Tagebucheinträge des Silas Nehemah
#1
Tag der Sonne, 8. Scheiding im Jahr 1400

Nach einer langen, anstrengenden Reise bin ich heute zu später Stunde endlich an meinem erstrebten Ziel angekommen.
Löwenstein wirkt genauso imposant wie ich es mir immer erträumt hatte; Und diese allgemeine Atmosphäre des Großen, in welche ich mich nun zum ersten Mal in meinem Leben versetzt fühle, lässt mich erstarren und gleichzeitig voller Erwartungen in die Zukunft blicken.

Während ich diese Zeilen im trüben Licht einer Straßenlaterne verfasse, umgeben von den fremdartigen Geräuschen einer unbekannten Umgebung, komme ich nicht um den Gedanken herum jene überaus zuvorkommende Dame, welche ich heute auf dem Marktplatz antraf, enttäuscht zu haben.
Dass wir uns am Osttor treffen würden, hatte sie gesagt; Und ich stimmte zu; Und habe mich tatsächlich verlaufen.
Und während ich dem verwirrten Spiel der Motten im fahlen Schein so zusehe glaube ich zu erkennen, dass ein Gleichnis an dieser Stelle mehr als angebracht ist.
---
Zitieren
#2
Tag des Dienstes, 10. Scheiding im Jahr 1400

Schon nach dem erstmaligen Betreten der Eingangshalle wurde mir bewusst, dass ich an diesem Ort genau das finden würde was ich suche. Die alles zu durchdringen scheinende Präsenz von offenbarenden Entdeckungen und erhabenstem Wissen schien aus jedem Winkel des Gebäudes zu strömen und vermischte sich mit dem latent wahrnehmbaren Duft antiker Folianten und staubiger Grimoires zu einem überwältigenden Eindruck, der mich ehrfürchtig erschaudern ließ.

Glücklicherweise war es mir möglich gewesen noch vor Sonnenuntergang zum ersten Male die Treppen dieses eindrucksvollen Gebäudes in die oberen Kammern zu erklimmen; Denn obgleich sich eine schier übermannende Nervosität in mir breit machte, so erwies sich der matt leuchtende Einfall der letzten Sonnenstrahlen des Zwielichtes durch die alten Fenster doch als überaus beruhigend wirkendes Randphänomen.

Ich muss gestehen: Meine eigenen Vorstellungen von dem was mich erwartete und ich daraufhin als tatsächliche, sich vor mir entfaltende Szenerie antraf, fanden ihren gemeinsamen Nenner nicht auf Anhieb; Doch trotz der anfänglichen Verwunderung meinerseits beim Anblick jener Zusammenkunft, der sich mir im Speisesaal des altehrwürdigen Gemäuers, ein schelmisches Schmunzeln sei mir an dieser Stelle gegönnt und verziehen, darbot, bestätigte der darauffolgende Diskurs, in welchen ich mich schon nach wenigen Augenblicken verwickelt sah all das, was ich mir von diesem ersten Treffen mit den Wortführern der Akademie vorhergehend auszumalen vermochte.
Alsbald schon sah ich mich konfrontiert mit den interessantesten Ansichten zu den ungewöhnlichsten Inhalten und es brannte schier in mir, mich zu beteiligen und all das zu erörtern und gegebenenfalls in Frage zu stellen, was ich an Gedanken zu eben diesen Themen in mir trug und trage.
Angesichts der Tatsache, dass ich mich in einer derart neuen, mir bis dahin völlig fremden Position befand, verblieb mein Anteil an jenen Gesprächen jedoch stets dabei nur dann zu antworten, wenn ich auch gefragt wurde. Die Faszination an der gedanklichen Herrschaftlichkeit, von der ich nun kostete, wies mich in meine Schranken; Und meine Anspannung stieg.

Der Test, welcher daraufhin stattgefunden hatte, tat sein Übriges; Und nur unter Einbezug meines nackten Willens hin zur Erbringung des Beweises meiner Fähigkeiten war es mir möglich gewesen die nötige Konzentration aufzubringen diesen schließlich, zu meiner wahrscheinlich sichtlichen Erleichterung, auch zu bestehen.

Es war zwar nur ein erster Schritt, dessen war und bin ich mir nach wie vor, mich nun in der hiesigen Hafentaverne befindend und über diesen Worten brütend, bewusst; Doch während ich dem flackernden Tanz der kleinen Flamme auf dem in Bienenwachs gebetteten Docht vor mir nun mit neu erworbener Perspektive beiwohne, so weicht jede vorherige, einschränkende Befürchtung einem tiefgreifenden Gefühl erwartungsvoller Zuversicht.
---
Zitieren




Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste