Cogitatio
#1
Nachdenklich saß Adailoe am Rand des Flusses. Die Stiefel hatte sie ausgezogen, die Füße hingen in das kühle Nass hinab.
Hier, weit ab der Stadt und allen bekannten Gesichtern, konnte sie ihren Gedanken nachhängen.
Viel war geschehen in letzter Zeit. Oder gar in den letzten Jahren. Kurzzeitig plagte sie ein schlechtes Gewissen, dass sie einigen Leuten nicht ganz die Wahrheit gesagt hatte. Wirklich gelogen hatte sie auch nicht, aber eher… Dinge weg gelassen.
Wie hätte man auch, in dieser Welt, in der Magie verpönt war und man als Hexer und Ketzer gejagt und im schlimmsten Fall gefasst und verbrannt wurde, die vollständige Wahrheit sagen können?!? Zumindest direkt von Anfang an…

Es stimmte, sie kam aus Ravinsthal, und es stimmte, auch, dass sie jenes Lehen verlassen hatte, um zu lernen. Auch stimmte es, dass sie viel gelernt hatte. Auch war sie an der Universität gewesen, hatte sich mit der Alchemie und dergleichen Dingen beschäftigt. Allerdings hatte sie die Akademie ausgelassen. Sie war mit dem Ziel nach Löwenstein gekommen, um an jener zu lernen. Was sie auch tat. Und doch konnte sie es nicht offen sagen. Zu groß war die Vorsicht, das Mitrauen, den anderen Menschen gegenüber. Sie hatte es früher schon des öfteren erlebt, dass angebliche Hexen verbrannt worden waren. Ob überhaupt jemals eine Hexe dabei gewesen war, konnte sie nicht sagen. Aber der größte Teil zumindest waren normale Menschen, welche nichts von der Magie verstanden, oder Hermetiker, die ihre Fähigkeiten nicht verborgen hielten.
So wuchs Ihr Misstrauen von Tag zu Tag. An sich machte es ihr nichts aus mit Lügen zu leben. Sie war es gewohnt. Musste sie sich doch als Kind schon mit allen möglichen Sachen über Wasser halten. Ihre Eltern waren nicht reich gewesen, im Gegenteil. So gehörten diverse Gaunereien zur Tagesordnung. Diesen Teil ihrer Vergangenheit hatte sie auch bis zum heutigen Tage nicht los lassen können.

Und doch hatte sie ein anderes Leben gewählt. Sie hatte ihre Heimat und ihre Eltern verlassen um an der Akademie zu lernen. Um Macht zu erringen, vielleicht irgendwann sogar Ansehen, aber dies war eher nebensächlich. Sie wollte endlich einmal das Gefühl haben, nicht einfach nur Abschaum zu sein, sondern etwas zu können, was nicht jedermann bestimmt ist. Und jenes auch einsetzen zu können.

Nun, wo sie so alleine am Wasser saß und überlegte, wurde ihr bewusst, was sich in den letzten Wochen am meisten geändert hatte.
Sie war immer alleine gewesen. Selbst in der Akademie mit so vielen Leuten war sie alleine, außer Theresia. Diese war die einzige Ausnahme gewesen.
Ansonsten waren sie da, aber nicht nah. Ebenso war es vorher gewesen, als sie auf der Straße gewohnt hatte. Bei ihrer Familie war es nicht ganz so extrem. Sie waren zwar zusammen, auch kümmerten sich ihre Eltern um sie und ihre Geschwister, doch der tagtägliche Kampf um das Überleben hinterließ auch dort seine Spuren.
Durch diese Erfahrungen war sie hart geworden. Und kalt. Zumindest innerlich. Sie hatte die Fähigkeit, jenes zu verheimlichen. So sie ihren Nutzen darin sah, konnte sie einem jeden Glauben machen, dass sie ihn mochte. Und dies war schon immer ein großer Vorteil. Sie hatte mehr als einmal ihre Mitmenschen verkauft… Informationen gegen Geld veräußert, ohne sich darum zu kümmern, was mit diesem dann geschah. Dies gehörte zum Überleben und dieses Geld sorgte dafür, dass sie etwas zum anziehen und etwas zu essen hatte. Sie hatte sich nie wirkliche Gedanken darum gemacht, es hatte sie nie gestört.

Und doch hatte sich in den letzten Wochen etwa verändert. Den meisten Menschen gegenüber war sie noch immer so. Doch mittlerweile gab es Ausnahmen.
Sie war zu den Grauwölfen gekommen. Der Aushang hatte sie darauf Aufmerksam gemacht. Die Aussicht auf Geld. Und nun war sie da, sie trug das Abzeichen, gehörte zu ihnen. Dies an sich war nichts neues, trug sie doch auch das Abzeichen der Akademie, wenn auch verborgen.

