FSK-18 Fieber...
#1
Erster Abend

Es war eine heiße Nacht. Nicht im übertragenen Sinne heiß - obwohl die Gespräche zuvor in der Taverne ein Maß angenommen hatten, bei dem selbst Farilda vorsichtig wurde -, sondern wörtlich heiß.

Es war eine Nacht, die man unmöglich durchschlafen konnte. Der ganze Schlafraum roch schlimmer als die Achselhaare eines richtig fetten Mannes. Die verschiedensten Ausdünstungen der Söldner vermischten sich in äußerst unappetitlicher Weise. Die Luft - wenn man das so nennen wollte, was da im Raum stand - schien zu flimmern. Und die Hitze der Nacht tat ihr Übriges dazu. Keiner trug mehr einen Harnisch um für einen Angriff in der Nacht gewappnet zu sein, manch einer trug sogar überhaupt nichts mehr. Ihre Decken katapultierten sie weit von sich.

Farilda griff hastig nach diesen Decken und lümmelte sich ein. Sie rochen kein bißchen besser als der Rest des Raumes, aber sie brauchte sie auch nicht als Schild gegen den Geruch, sondern... weil sie unglaublich fror.
Irgendwie war ihr einfach nur kalt. So kalt, dass sie glaubte, nie wieder warm zu werden. So kalt, dass sie nicht überrascht gewesen wäre, Kristalle auf ihrer Haut zu finden wie im Winter an den Fenstern. Alles an ihr war gefroren. Ihre Finger, ihre Nase, ihre Beine, alles fühlte sich kalt an. Sie hätte am liebsten laut geschrien, aber dann wäre das Eiswasser in ihren Mund geflossen... sie drückte sich gleich drei Kissen auf's Gesicht. Das eine war ihr eigenes. Die anderen beiden waren von irgendwem.
Wenn sie zu tief einatmete, musste sie husten. Ein trockenes, kratzendes Husten. Also atmete sie weiter flach in ihre Kissen hinein. Vielleicht würde ihr dabei endlich warm werden. Farilda presste ihre Augen zu und sah Schneeflocken vorbeiziehen.

Es war sicher die Keuche. Sie würde sie alle anstecken. Sie musste hinaus. Vielleicht ein heißes, sehr heißes Bad nehmen. Alle anderen Keuchenopfer hatten doch immerhin auch den Anstand, auf den Straßen zu sterben.

Wollte Marquard sie nicht wecken, um sich den Arsch einölen zu lassen? Marquards Kopf kreiste vor ihr. Seine weissen Haare passten zu den tanzenden Schneeflocken... Kurz stellte sie sich vor, wie er wohl aussehen würde, wenn er auf einem gefrorenen Teich tanzen würde, in einem kurzen weissen Kleid - und die silbernen Schneeflocken nahmen auf seinen weissen Haaren Platz wie eine Krone. Für einen Moment fühlte sie sogar, dass es ihr wieder etwas wärmer wurde.

Sie strengte sich an, den Berg von Decken von sich herunter zu schieben. Sofort kam der Husten, schüttelte sie mal kräftig durch und schubste sie unbarmherzig ihr Lager herunter. Da lag sie nun zwischen den zwei Strohballen auf dem feuchten, kalten Boden. Es würde nicht lange dauern und sie würde auf dem Holz festfrieren. Farilda zog die Beine unter ihr Kinn und klapperte mit den Zähnen. Es war so kalt, so kalt. Sie war gefangen unter dem Eis...


Zweiter Abend
Die fiese Fratze war Aryn. Eigentlich war er ja sonst so hübsch wie die jungen Mädels mit den hüftlangen Haaren, die man in ganz Löwenstein fand. Vielleicht sogar hübscher. An diesem Abend jedoch war er nur eine fiese Fratze. Eine fiese Fratze... die ihr die Decken klaute. Es war gemein, sie fror doch so! Er machte sich einen Spaß daraus, sie zu quälen. Er zog die Decken weg, obwohl sie versuchte, sie festzuhalten. Sie fluchte, sie stöhnte, sie bettelte... aber er nahm ihr alles weg, was sie noch etwas warm hielt.

