FSK-18 Weidenkätzchen
#2
Der kalte, fest getretene Boden ist deutlich durch die dünne Lederhaut und das Laken zu spüren. Ich rieche die Erde, und wie sich dieser Geruch mit den vieler Körpern vermischt, welche auf engstem Raum zusammen gepfercht sind. Ich höre das Atmen meiner Schwestern während sie schlafen. Eine unruhiger als die andere. Je nachdem was für einen Tag sie hinter sich hatten. Ich kann Jarah leise weinen hören und die eiserne Note von Blut in der Luft riechen. Sie hatte keinen guten Tag gehabt.
Jede Nacht umgibt mich dieses Meer an Sinneseindrücken. In machen Nächten droht es mich zu ertränken. Dann wenn auch ich keinen guten Tag hatte...
Ein dünnes Fell, ein Stück Stoff, der als Decke dienen soll, und ein Kissen, ausgestopft mit etwas trockenem Heu. Es ist kein Schlafplatz für normale Menschen. Für Menschen mit Stand und selbst für viele ohne Stand wäre es wohl eine Zumutung. Doch ich bin nichts davon. Ich bin, wie meine Schwestern, mit denen ich diesem Raum teile, Besitz. Wie Meister Winterbach immer sagt: "potenzielles Kapital". Ich bin wieder eine von sieben Gebrannten. Ich bin zurück in Chucai und es fühlt sich an als wäre ich niemals weg gewesen. Jarahs schluchzen wird lauter, also krabbel ich zu ihr und leg ihr meine Hand über den Mund. "Sch...sch...Jarah. Willst du das der Hausvater kommt?" flüster ich ihr zu. Das zittern in meiner Stimme lässt sich nicht verbergen. Doch Jarah kann sich nicht beruhigen. Sie hält sich den krampfenden Bauch und der Geruch von Blut ist derart intensiv das mir ganz schwindelig wird.
Arme Jarah. Sie hat es schwer getroffen. Sie ist älter als wir anderen und hübscher. Sie hat schon einen richtigen Busen und der Hausvater mag sie am liebsten. Meister Winterbach schaut weg, wenn eine meiner Schwestern "ins Bett müssen". Wir alle schauen weg. Um keinen Preis auffallen. Man lernt hier schnell sich so unsichtbar wie möglich zu machen. Nur die arme Jarah nicht. Ich lege mich neben sie, die Hand immer noch auf ihrem Mund um ihr Klagen zu dämpfen. Ich streichle ihr über die Haare, in der Hoffnung sie würde sich beruhigen. Ein nervöser Reiter, kann das scheuende Pferd nicht besänftigen. Es hilft nichts. Und ich höre die Schritte. Da ist das beängstigend vertraute Licht unter dem Türschlitz und das Klicken des Schlosses. Ich halte den Atem an und bete zu den Dreien, das Jarah endlich ihre Klappe hält.
Der orange Lichtkegel einer Laterne durchschneidet die Dunkelheit des Raumes, als die Türe sich öffnet. Mir bleibt fast das Herz stehen und ich presse meine Hand mit all meiner Kraft auf Jarahs Lippen.
Die Dunkelheit kehrt erneut ein, als die Türe sich nach endlos scheinenden Momenten wieder schließt. Der Schlaf überkommt mich, meine magere Hand immer noch auf Jarahs zitternden Lippen. Als ich am morgen aufwache hat das schluchzen und wimmern aufgehört. Ihr Körper ist eiskalt und ihre leeren Augen stieren mir entgegen. Wir sind nur noch sechs. Dem Hausvater wird das gar nicht gefallen. Ich krabbel zurück auf meinem Schlafplatz und es ist nun an mir lautlos in mein Kissen zu weinen.
