FSK-18 Von der Holzfällerin zur Ritterin
#11
Die Meeresluft umschmeichelte die junge Frau wie eine Hand die liebevoll durch das Haar eines kleinen Kindes streichelt. Frische Luft, klare Luft. Luft zum atmen. Das diese Luft kalt war, doch das störte nicht sonderlich. Saß sie doch keine zwei Schritt vom wärmenden Feuer entfernt. Der Zwiebeleintopf fühlte sich in ihrem Mund und ihrer Kehle an als würde sie flüssiges Glück schlucken. Die anderen Wachen und Soldaten hatten sie zwar schief angesehen, aber aufgehalten hatte sie niemand. Das konnte auch daran liegen das sie von oben bis unten voller Blut war oder daran das ihr Blick wirkte als wolle sie Fels damit schneiden. Nicht einmal die Feldscher trauten sich in ihre Nähe, wahrscheinlich waren sie der Meinung die Platzwunde sei zu klein oder schon voller Schorf oder aber niemand wollte in diesem Augenblick mit Valyra zu tun haben. Im Grunde war sie sehr froh darüber. Dann näherte sich leises Scheppern dem Feuer. Nicht viele trugen hier eine Plattenrüstung. Man konnte die Träger einer solchen an einer Hand abzählen. DAS bedeutete Ärger. Nun zumindest eine unangenehme Situation. 

"Unerlaubtes entfernen von der Truppe, nicht antreten zum Dienst oder gar... Desertation? Aber... um fair zu bleiben, möchte ich gern deine Seite hören. Was ist vorgefallen?" Leutnant Kordian stand in seinem Panzer aus Rabenstahl vor ihr, die Hände wie immer vor der Brust verschränkt. Sein Blick war ebenso kalt und starr wie der von Valyra, doch sie wusste das hinter der Macht seiner Augen auch Sorge steckte. Fürsorge um genau zu sein. Darum hatte niemand bisher Valyra gepackt oder zur Rede gestellt. Hart wie ein Diamant - fair wie die Waagschalen des Lebens. Valyra konnte seinem Blick nicht standhalten. Wieder einmal sah sie zu Boden. Egal was für dunkle Gefühle in ihr tobten, sie galten nicht ihren Kameraden, nicht ihren Freunden und schon gar nicht ihrem Vorgesetzten. 
'Reiß dich zusammen. Er wird dich nicht fressen, oder?' Nein das würde er nicht. Aber er verdiente die Wahrheit. Erneut würde sie alles ausgraben müssen was sie unter einem Gefälle von Blut ertränkt hatte. 

"Ich hatte Feindkontakt." Seine Augen bewegten sich nicht. Er blinzelte nicht einmal. Natürlich würde ihm dies nicht reichen. Offenkundig war er nicht in der Stimmung ihr jedes Wort aus der Nase zu ziehen. Seufzend fuhr sie fort. Sie erzählte ihm alles was vorgefallen war, alles was ihr dieser miese Bastard ihr angetan hatte. Jede noch so ekelhafte Schandtat die er eingesetzt hatte um ihre Würde zu zertrümmern. Als sie fertig war sah sie zu Kordian hinauf, mittlerweile stand er vor ihr. Sein Blick war nach wie vor hart, aber ähnlich wie ein guter Ofen, war dieser Blick warm. Für einen Lidschlag konnte man eine Spiegelung in seinen Augen sehen, welche die Form einer Gans hatte. Vor ihr stand kein Feldherr oder General an der Front, vor ihr stand ein Soldat besser gesagt ein Kamerad dessen Herz Sulis folgte. Er nahm ihre Hand und untersuchte die frischen Schürfwunden an den Handgelenken. 

