Hammer und Amboss - Aus dem Leben eines Schmiedes
#51
Foschung: Schienenrüstung aus Rabenstahl

Er war lange nicht mehr bei der Götteresse gewesen und entsprechend lange sein Monsterchen nicht gefüttert. Niemand wusste, was sich in dem Schacht befand und das Feuer spie, das die Esse heiß genug macht, um Rabenstahl zu schmelzen. Er nennt es liebevoll Monsterchen. Die Vermutung lag nahe, dass es sich um irgendeine feuerspuckende Kreatur handelt. Vielleicht ein Drache? So genau wollte er es nicht wissen, denn dazu müsste er den Schacht hinabklettern. Seine Entdeckung könnte er mit niemandem teilen, denn das Monster war immer hungrig. Aber immerhin spuckte es hoch zuverlässig Feuer, wenn man es mit rohem Fleisch fütterte.

Aki rechnet es seiner Begleitung, diesmal Keldron Falkmar, Schmied und Rabenkreisler, hoch an, dass er keine Fragen zu dem stinkenden, schmatzenden Bündel stellt, das der Schmied mit in die Höhle schleppt. Darin sind rohe, blutige Fleischbrocken. Eine ganze Menge davon, sodass er sich bei jedem Ausflug zur Esse glücklich schätzen kann, wenn ihn kein Wolfsrudel anfällt. Doch würden sich Wölfe überhaupt noch in die Nähe eines Rabendiensers trauen, wenn er für derartige Schmerzen sorgen kann?

Die Segnung war anders verlaufen als sonst und zu gerne hätte der hünenhafte Schmied darauf verzichtet. Er kannte den anderen Zugang zur Esse und war sich dahin gehend recht sicher, dass er ohne den expliziten Segen zu bewältigen war, aber es hätte für Argwohn gesorgt, wenn er den Segen seiner Götter abgelehnt hätte. Der Schmerz, als Keldron seine Konzentration und damit den Blick der Götter auf ihn bündelt, war brutal. Mittlerweile kennt er alle Nuancen von Schmerz, was ihn sehr widerstandsfähig macht. Jeder Schmerz hat seinen Gegenpol. Dieser nicht. Mit der Dauer des Segens – und er hält mindestens 12 Stunden – drang ihm aus jeder Körperöffnung im Gesicht Blut. War das die Strafe der Götter dafür, dass er ungewollt vom Weg abgekommen war?
Es würde sich herausstellen, wie oft er den heiligen Ort noch aufsuchen könnte. Deshalb war es keine schlechte Sache, dass er Keldron die Geheimnisse der Esse näherbringen konnte. Die Rezeptur, die für das geneigte Auge am Sockel der Esse eingraviert ist, kann von jedem verständigen Schmied entziffert und verinnerlicht werden. Wenn es ihm eines Tages nicht mehr selbst vergönnt ist den Götterstahl zu schmieden, hatte er wenigstens für den Wissensfortbestand gesorgt.

Mit diesem einigermaßen beruhigenden Gedanken im Kopf verbringt er den Rest der zwölf Stunden damit, möglichst blutige Fleischwaren in sich zu schlingen, um dem Blutmangel entgegen zu wirken. Begleitend dazu beginnt er mit der Skizzierung seines anstehenden Projekts: Einer Schienenrüstung aus dem mattschwarzen Götterstahl. Nachdem immer wieder Blutstropfen aus seiner Nase auf das Pergament gefallen sind, hat er sich jeweils einen Fetzen Stoff in jedes Nasenloch gesteckt. Er sollte das Positive sehen: Es könnte schlimmer sein. Nasenbluten stört seine Konzentration nicht zu sehr. Ein blutiger Magen-Darm-Infekt würde mehr an seiner Produktivität kratzen.