Dies wird ein schlechter Tag für uns alle... und ich höre schon seine Schritte. Ich rufe die Göttinnen an, das ich meinen Tag wieder bei Meister Winterbach verbringen darf. Kein schlechtes Gewissen. Hier ist jeder für sich. Chucai ist nicht wie die Steppe. Hier braucht es keinen Stamm zum überleben.
"Khiri! Wasch dich und geh hinauf zum Meister!" kommt die ölige Stimme sofort als die Türe sich öffnet. Ich rappel mich auf so schnell ich kann, steige über die erwachenden Körper meiner Schwestern. Ich stolpere fast über den reglosen Körper Jarahs und flüchte auf den Hof. Die frische Morgenluft trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht und auch wenndie Sonne sich gerade erst über den Horizont wagt, steigt schon der schwüle Wind eines heißen Tages auf. Ich höre den Hausvater brüllen, als ich mir am Wassertrog das Gesicht wasche und krampfhaft versuche Jarahs Blut von meinem Kleid zu waschen. Die Göttinnen haben mich gehört. Ich bin seinem Zorn entgangen...
Mit lautlosen Schritten tragen mich meine nackten Füsse wieder hinein ins Haus. Ich komme vorbei an der Kammer des Hausvaters. Die Tür steht offen und man hat einen guten Blick auf sein zerwühltes Bett. Die Lederriemen die am Kopfende hängen, sind wie eine stille Warnung. Eine Erinnerung daran möglichst unsichtbar zu bleiben. Es geht die Treppen hinauf, vorbei an des Meisters Arbeitszimmer, seinem Labor, dem Esszimmer und ich klopfe dreimal an die Türe seines Schlafgemachs. Als ich eintrete sitzt Meister Winterbach, wie jeden Morgen, an seinem Tisch und nimmt sein karges Frühstück zu sich. Er ist ein so schrecklich dürrer Mann. Es scheint das all die Energie die er zu sich nimmt sofort von dem wachen, ständig grübelnden Geist in seinem Kopf vereinnahmt wird. Er sieht auf als ich eintrete und mustert mich mit strengem Blick. "Wessen Blut ist das, Khiri?" fragt er sofort und seine Tonlage sagt mir, dass er keine gute Nacht hatte und nur eine knappe, präzise Antwort geduldet wird. "Jarah ist nicht mehr, Herr." kommt meine piepsige Stimme und ich senke den Blick ergeben vor ihm. Ich sehe nicht wie er darauf reagiert. Das will ich auch gar nicht. "Zieh das verfluchte Kleid aus und setz dich aufs Bett. ich lasse dir später ein neues bringen." Es ist eisig kalt in seiner Kammer. Im Kamin liegt Tage alte Asche. Meister Winterbach beendet sein Frühstück in aller Ruhe, als würde ich nicht existieren. Dann setzt er sich zu mir, streicht über das Brandzeichen auf meinem Rücken und flüstert mir zu: "Heute üben wir ein paar neue amrhanische Redewendungen, Khiri..."



Als meine Augen sich öffnen bin ich wieder in Hohenquell. Ich bin wieder in der Gegenwart. Und in dieser klebt mir das Nachtkleid schweißnass auf der Haut. Ich liege allein auf dem Boden. Kein Geruch fremder Körper und alter, trockener Erde. Nur der Duft der Felle auf denen ich schlief und die harzige Note frisch geschnittenen Holzes aus der kleinen Werkstatt. Es war nur ein Traum... und doch war es mehr. Eine Erinnerung. Eine von vielen. "Ich mag Betten einfach nicht."
Es wird Zeit den Tag zu beginnen. Die Tiere haben Hunger und ich muss die Nachwehen dieser Nacht aus meinem Geist vertreiben.
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Weidenkätzchen - von Khiri - 20.04.2018, 19:42
RE: Weidenkätzchen - von Khiri - 05.05.2018, 12:24
RE: Weidenkätzchen - von Khiri - 08.09.2018, 13:19
RE: Weidenkätzchen - von Khiri - 12.09.2018, 09:11



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