[MMT]Die Geschichte eines Bären
#1
Endlich einmal regnete es nicht. Und er dankte den Dreien dafür. Wie das Leben so spielt.
Er hatte es sich auf dem trockenen Moos unter einer Eiche gemütlich gemacht. Der Baum wuchs nicht weit in die Höhe, obwohl deren Wurzeln sich bis zu dem nahen Bach hinausstreckten. Dieser plätscherte, angetrieben vom letzten Regen munter vor sich hin. Hier und da, erblickte er die glänzenden Schuppen eines Fisches, der sich mit seinen Kumpanen in der Strömung tummelte. Friedlich war es hier oben.... Bayan stand dicht bei ihm. Regelmäßig waren die mahlenden Geräusche seiner Zähne zu hören, sobald der Hengst sich wieder etwas Gras von Boden gerupft hatte.
Tanju schloss die Augen, dick in seinen Umhang eingekuschelt, und genoss den Frieden, der in der alten Erde dieses Landes steckte.
Seine Gedanken breiteten sodann ihre Flügel aus und glitten davon. Glitten nach Hause, in die Juretai, machten es sich an einem der vielen Lagerfeuer gemütlich. Er setzte sich zu den Kindern. Hübsche kleine Mädchen, mit großen leuchtenden Augen und die Jungen, denen die Mannwerdung noch bevor stand. Sie alle lauschten der alten Seherin und Tanju tat es ihnen gleich. Er kannte die Geschichte. Er konnte sie auswendig aufsagen und doch lauschte er der knirschenden Stimme der Alten, als wäre es das erste mal.

Baavgai, der unter der Erde lebte. Eine alte Seele dieser Lande. Ein ewiger Feind und teurer Freund.
Einst, als die Ersten von uns die ewigen Weiten durchstreiften, um nach dem Horizont zu greifen, da gab es einen Krieger. Ein legendärer Khan, der einen starken Stamm hinter sich wusste. Tulwar, der Große. Denn er war wirklich groß. Er überragte jeden Krieger unter sich und ebenso jeden Feind. Und davon gab es viele.
Tulwar brüstete sich sogar damit, es in Körperkraft mit jedem Bären aufnehmen zu können. Sein Hochmut kannte keine Grenzen und so zog er mit seinen Kriegern und Jägern aus, den mächtigsten Bären der ganzen Juretai zu finden und seine Überlegenheit zu beweisen...


Eine gute, starke Geschichte dachte Tanju bei sich. Er sah zur Seite, wo Bayan immer noch friedlich graste. Als würde der junge Hengst seine Gedanken lesen können, stupste er ihn mit der Nase an. Als wolle er den Juren in seinem Vorhaben bestärken. "Ja, ich werde ihnen die Geschichte erzählen."
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#2
...zwei ganze Jahre wanderte er umher, gepeitscht von dem Drang endlich seine wahre stärke zeigen zu können.
Es war in einer dunklen Nacht. Der Mond wurde beinahe völlig verschluckt und die ewige Steppe lag schwarz vor ihnen. Das Brüllen war schon aus weiter Entfernung zu hören und tatsächlich fanden sie ihn. Es war ein mächtiges Tier!
So groß wie zwei Krieger bäumte es sich auf, im Kampfe mit einem Rudel Steppenwölfe. Artio selbst schien in dieser Nacht zu Tulwar zu sprechen. Ihre Stimme, wie das Zischen eines Pfeiles, der vom Bogen seinem Ziel entgegen strebt, donnerte über das karge Grasland und lies selbst die Raubtiere verstummen, welche vorher noch so unerbittlich gekämpft hatten.

"Baavgai, heißt dieses Geschöpf, so alt wie der Mond selbst.
Viele schon sind von ihm verschlungen worden,
denn sein Hort birgt ein Wunder, das er zu beschützen schwor.
Besiege ihn im Zweikampf, erlange seinen Schatz
und du und dein Stamm werdet fürwahr die Mächtigsten sein,
die je durch die Ödniss der Juretai ritten!"
Das ließ sich Tulwar natürlich nicht zweimal sagen. Sein Herz raste, angestachelt von den Worten der Göttin und der Aussicht auf ewigen Ruhm. Er ließ seine Männer in der Dunkelheit stehen und stürmte, wie ein wild gewordener Eber auf den mächtigen Bären zu.