Dann holte er die Eisprinzessin Marquard. Mit einem Mal wusste Farilda, dass Marquard nicht alt war, sondern weisse Haare hatte, weil er ein Schneemagier war. Diese Magier vollbrachten ihr Werk normalerweise weitab von den Menschen, auf irgendwelchen Bergen in Nortgard und zauberten eisigen Regen herbei, der mit kalten Fingern nach Menschen, Tieren und Pflanzen griff. Das machten sie, weil ihre Haare sonst wieder braun würden. Oder rot. Demnach musste es viele Schneemagier in Löwenstein geben, die lange nicht mehr auf Bergen gestanden und gezaubert hatten. Oder sie zauberten gerade alle gleichzeitig auf Farilda. Das musste es wohl sein, ja.
Marquards eisige Hand berührte ihre Stirn, ihren Arm... sofort wurde alles taub. Bis auf die Zunge. Sie redete auf die beiden ein und wunderte sich, warum keiner antwortete. Normalerweise antworteten sie immer, selbst wenn sie dumme Sachen sagte. Also, wenn sie ausnahmsweise mal dumme Sachen sagte.

Die Zimmerdecke begann sich zu bewegen. Eigentlich war das eine sehr hübsche Zimmerdecke. Sah aus wie der Boden, nur dass niemand darauf herumstiefelte und sie dreckig machte. Oder kaputt. Oder etwas draufstellte. Die Decke war der jungfräuliche Boden. Sie war das, was der Boden einst war. Unberührt. Unbekümmert. Naja, ein paar Flecken waren da irgendwie schon. Vielleicht musste sie mal die Decke wischen. Aber wie sollte sie das machen? Mit einem langen Besen...?

Da rückte die Decke auch schon wieder in die Ferne. Der Raum wurde immer höher, mit jedem Schlag auf den Hinterkopf, den sie von den Treppenstufen bekam.
Jetzt 'nen heißen Tee... oder 'ne heiße Brühe. Magda konnte leckere Brühe machen. Sie musste lächeln. Bei Magda musste man keine Angst haben, dass sie einem die Decke stahl.

Sie redete ununterbrochen auf die beiden Männer ein, die sich herumtrugen. Sie fluchten. Und fluchten. Und schrien zwischendrin. Als hätte Farilda nicht schon genug Sorgen, dass ihr kalt war... sie blickte in die Sonne. Auch die war kalt. Sie schickte kalte Strahlen hinab. Schlimme Sache.
"IST IN DIESER VERDAMMTEN STADT KEIN HEILER?", brüllte Marquard.
"He, 'ne Decke und 'n warmer Körper neben mir würden's auch tun", scherzte sie zurück, wie sie da wie ein nasser Sack zwischen den beiden Männern hing. Keine Reaktion. Heute war die Sonne kalt und alle ignorierten sie. Selbst Aryn, der sonst alles und jeden ansprang...

Irgendwann lag sie in einem fremden Zimmer. Das hatte auch eine schöne Decke.
Die Sonnengöttin beugte sich über sie. Farilda dachte angestrengt nach. Vermutlich hatten Mabon und Sulis eine Tochter bekommen. Wird sie mich retten? Wird sie mich retten? Sie tat es. Endlich bekam Farilda ihre Decke. Mussten die Götter erst ihre Botin senden, dass das jemand verstand? Dass sie Durst hatte und fror? Dass man ihr etwas zu Trinken geben musste und eine Decke?

Eine Botin der Götter konnte es mit jedem Schneemagier aufnehmen. "Na warte, ich kenne dein Geheimnis...", wisperte sie.
Mit sanften Händen wurde sie untersucht. Ihr war schwummrig... dauernd bewegte sich etwas... die Sonnengöttin betrachtete Farildas nackten Oberkörper. Da gab's viel zu sehen - die große Schürfnarbe zum Beispiel, die sie sich am Schiffsrumpf geholt hatte.
Es war alles so anstrengend. Hatten die Männer sie hierher getragen... oder hatte sie die Männer getragen? Ihren Schmerzen nach zu urteilen hatte sie die beide auf dem Rücken gehabt. Gleichzeitig. Und Aryn hatte sich extra schwer gemacht.

Nun war Zeit zu schlafen...

