Der Pilger
#1
Herwig Frankenwardt Niederquell wurde vom Zetern seiner Frau geweckt. Schon wieder. Heute begann es äußerst früh, wie er an der aufgehenden Morgensonne durch das Fenster blitzschnell kombinierte. Wenn Grethildt Niederquell, seine Greta, beschloss, dass es an der Zeit war „tacheles“ zu reden, dann gab es nichts und niemanden, der sie daran hindern würde. Diesmal verschaffte sie ihrem Ärger, von der Zeterei abgesehen, dadurch Luft, dass sie die Betten machte, unabhängig davon, ob Herwig noch darin lag oder nicht.

Als er auch nur den Hauch eines Zuges an seiner Bettdecke spürte, beschloss er deshalb blitzschnell die wohlige Wärme seiner Schlafstatt zu verlassen und sich nun, nur in seinem Schlafkleid, mit den Problemen seiner Frau zu befassen. Er mochte auf einen Außenstehenden etwas armselig gewirkt haben, als er so dort stand, noch etwas fröstelnd und seine Frau unablässig auf ihn einredete. Meistens begann sie damit zu lamentieren, dass sie ihn niemals hätte heiraten dürfen und dass sie es bei anderen Männern sicher besser gehabt hätte. Hätte sie gewusst, dass sie einen Ehebrecher heiraten würde, wäre ohnehin alles anders geworden. Und wäre dieser Umstand nicht gewesen, hätte Herwig vermutlich schon längst den Mut gefunden, sie dorthin zu schicken wo buchstäblich der Pfeffer wächst.

Diese Episode war jedoch bereits überstanden und daher verstieg sich Greta nun darauf, immer wieder aus dem Fenster zu deuten und ihm darzulegen, dass bis vor wenigen Momenten noch nichts am Hofe getan war und sein Sohn, wie sie betonte, noch keinen Handschlag getan hatte. Ihre Kinder hingegen, hatten sich beinahe heldenhaft aufopfernd um dessen Arbeit gekümmert. Herwig kam nun die ruhmvolle Aufgabe hinzu, das ahnte er bereits, den Bastardbalg, wie Greta ihn in dessen Abwesenheit nannte, aus den Federn zu holen.

Die offenkundig freilich rhetorische Frage ob er denn wisse, warum sie „den Fehltritt“ - die andere Bezeichnung für den jungen Mann, der in einem einsamen Stallzimmer sein Leben fristete – durchfütterte, hörte Herwig schon fast nicht mehr als er sich notdürftig angekleidet hatte und bereits auf dem Weg nach unten war. Die Antwort darauf kannte er mittlerweile auch bereits auswendig: Aus Liebe. Greta, mit ihrer fürsorglichen Art, tat nämlich alles aus Liebe. Zu ihm, zu den Kindern, ja selbst aus Liebe zu dem Bastard für den sie sich natürlich in jeder freien Minute aufopferte, wie sie betonte.

Dass es der Art des Jungen gar nicht entsprach, morgens nicht als erster im Stall und auf der Weide zu sein, das hatte sie bei der ganzen Aufopferung jedoch wohl vergessen. Deshalb war Herwig auch der einzige, der sich einigermaßen sorgend auf den Weg zu dessen Zimmer machte, in der freudlosen Erwartung dass sich der junge Mann vielleicht selbst einen Strick genommen hatte um seiner kummervollen Existenz ein Ende zu machen. Herwig zumindest, hatte mit diesem Ende bereits selbst das ein oder andere mal kokettiert, freilich gleich nachdem er seiner liebevollen Frau den Rachen bis zum Atemstillstand mit Gänseschmalz gefüllt hatte.

Als er die Treppen hinaufgestiegen war, fand er jedoch nur das Zimmer seines Sohnes vor. Es war wie üblich ordentlich hinterlassen und einzig ein Paar der zahlreichen Bücher und seine Kleidung fehlten. Ein einzelnes Papier jedoch brachte Herwig die Aufklärung über das Fernbleiben seines Sohnes, nach der Greta so nachdrücklich verlangt hatte.

Beim Lesen kam Herwig der Gedanke, dass sich sein Sohn bereits lange mit dem Gedanken getragen hatte, den er nun in Tat umsetzte. Die makellose Schrift und die saubere Formulierung legten zumindest den Schluss nahe, dass es ihn viele Anläufe gekostet hatte, diesen letzten Teil seines Lebens auf dem Hof zu dokumentieren:

Zitat:Höchst verehrter Vater, höchst verehrte Frau Niederquell!

Viele Jahre wurde ich nun aufopferungsvoll umsorgt, obschon in Schande gezeugt. Nicht länger kann ich es hinnehmen, Euch zur Last zu sein und Euren langen und aufopferungsvollen Weg der Ehe weiter mit Steinen zu beladen. Mich grämt es, von Eurem Essen und Eurem Trinken zu nehmen und dies nur mit einfacher Stall- und Feldarbeit vergelten zu können. Ich gebe Euch nicht mehr als ein in Dienst gestellter Mittelloser geben könnte, nur dass ihr die Wahl über dessen Anstellung hättet selber treffen können.

