Schatten der Götter
#1
Es war ein seltsamer Abend. Ein Sermo, den mehr Mithrasgläubige als Mondwächter besuchten, und der begleitet war vom Stürmen und Regnen des Spätwinters - oder Frühlingsbeginns, je nachdem wie man die Zeit denn rechnete.
Die zwei Angestellten des Hauses Jehann, Arelia und Justan wie sie sich vorgestellt hatten, zeigten beide jene Art von Sorge in ihren Mienen, die erst nach langem Harren und Bangen entstanden sein konnte und die sich so tief in ihre Gedanken gebohrt hatte, dass sie fast schon zu ihren Wesen gehörte.
Die Worte die sie sprachen waren nicht weniger geprägt von Unruhe, und erzählten von den Schatten die Flynn selbst nie gesehen hatte und von denen sie doch schon Geschichten hörte.
"Wir fragen uns, ob sie ein Zeichen der Götter sind. Die Schatten." sprach Arelia, und die Augenlider zogen sich für einen Moment in Nervosität zurück, gaben mehr vom Weißen der Augäpfel preis. "Und was man dagegen tun kann", fügte der Mann namens Justan an.
Beide sahen sie Flynn an als stünde in ihrem Gesicht die Antwort geschrieben, die sie selbst insgeheim nicht erahnen wollte. Dennoch, das Prickeln im Nacken blieb aus, die Fingerspitzen still, und auch sonst kein latenter Instinkt wollte sich melden. Die Antwort auf die Fragen würde sich ihr diesmal wohl nicht so einfach offenbaren, und mit einem schiefen Lächeln erklärte sie genau das.
"Ich glaube nicht, dass es die Götter sind, die jene Schattenwesen schicken, aber ich will sie trotzdem befragen." erklärte sie den beiden, wenn auch in wesentlich mehr Worten, und gab ihnen die Zusicherung des Rabenkreises, dass den Schattentieren auf die Schliche gegangen werden würde. Nicht sofort, nicht am selben Tag, denn die Götter kannten keine Zeit und keine Rücksicht auf die Eile der Sterblichkeit, aber bald. So bald wie möglich.

~*~

Der Raum war leer bis auf den Mann der sie ausgebildet hatte, und der ihr nun gegenüber saß. Morkander warf ebenfalls einen wenig überraschten Blick durch die leere Schank, bevor er wieder zu Flynn blickte und eine auffordernde Geste mit der Rechten vollführte. "Was also wirst du tun?"
Die alte Nervosität, wie man sie nur unter den Augen eines Lehrmeisters empfinden konnte, machte sich einmal mehr in Flynn breit. So selbstsicher sie vielleicht vor den zwei Bittstellern aufgetreten war, so wenig selbstsicher fühlte sie sich gegenüber anderen Druiden. Am Ende war sie doch nur ein Jungvogel der seine ersten Flüge tätigte, und wenig erfahren damit, sich auch gegenüber anderen Druiden selbstsicher zu geben.
"Ich plane ein Ritual zu machen, und Easar anzurufen. Ich möchte ihn einladen zu verweilen, denn ein solcher Schabernack wie jener der Schattenwesen sagt ihm sicherlich zu, wenn er nicht selbst ihn angerichtet hat - und beim nächsten Neumond werde ich die Runen werfen, und ihn befragen was er gesehen hat."
Selbst während sie ihren Plan so sachlich erklärte, spürte Flynn die Röte in die Wangen steigen. War es dumm was sie tat? Leichtgläubig? Unverfroren? Hatte sie etwas nicht bedacht oder übersehen, und würde Morkander gleich darauf hinweisen?
Dieser jedoch hatte keine Einwände, lediglich Interesse am Ergebnis des Runenwurfs, und vor lauter Erleichterung darüber, sich keine Blöße gegeben zu haben, lud sie den frisch hinzugekommenen Koren, den neuen Schüler, gleich dazu ein dem Ritual beizuwohnen. Wenn sie schon das umsetzen konnte was sie sich ausgemalt hatte, würden vier Hände definitiv mehr Nutzen bringen als nur zwei.

~*~

Es war spät Nachts, spät genug um in der Dunkelheit nach dem Schrein des Mithras suchen zu müssen, und beinahe über die eigenen Füße zu fallen. Flynns Tasche war wohlgefüllt, ihr Körper für das geplante Ritual ebenso gereinigt wie der Korens, und die Nerven am Rande des Zusammenbruchs. Es war das erste Ritual das sie ohne Anweisung eines erfahreneren Druiden durchführte, und noch dazu das erste Ritual das sie für Bittsteller und Hilfesuchende ausführte, statt für rituelle Zwecke.
