Dies ist der Weltenlauf...
#4
Kapitel 3
Nur um den Einsamen schleichen Gespenster...

Lang ist es her, das ich einen Lebenden in meinem Hause hatte. Sofort füllten sich die Räume mit den Düften und Geräuschen eines Menschen. Sie vertrieben die Stille und den Staub meines, einem Mausoleum gleichenden, Reiches. Es war ein willkommenes Gefühl und zeitgleich eine drastische Störung meines sicheren Hafens. Als hätte eine Flutwelle ihn überschwemmt und jegliche Schutzmaßnahmen fort gespült. Was hatte ich mir dabei gedacht? Und nun lag ich hier und tat so als könne ich schlafen. Selbst wenn mein Körper dazu in der Lage gewesen wäre, mein Besucher würde mich wach halten. Wie das Ticken einer Turmuhr, dröhnte sein Herzschlag in meinen Ohren. Sein Puls war wie das Rauschen heftigen Herbstregens. Ich hielt mir die Ohren zu, doch es war so viel mehr als eine schlichte Geräuschkulisse. Meine Brust vibrierte unter jedem Schlag den sein Herz tat und Er bäumte sich hungrig auf, griff nach meinem Verstand... wollte die Kontrolle an sich reißen. Und ich kämpfte Stundenlang mit ihm. Einmal trieb er mich gar die Treppen hinauf. Dort wo all die Pein seinen Ursprung hatte. Ich stand vor ihm und starrte auf seinen Hals, auf den Flecken blasse Haut, wo friedlich seine Schlagader pulsierte, entspannt vom tiefen Schlaf. Wie gern hätte ich meine Zähne hineingerammt und von ihm gekostet. Mein unnötiger Atem ging schneller als Aufregung, Erregung und Panik meinen Körper ergriffen. Der Schatten hatte Hunger und je länger ich dort stand, desto hungriger wurde er. Als würde man einem Bettler frisch gebratene Rippchen vor die Nase halten. Immer weit genug weg, das er nicht danach greifen könnte, doch nah genug um ihn damit zu quälen. Ich konnte mich nicht losreißen. Ich hätte in diesem Moment alles mit ihm tun können. Die weißen Laken in in strahlendes Rot färben. Seinen Körper in eine leblose Hülle verwandeln.

Die Schatten um mich schlossen sich und so zog ich mich zurück, noch ehe Er die Kontrolle gewann. Unten angekommen, verschwand mein altes Ich endgültig. Mein Körper plötzlich der eines Anderen. Der Übergang war unangenehm, wie immer. Noch unangenehmer, das ich nun in der zweiten Reihe saß. Es war Zeit für die Jagd und ein Glück für meinen Besucher, dass Ihm keine Männer schmeckten. Ich könnte es nicht länger herauszögern. In all der Zeit hatte ich nicht gelernt meine Widerspenstigkeit abzulegen. Es war immer noch ein notwendiges Übel.

Er striff durch die Stadt. Spazierte, imposant wie seine Erscheinung war, durch die dunklen Gassen. Sein Instinkt und die Erfahrung führten ihn in das ärmste aller Viertel. Dort wo um diese Uhrzeit noch die Mädchen standen. In ihren knappen Kleidern, halb erfroren vor Kälte. Sie rochen schrecklich, doch schmeckten sie umso süßer, wenn seine Hände die Kälte vertrieben und sie sich hitzig, an ihn geschmiegt, wanden. Wir suchten uns eine kleine, graue Maus mit Schwarzem Haar aus. Gerade zu einer Frau heran gewachsen, schien sie nicht so benutzt und befleckt wie die anderen. Armes Täubchen. Sie war eingeschüchtert von unserer Gestalt, doch wusste sie nicht was sie wirklich erwartete. Sie hatte große Augen gehabt, die uns nur ängstlich anstarrten, uns darum baten nicht so grob wie der letzte zu sein. Ihr Körper war übersät mit bunten Flecken. Nein wir würden sie nicht schlagen. Ich zog an den Zügeln um Ihn in Zaum zu halten. Zu vieles an dem Mädchen erinnerte mich an mein menschliches Ich. An die weit entfernte Vergangenheit. Ich wollte sie nicht unnötig leiden lassen. Sie führte uns in eines der verlassenen Häuser, während ich und mein Schatten miteinander stritten. Nur eine dreckige, alte Decke lag auf dem Boden in einer Ecke. Und dann packten wir sie. Es war ein leichtes sie anzuheben und gegen die nächste Wand zu drücken. Die Decke würden wir heut nicht brauchen. Sie japste nach Luft, als wir sie eroberten. Ein herrliches Gefühlt. Es war so viel anders, als mit meiner menschlichen Hülle. Wir waren so viel stärker als sie. Ich und mein Schatten in diesem Moment Eins. Wir umschlungen einander und gemeinsam legten wir unsere Präsenz um die Hure in unseren Armen. Wir trieben sie mit Leichtigkeit an den Punkt, an welchem sie am süßesten schmecken würde. Reinste Routine. Unsere Art des Kochens. In diesem Moment sah man erst wirklich, welch hübsche, kleine Vögelchen hinter all dem Dreck und der Angst steckten. Ich war vermutlich der erste ihrer Kunden, der darauf aus war, das sie sich gut fühlte. Eine völlig neue Erfahrung. Ich zwang ihren Kopf bei Seite und küsste die zarte, weiche Haut an der Stelle wo Hals und Schulter sich verbanden. Hier rochen sie alle wie sie wirklich waren. Kein Dreck der Welt konnte diesen Geruch überdecken. Sie stöhnte immer heller auf... der Moment war gekommen. Wir konnten uns nicht länger zurück halten.

Ein spitzer Schrei entkam ihrer Kehle, als sie wohl den Schmerz spürte, den meine Zähne ihr verursachten. Und dann wurde ich fortgespült. Ich ließ die Zügel los und erging mich in dem ekstatischen Gefühl, das ihr Blut mit sich brachte.
Es gab vieles was ich an meiner Existenz hasste. Zu aller erst wohl... nun meine Existenz. Ich war eine Anomalie. Ein unerwünschtes Wesen auf dieser Welt, verstoßen von den Göttern. Doch dieser Moment der absoluten Macht über Leben und Tod... ich liebte ihn so sehr. Ich hasste mich dafür. Doch es blieb mir kaum Zeit darüber nachzudenken. Zu sehr schwelgte mein Sein in der puren Essenz dieses Menschleins in meinen Armen. Keine Zeit für eigene Gedanken, wenn man in denen anderer baden kann. Ich kostete ihre Erregung, ihren Schmerz und ihre Angst. Eine herrliche Mischung. Ihre Seele lag, wie auf einer Schlachtbank aufgebahrt, vor mir und ich könnte mir all die leckeren Stücken herausschneiden und verschlingen. Ich trank zügellos von ihrem Lebenssaft doch in meinem Geist, war es eine gänzlich andere Dunkelhaarige, an welcher ich mich labte. Eine dessen Blut noch so viel süßer war. Die Hure wurde still und erschlaffte in unseren Armen. Wir zogen uns zurück... wir wollten keine Leichen hinterlassen. Sie würde durchkommen. Einen Funken Leben ließen wir ihr.
Der Hunger war nicht gestillt. Er lauerte immer noch. Sie war nicht genug gewesen. Wie gern würde ich unsere Zähne in den Hals der Frau mit dem Kirschmund schlagen. Sie war wahrlich die köstlichste gewesen. Diese Huren nur ein fader Ersatz. Befriedigend durchaus, doch etwas fehlte ihnen allen... oder es fehlte mir.

Der Mond hing tief und der Himmel, in der Nacht in ein wunderschönes Indigo getaucht, verlor all seine Farbe, ehe die Sonne Neue an das Firmament malen konnte. Zeit heim zu gehen. Ich bettete das Mädchen auf seiner Decke, wusch das Blut von ihrem Hals und verschwand durch ein Loch in der Wand. zurück in mein reich, zurück zu dem Eindringling, welchen ich eingeladen habe, mein Dasein zu stören. Eine kleine Unebenheit in der sonstigen Tristesse. Ich hieß es willkommen und ängstigte mich gleichzeitig davor...
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Dies ist der Weltenlauf... - von Gisla - 12.06.2018, 13:05
RE: Dies ist der Weltenlauf... - von Gisla - 18.06.2018, 13:04
RE: Dies ist der Weltenlauf... - von Gisla - 23.06.2018, 16:07
RE: Dies ist der Weltenlauf... - von Gisla - 17.02.2019, 12:32



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