Kaum jemand weiß zu überliefern, wie der Kampf tatsächlich aussah. Tulwar und sein mächtiger Jagdspeer sahen einem starken Gegner entgegen. Die Pranken des Bären waren größer als der Kopf eines Hengstes und rissen tiefe Wunden in Haut und Fleisch. Der Kriegsherr war überströhmt von seinem eigenen Blut. Er war unterlegen...
Seinen Tod schon vor sich sehend, setzte das Biest ihm weiter zu, riss ihm die Brust auf und schmiss ihn zu Boden. Tulwar der Große nutze seine ganze Muskelkraft, alle Stärke die seinem geschundenen Körper verblieben war, und hob seinen Speer in dem Moment, als Baavgai über ihn herfallen wollte. Hatte Artio selbst ihre Hand im Spiel und leitete die Waffe?
Sie traf genau in das kräftig schlagende Herz ihres Geschöpfes. Die Klinge des Speeres stieß tief in den pelzigen Leib und Bäche warmen Blutes ergossen sich auf Tulwar. Er hatte überlebt. Er hatte gesiegt! Selbst dem Tode nahe, kroch er unter dem Leichnam Baavgai's hervor, reckte die müden Arme zum Sternenhimmel empor und schrie ihm entgegen.
"Tulwar, der Große ist der stärkste Mann der je über diese Welt ritt! Ich habe Baavgai besiegt und fordere den Tribut der Götter!"

Und dieser wurde ihm gewährt. Er und sein Stamm hatten seit diesem Tage die schützende Hand Artios über sich. Jede Schlacht konnten sie gewinnen. Nie wieder mussten sie Hungern und man erzählt sich, kein Stamm hat je stärkere Söhne geboren, als der Stamm der Bärenpranken. Und so war es in manchen Landstrichen Tradition, noch vor dem Herbstneumond auf Bärenjagd zu gehen, auf dass Artio's Blick auch auf die vielen anderen Stämme fiel, die sich ihrer würdig erwiesen.


Es war vollbracht. Mit fester Stimme hatte er seinen Brüdern und Schwestern von Tulwar und Baavgai berichtet. Der erste Schritt war getan worden...
"Dieses Land hier ist fremd und birgt unbekannte Gefahren... Und auch wenn unser Stamm langsam erstarkt, so sollten wir die Göttinnen an unserer Seite wissen. Ich sage wir gehen auf Bärenjagd!!"
Er war so aufgeregt. Noch nie hatte er so vor seinen Leuten gesprochen. Ihm war übel und zugleich als würde er fliegen. Er hoffte so sehr die Shurax würden seinen Worten folgen und tatsächlich riefen darauf viele Stimmen, vermehrt noch durch das Echo der Höhlenwände "Bärenjagd! Bärenjagd!"
Und so würden sie, in diesen seltsamen Ländern, einer Tradition folgen, die nie ihre gewesen war. Der Stamm der Shurax war stark. Ein dickes Band schlang sich um jeden einzelnen von ihnen und verband sie miteinander. Nun würden die mächtigen Drei selbst ihre Aufmerksamkeit auf sie richten müssen. Sie hatten sie Steppe überlebt, die elende Stadt Chucai und die tosenden, tödlichen Weiten des Meeres. Nach all der Schmach und dem Elend der letzten Jahre würden sie wieder aufrecht stehen und wie ein Sturm über das grüne Land Amhrans reiten!
"Auf das es nun die Aufgabe jener sei, die Artio mit Jagdgespür gesegnet hat, damit sie Kundschaften und das größte Tier ausfindig machen,
das Artio als Opfer erbracht werden kann. Auf das der ganze Stamm ausziehe um Tulwar nachzueifern."

Saresh's Worte bestärkten Tanju nur noch mehr. Er war so stolz. Stolz auf sich und stolz auf den Stamm. Auf jeden Einzelnen der aus den Shurax das machte, was er war.
Sie würden auf Bärenjagd gehen und sie würden siegreich sein!
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#3
„Bär-en-jagd, Bär-en-jagd, Bär-en-jagd!“

Fast einstimmig donnerte der Ruf der Shurax durch die Höhle als Tanju die Geschichte über die ehrenvolle Bärenjagd von Tulwar, dem Großen beendet hatte. Sie saß noch auf den Fellen, gefangen von den Worten, gebannt von der Aussicht auf eine große Jagd gemeinsam mit dem Stamm, den sie nach so langer Zeit endlich wiedergefunden hatte. In ihren Ohren rauschte das Blut, getrieben von den raschen Schlägen ihres Herzens, als die Stimmen sich erhoben und den Jurenstamm anstachelten zu eigenen, großen Taten die noch später besungen werden würden. Sie würden Artio zu Ehren jagen. Sie würden den mächtigsten Bären den dieses weiche, kalte Land zu bieten hatten aufspüren und zur Strecke bringen. Der Name Shurax würde auch in Zukunft mit Anerkennung und dem gebührenden Respekt gesprochen werden.