Dritter Abend

Bis auf die mutige Sonnengöttin hatte sich niemand ihrer Meute ins Heilerhaus getraut. Eigentlich war dies kein Grund, um traurig zu sein. So brachte sich niemand in Gefahr... aber sie war trotzdem traurig. Sie hätte sich gerne noch von Marquard verabschiedet und ihm für alles gedankt. Eigentlich war er für sie noch immer einer der neueren Söldner, aber... Marquard war ihr bester Freund. Schon komisch in dieser kurzen Zeit, aber es war einfach so.

Von Harl hätte sie sich auch gern verabschiedet, aber es war wohl besser... besser so.
Sie dachte zurück an den Abend, als er vor ihr im Stroh lag. Wehrlos, nach Pisse stinkend - und wunderschön!
Sie wollte ihn eigentlich gar nicht berühren, nicht so! Als ihre Hände über seine Schultern glitten, standen ihr Tränen in den Augen. Sie wollte nicht, aber sie konnte nicht aufhören. Harl war das Gegenteil von ihr. Und in ihren Augen hatte er etwas Unschuldiges, Unbekümmertes, auch wenn er längst nicht so unschuldig und unbekümmert war, wie er sich immer gab. Dennoch war da etwas an ihm, das so leicht war wie eine Feder. Oder eine Pusteblume. Oder ein Spinnennetz. Und genauso leicht zerstörbar. Gut, eine Feder war nicht leicht zerstörbar. Man konnte sie knicken, aber dann war sie nicht zerstört, denn sie bog sich. Man konnte an den Fahnen zupfen, aber auch dieser Effekt war eher mau. Man konnte hineinbeißen, aber man kann überall hinein beißen. Fast überall. Pusteblume passte besser.
Ja, er hatte schlimme Dinge gesehen, alptraumhafte Dinge. Schlimmer für ihn waren sicherlich die Dinge, die er getan hatte. Ob freiwillig oder auf Befehl. Das war wohl der Unterschied zwischen Harl und Axis: Harl empfand diese Dinge als schlimm.
Auch Farilda fand die meisten Dinge schlimm, die sie getan hatte. Die sie freiwillig getan hatte. Die sie anderen befohlen hatte zu tun. Die andere nicht freiwillig getan hatten und die sie dazu gezwungen hatte. Sie trug diese Narben nicht ohne Grund.
Aber der wirkliche Alptraum bestand in dem Erkennen, dass die Zeit das einzig Unzerstörbare in dieser Welt war, unzerstörbarer als es jede Feder nur sein konnte.
Es gab keinen Gott, weder bei den Mithrasanhängern noch bei den Mondwächtern, der sie verkörperte. Sie war mächtig in sich selbst, brauchte keinen Boten.

All' diese Momente gehen unter, verloren, verschwinden im Fluss der Zeit... wie Tränen im Regen. [Blade Runner!]

Und so lange... blieb Harl glücklich, sie wollte diese Pusteblume nicht umpusten, obwohl es verlockend war, obwohl Pusteblumen dazu da waren!
Sie kämpfe gegen den Drang an, ihn zu berühren, doch... sie war nur ein Mensch. Ein schwacher Mensch. Sehr schwach. Schwach gegenüber allen Verlockungen - seien es Männer, Frauen, Alkohol oder Pusteblumen.

Die Erinnerung daran ließ erneut gegen die Tränen kämpfen.

Auch hätte sie sich gerne von Aryn, dem alten Haudegen, oder Ansgar, der vermutlich auch eine Art Freund für sie war, oder Zamael oder Seyd und dem ganzen Haufen verabschiedet, aber... es war vielleicht wirklich besser so.

Mit einer Gänsehaut stieg sie aus dem Bett und ging aus dem Haus, das, wie sie jetzt erst mit Bestimmtheit wusste, das Heilerhaus war. Sie hatte keine Ahnung, wo sie hin sollte und ob sie wirklich sterben würde, weil sie die Keuche hatte oder weil sie mutterseelenallein mit Fieber auf Wanderschaft ging...
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#2
Vierter Morgen
Im Heilerhaus heizte irgendjemand. Oder vielleicht brannte auch das obere Stockwerk. Anders konnte sich Farilda diese Bruthitze nicht erklären.
Sie lag da in ihrer eigenen Brühe. Sie war sich nicht einmal sicher, woraus diese Brühe genau bestand. Es war einfach nur widerlich, selbst für Mieps.
So entschied sie sich, aufzustehen und hinauszugehen.

