De profundis clamavi ad te, domine
#1
Die Gedanken eines Kirchendieners

[...]
Der Mensch ist ein leidendes Wesen, daran besteht kein Zweifel.
Niedergedrückt und beschädigt sind manchmal Antrieb und Lebensfreude; Die Gestimmtheit,
Menschen sind herabgestimmt, voller ängstlicher Unruhe und voller Selbstzweifel.

Was bin ich wert?
Was ist das wert, was ich tue, was ich bin?

Das sind die Fragen, die man sich allenthalben stellt.
Melancholie nennt man das. Ein seelischer Zustand von Schwermut oder Traurigkeit.
Und gerade dieser holt mich nach den Geschehnissen des gestrigen Abends ein.
Ich fühlte mich hilflos und überfordert, auch wenn ich versuchte dies zu verbergen.
In diesem Zusand der Melancholie erinnere ich mich oft an ein Gedicht, das ich einmal auf meinen Reisen aufschnappte:


Zitat:Ich saz ûf eime steine
und dahte bein mit beine,
dar ûf satzte ich den ellenbogen;
ich hete in mîne hant gesmogen
mîn kinne und ein mîn wange.
Dô dâhte ich mir vil ange,
wie man zer werlte solte leben:
Deheinen rât kond ich gegeben,
wie man driu dinc erwurbe,
der keinez niht verdurbe.
Diu zwei sind êre und varnde guot,
daz dicke ein ander schaden tuot;
das dritte ist mithras hulde,
der zweier übergulde.
Die wolte ich gerne in einen schrîn.
Jâ leider, des enmac niht sîn,
daz guot und werltlîch êre
und mithras hulde mêre
zesamen in ein herze komen.
Stîge unde wege sint in benomen:
untriuwe ist in der sâze,
gewalt vert ûf der strâze,
fride unde reht sint sêre wunt.
Diu driu enhabent geleites niht, diu zwei enwerden ê gesunt.


Und auch wenn es nur ein lyrisches Werk ist, so ruht doch viel Wahrheit in ihm.

Wer wäre ich, mich frei von Selbstzweifeln zu wägen?
Und wie könnte ich mich denn nun nicht selbst hinterfragen?

Der Weg zur Selbstfindung beginnt mit dem Fragen.
Man muss doch zunächst eine Bestandsaufnahme machen und sich fragen, wer man ist, was in seinem Leben gut,
was schlecht läuft und was man alles hat.
Denn nur wer weiß, wo er steht, kann auch herausfinden, wie es weitergehen soll.
Es gibt so viel größeres als mich auf dieser Welt. Und ich habe gerade erst meinen Platz in ihr gefunden.
Der zweite Schritt besteht wohl darin, sich von falschen Vorbildern und Leitfiguren zu befreien und auf die Reinheit des Herrn zu vertrauen.
Stück für Stück wird man dadurch zu der Person, die man gerne sein möchte.

So wie es scheint, muss ich noch vieles ändern, damit ich der sein kann, der ich noch nicht zu sein vermag.
Gefangen in meinen eigenen Gedanken.
Ich habe mein Bestes gegeben, ihnen zu entkommen.
[...]
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#2
[...]
Ein Mensch würde nie dazu kommen, etwas zu tun, wenn er stets warten würde, bis er es so gut kann, dass niemand mehr einen Fehler entdecken könnte.

Aber manche Menschen denken das würde bedeuten stur weiterzumachen, bis man es schafft.
Tut es im Grunde auch.
Nur sollte man dabei intelligent vorgehen.
Wenn man vor einem soliden Mauerwerk steht und immer wieder dagegen anrennt, obwohl man mit jedem Versuch weniger Kraft und mehr Wunden hat, dann macht man etwas falsch.

Das ist nicht mit Durchhaltevermögen gemeint. Wenn man sagt: “Mach weiter, bis du am Ziel ankommst”, meint man damit nicht, dass man ständig dasselbe versuchen sollen ohne seinen Ansatz zu verändern. Mit dem Weitermachen ist nicht stures Wiederholen der bisherigen Handlungen gemeint, denn diese haben offensichtlich nicht ans Ziel geführt.
Es geht vielmehr darum kreativ zu sein und sich zu überlegen welche anderen Möglichkeiten es gibt, die große Mauer vor sich zu überwinden. Eine Idee wäre um sie herumzugehen, oder sich eine Leiter zu besorgen, oder aber jemanden zu finden, der einem eine Räuberleiter macht, damit man darüber klettern kann. Wenn man weiter stur dagegen anrennt, wird es nicht besser. Man verschwendet nur Zeit, falls man seinen Plan nicht anpasst.