Instinktiv tastete ihre Hand über den Inhalt der Tasche, befühlte die Zweige dort, die Flasche mit Milch und den Topf mit Haferbrei, und zuletzt die teure Schmuckfeder, die sie als Opfergabe mitgebracht hatte.
Korens verhaltene Nervosität war ansteckend und ließ auch sie den Kopf immer wieder heben um nach potenziellen Mithrasdienern Ausschau zu halten, die sie erwischen könnten.
Zugegeben, ein Druidenritual am Schrein des Mithras in Zweitürmen abzuhalten war ein Wagnis das vielleicht als unvernünftig zu bezeichnen war, andererseits lag es aber in den Vorlieben des Gottes Easar selbst begraben, warum gerade dieser Ort und kein anderer - ausser vielleicht die Kathedrale mitten in der Stadt - dafür in Frage kam. Und solange der Schrein nicht geweiht war gab es wohl auch nicht viel, was eventuell auftauchende Novizen oder Priester des Sonnengottes gegen ihr tun sagen hätten können.
Statt jedoch ihr Glück heraus zu fordern und mehr Zeit zu vertrödeln als das Glück ihnen geben wollte, gingen die beiden zügig ans Werk.
Aus den Zweigen errichteten sie ein kleines Feuer, das den Opferstock für diesen Abend darstellen würde, und bereits nach kurzer Zeit entfacht war. Koren hielt die Opfergaben bereit, während Flynn innerlich panisch aber äusserlich so ruhig und gefasst wie sie es nur irgendwie vorspielen konnte die Anrufungen sprach.
Zuerst richtete sie die Worte an alle Götter, aufdass ihre Gaben auch wahrgenommen werden würden: "Wir rufen die Götter, die die Welt erschufen, die Einundzwanzig, die dort Boden, Luft und Himmel gaben, die uns geleiten und über das Land und seine Kinder wachen."
Eine unauffällige Geste gab Koren das Zeichen, das erste Opfer zu vollbringen, und selbst in der verängstigten Konzentration, die Flynn gerade empfand, konnte sie sehen mit welch konzentrierter Ehrfurcht Koren die Bewegungen durchführte, und das Wasser auf den Boden neben dem Feuer goss.
"Wir ehren die Götter Flors, die uns Wuchs und Tod geben, und Wind und Wetter, und die uns nähren und Respekt lehren. So wie ihr die Welt nährt, so wollen wir euch opfern. Nehmt diesen Quell als Zeichen unseres Dankes." sprach Flynn sodenn, denn kein Gott sollte für sich alleine angerufen werden, und kein Grund für Zorn oder Eifersucht geschaffen sein.
Als nächstes griff Koren zu den jungen, grünen Asttrieben, die ins Feuer geworfen ausgezeichnet rauchen würden, und platzierte sie mit gleichmässigen Andachtsbewegungen auf dem Feuer, während Flynn die nächste Anrufung in die Schwaden würzigen Rauchs sprach: "Wir danken den Göttern des Faun, die uns den Kampf lehrten, und die Flucht, die uns den Geist und den Willen geben, und die Welt mit Bewegung füllen. Möge der Geist der Birke die Ängste der Menschen in dieser Region lindern, und möge die Weide ihnen Sicherheit und Ausgeglichenheit geben, und möge der Geist des Holunders böse Geister und Spukgestalten vertreiben. Diese drei Geister opfern wir als Dank an euch."
Inzwischen hatte die Furcht vor Versagen sich der Konzentration und dem Willen gebeugt, und ließ ihr Herz kräftiger und langsamer schlagen als zuvor, die Stimme fester und ruhiger werden, und den Schweiß in ihren geballten Händen trocknen.
Eine Anrufung galt es noch zu sprechen, bevor der Teil des Rituals begann, der ihr die größte Furcht einjagte - wer einen Gott anrief, der riskierte es, zuviel Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und eine solche Aufmerksamkeit vertrug kein sterbliches Wesen auf Dauer.
Während Koren die Feder in die Flammen warf, konnte Flynn nicht umhin eine gewisse Zufriedenheit mit dem Gebaren des Rabenkreisschülers zu empfinden. Er tat seine Sache gut, mit Ernst und Konzentration, und schien sich selbst vom Stoß ins kalte Wasser nicht aus der Räson bringen zu lassen. Das war etwas, was sie Morkander unbedingt sagen müssen würde.
Mit einem schweren Luftzug sprach sie schließlich die dritte Anrufung. "Wir danken den Göttern Fings für ihre Gaben der Weisheit, der Einsicht, der Ideen, des Bewusstseins und all der Dinge, die wir nicht mit Auge oder Hand erfassen können... Und wir rufen einen aus ihrer Mitte, laden ihn ein zu verweilen, und Gast in unserer Welt zu sein und zu sehen, welche gar seltsamen Dinge hier vorgehen..."