Die nächsten Tage würden genutzt werden um sich vorzubereiten. Die Jäger würden die Sehnen ihrer Bögen prüfen und wachsen. Pfeile würden geschnitzt, Klingen und Speerspitzen geschärft werden. Und Sarai wusste welche Aufgabe ihr als der Lederbinderin des Stammes bevorstand. In der Stadt hatte sie bei einem der Amrhaner Farben gegen wilde Kräuter ertauscht. Sie würde das Rüstwerk ihres Stammes vorbereiten. Kein Shurax würde dem Bären in löchriger oder ungenügender Rüstung entgegentreten, das hätte allein schon ihr Stolz verboten. Traf man sie also an den Abenden in der Höhle an, konnte jeder der Shurax an sie herantreten und ihr das Leder geben, dass sie für die Jagd verwenden und ausbessern wollten.

Am gestrigen Abend war ein erster kleiner Trupp, bestehend aus zwei Shurax und einer stammlosen Jurin die ihre Stärke beweisen wollte, losgezogen um nach Bärenspuren im Südwald zu suchen. Im letzten Licht des Tages bewegten sie sich leise durch das dichte Unterholz hinweg, hielten hin und wieder für einen kurzen Moment an und prüften die Zeichen, die die wilden Tiere auf dem Boden hinterlassen hatten auf der Suche nach der geeigneten Fährte. Bis tief in den Nordosten des Waldes führten ihre Schritte sie, fast bis an das dort angrenzende Gebirge. Das Licht der Sonne war lange verschwunden und hatte der Nacht die Herrschaft am Himmel überlassen, als sie endlich an einen Ort kamen, der Sarais Aufmerksamkeit auf sich zog. Überreste einer Stadt aus Stein, wie die Amrhaner sie an vielen Stellen ihres Landes errichtet hatten, offenbarten sich im Schein ihrer Fackeln den drei Juren. Aber Artio wollte es ihnen nicht zu leicht machen. Mit der Nacht war auch neues Wasser vom Himmel gefallen, dass den ohnehin weichen Boden nur noch weiter getränkt hatte und hungrig die Spuren gefressen hatte, die ein Bär dort vielleicht hätte hinterlassen können. In den Regen mischten sich erste weiße Flocken...Schnee, wie die Amrhaner ihn nannten.

An diesem Abend, das spürte die Lederbinderin genau, würden sie keine frische Spur mehr finden. Also entschieden sich die drei Juren zurück zum warmen Lager zu kehren, in die Höhle die sie vor all dem Wasser, Graupel und Schnee die dieses Land zu bieten hatte, schützen würde. Nicht jedoch ohne an einer geschützten Stelle der Felswand neben der sie herliefen ein Zeichen für die Jäger nach ihnen zu hinterlassen. Die schwarze Kohlezeichnung eines Bärenkopfes, als Hinweis, dass dieses Gebiet vielleicht bieten konnten was der Stamm suchte. Einen würdigen Gegner.

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Bergab leite mich, bergauf schone mich, in der Ebene brauche mich, so sprach das Pferd
[Bild: plttjhkzgosd.png]
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#4
Weiß wie Nebel steigt der Atem vor ihren Lippen auf. Das weiche Leder in das sie sich schützend gehüllt hat knirscht leise, als sie ihre Haltung anspannt und mit der rechten Hand einen der dunkel gefiederten Pfeile aus dem Köcher an ihrer Seite zieht.

Nur keine hastigen Bewegungen, ruhig bleiben.

Ihr konzentrierter Blick huscht hinauf, in Richtung des Berghanges den sie nun schon für Stunden beobachtet hat. Die dunklen Schemen der Beute, sind in dem Zwielicht der untergehenden Sonne kaum noch zu erkennen.

Ruhig Sarai...er hat dich nicht gesehen.