Ich habe nun erkannt, dass Ihr nicht weniger getan habt, als Eure Schuld im Angesicht des einen Herren Mithras durch Eure Taten zu reinigen und hoffe, dass für dessen Aufopferung niemals über meines Vaters Person weltliches Gericht gehalten werden soll, für den einen Moment, in dem er nicht der starke und vorbildhafte Mann war, den ich einen Vater nennen darf.

Ich habe weiterhin erkannt, dass meine Existenz selbst ein Schandfleck ist, über den es zu richten gilt und ich hoffe, dass die heilige Kirche des Mithras es vermag, mir diese Sünde von der Seele zu nehmen, auf dass ich nicht als der Frevler dem Antlitz dieser Welt entsteige, als der ich in sie hineingeboren wurde.

Also verabschiede ich mich in der Hoffnung, dass mein Ansinnen allein mich heil' nach Löwenstein führen wird, ohne dass ich in Raub, Schändung und Eiseskälte am Wegesrand sterben möge und das Ende finde, welches ich doch so sehr fürchte.

Werter Herr Vater und werte Frau Niederquell, seid versichert, dass ich Euch nicht weiter zur Last fallen werde, auch wenn die hochheilige Kirche meinen Leib nicht von der Schande zu befreien in der Lage sei, in die ich hineingeboren ward. Selbst dann, wenn all' meine Hoffnung auf einen reinen Geist versiege, werde ich freilich andernorts eine Aufgabe finden, die meinem Stande entspricht, ohne dafür von Euren Sachen zu nehmen. Seid zudem versichert, dass ich Euch einen Boten schicken werde, der Euch für die Kleider entschädigt, die ich mit auf den Weg nach Löwenstein genommen habe, fürchtete ich doch der Unzüchtigkeit beschuldigt zu werden, wenn ich im besten Ansinnen, doch aber nackt meinen Weg angetreten wäre.

In Ergebenheit und Dankbarkeit,
Arhenius

ps: Meinen Halbbrüdern sei gesagt, dass ich mich für die Unpässlichkeit zur morgendlichen Stallarbeit entschuldige.


Und so ging das Leben auf dem einsamen Hof in Candaria nach einer kurzen Störung weiter. Der alte Herwig würde sich zwar noch lange fragen, ob sein unehelich gezeugter Sohn sein Ziel erreicht hatte – aber eigentlich waren alle am Hofe froh, dass sie nun vorgeben konnten, der junge Mann hatte niemals im Leben der Familie Niederquell existiert. Und so beschloss man, um den Familienfrieden bemüht, dass man nie mehr über den jungen Mann, den sie als Arhenius Niederquell aufzogen, sprechen würde.
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#2
Das Nachtgebet war lange vorbei und die Diener der Kirche des Mithras hatten bereits wieder ihre Betten bezogen und sich dem sicheren Schlaf unter Seiner Wacht anvertraut, da begann einer wieder seine Augen zu öffnen, getrieben von dem eigentümlichen Bedürfnis, einen Teil der Nacht nicht in seiner ihm anvertrauten Schlafstatt zu verbringen.

Unter dem leisen Geräusch nackter Füße und dem beinahe tonlosen Rascheln seiner Robe begab sich der Anwärter aus seinem Quartier in die Schreibstube und entzündete eine Kerze. Das Kerzenlicht durchschnitt die in den Raum eingedrungene Dunkelheit wie das Leuchtfeuer eines fernen Hafens den Schiffen auf dem weiten Ozean die sichere Heimstatt weist. Die Dunkelheit indes, hatte keine andere Wahl als einen Teil des Raumes wieder freizugeben, in dem sich nun der Anwärter befinden sollte.

Ein kleines, unscheinbar gebundenes Büchlein wurde mit den noch immer von Entkräftung gezeichneten Fingern betastet und befühlt, als seien die Augen nicht imstande, sich der tatsächlichen Existenz dieses Buches zu versichern. Mit aller gebotenen Vorsicht öffnete der junge Mann das Schriftwerk und blätterte ohne Hast und mit aller Bedacht voran um zu den noch unbeschriebenen Seiten zu gelangen.

Der rasche Blick auf jede der bereits beschriebenen Seiten offenbarte nicht nur die Handschrift des neuen Kirchendieners, sondern auch so manch andere persönliche Information, die er bislang nur der stummen Beichte der Schrift anvertraut zu wagen gedacht hatte.

Nurmehr rasche und geübte Handgriffe machten eine Feder alsbald schreibbereit und begannen nach einer beinahe kunstvollen Pause, in der sich der Anwärter der Geschehnisse seit seiner Abreise vom Heimathofe nochmal gewahr machte, ihre Magie in Form des Schreibens zu wirken.