Warum sie ausgerechnet wieder in den Wald ging, wusste sie nicht. Vermutlich, weil es besser war als als Kranker auf den Straßen Löwensteins
zu wandern, denn... Wer auf die Insel kommt, ist des Todes...

Die warme Kleidung ging irgendwo auf dem Weg verloren...
Wie eine Schlafwandlerin, die nach einer Erfrischung sucht, wanderte sie halbnackt und wie im Traum umher. Sie blieb lange beim Hof der schwarzen Adler. Die Tiere beruhigten sie... und es gab Schatten.

Alles war irgendwie wie im Traum. Der ganze Pferdedung, in den sie barfuß trat, war wie ein Pferdedung im Traum. Die ganzen Äste, die an dem Pferdedung kleben blieben, waren wie Äste, die im Traum an Pferdedung kleben blieben.

Und auch Harls Stimme, Marquards Rufe in der Ferne... waren es geträumte Rufe? Und seit wann nannte Harl sie "Farilda"? Sie versuchte, den Stimmen zu folgen. Trat dabei in noch mehr Pferdedung. Der Orden hatte verdammt viele Pferde - und alle mussten scheißen. Wenn es denn überhaupt Pferdedung war...

Sie sah den Reiter gar nicht kommen, der des Weges ritt und sein Pferd zügelte, als er sie halbnackt da stehen sah. Ihr Hemd war so über alle Maßen verschmutzt, es waren sogar noch Marquards Stiefelabdrücke drauf - von jenem Abend, als sie das Hemd als Friedenszeichen geschwenkt hatte. Sie war verschwitzt, die Haare waren zerzaust, fettig und staubig, die Augen verklebt... und außerdem hatte sie Schuhe aus Pferdedung an. Kein Wunder also, dass der Mann sie für eine Waldfee hielt...

"Was willste denn haben, damit du den Rest auch zeigst?", war eine etwas komische Frage an eine Fee. "'nen kalten Berg in Nortgard", gab sie mit brüchiger Stimme zurück. Erst jetzt fiel ihr auf, wie durstig sie war... "Den hab' ich in der Hose." Und damit begann ein seltsames, lustiges und seltsames Abenteuer. Farilda hielt sich an einem Gatter fest, aus dem zwei Schweine herausblickten. Und die Schweine drinnen sahen wohl zwei Schweine draußen am Gatter, die hineinblickten.

Mit weichen Knien setzte sie sich in den Fluss. Alles war irgendwie noch immer unwirklich. Und sie hatte so Durst!

Sie stieg aus dem Fluß, zog ihre Dungstiefel wieder an und marschierte auf eine Wäscheleine zu. Die Hose passte wie ein Wunder. Ein Wunder! Ein Wunder war geschehen und sie war der einzige Zeuge!
Wären jetzt noch richtige Stiefel an der Wäscheleine... und ein kühles Bier...

Sie torkelte zurück in Richtung Stadt. Der erste, der sie traf, war Aughril... und ohne zu zögern gab er ihr seine Schuhe. Das war jetzt nicht unbedingt das, wovon sie immer geträumt hatte - jemandem die Schuhe zu verdrecken - aber es war eine unglaublich nette Geste. Aughril... sie kannte ihn eigentlich kaum... aber sie würde diese Schuld begleichen. Die Stiefelschuld.

Der nächste war dann Mandres - und die Welt drehte sich einmal mehr. Aus den Stiefeln quoll Pferdedung. Und Farilda drohte Mandres, sie würde ihm ins Gesicht furzen. Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, ließ er sie erst von seiner Schulter runter, als sie bei Harl und Marquard waren. Aughril spazierte barfuß hinterher.