Die eine Zusammenstellung würde für Cahira sein, die andere für Isabelle. Zweitere ahnte noch nichts von ihrem Glück, aber würde die Rüstung gewiss nicht ablehnen. Jede der zwei Frauen verdiente ihre eigene Personalisierung in Form von Verzierungen und Ätzungen. Was Cahira angeht hatte er das Glück gelegentlich zwei Spione zu beherbergen. Lionel und Brynja, Cahira‘s Kinder, waren begeistert von der Idee ihm bei der Gestaltung von ‚Mama’s Wehr‘ zu unterstützen.

Bei Isabelle war es schwieriger, aber nicht unmöglich. Mit zarten Linien deutet er ein feines Spinnennetz an, das er mit einem scharfkantigen, schmalen Meisel in die Oberfläche des Metalls ritzen wird, um die Harnischfront mit einer Netzoptik zu versehen.

Er modelliert die Rüstungen abschnittsweise und nach den Vorlagen, die er aus festem Stoff beziehungsweise Lederresten zurechtgeschnitten hat. Ähnlich wie ein Schneider fertigt er Schnittmuster an, die mit den Maßen der jeweiligen Frau übereinstimmen. Dabei rechnet er die nötigen Lücken ein, um später Schnallen und Riemen zum einfacheren Anlegen der Rüstung anzubringen. Die eigentliche Herstellung der Einzelteile geht ihm routiniert von der Hand. Bis auf die bemerkenswerte Härte, die das Götterstahl aufweist, unterscheidet es sich wenig im Vergleich zu den Verarbeitungseigenschaften von Bronze oder Stahl. Jedoch ist einiges an Hitze in der Esse notwendig, um den Stahl auf formbare Temperatur zu bringen. Dafür nutzt er die kleinen, orange-glitzernden Kohlebrocken, die sich Vulkanit nennen. Diese sorgen für einen regelrechten Funkenwurf in der Glut. Heißer Dampf schlägt ihm ins Gesicht und lässt seine Augen brennen.
Selbst als die Herstellung der einzelnen Teile in ihrer Rohform abgeschlossen ist, bleibt das Feuer nicht kalt. Der Schmied benötigt erneut eine oberflächliche Hitze am Metall, um die Ätzungen und Verzierungen einzuarbeiten.

„Hat deine Mama ein Lieblingstier? Meinetwegen auch ein Symbol, Blume oder sonst etwas, das sich stilistisch in die Optik der Rüstung einbringen lässt?“
Der junge Bursche versteht erstaunlich viel von den Worten des älteren Schmiedes. Lionel ist ein aufgeweckter, schlauer Bengel und Aki sieht deutlich mehr von Kyron in ihm, als er vor Cahira zugeben würde. Lionel greift eilends nach einem Fetzen Pergament und einem Kohlegriffel, als wolle er einen Gedanken rasch zu Papier bringen. Warum groß um den heißen Brei herumreden, wenn man eine Idee zu Papier bringen kann? Das hatte der Junge schon von dem Meister gelernt. Was Lionel zu Papier brachte konnte Aki mit viel Fantasie als Pferd entziffern. Vielmehr als ein Kreis mit vier Strichen als Beine, einem geschwungenen Strich-Schweif und einem knubbeligen Kopf mit Zick-Zack-Mähne war jedoch nicht zu erkennen. Aki nickt dennoch verständig und lässt sich von Lionel über die Schulter schauen, als er einen mächtigen Pferdekopf skizziert, dann einen Zweiten identischen. Die beiden Pferdeköpfe sehen sich mit entschlossenem Blick entgegen, von der Mitte des Harnisch‘ gespiegelt.

„Ja, genau so!“, flötet Lionel euphorisch, als wären die Zeichnungen seiner Hand entsprungen. Natürlich lässt Aki ihn in dem Glauben und grinst lediglich, denn Lionels heiteres Lächeln ist ansteckend. Alles andere wäre falsch gewesen. Es soll Cahira’s Rüstung werden und die gestalterische Mithilfe ihres Jungspross weiß sie gewiss zu honorieren.
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