FSK-18 Blutsühne
#1
Prolog: Der Fackelzug

Panik brach aus, als die ersten Rauchschwaden aufstiegen. Jeder, der Angehörige oder Bekannte in der Siedlung hatte, der wusste, was das bedeutete.

Hastig trieben Mütter ihre Kinder von den Straßen in Hütten und Keller. Hunde bellten und Frauen schrien laut, als es am Horizont heller wurde und sich eine kleine Schar aus Reitern, angeführt von einem Mann mit einer Rabenmaske, auf dem Hügel vor der Siedlung aufbauten und das Horn bliesen. Hinter ihnen bahnte sich langsam durch die Rauchschwaden ein Zug mit einem halben Dutzend Wagen. Sie alle brannten und wurden gezogen von Pferden, deren Nüstern von Pilzen befallen waren, deren Fleisch schon von den Knochen faulte, von Maden zerfressen. Der Gestank war unerträglich und je länger sie dort auf dem Hügel standen, desto dichte rund schwärzer wurde der Rauch, der vom sachten Westwind über die kleine Bauernsiedlung getrieben wurde.

Bang wirft sich eine Mutter über ihren Sohn. Sie waren beide nur auf der Durchreise und hatten keinen Ort, an dem sie sich verstecken konnten.
Das Horn wurde ein zweites mal geblasen und die Schreie und das Gebell waren längst verstummt. Nun war nur noch der schwarze Nebel präsent.
Als die tapfere Mutter aufsah, sah sie, wie die Parade weiterging und sie wollte gerade erleichtert aufatmen, als Er sich vor ihr aufbaute.

"Dein Blut oder dein Kind, Weib."

Ihn umgab der Geruch von Lavendel und Feuer

"Nehmt mein Blut, Herr. Nur verschont meinen Sohn."

Von der Spitze seiner Nase tropfte eine Teer-ähnliche Substanz auf den staubigen Boden

"So sei es. Ich ziehe ihn groß, wie meinen Eigenen. "

Er streckt die Krallen seiner linken Hand aus. Der schwarze Rauch schien nun die ganze Welt eingehüllt zu haben

"Sein Name ist Darius Brunnblick. Er ist nach seinem Vater benannt."


Nachdem die tapfere Mutter das Bündel übergeben hatte und der Maskierte es entgegennahm, holte er mit seinem Spazierstock aus, dessen Griff der Schnabel eines Raben war.

Als der schwarze Nebel verschwand und langsam das Leben die Asche und das Blut von den Straßen kehrte, war von dem ganzen Szenario nur noch das Häubchen einer Frau auf dem Boden übrig.


[Bild: plague8.jpg?w=312&h=300]
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#2
Kapitel 1: Ein guter Sohn gehorcht

Wir waren eine sehr große und bunte Familie. Ich weiß gar nicht, wer, außer mir und meinem älteren Bruder, ein leibliches Kind unserer Eltern war.
Da war Judis, die Furie, deren Eltern von der Seuche dahingerafft wurden, Syrius und Syria, das Zwillingspaar, bei dem man nicht wusste, wer der Mann und wer die Frau ist und schließlich Jared, dem ältesten Sohn.

Wir lebten in einem kleinen Bauernhaus im Umland von Ravinsthal mit einem großen Krankenzelt, indem jeder seinen eigenen Patienten hatte.
Zu meinem zwölften Namenstag bekam ich auch einen Patienten zugeteilt. Er war mir einer Pest infiziert, die ihm seine Menschlichkeit nahm.
Nachdem er mir als Richard vorgestellt wurde und meine Mutter mir die Anzeichen der Seuche aufgezeigt hatte, wurden wir beide allein gelassen.
Gerade wollte ich ein paar Verbände wechseln, die auf seine aufgeschundenen Pestbeulen gelegt wurden, als er wach wurde und nach meinem Arm griff.

"Hier gehörst du nicht hin, Bursche"

Er hatte noch kaum einen gesunden Zahn im Mund, sabberte und roch bitter, wie Galle. In seinen Augen blitzte der schiere Wahnsinn auf.
Ich entzog ihm langsam meine Hand und setzte wortlos meine Arbeit fort.

"Hörst du nicht? Ich sagte, du gehört nicht hhhheer!"

er keuchte so sehr, dass feine Eiterbrocken aus seinem Hals stoben und auf seiner baren Brust landeten. Der Gestank der Entzündung war so entsetzlich, dass mir schwindelig wurde und ich mich von ihm abwenden musste.

"Jaaa, du weißt es selbst, Junge. Komm nur, sieh mir in die Augen. Sag mir, dass du das gerne tust. Dass du mir gerne den Eiter aus meinem Pestbefall drückst... Dass es dir nichts ausmacht, wenn du mir die scheisse vom Hintern wischen musst."

Er lachte im Flüsterton. Jeder Bauer hätte gesehen, dass er am Ende seiner Kräfte war und doch strengte er sich an um mutwillig seinen Mageninhalt ins Bett zu entleeren. Er erbrach aus voller Kehle einen dunkelbraunen, blutigen Schleim und sein Durchfall tropfte von der Liege, auf welcher wir ihn gebettet haben.

"Mir hat man alles genommen. Meine Frau, meinen Sohn und meinen Hof. Zuletzt nimmt die Pest mir mein Leben. Aber du hast noch die Zeit und die Möglichkeit etwas aus dir zu machen, mein Junge. Jetzt wasch mich und stelle fest, dass du dies nie wieder tun möchtest."

Er verstarb noch an selben Abend, hinterließ nichts als Gestank und einen faden Geschmack auf meiner Zunge und als ich am Esstisch davon erzählte, verlor mein hoher Vater nur ein paar Worte darüber

"Ein guter Sohn gehorcht. Und du bleibst hier, weil du ein guter Sohn bist."

Mit meinem demütigen Nicken auf seine Worte entbrannte in mir der Wunsch, zur Armee zu gehen. Ich denke noch heute an Richard. In seinem Befund las ich, dass er eine verheiratete Schwester hatte.


Sibeth Brunnblick, verstorben




Fortsetzung folgt...
Darius Wroth - Feldarzt
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