Harl sprang auf, Farilda... wo zum Henker... kann ich jetzt gehen drang noch aus weiter Ferne zu ihr... dann war für ein paar Momente alles schwarz...
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#3
Vierter Tag
"Farilda...", hörte sie Harls Stimme sagen. Es war eher ein Hauchen ganz nah an ihrem Ohr. Oh, sie kannte diesen Klang. Entweder wollte Harl ein übles Spielchen mit ihr spielen - oder er machte sich ernsthaft Sorgen um einen Kameraden. Und sie wusste nicht, was von beidem ihr mehr stinken würde.

Marquard und Harl schleppten sie aus der Taverne. An der Stärke der beiden Männer erkannte sie erst, wie schwach sie war. Irgendwie blöd mit dem Fieber. Es fällt einem auf, dass es warm ist. Dann fällt einem irgendwie doch ein, dass es eigentlich kalt ist. Dann merkt man, dass man Durst hat. Schwach ist man dann obendrein. Und nass, von Schweiß und Wasser. Es war ein grausiges Gefühl, von oben bis unten nass zu sein. Dann ließ man einen Furz und konnte nicht einmal mehr spüren, ob man trocken geblieben ist - oder ob's passiert ist. Am Geruch erkannte man das dann auch nicht so genau. Und uuuh, ihr fiel auch gerade auf, wie sehr sie stank!

Darum hatte Harl also die Luft angehalten, als er ihren Arm auf seine Schulter legte. Seine eigene Hand legte er auf ihre Hüfte. Oh. Sie war quasi in Harls Armen. Für einen kurzen Moment reichte ihr das für ein dämliches, glückliches Grinsen.
Die schlimmen Stiefel, die sie mit Pferdedung gefüllt hatte, schmatzten bei jedem ihrer Schritte.

Endlich waren sie im Heilerhaus, endlich bekam Farilda etwas zu trinken, endlich zog man ihr die Stiefel aus, endlich wurde sie mal gewaschen.
Marquard und Harl blickten sie an, als hätten sie sie zum ersten Mal nackt gesehen. Vermutlich hatten sie das... Und schienen sich rein gar nicht an dem Anblick ihrer Narben zu stören, ihre Aufmerksamkeit war offenbar von ihrer Tätowierung gefesselt. Zumindest von der einen, die noch nicht völlig ausgebleicht war - oder die von Narben überwuchert und zerschnitten war. Dabei war das die dümmste Tätowierung, die man sich vorstellen konnte. Die hübsche Elda hatte wenigstens hübsche, leuchtende Linien auf ihren hübschen Beinen...

Sie wusste gar nicht mehr, wie sie ins Badehaus gekommen war. Aber es war total verschmutzt und verdreckt und es stank nach Wald und Dung und Krankheit hier.
Harl wusch ihr den Rücken. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte sie das wohl in Verzückung versetzt, aber mit dem Rücken befand er sich an einer gefährlichen Stelle. Dort hatte sie etwas versteckt, das sie mit Alkohol begraben hatte. Dort fraß es sich durch den Rest ihres Körpers wie ein armdicker Wurm. Dort holte er es wieder hervor, mit einer simplen Geste.

Krieg war so eine Sache. Es war einfach, einen Gegner im Kampf zu töten und zu vergessen. Es war eine ganz andere, einen Gegner einfach so zu töten. Es war etwas anderes, einen Menschen aus Versehen umzubringen. Und es war unmöglich, das zu vergessen... jemals...