Eine leichte Bewegung am Hang, dann tritt er hinaus. In dieser Ruhe wie sie nur besonders großen Tieren zu eigen ist. Tiere die um ihre Stärke wissen, die sich nicht sorgen müssen. Aber er irrt sich, an diesem Abend ist der Jäger zur Beute geworden. Kurz noch wiegt sie den den schlanken Holzpfeil in der Hand, die Befiederung aus dem Kleid der Drosseln hat sie zusätzlich mit drei Strichen aus roter Farbe verziert. Den Zeichen ihres Stammes, eine Respektsbekundung an ihre Beute.

Dein Atem muss im Einklang sein, mit der Führung deines Pfeiles...schaffst du das?

Ihre Brust hebt und senkt sich im gleichmässigen Takt. Sie darf nicht zulassen, dass das Jagdfieber ihren Körper beherrscht. Ein falscher Ton, eine falsche Bewegung und ihre Deckung ist dahin. Wieso ist sie allein gegangen? Was will sie beweisen? Wem will sie etwas beweisen..sich selber?
Ein leichtes Kopfschütteln...die Gedanken aus ihrem Kopf verbannen. Es gibt nur einen Gedanken, den an die Beute. Sie hat schon zu lange gezögert. Mit einer routinierten Bewegung legt sie den Pfeil auf die Sehne ihres Langbogens auf, umgreift sie mit Ring- und Zeigefinger ihrer rechten Hand.

Halte die Augen immer geöffnet, das Ziel im Auge. Sieh niemals fort.

Ein Schuss, ein Versuch, kein Zögern mehr. Der Bär tritt aus der Höhle hinaus, richtet sich auf seine Hinterbeine auf. Artio...lenke den Pfeil. Mit einer geschmeidigen Bewegung richtet sie sich hinter ihrer Deckung auf, in der Bewegung spannt sie die Sehne zielt sie auf den Bären dessen massiger Kopf sich bei der Bewegung des Blattwerkes ihr zugewandt hat. Sie atmet ein und sieht dem Bären für einen Moment in die Augen. Zwei Jäger, zwei Beutetiere. Ihr angehaltener Atem entweicht und mit ihm schickt sie den Pfeil in die Dunkelheit, dem Bären entgegen.

Weshalb bist du alleine hier kleine Jägerin...denkst du wirklich du könntest dich mir stellen?

Der dumpfe Laut als sich die Spitze des Pfeiles in das dichte, dunkle Bärenfell bohrt ist bis hin zu ihr zu hören. Dann folgt der Schrei...voller Unglaube, Wut und Kraft. Ein Brüllen, dass die Nacht zerreisst. Eine offene Jagderklärung. Er sinkt auf alle Viere hinab, seine schwarzen Augen immer noch auf sie, die unverforene, gerichtet die es gewagt hat ihn anzugreifen. Und er läuft los. Erstarrt sieht sie ihm entgegen, das Herz beginnt schneller zu schlagen als der wachsende Schatten immer näher kommt. Die Füße gehorchen nicht mehr, ihr Körper ist so kalt geworden wie der Graupel der vom Himmel zu fallen beginnt. Dann steht er vor ihr, richtet sich auf. Zitternd ragt ihr Pfeil aus seiner Schulter. Er hebt die rechte Klaue hiebt nach ihr und immer noch ist ihr Körper wie erstarrt.

Ein kurzer Schmerz.
Dunkelheit.

Zu schwach...



Schweißgebadet richtet sie sich auf ihrem Lager auf, das Herz rast in ihrer Brust, noch immer gefangen in den Bildern des Nachtmahrs. Neben ihr, ruhig atmend, der geliebte Gefährte bedeckt von den Fellen. Leise richtet sie sich auf, tritt sie herum um die im Lager verteilten schlafenden Vertrauten, Verwandten ihres Stammes. Hinaus in die Nacht, die ihre erhitzte Haut unter der Kälte schaudern lässt.

Artio...war das ein Zeichen? Kann der Stamm nur gemeinsam deine Prüfung bestehen?

Noch eine ganze Weile kann man die Jurin beobachten wie sie gedankenverloren in die Dunkelheit starrt, ehe sie dann später wieder in die Höhle geht und sich genauso leise, wie sie sie verlassen hat wieder in das Lager legt.

Wir werden siegreich sein.

[Bild: 6eol82melie9.jpg]
Bergab leite mich, bergauf schone mich, in der Ebene brauche mich, so sprach das Pferd
[Bild: plttjhkzgosd.png]
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