Journal eines Reisenden
#1

9. Nebelung im Jahre 1400 nach Ankunft des Herrn

Ich bin in den späten Abendstunden beim Heilerhaus Greifenfels gewesen in der Hoffnung, dort eine Anstellung zur Forsetzung meiner Studien zu beginnen. Man hat mich abgewiesen. Die zuständige Heilerin, Lyanna Ennisfree, erklärte mir kurz und bündig, man habe sie bereits für den kommenden Abend zur Gefängnisinsel abberufen, um dort Dienst an den zahlreichen Keuchenkranken zu tun und wenn ich Arbeit benötigte, ich würde sie dort im Übermaß finden.

Der Gedanke, mich direkt in das Herz einer Epedemie zu begeben, hat mir das Herz klamm und schwer gemacht und ich sehe mich mit der Furcht konfrontiert, selbst Opfer dieser schrecklichen Krankheit zu werden, die bereits so viele Opfer gefordert hat. Es ist zum Mäusemelken. Da habe ich an Tod, Krankheit und Unglück schon so vieles gesehen und nun werden mir die Knie schwach, da es vielleicht an meine eigene Kehle geht. Es heißt, die Keuche wird weder durch wohlriechende Kräuter noch durch Atemschutz und dicke Kleidung abgehalten.

Und nun sitze ich hier bei einer flasche billigen Weines, hadere mit meinem Schicksal und starre Löcher in Wände und Decke, während der Regen gegen die Scheiben des Gasthauses prasseln. Ich bin der einzige Kunde. Bis auf mich und den Wirt ist der Schankraum, ein Raum für etwa 30 Personen leer. Niemand an der Theke, niemand an den Tischen.

Bisweilen beschleicht mich der Gedanke, ich wäre doch besser in Guldenach geblieben, hätte mir die Hände in der Tinkturei wundgearbeitet und mir diese unseelige Reise erspart. Wohin hat sie mich denn geführt? Nun, es ist nicht zu bestreiten, das ich vor allem in Hohenmarsch bisher wertvolle Erfahrungen bei der Anwedung unterschiedlichster Wildkräuter sammeln konnte. Aber Servano? Gerade Servano mitsamt Hochschule und Gilde hat sich als Enttäuschung erwiesen.

Es wird wohl eine lange Nacht werden. - Vielleicht eine, die Klarheit bringt über die Entscheidung, die ich morgen treffe. Gewiss aber eine schlaflose.

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#2

11. Nebelung im Jahre 1400 nach Ankunft des Herrn

Heute bin ich nach einer wenig erholsamen Nacht am warmen Kamin einer Bäckerstube mit unsäglichen Kopfschmerzen und mit einem Entschluss aufgewacht. Die Entscheidung hat mich gerade 36 Stunden gekostet, obschon sie mein Leben wohl elementar beeinflussen wird. Die zahlreichen Aushänge, die mir gestern in die Hände gefallen sind, haben dazu nicht unerheblich beigetragen: Es fehlt auf der "Insel der Hoffnung", wie man die Gefängnisinsel der Stadt seit ihrem Umbau, nicht immer ohne Hohn, nennt, vor allem an helfenden Händen.

Ich habe den Tag auf dem Markt verbracht und meine letzten Münzen für unnütze Kleinigkeiten ausgegeben: Eine hölzerne Tabakpfeife, ein gebratenen Spieß mit scharf gewürztem Krabbenfleisch und zuletzt für eine jener feinen Knochennadeln, die mir bisher stets zu teuer gewesen waren. Zum Abschluss habe ich mir einen Krug eines dicken, braunen Bieres gegönnt, den ich allein in der entvölkerten Taverne geleert habe. Ein spitzfindiger Mensch würde wohl behaupten, ich hätte meinen Frieden gemacht, aber natürlich wäre das eine maßlose Übertreibung. Effektiv war es nicht viel mehr, als der sprichwörtliche Tropfen auf dem heißen Stein.

Dennoch fühlte ich mich danach bereit, den Gang zur Insel zu wagen und mich freiwillig zu melden. Ich hatte das Portal kaum durchschritten, da wurde ich bereits Zeuge der Einlieferung einer Keuchenkranken. Die Frau hustete schwer, in ihr brannte das Fieber und offenbar wollten auch ihre Beine sie nicht mehr tragen, denn sie wurde von zwei fleißigen Helfern herangetragen. Ich bin kein Zeuge der folgenden Behandlung geworden, aber offenbar kam es zu einem Durcheinander, als die verwirrte Frau von einer Bank fiel und eine junge Heilerin unter sich begrub. Erst nachdem die Kranke versorgt war schenkte man mir schlussendlich Beachtung.

Ich habe schon genug große Worte gemacht, daher will ich mich kurz fassen: Man hat neben mir noch einen anderen Heiler, mit Namen Garah Rhevant, aufgenommen. Die Rätin Aurora Drakenquell höchstselbst hat uns in die Abläufe eingeführt. Die Aufnahmestelle ist in drei Zonen eingeteilt. In der ersten Zone werden die Kranken untersucht. Wenn es unspezifische Symptome gibt, so weist man sie in die zweite Zone ein. Erst wenn sicher ist, das es sich um einen Keuchenkranken handelt, dann kommt er in die dritte Zone, um dort behandelt zu werden.

Ich habe mich für die dritte Zone entschieden, nicht etwa aus einem Anflug von Heldenmut, sondern weil ich dort als Feldscher die besten Chancen sah, wirklich einen Effekt zu erzielen. Wie man mir anvertraut hat weisen Keuchenkranke nach einem bestimmten Zeitraum stets Pestbeulen und in einem späteren Stadium offene Wunden auf. Was die beiden anderen todesmutigen angeht, die sich angeblich hier unten finden sollen, so habe ich sie noch nicht kennenlernen dürfen. Offenbar schläft man derzeit. Hier unten gibt es tatsächlich richtige Betten.

Man hat mir an diesem Tag ungefähr fünf Mal geraten, mein Testament zu machen. Da ich nicht viel besitze wird mir zumindest das leicht fallen.

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#3

21. Nebelung im Jahre 1400 nach Ankunft des Herrn

Zehn Tage! Seit zehn Tagen modere ich in diesem Loch vor mich hin. Der Feind, den ich indes zu bekämpfen gedachte, hat sich für meine bescheidenen Fähigkeiten als übermächtig erwiesen. Die Keuche hat sich dem Vernehmen nach nun in der Stadt ausgebreitet und wir erhalten jeden Tag neue Kranke.

Seit Andau tot ist, ist die Stimmung hier unten schlecht wie nie. Ich schlafe nicht sehr gut, seit ich weiß, das die Kranken in der Endphase ungeheure Kräfte entwickeln und Türen aufbrechen können. Er hat das Schreibzimmer verwüstet und ein ganzes Fass zertrümmert, bevor wir ihn bändigen konnten. Danach ist er wohl wie eine Leiche verrottet. Ich war nicht bei ihm, als es zuende ging. Die Sache hat allerdings auch ein gutes. Wir brauchten freie Betten, nicht wahr?

Dieser neue Patient, der Wirt Aitan, ich kann kaum glauben, ihn hier wieder zu sehen. Als ich vor elf Tagen einen Haferbrei in seiner Wirtschaft bestellte erschien er mir putzmunter und mir wäre nicht im Traum in den Sinn gekommen, ihm keine zwei Wochenläufe später in einer Todesfalle zu begegnen. Beachtlich ist, das sich sein Zustand binnen kürzester Zeit dramatisch verschlechtert hat. Die Keuche schreitet bei ihm in einem Tempo voran, das ich mir nicht erklären kann. Am ersten Tag Fieber, am zweiten Bluthusten, jetzt bereits die ersten schwarzen Stellen. Er wird vor Ende der Woche tot sein, wenn es in diesem Tempo weitergeht.

Nach wie vor ist kein Heilmittel in Sicht, wir haben nicht einmal eine Spur. Alle bisher als sinnvoll befundenen Maßnahmen möchte ich an dieser Stelle auflisten. Zwar verspricht keine davon einen Heilerfolg, kombiniert verlangsamen die Maßnahmen aber ein Fortschreiten der Krankheit und lindern das Leid das Patienten.

Zusammenfassend lässt sich bisher das Folgende sagen:
  • Schlafmohn, egal ob der Milchsaft oder der Extrakt aus den Kapseln, erzielt eine beruhigende, entspannende Wirkung auf die Kranken, zusätzlich zum schmerzstillenden Effekt. Anderen Schmerzmitteln fehlt der Beruhigungseffekt.
  • Die mechanische Entfernung der Faulstellen und das reinigen mit Alkohol, gefolgt vom Bestreichen der Verletzung mit Honig, verlangsamt die Ausbreitung signifikant und erhält den Patienten so über längere Zeit kräftig. Das Auftragen von Honig auf die gerade erst entstehende Verfärbung erfüllt einen ähnlichen Zweck.
  • Als vorteilhaft hat sich zudem erwiesen, sich um die allgemeine körperliche Befindlichkeit der Patienten zu bemühen, zum Beispiel durch vermehrte Flüssigkeitsgabe, Kräutertees und gesunde und kräftigende Speisen. Tägliche Waschung des Körpers hat sich ebenfalls als sinnvoll erwiesen.
Die Nosoden-Therapie kann indes als gescheitert betrachtet werden, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, das ihr Beginn bei Beron Andau zu einem sprunghaften Ansteig der Symptome führte. Es folgte binnen kürzester Zeit der Tod. Sorge bereitet mir, das Medica Kerlow überhaupt nicht zu bemerken scheint, das es ihren Patienten immer schlechter geht, oder gar eine parallele zu dieser Therapie ziehen würde. Ich werde die Thematik alsbald ansprechen. Einen Beweis wird wohl der Patient Aitan bringen.

Hoch spekulativ ist die Therapiemethode von Ayura, die offenbar die Selbstheilungskraft des Körpers erwecken will, indem sie die Symptome künstlich verschärft. Darin knüpft sie an die Gift-Therapie von Medica Kerlow an, die ob ihrer Wirkungslosigkeit als gescheitert betrachtet werden kann. Kurzum: Wir tappen alle im Dunkeln. Möglicherweise kämpfen wir gegen eine Krankheit, gegen die - sprichwörtlich und tatsächlich - kein Kraut gewachsen ist.

Hoffentlich finde ich wenigstens diese Nacht ein wenig Schlaf. Ich habe rasende Kopfschmerzen und mir ist kalt. Halskratzen. Die Feuchtigkeit zieht einem wirklich in alle Glieder. Zum Glück gehört ein ordentlicher Badezuber zur Ausstattung des Kellers. Aber wo in Mithras Namen bleibt eigentlich der verfluchte Destillierkolben, den ich bestellt habe?

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