Ein Stück vom Rüschenglück
#2
Es regnete seit den frühen Nachtstunden unaufhörlich über den Dächern der Stadt, Straßen und Licht in ein gleichförmiges, bleiernes Grau tönend. Entsprechend schläfrig und ungern zeigten sich die wenigen Stadtbewohner, die bei diesem Wetter dennoch das Haus verlassen mussten, und das Rathaus war hier keine Ausnahme. Die Gänge waren mehr oder minder ausgestorben, kaum irgendwo Licht zu sehen oder etwas zu hören - allein eine schläfrige Wache vor der Tür gab dem Abgesandten der steinschen Willkür an, dass Fräulein Strastenberg wahrscheinlich im Beamtenzimmer wäre.

In der Tat drang Licht durch die Bodenritze, zeichnete eine schwache goldene Spur im halbdunklen Flur, auf das erstmalige Klopfen erfolgte jedoch keine direkte Reaktion. Erst beim zweiten Male hörte man drinnen Geraschel, etwas rummste, jemand fluchte, bis schließlich und endlich die Tür einen Deut weit geöffnet wurde. 
Das dem Boten derart offenbarte, unzufrieden dreinschauende Fräulein begrüßte den Besucher mit einem hauptstädtisch freundlichen "Was??", ihm den Brief nach Erklärung gereizt abnehmend. Eine mürrische Verabschiedung folgte der Höflichkeit halber zumindest, ehe es noch über den Kopf des flüchtenden Boten in Richtung der Wache an der Außentreppe blaffte: "Wichtige Besprechung, verflucht, wie oft denn noch?? Keine Besucher!"

Ob die Wache es vernahm oder nicht, musste dem Mahlstrom der Geschichte überlassen bleiben - mit einem Türeknall kehrte jedoch wieder Ruhe in die regengrauen Flure des Baus ein. 

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"Besprechung?"

Die Blonde drehte ruckartig den Schlüssel im Schloss um, wandte sich, dem hinter der Türe an der Wand lehnenden Mann ein zähneblitzendes Aufgrinsen schenkend, um dann leise zu bestätigen:

"Besprechung."

Der Brief raschelte achtlos zusammen mit dem wieder abgeworfenen Kleid zu Boden, geriet zum Opfer eilig voranstrebender Füße, und endete schließlich irgendwo zwischen Teppich und Wand, wo er unrühmlich vergessen wurde. 

So kam es, dass Ehrwürden Stein wider jede Erwartung keinerlei Antwort seitens des Fräuleins erhielt.
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Nachrichten in diesem Thema
Ein Stück vom Rüschenglück - von Marit Stein - 15.05.2018, 20:39
RE: Ein Stück vom Rüschenglück - von Marie Philippa Strastenberg - 16.05.2018, 13:29



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