„Zwei Tage sind vergangen“, begann er zu schreiben und dabei seinen Zügen die Entspannung zu schenken, die der Schlaf ihm nicht zu gönnen vermochte. „Zwei Tage sind vergangen, seit der Klerus der heiligen Kirche des Mithras meinem Wunsch stattgab, mich als Anwärter in ihre Reihen aufzunehmen. Obschon mancher sagen würde, Du seist nur ein seelenloser Gegenstand, dem ich Banalitäten als Geheimnisse zu verkaufen gedenke, so empfinde ich doch die Schuld, als hätte ich einen wartenden und liebenden Menschen zurückgelassen.

Ich kehre also mit einer Entschuldigung zurück. Einer Entschuldigung, erst jetzt meine Feder wieder dem Papier Deiner Seiten zu widmen und Ihnen anzuvertrauen, was Du selber weder erleben noch empfinden kannst. Unser Weg, das weißt du selbst am allerbesten, war beschwerlich und doch vermag wohl kaum eine der anderen jungen Seelen im Tempel zu ahnen, wie wohltuend die schwere Arbeit im Tempel im Vergleich zu unserer Reise nun ist. Das erste mal, als wir unserer Münzen beraubt, getreten und im Dreck liegen gelassen wurden, war es mehr Glück als Wille, dass wir nicht getrennt blieben und ich danke Mithras für seine Weitsicht, dich nicht von meiner Seite genommen zu haben. Denn in der darauffolgenden, kalten Nacht fand ich nur Trost in den Zeilen die nun auf ewig Dein und somit unauslöschbar sind.

Den zweiten Überfall ahnten wir bereits voraus und ich konnte nicht umhin, Dich dort zu verstecken, wo man nur die zärtliche Berührung einer Frau hinlassen würde, was mir bei den anschließenden Prügeln nicht nur Deinen, sondern auch den Erhalt meiner Männlichkeit sicherte.

Ich fürchtete, ich würde wie ein Hund in der Gosse sterben und doch türmten sich irgendwann die hohen Mauern und Dächer Löwensteins vor mir auf, wie eine rettende Insel, die man nach langer Irrfahrt zu erreichen gedenkt und bei der es vollkommen gleich ist, ob sie schmutzig, sauber, nett oder freundlich ist. Sie ist der Ort, an dem die Uhr des Lebens nicht mehr den Stillstand auszurufen gedenkt, sondern die Glockenschläge aller Uhrwerke der Stadt zusammen im Fanal das Überleben besingen – ungehört von jenen die schon ewig dort leben, ungesehen von jenen die nur des Handels wegen gekommen sind – aber ein Blick ins Elysium für denjenigen, der sich schon längst im Zustand der lebendigen Verwesung glaubte.

Zitrrig und scheu, wie einen Gossenhund zum rettenden Knochen, trieben die Massen unbekannter Gesichter meinen zermarterten und entkräfteten Körper durch die Straßen, ohne auch nur Notiz von mir zu nehmen bis sich mitten in dieser rettenden Insel ein Glanz auftat, Gesang meine Ohren erfüllte und Licht meinen Blick blendete. Der Tempel des Mithras war ein derart gewaltiges Gebäude, dass ich es selbst in meinem dem Delirium nahen Zustand leichtweg als Liebeserklärung an den einen Herren identifzieren konnte und es voller Vermessenheit wagte, mich in dessen Schatten zu setzen, in der Hoffnung aufgelesen zu werden.

Auf den Gedanken, den Tempel eigenmächtig zu betreten, kam ich gar nicht erst, so hatte mich die Ehrfurcht ergriffen und mir vor Augen geführt, wie niedrig meine Existenz nurmehr wahr. Einzig der Barm- und Warmherzigkeit einer gläubigen Bürgerin Löwensteins verdanke ich die Führung in das Innere, das Bollwerk gegen Chaos und Dunkelheit, das Zentrum der Ordnung eines ganzen Reiches.

Sie nahm meine Hand und führte mich direkt in die Arme der Priesterschaft, die, obschon sie mich ob meiner niederen Erscheinung hätten fortjagen können, sich meiner annahm, meinem Leib Kleidung, meinem Geiste Nahrung und meiner Existenz wieder einen Zweck gab!

Wenngleich die Arbeiten zahlreich, die Regeln streng und die Tage lang sind, so fühle ich mich, als wandelte ich jeden Tag auf's neue im Lichte einer beschwerlichen aber wundervollen Zukunft.“


Der Anwärter taxierte mit einem raschen Blick auf die Kerze dessen weiteren Brennkraft und strich mit der freien Hand beinahe liebkosend über eine weitere, freie Seite. Es schien ihm Schmerz zu bereiten, seine Zeilen hier enden zu lassen, obwohl sie doch eigentlich so hoffnungsvoll waren. So viele Sachen jedoch blieben unerwähnt. Nach einer Weile des Abwägens entschied er schließlich, noch einige Zeilen zu Papier bringen zu müssen.