Aber die Menschen waren anders. Zumindest manche. Es gab einige Wenige, wo sie sich selbst dabei überraschte, dass sie sie mochte. Dass sie jene nicht einfach verkaufen konnte, wie sie es gewöhnlich tat, um ihren Vorteil daraus zu ziehen.
So seltsam es auch war, sie hatte Cathia wirklich gerne. Die Frau mit den zwei Gesichtern. Nach außen hin teilweise etwas grob, mit einem losen Mundwerk, doch so man sie näher kennen lernte, war etwas unter dieser rauen Schale, was sie sehr mochte. Vielleicht konnte Cathia wirklich eine Freundin werden, wie Theresia es war. Auch wenn zwischen ihnen beiden Welten lagen.
Und dann war da noch… nun ja… Sie merkte immer mehr, wie sich etwas in ihr veränderte. Doch war sie sich nicht sicher, ob dies so gut war. Es ist nicht gut, jemanden zu sehr zu mögen… vor allem mehr, als einem gut tut. Dies sagte sie sich immer wieder, doch half es nicht.
Es würde ihr gewiss noch Probleme bereiten. Dessen war sie sich sicher.

Sie starrte in das Wasser, Ihre Gedanken wanden sich um die Problematik, welche sie schon seid Wochen versuchte zu unterbinden. Doch half es nichts.
Mit einem Ruck riss sie sich aus diesen Gedanken los und zog die Füße aus dem Wasser. Alsbald waren die Stiefel angezogen und sie machte sich wieder auf den Weg zur Stadt. Ein Gang durch die Höhlen würde sie vielleicht ablenken. Dort waren die Probleme und Gefahren gewiss kleiner, denn jene kannte sie, damit konnte sie umgehen…
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#2
Abstand.
Das war es, was sie benötigte. Sie hatte es auch Mieps gesagt, wenn auch nicht mit der richtigen Begründung. So war sie aus der Rotte ausgezogen und hatte sich in der Zunft einquartiert. Es war auch sauberer dort, es gab Betten… und doch war sie auch dort nicht zufrieden. Immer wieder wanderten die Gedanken zurück. Und immer wieder hatte sie dieselben Bilder vor Augen.
Immer, wenn sie sich dabei ertappte, dann kniff sie jene zusammen und schüttelte den Kopf, als könne sie jene Bilder damit hinfort schieben. Doch es half nicht. Immer wieder kamen jene wieder, die Gedanken schweiften ab. Und immer wieder hasste sie sich dafür.
Das gerade sie sich auf so was einlassen konnte. Dies war eigentlich zu viel gesagt, es gab nichts, worauf sie sich einlassen konnte. Aber das gerade ihr so etwas passieren konnte.
Abstand war gut, das einzige, was ihr helfen konnte.
Und doch ging es nicht immer. Sie konnte sich nicht aus allem heraus halten, sie hatte sich verpflichtet. Und so ging sie des Abends mit den Anderen zum Hahnenkampf. Wirklich Lust hatte sie dazu nicht, aber sie hatte nichts Besseres vor.
Doch der Abend gestaltete sich nicht so, wie es geplant war. Vor den Kämpfen saß sie recht einsam herum, ihre Gedanken schweiften schon wieder ab. Sie hatte das Gefühl, dass Cathia etwas bemerkt hatte, sie musste wohl zukünftig vorsichtiger sein. So hatte sie sich zu den Anderen gesetzt und den ersten Kampf angeschaut, in dem Hahniball von den Grauwölfen sich problemlos den ersten Sieg holte und das Suppenhuhn in seinen Topf verwies.
Doch nach jenem Kampf wurde es immer extremer. Sie hatte das Gefühl zu platzen, mühte sich ab, ruhig sitzen zu bleiben um sich nichts anmerken zu lassen. Doch es half nichts. Vor dem letzten Kampf in der ersten Runde hielt sie es nicht mehr auf. Sie stand auf und ging ohne etwas zu sagen. Cathia war die einzige die ihr Fortgehen bemerkte.
Ihr Weg führte sie in die Gruft hinunter, sie musste sich abreagieren. Abstand… sie sollte sich mehr darauf einlassen, was sie sich geschworen hatte. Doch wie? Sie musste immer wieder zurück und irgendetwas in ihr wollte dies auch.
Kräftig schlug sie auf die Wesen ein, welche in der Gruft auf sie warteten. Und ausnahmsweise konnte sie auch andere Dinge als den Schild und das Schwert einsetzen. Sie war alleine. Abwechselnd traf das Schwert, dann wieder ließ sie aus dem Nichts Steine auf ihre Gegner herab fallen.
Es dauerte lange, bis sie sich abreagiert hatte und aus der Gruft wieder heraus kam. Sie fühlte sich besser. Aber noch lange nicht gut.
Sie stand am Friedhof und überlegte, was sie als nächstes tun sollte. In die Rotte wollte sie nicht. Auch wenn dort zurzeit wohl niemand war, wäre es keine gute Idee gewesen.
So ging sie in Richtung der Akademie. Doch auch dort war niemand anzutreffen, der sie auf andere Gedanken bringen konnte. Also ging sie zurück und kam an der Stadtwache vorbei, wo sie dann auch eine Zeit lang verweilte. Ein nettes Gespräch… ja, so konnte man eher auf andere Gedanken kommen, zumindest kurzzeitig. Doch allzu lange dauerte es nicht, störte dann doch ein neuer Rekrut das Gespräch und zuletzt noch Aryn. Doch die Hauptsache war, dass sie ihre Gedanken ablenken konnte, zumindest für einen kurzen Zeitraum nicht mehr denken musste.

