf Kosten der Stadtwache den alten Turm ausbauen zu lassen. Dabei war es einerseits um die Sicherheit des Hafens und damit der Stadt, andererseits aber auch um das Ansehen der Krone gegangen: Es konnte nicht angehen, dass in einem provinziellen Kaff wie Greifanger ein größerer Leuchtturm stand, als im größten Hafen Amhrans - der noch dazu in der Reichshauptstadt stand!
Nun verfügte Löwenstein über einen höheren und größeren Leuchtturm als jeder andere Hafen in Amhran. Der angenehme Nebeneffekt für den Leuchtturmwärter war, dass er nun auch eine größere Dienstwohnung hatte. Und als Hauptmann der Stadtwache freute sich Lysander über die neue Wachstation, die im unteren Tel des einstigen Wehrturms eingerichtet worden war.

Am heutigen Abend stand er noch im Dunkel der Nacht auf der Aussichtsplattform, denn das Feld des Leuchtfeuers war noch nicht ganz fertig. Wenigstens gab es gerade mal wieder eine Flaute beim wegen dem Krieg ohnehin sehr schwachen Schiffsverkehr. Und nicht ortskundige Seefahrer aus andren Lehen oder aus anderen Reichen - wie seiner Heimat Galatia - kamen ohnehin fast nie. Spätestens, wenn der Krieg vorbei war, änderte sich das hoffentlich wieder. Lysander erwischte sich dabei, wie er am Holzgriff seines Sax kratzte - und berührte gleich noch den eisernen Knauf; man konnte ja nie sicher genug gehen.
Die Kogge, welche er zu Beginn der letzten Woche an der Mündung zur Bucht der Meeresenge zwischen Servano, Candaria, Hohenmarschen und den Wildlanden erspäht hatte, war mittlerweile aus seinem Sichtfeld verschwunden.
Seine Schätzungen mit dem Gradstock hatten sich wohl ebstätigt, denn das Schiff unter köinglicher Flagge war offenbar direkt bei der Burg vor Anker gegangen. Wer auch immer damit transportiert worden war, wurde direkt auf die Burg gebracht, ohne die wichtigen und unwichtigen Einwohner Löwensteins zu beherzigen. Das versprach wichtige Kunde oder gwichtige Persönlichkeiten. War der Krieg vielleicht gewonnen? Der König verwundet? Hatte Indharim die Streitkräfte unter dem Löwenbanner zerschlagen? Oder war es Kunde aus einem der anderen Lehen? Wer wußte das schon. Bisher gab es keine Verlautbarungen, auch nicht an die Stadtwache.