„Es grämt mich, dass unser Wiedersehen von nur so kurzer Dauer war und doch ersehne ich die nächste Gelegenheit, in der ich dir anvertrauen kann, was im beschwerlichen Alltag des guten Werkes an unserem Herren Mithras so schnell an mir vorbeizieht. Denn nicht nur schwindet die Leuchtkraft der Kerze, die ich entzünden musste, um mir einen kurzen Moment im Lichte zu erkaufen, sondern auch will ich nicht das Erwachen einer Schwester im Geiste verpassen, der ich gelobte, meiner Schlafstatt nicht fern zu sein, wenn es denn die Zeit zum Erwachen ist.

Wenngleich ich nicht weiß warum, so grämt sie sich mit schrecklicher Trauer und wie gering hätte ich mich zu schätzen, würde ich darob mein Wort nicht halten. Und so schließe ich, in der Hoffnung, dass wir bald einander wieder anvertrauen können und ich Dir voll Stolz berichten kann.

Auf bald, Mutter.“
schrieb er noch, als die Kerze im gleichen Moment erlosch und den jungen Anwärter in der Dunkelheit der Schreibstube zurückließ. Während er in der Lichtlosigkeit seine Feder trocknete und dem versiegenden Rauch des Kerzendochts als Schatten vor den verzierten Fenstern mit seinem Blick folgte, war da doch ein einzelnes Licht, welches sich im Raum beharrlich vor dem Versiegen sträubte. Es war das Aufblitzen einer einzelnen Träne, die bald schon die Wange des jungen Mannes hinabrennen sollte.
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#3
Der Weg. Der Novize schloss die Augen. Es gibt nur den einen Weg. Mithras. Und er ist so schmal, so unendlich schmal. Wie Betrunkene torkeln wir darauf und versuchen ihn gradlinig zu gehen, aber driften doch immer ab, in die Dunkelheit der wir eigentlich so entschieden entgegentreten wollen.

Die Ordnung kennt keine Stufen, keine Grade, keine Maßeinheiten. Es gibt nur Ordnung oder Chaos. Sie ist das Gewicht, dass uns immer wieder auf den Pfad zurückzieht, uns wie Falter dem Licht unseres Herrn entgegendrückt und wir sind unfähig dem Ruf zu entsagen. Wir sind willentlich Gefangene unserer Seelen, die kein geringeres Ziel als das Licht Mithras' kennen. Und doch beflecken und beschmutzen wir uns dabei, nur um uns Tags darauf zu säubern und erneut zu beflecken und zu beschmutzen. Bis wir angekommen sind. Irgendwann.

Der Körper des Novizen fühlte sich in dieser Nacht schwerer an, wie ein Bleigewicht, welches ihn in sein Bett hinabzog, hinunter. Es war in so kurzer Zeit so viel passiert und Arhenius hatte sich im Mahlstrom der heiligen Kirche des Mithras mitreißen lassen wie ein selbstmörderischer Seefahrer im Strudel eines Monstrums auf hoher See. Stolz über die Errungenschaften, die Indoktrination, verlieh ihm Auftrieb – Scham und Ärger über seine Verfehlungen in der kurzen Zeit seiner Novizenschaft schienen ihn unter die Oberfläche zu drücken, ihm den Atem zu nehmen. Ungeachtet beider Alternativen, er versank immer tiefer im Strudel des Glaubens, der Kirche. Willentlich, begierig obwohl niemand genau sagen konnte was ganz unten, am Ende der Zerstörung des Wiederaufbaus durch Demut, Folgsamkeit und Gehorsam wartete.

Wie einer Droge, einem tiefen Rausch war er dennoch unfähig all' dem zu entfliehen und sich von der heiligen Kirche und ihrem Glauben, wie er es sich immer gewünscht hatte, prägen und formen zu lassen. Jede Handlung, egal ob gut oder schlecht, jede Erfahrung, ließ seinen Geist entflammen und ihn Neues erlernen und in dieser Nacht spürte er erstmals, wie sein Körper unter dieser Last seinen Tribut forderte. Er wollte schlafen, ausgeruht für den nächsten schweren Tag auf dem Weg sein, doch sein Geist entließ ihn nicht. Er forderte mehr, forderte die Verarbeitung all' dessen, was passiert war.

Allem voran, bohrte sich immer wieder eine Empfindung, wie ein Stachel, in den nächtlichen Ausflug seiner Gedanken: Die Enttäuschung, das Schwinden allen Eifers aus Athanasias Blick als sie hörte, dass er vor ihr seine Indoktrination empfangen hatte. Er kannte diesen Blick, diese Kraftlosigkeit als würde er in einen Spiegel blicken, einen Spiegel in dem er sich vor wenigen Tagen selbst gesehen hätte. Ein Spiegel, aus dem sie, seine Schwester, dieser ihm so teuer gewordene Mensch auf dem gemeinsamen Pfad, ihn befreit hatte.

Oh wie gerne hätte er sich sein Amulett mit der hölzernen Sonneninsignie vom Hals gerissen, wenn er damit das Leid dieses stolzen, dieses kraftspendenden Menschen hätte tilgen können! Zu Erkennen, dass es ihr genauso wenig Fortkommen brächte, dass die Dinge geschehen waren, wie sie nun einmal geschahen, schmerzte ihn und erfüllte ihn mit Kraftlosigkeit. Er fühlte sich, als hätte er ihr Vertrauen, dieses Grundvertrauen, was zwischen ihnen bestand, beschmutzt, auch wenn sie anderes beteuerte und sich seinen Armen anvertraut hatte.

Vielleicht, so mutmaßte er, war dies nun seine Prüfung. Nicht, dass nicht jeder Tag auf dem Pfad des lichten Herrn Mithras, schon eine Prüfung für sich war, nein – dies war eine besondere. So wie seine Schwester ihm stets Trost zu spenden vermochte, war es nun an ihm, ihre Kraft nicht versiegen zu lassen, ihr dort Licht zu geben, wo nur Dunkelheit herrschte. Nicht nur aus reinem Pflichtgefühl, sondern auch aus der ehrlichsten Zuneigung, die ein Mensch wohl für einen anderen empfinden konnte – ohne Hintergedanken und mit absoluter Bedingungslosigkeit.

Sie alle, Sonnenlegion und Priesterschaft, waren ein Schiff, getaucht in Licht auf einer schwarzen See. Und wenn ein Teil der Mannschaft von Bord zu gehen drohte, war es die Aufgabe der anderen, das rettende Seil auszuwerfen. Diese Analogie hatte er in den letzten Tagen oft vor seinem geistigen Auge gesehen und empfand sie als passend. Seine Beziehung zu seiner Schwester, zu Athanasia jedoch, ging für ihn darüber hinaus. Er war sicher, wenn sie untergehen würde, würde er ebenso ertrinken. Und obwohl dieser Gedanke Furcht hätte auslösen können, gab er ihm Stärke und Sicherheit. Und vor allem eines: Klarheit.

Und mit diesen letzten Gedanken schaffte es der Novize dann doch, den Rest der Nacht schlafend zu verbringen, trotz des regelmässigen Hustens einer einzelnen Priesterin, die einige Betten weiter schlief.
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#4
Erst spät wird der Novize es an seine Schlafstatt in dieser Nacht geschafft haben. Spät – und aufgewühlt. Der unruhige Schlaf einer einzelnen Priesterin im Raum, allem voran die Gedanken daran ob sie jemals wieder voll genesen wird, wenn sie ihren Leib weiter so schindet, tun ihr übriges um dem jungen Mithras-Diener jeglichen Schlaf zu verwehren.

Der ruhige Schlaf der Mithras Dienerin direkt neben ihm hingegen - zumindest erscheint sie in in ihrem Bett nicht besonders geräuschvoll - scheint immerhin etwas besänftigend zu wirken, wenngleich auch um sie seine Gedanken kreisen, die durch die wohlmeinenden Worte eines Legionärs erst recht in Bewegung gebracht wurden.

Und doch – wo es so viel gäbe, um dass es sich zu sorgen und grübeln lohnte, kehren seine Gedanken stets wieder an einen Ort zurück. Zum Schiff. Zum Feuer. Der Novize schließt die Augen und beginnt die Luft einzusaugen, eine Luft die nicht mehr die des Raumes ist, sondern die rauchgeschwängerte, verkohlte Luft im Sumpf. Bruchstückhafte Teile seiner Erinnerung führen ihn zurück zum Entfachen des Feuers durch die Priesterin, Gebete, Worte des Glaubens – und schließlich: Das Gebet. Der Novize kann, selbst mit geschlossenen Augen, das Beben in seinem Körper spüren, die Aufregung, die innere Euphorie, ja sogar die Erregung, als das Feuer unter dem Donnern ihrer Worte immer höher schlug, mächtiger wurde. Die Wärme der Flammen drang an seine Haut wie die liebkosende Wange einer nackten Geliebten und er selber wollte nicht mehr als diesen Gedanken auf ewig festhalten, sich darin verlieren, sich selbst zum Gefangenen des brennenden Wracks machen.

Mithras' Feuer verschlang, forderte ein und wurde stärker, je inbrünstiger die Worte der Kleriker wurden. Ein Schaudern zog über seinen Körper hinweg und begann, seine eigene Hitzeproduktion zu steigern, als müsse ihm etwas peinlich sein oder als sei er einer entkleideten Schönheit begegnet. Der Körper des Novizen wusste nicht wohin mit seinen eigenen Gefühlen und der Sucht, der Sehnsucht nach den Flammen, die wahrscheinlich längst verloschen waren. Kurz blitzte der Gedanke des Jehann-Hundes in seinen Gedanken auf, wie er erwartungsvoll zu seinem Herrchen blickte, aus seiner angeleinten Gefangenschaft doch nichts negatives zu berichten wusste und hechelnd jedem Knochen nachjagte. Das Feuer war in dieser Nacht sein Knochen. Es war nicht etwa so, dass es die Flammen, die Wärme an sich waren – hätte er doch mit ein paar Zündhölzern schnell beliebig viele Feuer entfachen können. Nein, es waren die heiligen Flammen, derer er angesichtig geworden war, dieses Aufwallen von Stärke und Macht, welche die Flammen über das zerfallende Schiff erlangten als ihre Gebete stärker wurden und sie sich immer mehr in den hochschlagenden Zungen des ausgelösten Infernos verloren – oder zumindest hatte Arhenius das getan.