Hartnäckigkeit bedeutet nicht ständig die Dinge zu wiederholen, die man bisher versucht hat, sondern offen für Neues zu sein und nach neuen Möglichkeiten Ausschau zu halten um das Hindernis zu überwinden. Wahres Durchhaltevermögen heißt sich zu überlegen, was schiefgelaufen ist, eine neue Strategie zu entwickeln und sich durch frühere Mißerfolge nicht von deren Umsetzung abbringen zu lassen.


Es ist im Grunde in wenigen Worten zu erklären:

“Viele sind hartnäckig in Bezug auf den einmal eingeschlagenen Weg, wenige in Bezug auf das Ziel.”
[...]
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#3
[...]
Gib mir halt, und dann werde ich zu dir sagen, dass du mein Freund bist.
Trage mich wie einen Bruder, liebe mich wie eine Mutter.

Wirst du da sein?

Sag mir, wirst du mich halten, wenn ich irre?
Wirst du mich schelten?
Wenn ich verloren bin, wirst du mich finden?

Sie sagten mir, dass ein Mann glauben sollte.
Und laufen, auch wenn er müde ist.
Und bis zum Ende kämpfen.
Aber ich bin nur ein Mensch.

Jeder nimmt mich in Besitz
Es scheint als hätte die Welt einen vorbestimmten Platz für mich.
Ich bin so verwirrt!
Wirst du es mir zeigen?
Wirst du für mich da sein?
Und dich genug sorgen, um mich zu etragen?

In meiner dunkelsten Stunde,
in meiner größten Verzweiflung,
wirst du dich noch immer sorgen?

Wirst du da sein?

Bei meinen Prüfungen und meinen Sorgen,
bei meinen Zweifeln und Frustrationen,
in meiner Gewalt und in meinen Turbulenzen,
durch meine Ängste und meine Bekenntnisse,
durch meine Freude und mein Leid,
im Versprechen auf ein besseres Morgen,
werde ich dich nie verlassen!
Du bist immer in meinem Herzen!
[...]
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#4
[...]
Als in einem der Bücher die ich zuletzt las, der avantgardistische Intellektuelle Dietrich, an der Reihe ist, seine Rede zu halten, gliedert er sie, ohne das eigens zu begründen, nach den vier Grundtugenden: Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maß. So selbstverständlich ist offenbar, für den Zeitgenossen, diese aus der frühesten Reflexion überkommene Denkform schon geworden – nicht allein der Begriff Tugend, welcher das Richtigsein des Menschen meint, sondern auch der Versuch, es in jenem vierfältigen Spektrum formulierbar zu machen. Diese gedankliche Struktur, die Aussageweise der Tugendlehre also, einer der großen Funde des menschlichen Selbstverständnisses, ist aus dem Bewusstsein nie mehr verschwunden. Sie ist geradezu in seinen elementaren Bestand eingegangen – und dies auf Grund einer jahrhundertelang durchgehaltenen Denkbemühung, an welcher sämtliche Ursprungskräfte teilhaben.

Dies ist zwar gleichfalls eine legitime, sogar verehrungswürdige und wohl auch unentbehrliche Möglichkeit, das Sollen des Menschen auszusprechen. Aber eine Gebote- oder Pflichten-Lehre kommt natürlicherweise leicht in die Gefahr, beziehungslos Forderungen zu verkünden und dabei den Menschen selbst, der da etwas soll, aus dem Auge zu verlieren. Die Tugendlehre hingegen spricht, gleichfalls natürlicherweise, ausdrücklich von eben diesem Menschen, und zwar sowohl von dem schöpfungshaften Sein, das er bereits mitbringt, wie auch von dem Sein, zu dessen Realisierung er emporgedeihen soll – indem er klug, gerecht, tapfer, maßvoll ist. Dieser Gestalt der Sollenslehre ist von Natur alle reglementierende Einengung fremd; sie hat es im Gegenteil gerade darauf abgesehen, einen Weg freizugeben und eine Bahn zu eröffnen.

Jenes Viergespann der Grundtugenden nämlich, von dem ein schon altertümliches Wort sagt, es vermöge den Menschen in das Äußerste seines eigenen Seinkönnens zu führen. Begreiflicherweise hat auf diesem Felde Originalität des Gedankens und der Diktion nur wenig zu bedeuten. Es ist doch kaum zu erwarten, dass über einen solchen Gegenstand völlig neue Einsichten sollten zutage gefördert werden. Anderseits besitzt für die Erkenntnis der Realität des Menschen die „Weisheit der Alten“ eine faktisch unerschöpfte Aktualität. Und es ist genau die Absicht dieses Buches gewesen, hiervon etwas sichtbar werden zu lassen.

Jeder Mensch sollte dem Anderen helfen, nur so verbessern wir das Reich.

Tugendhaft sollten wir sein.

Wir sollten am Glück des Anderen teilhaben und nicht einander verabscheuen.