Stattdessen war es ein alter Freund und einstiger Kollege in der Stadtwache, der ihm bedeutende Kunde brachte. Gotmar Ehring Seysbald von Löwenstein, seines Zeichens Ritter und derzeit im Dienst der Verteidiger Südwalds, berichtete ihm von der aktuellen Situtation im Süden des Königslehens.
Die Ravinsthaler waren offensichtlich Söldner und fielen auf Geheiß von Geldgebern aus hohen Positionen in Servanos Grenzgebieten ein. Zudem hatten sie den Hafen im Südwald eingenommen und waren an der Küste Candarias von Seeseite her eingefallen. Das alles war ihnen mittels wendiger kleiner Boote gelungen, die sie zudme mit sicherem Nachschub von Seeseite her versorgten. Da war Lysander hellhärig geworden, und in der Tat hatten sie sich da dem Kern der Angelegenheit genähert; der Ritter wollte Lysanders Erfahrungen aus seiner Vergangenheit als Schmuggler und Seemann einholen, er sollte sich der Verteidigung des Königslehens anschließen. Dem konnte der galatische Hauptmnan nur zustimmen. Als ehemaliger Schmuggler war ihm sofort klar gewesen, dass es sich bei den neuen Verbündeten der Ravinsthaler um Schmuggler handeln musste. Er hatte seinerzeit selbst solche kleinen, wendigen Boote verwendet - sie waren leicht und bei Bedarf auch über Land zu transportieren, wendig, lagen niedrig im Wasser (und dadurch von Landseite schlecht zu erspähen), schnell und billig in der Anschaffung.
Die Namen, welche Gotmar nannte - Tore, Vierfinger - weckten Erinnerungen an alte Kollegen aus dem "Geschäft". Tore war ein gebräuchlicher Name unter Galatiern, Vierfinger unter Schmugglern sehr beliebt, denn man verlor schnell mal einen Finger in ihrem Geschäft.
Dementsprechend konnte er sich auch irren, bei den vielen Vierfingern.... aber man wußte ja nie.
Wenn sie nun noch das richtige "Material" bekämen, konnte man den Plan umsetzen, der in ihren Köpfen an diesem Abend erwuchs. In Lysander hatten sie ja bereits einen Skipper gefunden.
Er wollte sich nur noch der Form halber die Erlaubnis seines neuen Vogts einholen, der er noch am selben Abend schrieb. Wie sich zeigte, hatte seine ihm liebe Landsfrau Eirene Kerlow den hochedlen Truchsess von sich überzeugen können. Es erfüllte ihn mit Stolz, dass einer der Ihren in den Kreis des Adels aufstieg, wer hätte schon damit gerrechnet?

War die eine Kunde noch bedeutend, war die andere an diesem Abend erbaulich.
Die edle Baronin von Hohenquell übersandte ihm über ihre Untertanin Brannagh eine Depesche samt Geschenkkorb. Während die Depesche von schmeichelnder Natur war, zeugte der Inhalt des Geschenkkorbs von einer Zuneigung, die er nicht erwartet hätte. Eine Birnen-Caramell-Torte und ein neues Paket candarischen Tabaks. Letzteren hatte er schon seit ihrer ersten gnädigen Gabe an ihn liebgewonnen (kein anderes Kraut wollte er mehr rauchen). In Angelegenheiten von Torten war der Galatier bei Weitem kein Fachmann, doch war sie von exquisiter Qualität und schmeckte ausgezeichnet. Dass sie zudem mit einem höchst seltenen Sirup hergestellt war, den es so gut wie überhaupt nicht auf dem regulären Markt in diesem Teil Amhrans zu bekommen gab, beschämte ihn ebenso, wie es ihm schmeichelte.
Er hatte seiner Landsfrau Brannagh zuerst eine mündliche Kunde aufgetragen, hatte im Laufe des Abends dann aber doch noch beschlossen, in amhranischer Art eine schriftliche nachzusenden. Ein Obolus an einen der arbeitslosen Seemänner am Hafen und die Depesche fand ihren sicheren Weg nach Hohenquell.
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#9
Episode 9 - Ungebunden

09. Hartung 1403
Löwenstein




"Was verschlägt euch hierher, Hauptmann?"
So oder so ähnlich hatte der Wirt Nefyr ihn in der Nacht auf den 09. gegrüßt.
Der ehemalige Ratsherr, nun Wirt und Mitglied der Grauwölfe konnte nicht wissen, dass der Hauptmann zu diesem Zeitpunkt ebenso ein Ehemaliger war.
Kaum war es kundgetan, floss auch schon der Alkohol. Nortgarder Met, das beste, was ein Galatier auf Amhran finden konnte - immerhin glich es entfernt dem, was sie in seiner Heimat tranken.
Seit der Entlassung trank Lysander noch mehr, als zuvor. Erfahrungsgemäß dauerte dieser Zustand nicht lange, denn dazu war er zu teuer - tatsächlich ließ er an diesem Abend sämtlichen Met anschreiben - aber es half. Half, zu vergessen.
Er konnte dem edlen Vogt nicht verübeln, so gehandelt zu haben, das war das ärgerlichste daran. Wie viel leichter wäre es, wenn er seine Landsfrau einfach schmähte und verfluchte - dafür, dass sie ihn wegen vermeintlicher Korruption (Pah! Jeder steckte doch 'was ein!) und Untätigkeit (Keine verbrechen, wo kein Täter, da kein Stadtknecht!) aus der Wache entlassen hatte, dafür, dass sie die unsere Götter schmähte...
Doch er tat es nicht. Sie war, so sehr sie nach seinem Empfinden von der Macht auch verändert worden war - sie kannten sich immerhin noch aus Kindertagen - doch nur ein Blatt, das im Wind des Reiches wehte. Jeder von ihnen war durch Eide gebunden, auf irgendeine Art. Was Lysander anging, gehörte das nun jedoch der Vergangenheit an, seit Eirene ihn von dem Schwur, den er als Hauptmann auf sie geleistet hatte, entbunden hatte.
Er war wieder frei, ungebunden, leer.