Er fühlte sich den Flammen so verbunden, wie seinen Händen, seinen Innereien, seinem Herzen und er spürte, je länger er seine Gedanken zurückführte, wie stark sich diese Empfindungen in eben jenes Herz hineinbrannten und sich klauenartig darum krallten. Die Flammen waren eine Entscheidung gewesen, ein gemeinsamer Wille, eine Verlängerung dessen was sie unter Anleitung der Priesterin zu vollbringen gedachten. Dem Schiff war jegliche Existenz verweigert worden und der Herr nahm es aus der Gleichung der Welt heraus, entfernte es schlicht und ergreifend durch das Feuer. Diese heiße, hell leuchtende Glut, die sich über alles legte, sich wild und ungezähmt am Ende seinen Weg über alles bahnte, was sich ihm entgegen stellte – ein aus Hitze und Feuer geschmiedeter Bezwinger der Wirklichkeit. Der Körper des Novizen bäumte sich inmitten dieser Gedanken auf, nicht aus Unwillen, nicht Schmerz, sondern aus Sehnsucht, diese Empfindungen nicht nur denken, sondern neu erleben zu können, das Feuer wieder zu einem Teil von sich zu machen, auch wenn er nur einen Beitrag geleistet hatte, eine Teilmenge des Ganzen gewesen war.

Das Aufbäumen war der finale Akt, der Moment in dem er die Augen öffnete und sich der Tatsache gewahr wurde, dass er am Schwitzen war und dass er in der mittlerweile dunklen und stillen Schlafkammer lag, wo nur die anderen Novizen, Anwärter und die Priesterin schliefen. Wo nur das mal mehr mal weniger ruhige Atmen seiner Bettnachbarin und das Husten und Keuchen der Priesterin die Nacht durchbrach und ihn wieder in die Wirklichkeit zurückholte.

Beschämt, als seien die soeben wieder in die Erinnerung entrückten Gedanken nicht mehr als ein Akt der Selbstbefriedigung gewesen, blickte der Novize an sich herunter und stellte mit Erleichterung fest, dass lediglich Schweiß und Wärme seine Kleidung an ihm haften ließen. Mit diesem letzten Gedanken der Erleichterung fand Arhenius Niederquell dann schließlich auch den ruhigen Schlaf, den sein Körper mittlerweile so sehr benötigte – bis ein neuer Tag anbrechen würde.
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#5
Während die ersten Sonnenstrahlen sich durch die milchig-weiße Wolkendecke zu bohren begannen und der noch immer in das schwindende Zwielicht der letzten Nacht getauchte Wald zögernd unter seinem aus Nebel geformten Schlafhemd entschlüpfte, schritt ein einzelner, roter Farbklecks durch diese Kulisse aus der jeder nur erdenkliche Aberglaube entspringen konnte. Wie ein entrücktes Element einer Geschichte, das Stück eines Puzzles, für welches man bis zum Ende keine Verwendung haben würde, schritt die berobte Person mit einem buchstäblichen Gottvertrauen durch den Wald, der soeben im Begriff war, die Nachtschwärmer des Tierreiches zu verabschieden.

Der Rote hingegen schien all' das jedoch weder wahrzunehmen, noch ein tieferes Interesse für das ihn umgebende Tierreich zu haben. Hier und dort sah man ihn, wie er eine Pflanze dem Boden entriss, nachdem er sie kritisch beäugt hatte und sie nach hinreichendem Ausschütteln in einer kleinen Tasche verbarg. Mal war es eine wild wachsende Karotte, mal ein Pilz, mal ein Kraut, als sei der Robenträger nicht in jeder Hinsicht wählerisch.

In jedem Fall wirkte es nicht wie geschäftsmäßige, schnelle Arbeit sondern vielmehr wie eine Wanderung die ihn von einer bemerkenswerten Sache zur nächsten trieb, wobei der Novize scheinbar auch dem Weg den er dabei zurücklegte, kaum Beachtung schenkte.

Gedanken einer Welt die fernab der Natur stattfand, waren die stillen Begleiter des Berobten: Aufgaben, die vor ihm liegen würden, Gnaden Terans Gesundung, die ganz eigenen Probleme seiner Schwester und letztlich auch das Ableben dieser Ayween. Selbst jetzt noch hatte er das Gefühl, dass er nicht genug getan hatte, um sie wieder zum Licht zu führen, wenngleich er stets machtlos ob ihrer Einfältigkeit in Bezug auf den Glauben und die Kirche gewesen war. Sie würde in den Feuern des Purgatoriums viel zu erklären, viel abzuleisten haben bis ihre Seele – wenn denn überhaupt, zu Mithras fahren würde. Das lag nicht mehr in seiner Hand. Wahrscheinlich tat es das nie und doch konnte sich Arhenius nicht dem Gedanken verschließen, dass es hätte anders sein können.

