Der Pokal für den Talentwettbewerb
#1
Ein leises Gähnen entkam dem hochgewachsenen jungen Mann und er merkte, wie nun seine Konzentration allmählich nachließ und er langsam müde wurde. In den letzten Tagen hatte er unzählige Stunden damit verbracht den dringenden Auftrag von Fräulein Kristin zu bearbeiten, den sie ihm beim Familientreffen erteilt hatte. Von den Bestellungen, die Marius Xaver bisher zu bearbeiten hatte, war diese sicherlich einer der bedeutendsten – mit Ausnahme von persönlichen Geschenken an von ihm liebgewonnene Personen, wie zum Beispiel Nessa – stellte er doch den Pokal her, den der Gewinner des Mode- und Talentwettbewerbs erhalten würde. Durch seine Mitgliedschaft bei der Gesellschaft für Kunst und Kultur, die an der Durchführung dieser Veranstaltung beteiligt war, fühlte er seine Beauftragung auch in gewisser Weise als eine Art Ehre, verbunden mit großem Vertrauen, die er bestmöglich zu erfüllen beabsichtigte.

Die feinen Fingern der zarten Hand, welche sich stets zum Missfallen der anderen Familienmitglieder der groben und schmutzigen Arbeit in den Minen verweigert hatte, fuhren entlang seiner Stirn und strichen dabei einige der aschblonden Strähnen aus dem Gesicht. Nachdenklich beobachtete er den Gegenstand vor sich, der sich nun langsam vor der Fertigstellung befand und noch die letzten kleinen, aber entscheidenden Arbeitsschritte bedurfte. Nach einer Weile löste sich sein Blick und wanderte weiter zu der Skizze des Pokals, die er von Fräulein Kristin bekommen und gut sichtbar an die Wand befestigt hatte. Wie schon unzählige Male in den letzten Tagen, studierte er nochmals die ganzen Details und Anweisungen auf der Zeichnung, die er akribisch genau zu umsetzen gedachte. Obwohl er mittlerweile jeden einzelnen Strich und jede kleine Maßangabe auswendig kannte, folgte nach jedem noch so winzigen Arbeitsschritt der obligatorische prüfende Blick zur Skizze, der sicherstellen sollte, dass es zu keinen unbeabsichtigten Abweichungen kam. Er hatte die Skizze in den vergangenen Tagen schon so oft studiert, dass er sie wohl mit verbundenen Augen hätte wiedergeben können. Für Marius Xaver war es wichtig, dass ihm keine Fehler unterliefen und der Abgleich mit der detaillierten Skizze gab ihm die notwendige Sicherheit, die er benötigte, um konzentriert arbeiten zu können.

Die hellblauen Augen des jungen Mannes richteten sich wieder auf die Kugel, die von einer Halterung aus Silber getragen wurde. Er hatte einen beträchtlichen Teil seiner Zeit in den letzten Tagen damit verbracht die silbernen Stützen mit kunstvollen und aufwendig gestalteten Gravuren zu versehen, die sich in Wellenform durch das Metall zogen und die er mit viel Liebe zum Detail hineingearbeitet hatte. Zwischen den Biegungen der Wellenlinie befanden sich jeweils abwechselnd die Symbole der beiden Veranstalter, also die der Schneiderzunft und jener der Gesellschaft für Kunst und Kultur. Diese waren so klein gestaltet, dass sie beim ersten Blick wie eine gepunktete Linie wirkten, die parallel zur wellenförmigen Hauptgravur verlief. Was einem eiligen Beobachter verborgen blieb, offenbarte sich daher nur dann jemanden, der auch bereit war jene Zeit zu nehmen, um die Verzierungen aufmerksam zu studieren, um ihre wahren Gestalt erkennen zu können. So unscheinbar auch dieses winzigen Details waren, so stellten sie einen maßgeblichen Teil jener Arbeit dar, mit der sich Marius Xaver die letzten Nächte um die Ohren geschlagen hatte. Doch er empfand diese weniger als eine Last, sondern viel mehr als die Erfüllung jener Tätigkeit, die er am meisten liebte – dem Schmuckhandwerk.

Nachdem er sich schließlich aus seinen Gedanken losgerissen hatte, griff er wieder zu den Werkzeugen, die er sanft mit seinen schlanken Fingern umschloss. Es galt nun die letzte Gravur auf der Kugel selbst anzubringen, die noch in vielen Jahren von jenem Wettbewerb am kommenden Tage zeugen würde, jenem in Glas verewigten Sieg, der in jenem Glanz erstrahlen sollte, wie an dem Tag, an dem er errungen wurde.
Avatarbild oben: Antonio da Correggio - Porträt eines jungen Mannes

[Bild: 2a2tmecn.gif]

Ich bin der Meinung, dass Werschafe implementiert werden müssen!
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