Abstand… das war es, was sie brauchte… Sie musste sich selber wieder finden. Sie hatte sich unterwegs scheinbar verloren…
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#3
Zwischen all den vielen anderen Gedanken die Cathia die Tage über immer wieder plagten, blieb sie einen Moment bei Ada hängen...

Sie mochte Ada. Aus irgendeinem Grund schon vom ersten Tag. Cathia suchte Freundinnen, mehr noch als irgendwelche Kerle die sie als Freunde haben konnte. Die meisten Kerle bargen immer wieder das Problem dass sie mittlerweile mit Einar und Markas hatte: Sie verliebten sich. Und das halft Cathia nicht gerade eine Vertrauensperson zu finden. Freunde, Kameraden, Geliebte, Bekannte..all das waren unterschiedliche Sachen.

Ada war normalerweise aufgeschlossener und lebhafter. Cathia hatte Dyn zwar gesagt, das Ada öfters mal ruhiger war, aber eigendlich hatte sie nur gemeint, dass sie ruhiger als der Rest des Haufens war.
Am Tag des Hahnenkampfes hatte Ada sich merkwürdig verhalten. Sie sprach kaum mit ihr oder den anderen Frauen. Sie sah ständig sehr ernst, ja beinah grimmig drein. Einen Moment hatte Cathia gedacht, einer der Kerle hätte wieder irgendetwas dummes gesagt, doch sie hatte nichts derartiges Feststellen können. Alle verhielten sich normal und niemand schien Ada übermäßig zu meiden oder zu umschwärmen. Im Gegenteil schaffte Ada es sogar, dass man sie sogut wie garnicht mehr beachtete.
Sie saß einfach da, schwieg und sah sich um. Meist mit diesem ernsten, nachdenklichen - beinah grimmigen Gesicht - das ihr überhaupt nicht stand, wie Cathia fand.

Was war nur mit Ada los?..Bei Liebeskummer würde sie anders aussehen. Vielleicht hatte sie Probleme in der Universität, oder in ihrer Familie...
Cathi hatte keine Chance sie danach zu fragen. Es war viel zu viel los, sie musste auf Dyn aufpassen und irgendwie war der Hahnenkampf doch ganz lustig - solang die Wölfe gewannen zumindest.
Und dann..tja dann war Ada auch schon weg. Irgendwas stimmte da nicht...und irgendwie beschlich Cathia das Gefühl sich vielleicht nicht in alles einzumischen..doch andererseits: Niemand wollte alleine sein. Und jeder braucht mal Hilfe.
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#4
Adailoe saß in der Rotte, ein Stapel Pergament sowie ein Tintenfass vor sich aufgebaut, die Feder in der Hand. So saß sie schon seit Stunden und versuchte, eine Abhandlung zu verschriftlichen. Abhandlung… beinahe verächtlich verzog sie das Gesicht. Eben jenes war der Grund, warum sie der Akademie, wie sie nun bestand, den Rücken gekehrt hatte. Und nun sollte sie den gleichen Unsinn für die Zunft erstellen. Wenn jemand etwa wissen wollte, dann konnte er fragen, man musste es nicht verschriftlichen. Schriftstücke waren gut dazu, Leuten in die Hände zu fallen, welche die Sachen nichts angingen. Bei unwichtigen Sachen, gut. Da war es nicht weiter schlimm. Aber bei wichtigen?

Erneut, wie schon viele Male zuvor, strich sie beinah wütend das Geschriebene durch und knüllte das Pergament, welches dann als Kugel durch den Raum flog. Es waren schon einige dieser Pergamentknäule im Raum verteilt und der ein oder andere Söldner, der in den Schlafraum oder zu seinen Truhen wollte, war bereits von einem solchen Geschoss getroffen worden. Aber dies war ihr gleich.