Mit einem Blick, der erst mit Verzögerung wieder in das „Hier und Jetzt“ zurückkehrte, sah der Novize von einer Brücke hinab auf einen Wasserlauf, dann auf den Wald der sich weiter vor ihm auftat. War das bereits der Flüsterwald? Ein Blick nach hinten, dort wo man in einiger Entfernung die hohen Mauern Löwensteins noch gerade so erkennen konnte, bescherte ihm Bestätigung. Er war selten weiter gegangen als bis zu dieser Brücke, obschon ihre schiere Existenz eine Neugier verheißen ließ, was für Mysterien, für unentdeckte Geheimnisse dahinter liegen mochten.

Die Luft war frisch und klar, das Wetter nicht schlecht, auch wenn Mithras' Strahlen noch immer tapfer mit der dichten Wolkendecke rungen. Die Winterkälte, so mutmaßte er, würde vermutlich viele der wilden Tiere ohnehin in ihren Bau oder ihre Nester treiben, anstatt ziellos durch den Wald zu streifen. Mit endlos falscher Gewissheit beschloss der Berobte also auch dieses Stück Servanos zum Teil seiner Wanderung zu machen, zu dem Teil des Tages der ihn meist erholter zurückkehren ließ, als die vergangenen Nächte es vermochten.

Dennoch bemühte er sich um Vorsicht, darum mit scharfem Blick und wachem Verstand durch den dichten Wald zu schreiten, wenngleich zumindest letzterer bald wieder in das Labyrinth seiner eigenen Gedanken eintrat und dem dort verborgenen, sprichwörtlichem Minotaurus nachjagte, in der Hoffnung dass dieser zumindest einen Teil des Rätsel lösen würde, den sein Weg in den kommenden Wochen darstellen würde.

Justans … Ehrwürden Schumanns Worte hatten die unangenehme Eigenschaft gehabt, ihm in diesem Zwischenstadium seiner wachen Gedanken und den tief im Reich seiner Seele verborgenen Wünsche und Sehnsüchte immer wieder vor Augen zu treten. Wie eine Barriere traten sie an die Stelle, wo keine sein sollte. Wie Ketten, die ihn von etwas wegzogen, bevor er die Kraft fand, ihren Zug beiseite zu stellen. Sein Ergebnis war, dass er tatsächlich zu viel nachdachte und zu wenig dem folgte, was seine Seele, sein Geist zu vollbringen imstande war. Ein vager Gedanke zurück an das Feuer und die Nacht danach, die seinen Körper als die Hure seines eigenen Verlangens zurückgelassen hatte.

Es war beinahe, als hatte so viel an Bedeutung verloren, seit diesem Abend, dieser Nacht, als sei etwas hervorgetreten, was er vorher nicht in sich vermutet hatte und das sich nun ungefiltert und schleichend die Herrschaft über ihn zu nehmen suchte. Es war ein Zwiegespräch zwischen seiner Angst um Kontrollverlust und das Sehnen, diesem – ja, was war es eigentlich? - Neuen seinen Raum einzuräumen. Wie man einen geliebten Menschen nicht ziehen lassen will, weil man die Leere fürchtet, die einen sonst überkommt, weil man die Unvollständigkeit fürchtet, von der man vorher gar nicht wusste, dass man sie litt, fühlte er sich mit seiner Angst im Widerstreit. Der Angst, dass er irgendwann nachgeben musste.

Stille holte den Novizen zurück in die Wirklichkeit, Stille und das Aufstellen seiner Nackenhaare. Ein Geräusch, unmittelbar bevor alles um ihn ruhig zu werden schien, hatte seine Nackenhaare sich aufstellen und seinen Körper anspannen lassen. Angst. Erneut und diesmal rein körperlich. Angst um sein Leben.

Ohne es zu merken hatte er eine kleine Lichtung betreten, die den Wald um ihn herum wie eine Kuppel aus Holz und Laub wirken ließ. Er hörte ein Rascheln, direkt von vorne. Sein Herz begann schneller zu schlagen, Unschlüssigkeit brandete in ihm auf – Rennen oder einfach still stehen bleiben? Würde das Rennen das wilde Tier, was sich dort vielleicht verbarg, erst noch anstacheln? Würde er sich ausliefern, wenn er hier einfach nur stehen blieb? Seine Gedanken rasten – nicht mehr in der Ferne, sondern in der Realität, aus der es nun kein Entkommen gab.

Es raschelte erneut und schließlich brach nicht nur eines, sondern mehrere Ferkel mit braunem Fell aus dem Dickicht heraus und liefen scheinbar auf ihn zu. Der Novize atmete erleichtert aus, begann sich zu entspannen und folgte den kleinen Rackern auf ihrem Ausflug belustigt mit seinem Blick. Sie liefen auf ihn zu und an ihm vorbei. Keine Gefahr. Wie beiläufig drehte sich der Berobte den Tieren nach und nahm erst dann das deutlich kräftigere Scharren von Paarhufen wahr, welche zu der aufgebrachten Mutter und somit zu dem ausgewachsenen Wildschwein gehörten, das die Gefahrlosigkeit für ihre Ferkel offensichtlich anders definierte.