Und so legte sie sich irgendwann für die Nacht nieder, im Heilerhaus. Mit offenen Augen starrte sie an die Decke. Aber nicht mit der Sorge darum, sterben zu müssen. Sondern mit der Sorge darum, weiterzuleben.
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#4
Farilda erwachte und fror. Das war schonmal schlecht.
"Scheiße...", murmelte sie unter Zähneklappern und rollte sich klein zusammen.
Wenn es ums Schlafen ging, musste Mieps beheizt werden wie ein Ofen; selbst im Sommer deckte sie sich fast völlig zu. Teilte sie mit jemandem das Bett und dieser Jemand hatte für sie beide jeweils eine Decke, dann nahm sie beide. Und hatte dieser Jemand nur eine Decke, dann war klar, wer sich alleine damit zudeckte. Sie strahlte im Schlaf so eine Hitze aus, dass schon mehr als ein Jemand glaubte, sie litt an Fieber.
Aber aufwachen und frieren? "So ein Scheiß...", umschrieb sie es erneut. Also kletterte sie in ein paar Anziehsachen und schlich sich ins Badehaus, denn ihr war nach einem heißen, heißen, HEIßEN! Bad.
Sie hätte sich in den heißen Kessel gesetzt, wenn sie gekonnt hätte. Direkt ins kochende Wasser. Und so etwas Ähnliches tat sie dann auch: Sie schüttete heißes Wasser ins Becken, erhitze noch einen weiteren Kessel und kippte nach. Das Becken war nur zur Hälfte gefüllt. Das war ja der Trick dabei, denn wenn sie noch weiteres Wasser erhitzte, kühlte jenes Wasser im Becken schon ab. Lauwarm war also falsch. Heiß musste es sein. Verrückt heiß. Das war ihr gelungen. Sie stand knöcheltief im Wasser und ihre Überlebensinstinkte riefen "Raus! RAUS!". Vielleicht lag's aber auch nur daran, dass sich in diesem Zuber vor nicht allzu langer Zeit ein Mädchen das Leben genommen hatte.
Farilda hatte eine heftige Gänsehaut. Ihr Oberkörper war in der kalten Luft, ihre Käsefüße im heißen Wasser. Ihr Körper wusste nun nicht, wie ihm geschah, war's jetzt heiß oder kalt?
Ihre Haut war knapp zur Hälfte zerstört, die Narben hatten schon manche Frau und manchen Mann erschreckt. Arys war aber nicht erschrocken gewesen... Sie ging die letzte Stufe hinunter und stand nun schon bis zu den Knien im flüssigen Feuer. Der Dampf, der von ihm ausging, kroch ihre bleichen Beine hoch, bis hin zu ihrem Bauch. Farilda schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Oh, das tat so gut. Ihr war warm und kalt zugleich. So musste sich eines ihrer Brathähnchen fühlen, wenn sie nicht rechtzeitig wendete.
Und wo sie gerade an Wenden dachte... dachte sie an jene Nacht in Schukai, als ihr Freund Bartsalat umgedreht auf einer Liege lag. Naja gut, er war so fett, er lag auf drei Liegen. Aber Farilda hatte nur eine.
Bartsalat meinte, wenn sie schon mal in Schukai waren, sollte ihnen eine bestimmte Behandlung zuteil werden, die er so nur hier erlebt hatte. Natürlich wusste Farilda sofort, dass es nur um Huren gehen konnte. Da sie wieder diesen schrecklichen Ausschlag hatte, war ihr eigentlich nicht danach, aber Bartsalat meinte, das sei nicht "so".
Bartsalat lag also auf dem Bauch und präsentierte seinen nackten, haarigen Rücken. Seine Haut war bleich, seine Rückenhaare jedoch pechschwarz. Seine Haut war so schön weich, sie fühlte sich irgendwie wie Teig an. Vorsichtig streckte Farilda die Zungenspitze heraus. Es würde einen ganzen Tag dauern, ihm den Rücken abzulecken, aber Farilda wollte genau das! ... bis die beiden Jurinnen in den abgedunkelten Raum kamen und zauberhaft lächelten. Sie hatten diese schöne Art, sich zu bewegen. Alles an ihrem Körper schien in Bewegung, nur der Kopf nicht. Was hätte Farilda dafür gegeben, so laufen zu können. Aber sie lief nunmal breitbeinig und rollte nicht mit der Verse ab. Kam vermutlich vom Laufen an Deck. Nur dass sie immer noch so lief, obwohl sie auf gar keinem Schiff mehr war.
Die beiden sprachen kein Wort, als würde das den Zauber zerstören. Die Jurin, die zu Farilda kam, küsste sie sogleich auf den Mund. Soviel dazu, dass es nicht "so" wäre. Sie streifte ihr das Hemd über den Kopf und betrachtete grinsend Farildas Oberkörper, der zu dieser Zeit noch nicht so vernarbt war. Jetzt war es so weit, dass Kieljauche - das war ihr Spitzname in jener Zeit - den Mund öffnen wollte und die "Behandlung" abbrechen würde. Doch zu ihrer Überraschung drückte die kleine Frau sie auf die Liege, mit dem Gesicht nach unten. Kieljauche hörte noch Bartsalats - ja, beide hatten nicht wirklich vorteilhafte Spitznamen - Worte, dass die Juren ein kriegerisches Volk waren, so unvorstellbar kriegerisch, und so gut wie alles, was sie taten, irgendwie mit Krieg und Kämpfen verbunden war. Das ging ganz schön an den Körper und an die Muskeln, weshalb die Juren wissen mussten, wie man Muskeln behandelte... wie man einen Körper behandelte.
Zuerst war's schrecklich. Als hätten die Juren ihre blöden Pferde geholt und hätten sie niedergeritten. Ritten über sie drüber, wendeten das Pferd und ritten erneut über ihren Rücken. So fühlte sich das an! Aber irgendwann wurde es besser und dann sogar... uh.
Obwohl sie nicht gedacht hätte, dass ihre Gänsehaut noch intensiver werden konnte, wurde sie es dennoch. Aber wahrscheinlich nicht mehr aufgrund der Temperaturen.
"Und du glaubst, dass dieser Saresh das auch machen kann?", hörte sie Lhaki fragen. Oh verdammt, dieser kleine Saresh, der eigentlich für alles stand, was sie nicht mochte - der Gedanke an ihn (oder vielleicht war's die Hitze) ließ sie schwanken.
Sie ging in die Hocke und war nun genau zur Hälfte im Wasser, mit der anderen Hälfte in der Kälte. Der Dampf kroch an ihr hoch, durchnässte ihre Haare. Sie verdrehte genüsslich die Augen und legte sich hin. Sie wurde ganz schläfrig und ihre Haut war schon ganz rot. Aber das war genau die richtige Temperatur zum Schlafen...
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#5
Sie hatte sich in ihrem Leben schon viele verschiedene Titel verdient. Geliebte, Dieb, Freund, Hohlkopf, Käpt'n, Hure, Lügner, Lügner, Lügner, immer wieder Lügner.
Sie hatte alle ihre Namen und Titel verdient. Einen davon trug sie schon eine lange Zeit. Farilda Schwarzbrandt. Vielleicht zu lange. Vielleicht war es Zeit, auch diesen Namen wieder abzulegen und weiter zu ziehen...