Gewiss, er hatte noch die Arbeit auf dem Leuchtturm, die ihm viel bedeutete, war er dem Meer doch so nahe, wie er es im Moment sein konnte. Dennoch war die Stadtwache ihm in den Jahren, die er dort gelebt, gearbeitet und geblutet hatte zu einer Art von zweiten Sippe geworden. Diese hatte er nun verloren. Was tun? Wochen saufend im Leuchtturm verbringen und mit dem Schicksal hadern? Damit war er durch.
Er erinnerte sich vielmehr der Zeit, als er noch für die Bande von Nikolaj als Schmuggler im alten Hafen gearbeitet hatte. Da war er vor der Wahl gestanden: Gehst du (als Spitzel) zur Stadtwache oder zu den Grauwölfen? Die Stadtwache hatte damals obsiegt. Nun, da sie keine Option mehr war, trachtete der Galatier danach, den Wölfen einen Besuch abzustatten.
Gestern hatte er auch schon Antwort von ihnen bekommen: Sie würden ihn unter Sold nehmen.

Wenn das Purpur des Königs ihm schon verwehrt wurde, würde er nun eben das Grau tragen. Geld stank bekanntlich nicht, ob es nun aus der Kasse des Löwensteiner Vogts kam oder der eines Auftraggebers - was spielte das nun schon noch für eine Rolle.

Und vielleicht konnte er seinem alten Freund aus Rekrutenzeiten in der Stadtwache noch eine helfende Hand reichen. Das würde die Zukunft zeigen.



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#10
Episode 10 - Zwischen Land und See

Im Heuert 1403
Löwenstein (Servano) und Thalweide (Ravinsthal)




Es war schon eine Krux.
Die Wölfe waren ihm ans Herz gewachsen, mehr noch, als einige Landsleute zum Söldnerhaufen gestossen waren. Die Grauwölfe wußten, wie man feiert, trugen vor den Kameraden ihr Herz auf der Zunge und standen beisammen. Ja, der Galatier fühlte sich unter all diesen Amhranern und wenigen Landsleuten pudelwohl. Und doch... nagte es an ihm.
Seit Monden pendelte er ständig zwischen Ravinsthal und Servano, schlief wenig und ging umso mehr zu Fuß. Er blieb immer einige Tage in Löwenstein, einige Tage in Thalweide; besonders die schwierigen Nächte, was das Wetter anging, stets in Löwenstein. Denn wie könnte er seine Kameraden auf See, die noch das Glück hatten, auf einem Schiff fahren zu können, im Stich lassen? Auf seinem geliebten Leuchtturm, der seine neue Heimstatt geworden war, fühlte er sich zudem geborgen und sicher. Kein Amhraner, der ihm vorschrieb, wie er zu leben hatte. Welchen Gott er anzubeten oder wie er seine Arbeit zu verrichten hatte.