Mit einem Grunzen oder Quieken, so genau konnte der Novize das dann doch nicht einordnen, in jedem Fall recht nah daran wie Arhenius sich den Kriegsschrei eines Wildschweines vorstellte, begann das Tier auf ihn zuzurasen – und damit auch der Berobte mit von seinem Kopf wehender Kapuze davonzurennen.

Jetzt dachte er nicht mehr nach, sondern tat das einzige, was nun wichtig war: Überleben oder zumindest nicht mit allerhand gebrochenen Knochen im Wald liegen bleiben und vom nächstgrößeren Tier gefressen werden. Das Knacken unter seinen Füßen und das Krachen unter den Hufen des stetig näherkommenden Verfolgers sorgte dafür, dass kleinere, verschreckte Waldbewohner aus dem Unterholz links und rechts der beiden ungleichen Kombatanten wie kleine Pfützen angstvollen Lebens davonhasteten bis schließlich passierte, was ohnehin zu erwarten war: Der Novize stolperte und landete der Länge nach im Waldboden und spürte kurz davor, wie sich das walzende Gewicht des Tieres in seine Seite bohrte und ihn davonschleuderte.

Im Aufbranden von Schmerz hefteten sich seine Augen an einen umgestürzten Baum und dessen Wurzelreich, welches Gitterstäben gleich noch zu guten Teilen mit dem Erdreich verbunden war. Unter dem unerbittlichen Traben, welches erneut an seine Ohren drang, zwängte sich der Novize in die aus Dreck, Schmutz und Wurzelreich geformte Kuppel, an der Mutter Schwein nach einem ersten, verzweifelten Anlauf nicht vorbeikam und nun mit aller Macht daran zu schaben begann.

Sein Körper schmerzte und er fühlte Schwindel, während seine Augen zwanghaft nach einer Möglichkeit suchten, das selbstgesuchte Gefängnis zu verlassen, ohne dass das Tier einen erneuten Angriff starten würde. Sein Bitten an seinen Herrn, ihn nicht so, nicht hier verenden zu lassen, war weitestgehend nicht mehr als ein Stammeln, während die Erkenntnis des großen Fehlers, den er gemacht hatte, in ihm aufzuflammen begann. Er sah sich als das, was er war: Ein kleines Licht im Leuchtfeuer der Lebewesen, die in den Tiefen dieser Welt, der Natur, fernab der von Mithras gegebenen Ordnung lebten, in die er sich so sorglos hineinbegeben hatte. Seelenlose Diener, Gegenstände, Werkzeuge des Chaos, das die Natur darstellte und von denen einer nun danach trachtete, einem Diener der Ordnung das Handwerk zu legen.

Immer kleiner, hilf- aber auch harmloser fühlte er sich. Was würde er schon ausrichten können, welche Gefahr konnte er für diese Kreatur schon sein, die nur aus einem Instinkt, aus einer Gewohnheit heraus eine Gefahr für ihre Zöglinge gesehen hatte, die niemals bestanden hatte? Der Novize schloss die Augen als erneut eine Welle des Schmerzes in ihm aufwallte und sein Kopf sich dagegenzustemmen begann, beinahe brüllte, dass es hier nichts zu holen gäbe, nichts für das sich die Anstrengung lohnen würde und nichts, für das man weiter die wertvolle Kraft einsetzen musste, wenn die für den eigenen Fortbestand so wichtigen Ferkel doch schon längst weit weg und in Sicherheit waren. Hier gab es nichts. Nichts außer einem harmlosen, verirrten Novizen, der sich dem Wunsch ergab, dieser blinden Wut mit all' der Gefahrlosigkeit entgegenzutreten, die er aufbieten konnte. Hier gab es nichts. Nichts.

Das Rufen einer fernen Krähe drang an die Ohren des Berobten und er öffnete, als hätte er unendlich lange geschlafen, die Augen. Das in den Wald herabdringende Licht sprach dafür, dass es tatsächlich später geworden war und zu seiner Überraschung hörte man nur den Gesang der Vögel und das Krächzen mancher Krähen. Die Spuren an den Baumwurzeln waren frisch, der Dreck an seiner Robe und vor allem der Schmerz an seiner Seite waren mehr als nur Versicherung darüber, was gerade eben passiert war. Arhenius hatte das Gefühl, sich verausgabt zu haben, fühlte dieses matte, schwere Gefühl in seinen Knochen und noch immer den leichten Schwindel, der ihn auch am Boden umgeben hatte.

Auf dem Rückweg, den er stets auf den Wegen zurücklegte, die ihm der Wald offenbarte, beschlich ihn jedoch noch etwas: So matt wie er sich fühlte, so erschöpft wie er war, begleitete ihn doch das frische Gefühl einer Veränderung die er nun greifen konnte, die er, wenn auch unkontrolliert, nutzen konnte.
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