Für einen Moment unterbrach Flynn die Anrufung, um einen kurzen Blick mit Koren zu wechseln, bevor sie die Augen gen' Himmel richtete, weitersprechend: "Easar! Fürst des Schabernacks und der Zauberei, sei uns willkommen! Sieh die Gaben, die wir für dich vorbereiteten, auf dass du ein Mahl einnehmen kannst, während dein Herz sich an dem Schabernack der Schattentiere labt! Sei unser Gast so lange es dich erfreut, sieh und höre was dir Kurzweil zu bringen vermag, und so es dich erfreut, so erzähle uns in der Finsternis des nächsten Neumonds welch wundersame Dinge du erleben konntest!"
Koren war es auch diesmal wieder, der den Haferbrei und die Milch bedächtig in das spuckende, zischende und knackende Feuer goss, sodass sie dem Gott zur Verfügung standen, ihn verlockten auf Erden zu verweilen, und seine Augen auf die Geschehnisse Zweitürmens zu richten.
Es schien wie ein Wunder, oder gar ein Omen, dass just in jenem Moment ein vorbeifliegender Spatz eine Feder verlor, die sanft zwischen den zwei Druiden zum Liegen kam.
Diesmal durchzog ein kalter Schauder Flynns Rücken, und ließ ihr die Fingerspitzen kribbeln, als sie langsam nach der Feder griff, aber auch dieses Mal wollte sie ihre Gedanken nicht sogleich aussprechen. Ein Zeichen der Götter? Selbst wenn nicht war es ein gutes Omen, und so gab sie Koren die Feder zur Verwahrung. Sie würde sich ausgezeichnet als Weiheobjekt für das Runenwerfen zu Neumond eignen.
Mit eingekehrter Stille und nur wenigen Worten beseitigten Koren und Flynn die Reste des Ritualfeuers, bedeckten die Asche und die Opfergaben mit Erde, und zogen sich bedächtig zurück. Nun blieb nur noch das Warten.
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#2
Flynn sah der roten Robe nach, bis die Priesterin im Zwielicht der Altstadtgassen verschwunden war. Es fühlte sich immer noch seltsam an, mit der Mithraspriesterin zu sprechen, ungewohnt gar. Wie der Ritt auf dem Pferd eines Fremden.
Dennoch, der Kontakt zu Hannah Teran war bisher stets erfreulich gewesen, erfrischend direkt, sachlich und zivilisiert. Nicht dass es für Flynn die Art der anderen Kirchlinge überdeckt hätte, sie war nicht naiv genug um so leicht die bissigen Worte und Blicke der Legionäre zu vergessen, die sie sonst abbekam, aber es ermöglichte zumindest eine Basis für Interaktion die vorher nicht da gewesen war.
Weniger erfreulich waren die Themen gewesen, die Gnaden Teran angesprochen hatte. Offenbar hatte eine der - wie hatte Hannah sie genannt? - Liturgien des Rabenkreises ihren Weg in die Hände von Maria Hochau gefunden, und diese wieder hatte sie Hannah angeboten. Ganz sicher waren sich darin aber weder Hannah noch Flynn, die von dieser Liturgie noch nie etwas gehört hatte, aber Hannah war misstrauisch. Misstrauisch genug um eine Druidin darauf anzusprechen.
Viel konnte Flynn in dem Moment natürlich nicht ausrichten, aber das Versprechen die anderen Druiden zu befragen schien auch ausreichend.
Einig waren sich die beiden so ungleichen Frauen allerdings darin, dass das Treiben rund um die wilden Kleriker näher beobachtet werden musste. Sei es nun Kinnard, oder Maria, oder all die namenlosen Personen, die einen Funken Macht und Liturgien oder Anrufungsbeschreibungen mit sich herum trugen, die Gefahr war in den letzten Tagen allzu offensichtlich gewesen.
Nachsicht und Zurückhaltung führten dazu, dass Grenzen überschritten wurden, die nicht überschritten werden durften, und am Ende würden alle bluten, ob Rot oder Schwarz.
Mit einem Kräusen ihrer Nase schloss Flynn ihre Türe hinter sich ab, rief Gotmar durch das Fenster noch einen kurzen Abschied zu, und machte sich auf den langen Marsch zum Goldenen Raben. Es war Zeit, mehr über "Sanftmut" heraus zu finden... und darüber, wie weit Kinnard sich inzwischen tatsächlich aus dem metaphorischen Fenster gelehnt hatte.
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