In der Reichshauptstadt, deren Bürgerbrief er führte und dessen Leuchtturm er befeuerte, hatte er trotz der widrigen Umstände noch einen sauberen Leumund. Aye...trotz des Graus, das er trug, um genau zu sein. Denn der Hauptmann der Grauwölfe hatte sich in dem aufkeimenden Konflikt zwischen Königstreuen und Rebellen auf die Seite der Letzteren geschlagen - und mit ihm der Söldnerhaufen. Was Lysander betraf, so hatte er es bislang so gut es ging vermieden, Partei zu ergreifen und den Leuchtturm und dessen Wacht immer dann vorgeschoben, wenn es hieß, Aufträgen oder Befehlen zu entgehen, die seinen Überzeugungen widersprachen.
Wie lange das noch gut ging, war indes offen.
Doch es war nun einmal so, dass er seit seiner Entlassung aus dem Hauptmanns-Dienst der königlichen Stadtwache von Löwenstein für sich beschlossen hatte, nicht mehr Figur in den politischen Ränkespielen der Amhraner sein zu wollen. Er war zu den Wölfen gegangen, weil sie seinerzeit für Gold vieles (alles?) taten, ohne sich einer Sache mit Haut und Haar zu verschreiben. Ungebunden... aye.
War es damit jetzt vorbei? Es schien fast so.

Für den Moment wollte er sich jedoch keinen neuen Soldherren suchen und verlängerte den Wolfsbrief um weitere drei Mondläufe. Und es schien die richtige Wahl gewesen zu sein, denn während einem seiner Aufenthalte auf dem Leuchtturm erreichte ihn Kunde von einem Auftrag, den man ihm für gutes Geld zu erteilen gedachte.
Ein Mittelsmann, ganz in Grün gekleidet, trat - das war der Konsens nach einigem Austausch - im Namen des Fräuleins Sarah an ihn heran. Besagte Frau führte die "Geschäfte" im Viertel, das einmal des Galatiers neue Heimat nach seiner Ankunft in Löwenstein gewesen war und hielt eigentlich recht wenig von ihm. Man brauchte jedoch einen Seemann aus dem Milieu, der noch zur Bande der Jungs vom alten Hafen gehört hatte, und dessen Wort somit gewisses Gewicht bei einem bestimmten Menschenschlag hatte. Als ehemaliges Bandenmitglied und Schmuggler war Lysander da wohl der richtige Mann, selbst, wenn diese Zeit Jahre zurücklag. Er sollte nämlich eine Meute Piraten vom Strand im alten Hafen fortschaffen, die die Anwohner terrorisierten, auf dass die Viertelvorsteherin ihr Gesicht wahren konnte. Ob töten, abschrecken, bestechen oder anheuern - da war er frei in der Wahl der Mittel. Dass er womöglich noch ein Schiffskommando einsacken konnte, verschwieg der Galatier in der knappen Botschaft an seinen Söldnerhauptmann. Dafür sollte er für den Auftrag gutes Geld erhalten, wenigstens um die 40 bis 60 Schilling, von denen er die Hälfte an die Soldkasse abtreten würde. Das war die Abmachung bei den Wölfen, wenn man externe Aufträge annahm. Mit etwas Glück konnte er noch zusätzlich einen Bonus für sich einstreichen.

Der Galatier hoffte nur, dass ihm Einar nicht einen auf den Deckel gab, wenn er vom Auftrag las. Schließlich könnten böse Zungen behaupten, dass er für die Königsgarde arbeiten würde - was freilich Humbug war. Und selbst, wenn der vermeintliche Auftraggeber auch nur ein Strohmann war und sich mehr dahinter verbarg, als Lysander in dem Moment klar war... war es ihm gleichgültig. Das Ringen um die Macht im Reich war ein Kampf der Amhraner, nicht der Galatier. Mochten sie sich die Köpfe doch einschlagen - er würde weder der Königsgarde, noch dem Herzogring Gefolgschaft schwören. Galatisches Blut war zu wertvoll, als dass man es für Interessen der Amhraner vergießen sollte.



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