Vom Falken und seiner Beute
#1
Mit einem Buch über heimische Kräuter und Gewächse, einen Apfel als Nachmittagsproviant in der Tasche, Skizzenbuch und Kohlegriffel hatte ich mich aus Vaters Schmiede gestohlen - obwohl gestohlen eigentlich der falsche Ausdruck war, ich hatte keinen Grund für Heimlichtuerei. Ich war nicht in die Fußstapen meines Vaters getreten, dies hatte mir meine angegriffene Gesundheit verboten, aber ich half die Bücher zu führen oder die Kunden zu beraten.

Mit einigem Stolz konnte ich wohl behaupten, dass, seitdem ich die Herrschaft über die ein- und ausgehenden Münzen inne hatte, der väterliche Betrieb einen kleinen, aber nicht zu verachtenden Gewinn abwarf. Vater hatte für derlei Dinge keinen Sinn. Arlo war im Grunde genommen ein einfacher Mann, dem es genügte, am Ende des Tages so viele Silberlinge in der Hand halten zu können, wie er für Met in einer der örtlichen Spelunken und einer Dirne, die ihm des Nachts das Bett warm hielt, ausgeben konnte.

Doch ich war feinsinniger als mein Vater. Überhaupt hatte wir, bis auf einen gewissen Zug um Nase und Mund und das volle schwarze Haar, welches er in einem bereits ergrauendem Zopf und vollem Bart trug, ich dagegen in einem kurzen Schnitt der Mode entsprechend, wenig gemein. Vater war ein Hüne von unerschütterliche Gesundheit, selbst im Alter waren seine Muskeln stark und sehnig, seine Stimme volltönend. Ich war dagegen eher klein geraten, schmal und zierlich, die Haut blass, die Augen moosgrün wie die meiner Mutter.

Als ich noch im Knabenalter war, hatte Vater nie richtig etwas mit mir anfangen können. Nachdem Rose, meine Mutter, einige Fehl- und Totgeburten erlitten hatte, hatte sie schlussendlich doch den langersehnten Sohn, den Stammhalter geboren. Doch ich war ein mickriges kleines Ding, blau angelaufen und runzlig. Die Hebammen und Heiler prophezeiten mir einen frühen Tod und mit dieser Angst lebten meine Eltern Tag für Tag. Mutter fraß diese Sorge allmählich auf und sie schied dahin, still und leise wie es ihre Art gewesen war. Vater ertränkte seine Trauer in Alkohol. Erst in den letzten Jahren, als ich eine gewisse Altersgrenze überschritten hatte und nicht mehr als dahinsiechendes Kind galt um welches man sich aufopferungsvoll kümmern musste, war das Verhältnis zwischen Vater und mir etwas weniger distanziert, vor allem als er erkannt hatte, dass auch ich, so kränklich mein Körper auch sein mochte, immerhin mein Geist zu etwas nutzen sein konnte.

Ich hatte mir mit diesem Nutzen auch eine gewisse Freiheit erworben, die ich nach Lust und Laune ausnutzte, denn Vater wusste unseren neuen, gehobenen Lebensstil eindeutig zu schätzen. Sein Alkohol stammte nun nicht mehr aus irgendeiner dubiosen Hinterhausbrauerei, in seiner aktuell angesagten Taverne wurden die Tische gewischt und die Spucknäpfe regelmäßig geleert und seinen Huren sah man ihr Gewerbe nicht mehr auf Anhieb an. Meinen Verdienst steckte ich in Bekleidung, Bücher oder in die Tasche des Barbiers, der mich bald als Stammgast begrüßte. Und ab und zu zog es auch mich in die verrufenen Bezirke der Stadt, um dort meinen Gelüsten nachzugeben, die sich doch sehr von denen meines Vaters unterschieden, von daher konnte ich recht ungeniert und frei lustwandeln, wie es mir beliebte.

Es war im Grunde genommen ein gutes Leben. Ein Leben, welches mir diverse Heiler auch dann noch abgesprochen hatten, als ich dem Kleinkindalter entwachsen war. Natürlich gab es noch immer Tage, meine “dunklen Tagen”, an denen ich nicht dazu fähig war, das Haus zu verlassen - den Großteil meiner Kindheits- und Jugendzeit hatte ich zwangsläufig im Bett verbringen müssen und hatte die ausgelassenen Tobereien anderer Kinder nur vom Fenster aus beobachten können. Doch mittlerweile kannte ich meinen Körper; erkannte die kleinen Anzeichen, die einen neuerlichen Schwächeanfall ankündigten, wusste um die Tätigkeiten oder Speisen, um die ich lieber einen Bogen machen sollte - ob ich das dann wirklich tat oder dem Genuss wider besseren Wissens den Vorzug gab war eine andere Sache - und hatte im Selbststudium einige Mittel gefunden, die Herz und Lunge stärkten.

Ja, ich war doch recht zufrieden mit diesem Leben, welches dann an jenem wunderschönen Nachmittag im Scheiding einen anderen Verlauf nehmen sollte ….
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Vom Falken und seiner Beute - von Dewain Dary - 17.09.2018, 00:54



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste