Dies ist der Weltenlauf...
#2
Kapitel 1
Der Hunger ist ein schreckliches Biest.

Er ist ein ganz eigenes Wesen ohne Gewissen, dafür mit umso mehr Willenskraft. Hunger ist wie eines dieser Monster, von denen man Kindern erzählt. Das Scheusal dass sich des Nachts in die Stube schleicht und kleine freche Buben stiehlt. Hünenhaft, mit einem schrecklichen, geifernden Maul voll spitzer, scharfer Zähne und riesigen Pranken die den Verstand ergreifen, wann immer es ihnen beliebt. Es würgt mich und seine Krallen bohren sich in meinen Geist, quetschend und ziehend bis ich nichts Anderes mehr tun kann, als mich zu ergeben. Es ist ein Kampf den ich noch nicht gewinnen kann. Vermutlich wird das niemals der Fall sein. Doch vielleicht kann ich entscheiden, wie und wo ich ihn verliere. Ich muss erst lernen die Bedingungen für diese Schlacht festzusetzen. Ich werde zwangsläufig stolpern, wenn ich Leichen auf meinem Weg hinterlasse.

Es ist kein Leichtes die Beherrschung zu behalten. In meinem Leben ließ ich mich stets vom Rausch leiten. Es war immer schon ein Teil von mir. Alkohol, Liebschaften und Krieg. Keine Versuchung der ich nicht irgendwann erlegen bin. Doch das war in meinem vorherigen Leben. Langsam aber sicher finde ich mich mit damit ab, dass die Frau die ich einst war dort in dieser silbernen Kammer gestorben ist. Ich werde sie zu Grabe tragen müssen, sobald ich den Verlust überwunden habe. Noch halte ich an ihr fest. Krampfhaft wie eine Ertrinkende inmitten eines tosenden Sturmes, kralle ich mich an das was mich einst ausmachte. An das was mich liebenswürdig machte. Ich kämpfe gegen Hunger, gegen den Schatten und den brodelnden Hass der mir ins Zentrum meiner Brust gepflanzt wurde. Ich bin schon längst ertrunken. Warum ich mich weiter widersetze, als könne ich noch einmal Luft holen, entzieht sich meinem Verstand. Ist es vielleicht der natürliche Reflex eines Menschen, sich selbst noch an das Leben zu krallen, wenn es schon von einem genommen wurde? Spüren sie Amatheons eisernen Griff und versuchen sich dessen zu verwehren und den Göttern selbst zu trotzen? Ob Sterbende, wahre Sterbende, auch derart verbissen kämpfen? Ich habe versucht es zu erkenne. Ich habe versucht den Moment dieser makaberen Einsicht abzupassen, doch ist er wohl derart flüchtig, das es schwer ist ihm nachzujagen oder ihn gar einzufangen. Ich habe ihn zum ersten Mal fühlen können, als ich gefüttert wurde. Ich spürte wie sich seine Seele wand.
"Zu wem betet ihr?" hatte ich ihn gefragt. Ich weiß es noch als wäre es gestern gewesen und es wird für immer in meinen Erinnerungen sein.
"Dem einzig wahren Gott..." eine kleine, feine Stimme in meinem Innern kichert als die Worte des Mannes, wie ein Echo der Vergangenheit, durch meinen Geist hallen.
"Das macht es leichter..." Dieses arme kleine Wesen hat einen Kampf mit Mächten ausgefochten die so viel mehr waren als es. Mit Mistgabeln und Fackeln gegen einen Drachen. Hätte ich schon soviel meiner Menschlichkeit eingebüßt wie meine Erschaffer, hätte ich über diesen kläglichen Versuch gelacht. Doch mir, selbst noch so sehr Mensch, brach es das Herz. Ich weiß nicht wie lange es dauern wird, bis mein neues Ich diese Art des Mitleids ablegt. Oder wann ich beginne die Angst zu genießen und wann die Jagd nach frischem Blut mich jubeln lässt, wie ich es es tat als ich mein erstes Reh erlegte. Es gibt noch so viel zu lernen und ich bin so jung... so sehr Mensch. So sehr Verstand einer Sterblichen. Wenn ich überdauern will, muss ich zuhören und begreifen.

Es ist seltsam wie ich in diesen Tagen Dinge tue, denen ich in meiner Lebzeit so wenig Beachtung schenkte. Wenn man erst einmal aufhört zu schlafen und jeden Moment des Tag-Nacht-Zyklus bei vollem Bewusstsein verbringt, fallen einem Kleinigkeiten in dieser Welt auf, die einem sonst, von Alltag und Arbeit abgelenkt, verborgen blieben. Jeden morgen begrüße ich die Sonne. Seit dem Tag an dem sie mich aus dem alten Gewölbe ließen, habe ich keinen Sonnenaufgang mehr verpasst. Es ist ein wahres Erlebnis, fokussiert man seine Psyche auf diesen Moment, dieses alltägliche Spektakel. Ich genieße jeden Aufgang, als wäre es der Erste. Denn irgendwann kommt der Letzte. Dessen bin ich mir bewusst. Solange es mein lebloses Fleisch erlaubt will ich die Sonnenstrahlen auf meiner Haut spüren und wie ihre zarte Wärme in meine tote Knochen kriecht und ihnen zumindest den Schein von Leben einhaucht. Es hat etwas sehr meditatives. Früher hätte ich diese raren Momente an den Altären der Götter verbracht. Doch sie verursachen mir Schmerzen, die über das Körperliche hinaus gehen. Hier im Schein der noch jungen Sonne, lasse ich mein Bewusstsein fließen. Wie lange, suchende Fangarme eines hungrigen Kraken, gewebt aus dichtem Schatten, erstreckt sich mein Selbst über die für mich spürbare Welt. Ich bin da. Klar und deutlich. Ich schlafe nicht. Der sanfte Schmerz den mir das Tageslicht bereitet, lässt mich das deutlich fühlen. Und doch -  wie Loran sagte -  träume ich. Eine seltsame Sensation, denn ich glaube ich bin in der Lage bewusst zu handeln. Eine Geschichte die ich mir selbst erzähle. Ich sehe keine großen Prophezeiungen. Keine Vision der Zukunft oder Vergangenheit. Amrhan ist intakt und die Welt dreht ihre Bahn wie sie es schon immer tat. Alles was ich sehe ist ein Kind. Ein kleiner Junge der da steht und mich mit seiner Ungeniertheit anstarrt...

...

Ich spicke meine Existenz mit neuen Ritualen, die Alten, Menschlichen ablegend. Doch eines kann ich nicht ablegen: Ich verbringe jede Nacht bei Ihm. Es ist eine trauriger Versuch mein altes Leben zu simulieren. Ich sehe ihm stundenlang beim schlafen zu, ohne das es mir langweilig würde. Mal schläft er in meinen Armen ein, mal bin ich der stille Eindringling, der des Nachts herein geschlichen kommt und heimlich bei diesem ach so menschlichen Akt zusieht. Er ist mein Herz, mein Licht im Dunkeln und er wirkt so zerbrechlich in diesen Stunden der Nacht. Das ist der Zauber der Männer, dem ich schon immer schnell erlegen bin. Man will ihre Stärke, ihre Dominanz und den unerbittlichen Rückhalt den ihr starker Wille uns Frauen bietet und doch sind es die Momente in denen sie, einem zerbrechlichen Schmetterling gleich, in unseren Armen liegen, die sie uns am meisten lieben lässt. Ich weiß das ich mein Herz mit dem schlichten Ballen meiner Faust zerstören könnte. Keiner seiner starken Muskeln könnte dies Schicksal verhindern, wenn ich es wirklich darauf abgesehen hätte. Es geht weit über das Körperliche hinaus und schon vor meinem Tod habe ich verstanden dass die Liebe, die ich zu geben habe, nie ganz echt ist. Es fühlt sich so unendlich gut an zurück geliebt zu werden und um das zu bekommen muss man erst einmal geben.. Das ist es was ich brauche. Jetzt noch mehr als vorher. Und dieses neue Machtgefüge, diese erhebende Dynamik in der wir uns umeinander bewegen, macht es noch reizvoller. Nun hat diese Beziehung eine völlig neue Ebene erreicht, die mich verzückt und abschreckt zugleich. Und er weiß nichts davon. Mein armes Herz ist unwissend wie ein neu geborenes Kind, das die Welt nur durch sich selbst wahrzunehmen weiß. Was er dazu sagen würde jede Nacht bei einem blutsaugenden Monster zu liegen? Oder das sein Fleisch sich lustvoll nach dem einer Toten verzehrt? Wahrhaftig... eine neue Ebene. Ironie und Tragik. Ein Grund mehr diese, meine Gedanken nieder zuschreiben und dieses Theaterstück auf Papier zu bannen. Vielleicht verliert es so etwas von seinem Schrecken. Ob Mithras oder die Einundzwanzig , die Götter sind grausam mit uns allen. Mit den Verstoßenen, wie mit den Gesegneten. Ein bitterer Gedanke... Und dieser führt mich zurück zu dem höchsten Dilemma meines Schicksals. Doch will ich nicht über meinen Glauben reden. Noch nicht...
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Nachrichten in diesem Thema
Dies ist der Weltenlauf... - von Gisla - 12.06.2018, 13:05
RE: Dies ist der Weltenlauf... - von Gisla - 18.06.2018, 13:04
RE: Dies ist der Weltenlauf... - von Gisla - 23.06.2018, 16:07
RE: Dies ist der Weltenlauf... - von Gisla - 17.02.2019, 12:32



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