Es ist nicht leicht, ein guter Mensch zu sein. Und Spaß macht es auch nicht. Sie wollte das Bittere aus dem Süßen heraus halten. Doch jetzt war es doch bitter. Magdalena, Tante Elfie, Marei... wenn sie erführen, was sie getan hatte, was sie zugelassen hatte... Das Wort eines Lügners ist nichts wert. Auch hatte sie nie darauf Wert gelegt, dass man ihr glaubte oder eine gute Meinung von ihr hatte... oder wem sie weh tat. Die bitteren Gedanken musste man einfach von sich schieben, wie einen Namen, den man abgibt.

Farilda. Sie wusste nicht, ob das der Name war, den ihre Eltern ihr gegeben hätten, wenn alles anders gekommen wäre. Es war einfach ihr Name. Schwarzbrandt hatte sie sich selbst ausgesucht. Er klang einfach gut - zumal die Helden in den Geschichten auch einen Nachnamen hatten; und ganz oft mit einem -brandt darin.

Sie erinnerte sich an ihre Matrone im Waisenhaus, die ihr sanft das verdreckte Gesicht streichelte.

"Du weißt, dass diese Geschichten alle nicht wahr sind, oder? Es sind nur Geschichten."

... "wir sind alle Geschichten, irgendwann..."


Es war doch nur eine zerstörte Taverne, nichts weiter. Sie hatte schon Schlimmeres getan. Auch in Tavernen. Doch warum, warum... irgendwie wollte sie, dass Garion Inverick alles aufklärte, damit ihr schlechtes Gewissen beruhigt wurde. Schlechtes Gewissen? Hatte sie etwa ein schlechtes Gewissen?! Aber wo kam das her? Und sollte sie dann nicht lieber alles andere bereuen, das sie getan hatte?

Vielleicht war es doch an der Zeit, zu gehen... sie mochte den Geschmack von 'bitter' nicht.
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