Hass und Verachtung bringen uns niemals näher.

Das Leben kann ja so erfreulich und wunderbar sein, wir müssen es nur wieder zu leben lernen.

Die Habgier hat schon oft das Gute im Menschen verschüttet und Missgunst hat die Seelen vergiftet und uns im Paradeschritt zu Verderb und Blutschuld geführt.

Die Klugheit hat uns ab und an hochmütig werden lassen und unser Wissen kalt und hart, wir sprechen zu viel und fühlen zu wenig. Aber zuerst kommt die Menschlichkeit.

Vor Klugheit und Wissen kommt Güte.

Ohne Menschlichkeit und Nächstenliebe ist unser Dasein nicht lebenswert.

Die Berufung auf dieses Idealbild ist es auch, wodurch sich für den nachgeborenen Interpreten das Risiko der Lächerlichkeit ergibt, dass er sich nämlich schämt, ein Menschenbild zu zeichnen, vor dessen Maßstab die alltägliche eigene Existenz tausendfach versagt.
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#5
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Es war ein unwirklicher Moment. Für einen Augenblick schien die Welt still zu stehen, die Zeit nicht zu vergehen. Mein Blick ruhte gebannt auf dem Feuer, das für das Ritual entfacht wurde. Und ich vermochte ihn nicht zu lösen.
Wo eben noch das Kampfgetümmel und klirrendes Metall zu hören war, gab es nun nur noch Ruhe. Um mich herum tobte weiterhin die Schlacht, aber ich fühlte in diesem Moment einen Frieden, wie ich ihn bisher nur einmal erlebt hatte.

Damals hatte seine Seligkeit Sonnenfeld mich und Alina mit zu dem Friedhof vor Löwenstein genommen und in die kleine Kapelle geführt. In der Mitte dieser stand eine Feuerschale, um der wir uns versammelten. Alina und ich standen uns gegenüber, blickten uns an, während der alte Mann etwas Stroh mit einer Kerze entzündete, die er in einem Halter von der Kathedrale mit hergebracht hatte. Dieses Stroh wiederrum nutze er, um die Feuerschale zu entzünden. Ab dort verblasst auch schon an meine Erinnerung an das was um mich herum geschah, denn ich folgte gebannt seinen Worten, die mit dem entzünden der Flamme einher gingen. Es war als würde sich, durch die Symbiose dieser Stimme und des Feuers, mein eigener Leib von der Welt lösen. Aber das Fleisch stand noch dort, den Blick in das Feuer gerichtet, nur der Geist schien ihm entsprungen und an einem anderen Ort zu weilen. Es gab nur noch das reine Licht, das mich umhüllte, und jeglichen Ton zu verdrängen schien. Es gab keinen Schatten und kein Geräusch. Nur das Gefühl, dass dort eine Verbindung zu etwas zu sein scheint. Ich war dort nicht alleine…

Und nun überkam mich wieder dieses gleiche Gefühl wie damals. Aber es war intensiver. Als würde es mich einfangen und nie mehr loslassen wollen. Das Licht wurde stärker und heller; Mit jedem Schlag der Wimpern nahm es zu. Bis es mich plötzlich durch diese grelle Wand stieß und ich, wie von ihr geblendet, nur Schemen vernahm. Ich war wieder in der Kapelle, in der ich früher war. Ich sah mich dort stehen. Aber es waren nicht meine Gedanken, die in diesem Moment durch meinen Kopf schwirrten. Und noch bevor ich dies alles weiter ergründen konnte, riss mich ein gewaltiger Ruck von dort fort.

Nach einem erneuten Schlag der Augenlider sah wieder das große Feuer vor mir, neben dem Lisbeth stand und eifrig ihre Psalme sprach, während ich am Boden lag. Getroffen von einem mächtigen Hieb, der zu meinem eigenen Glück die Rüstung nicht durchdrang. Es mögen wenige Sekunden gewesen sein, die ich abwesend war. Aber in diesem kurzen Moment, aus der schier unendlichen Friedlichkeit wieder zurück in die Schlacht geworfen worden zu sein, fühlte es sich unwirklich an. Auch wenn mein Körper seiner Pflicht nachkam und sich wieder hochdrücken wollte, den Schmerz des Hiebes nahezu ignorierend, hatte mein Geist noch nicht realisiert, was gerade Geschehen war. Aber dafür blieb auch keine Zeit. Die nächste Welle der Kohorten des Abyss stand vor uns und musste daran gehindert werden, das Ritual zu stören…

Erst später, als wir wieder in Löwenstein waren, fand ich Zeit für mich. Zeit nach Erklärungen zu suchen und Antworten zu finden. Zeit mir gewahr zu werden, was überhaupt geschehen war.
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