Immer wieder gingen ihre Gedanken in die jüngste Vergangenheit, zu den letzten Tagen. Und immer wieder versuchte sie sich davon los zu reißen, um dann in dieser Zeit das nächste Papiergeschoss zum fliegen zu bringen.

Aber es war wirklich seltsam. Es war nur so wenig Zeit vergangen, und dennoch war so viel geschehen. Sie hatte sich offenbart, zumindest einen Teil von ihr. Sie hatte Cathia erzählt, was sie bewegte und, wo sie schon mal dabei war, auch wer oder was sie war. Cathia, die sonst durch nichts zu erschüttern war, wie es schien, war mitsamt Stuhl nach hinten umgefallen. Doch nachdem sie diesen Schreck überwunden hatte und auch glaubte, dass Adailoe keine böse Hexe war, beruhigte sie sich wieder. Das Wort Hermetiker brachte sie nicht über die Lippen, so dass Adailoe es schließlich auf sich beruhen ließ, dass sie immer wieder sagte, sie wäre ja eine gute Hexe, was nicht so schlimm wäre, wie eine böse Hexe.
Ein leichtes Schmunzeln zog bei diesen Gedanken über ihre Züge, ehe sie sich wieder dem Pergament zu wandte und zum gefühlten hundertsten Male die Überschrift verfasste. „Gefahren in der Gelehrtenkunde“.
Und doch, so überlegte sie, wusste sie nicht einmal, warum sie ihr das alles erzählt hatte. Wohl weil sich einfach zu viel aufgestaut hatte. Sie wusste nicht mehr weiter. Der Rat, einfach zu ihm zu gehen und ihm alles zu sagen, damit konnte sie nichts anfangen. Natürlich würde sie das nicht tun. Das machte ja alles nur noch schlimmer. Viel schimmer. Man würde sehen, was sich ergab, doch hatte es gut getan, mit jemandem darüber zu sprechen und wenigstens zu einem Teil ehrlich zu sein.

Gefahren… es gab viele, was sollte man da schreiben? Warum zeigte man es den Lehrlingen nicht einfach, anstatt ihnen ein Buch unter die Nase zu legen? Kontrollierte Explosionen als Abschreckung funktionierten besser als langweilige Abhandlungen. Und sie wirkten auch nachhaltiger… sie seufzte leise auf und machte sich an den nächsten Satz, ehe ihre Gedanken wieder abschweiften…

Der Abend war auch sehr interessant gewesen. Zum ersten Mal hatte sie sich länger und intensiver mit Aryn unterhalten. Er hatte ihr auch vieles erzählt, vieles aus seiner Vergangenheit. Aber was sie wirklich verwundert hatte, war, dass er damit gerechnet hatte, sie würde nun Angst vor ihm haben, oder ihn verurteilen. Warum hätte sie so etwas tun sollen? Es gab keinen einzigen Grund dafür. Er sagte auch, dass Andere dies schon getan hatten, doch dies war ihr unbegreiflich. Er war ein Mensch, ein liebenswerter dazu, warum sollte man Angst vor ihm haben, nur weil er eine Vergangenheit hatte? Die hatte sie auch und sie wusste nur zu gut wie es war, jene nicht unbedingt einem jeden auf die Nase zu binden. Doch wenn andere das anders sahen… Menschen waren teilweise zu dumm. Die meisten konnten nicht weiter sehen als bis zu ihrer Nasenspitze, was allgemein ein großer Vorteil war, denn dann waren sie leichter zu manipulieren. Und doch war es auf der anderen Seite erschrecken, wie viel Dummheit existieren konnte und teilweise auch durfte.
Sie hatte ihm gesagt, dass sie es für Unsinn hielt, dass sich an ihm und seinem Wesen nichts änderte, und dass sie gewiss keine Angst vor ihm hatte. Jeder hatte eine Vergangenheit, jeder musste damit leben, jeder musste damit zurecht kommen. Und ein jeder musste für sich selbst entscheiden, ob und wem aus seinem Umfeld, er diese Vergangenheit anvertraute. Doch konnte man so die Spreu vom Weizen trennen. Und unter diesen Umständen wurde noch offensichtlicher, was sie seit Jahren wusste: Es gab mehr Pack unter den Menschen, als jene, die es wert waren, dass man sich mit ihnen beschäftigte. Die meisten waren maximal als Spielzeug zu gebrauchen….

Erneut riss sie ihre Gedanken von der Vergangenheit los und versuchte, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren, um widerwillig ihre Abhandlung zu verfassen.
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