"Hat er dir noch anderes angetan?" Die Stimme war analytisch und kühl, trotzdem konnte Kordian nicht verstecken wie groß seine Sorge war. Valyra schüttelte den Kopf. Bis auf ihre Würde, fehlte ihr nichts. 
"Kraft meiner neuen Befugnisse und unter Berücksichtigung der eingetroffenen Verstärkungen, beordere ich dich mit sofortiger Wirkung in den Fronturlaub und versetze dich umgehend nach Ravinsthal zurück. Wir reiten in einer Stunde, pack deine Sachen." Die junge Kriegerin hob an etwas zu sagen, aber ein Blick reichte aus um sie zum Schweigen zu bringen. Die erste Regel der Garde Ravinsthals lautet - Befolge die Befehle der Vorgesetzten. In diesem Augenblick würde nicht einmal eine Horde Indharimer den Leutnant aufhalten können sie von hier fort zu schaffen. Hier und jetzt gab es keine Kriegerehre, keine Soldatenkameradschaft oder gar den Drang nach Ruhm. Hier zählte nur eines... Schutz. Eine Platzwunde hätte er übersehen, einen Stich in den Bauch hätte er verbinden lassen und sie hier behalten, eine ausgekugelte Schulter und sie dürfte Morgen schon wieder auf der Palisade stehen. Aber dies hier war anders, jemand hatte einen seiner Soldaten auf eine Art und Weise verwundet die hier an der Front nicht geheilt werden konnte. Schon nach wenigen Stunden straffen Galopps tauchten die Umrisse der Burg in der Dämmerung auf. Vor der Wache banden sie ihre Pferde nahe des Wassertrogs an. 

"Rekrut, ich habe einen Auftrag für dich, sieh auf dem Rabenhügel nach ob du die Vatin Anouk findest. Melde ihr das wir in der Taverne sind und uns über ihre Anwesenheit freuen würden. Den Rabenhügel findest du wenn du den Treppen am Heilerhaus folgst." Valyra salutierte und machte sich auf den Weg. Zumindest schrieb er sie nicht vollends ab. Sie würde sich in seinen Augen schon wieder beweisen. Vorerst hatte er wohl Recht. Die Stufen waren nach dem längeren und scharfen Ritt schon nervig, aber immer noch besser als irgendwo in einem Bett zu liegen und die Decke an zu starren. Auf dem ersten Plateau angekommen fiel Valyra direkt die Kinnlade herunter. Dieser Ort war ... magisch. Anders konnte man es einfach nicht sagen. Sie schritt an einen der großen Runensteine näher heran. Ihre Hand reckte sich nach den Symbolen, dennoch zögerte sie. 

"Beeindruckend, nicht wahr?" Anouks Stimme flog durch die Nacht wie ein Pfeil. Valyra zuckte zusammen. Getroffen von einem entwaffnenden Wort oder Schuss, hielt sie inne und hob abwehrend die Hände. Nuschelnd erklärte die junge Frau der Druidin das sie nichts angefasst hat. 
"Was ist passiert, Valyra?" "Passiert?" Valyra versteckte ihre Hände hinter dem Rücken. Anouk entblößte ihre Zähne, wie so oft konnte Valyra nicht unterscheiden ob sie gleich gefressen würde, oder ob die Vatin lächelte. 
"Du glaubst doch nicht allen Ernstes das du eine Vatin des Rabenkreises mit so einer albernen Maskerade täuschen kannst? Ich frage also nur noch einmal, was.. ist.. vorgefallen..?" Auch der Vatin erzählte Valyra die ganze Geschichte. 
"Darum warst du also nicht bei der Opferung für Artio. Mir war schon klar das du ihr nicht freiwillig fern geblieben bist." Während sie sprach, ging sie auf verschlungenen Pfaden zu einem Ort der hinter dem lag was man als Fassade des Rabenhügels bezeichnen könnte. Dem Ritualkreis. Valyra schauderte während ich ihre Nackenhaare aufstellten. Der Fremde hatte alles gefressen was sie für Artio gesammelt hatte. Wie ein schüchternes Reh trat sie auf die freie Fläche. Immer wieder sah sie sich um, immer wieder schluckte sie ihre aufkeimende Furcht hinab. Wie gebannt hielt Valyra irgendwann am Rande des steinernen Ritualkreises an. Anouks Stimmte erklang hinter ihr und zwang ein weiteres Mal, jedes noch so kleine Härchen an Valyras Körper sich aufzurichten. 
"Dies ist das letzte Mal das du diesen Ort als Mithras Gläubige siehst." Nun war es soweit. Valyra konnte sich nicht mehr bewegen. Sie war so dumm ihre Opfergaben zu verlieren also würde Anouk, Artio nun auf ihre Weise beruhigen und was wäre passender als das erjagte Reh auf dem Altar von Fels und Blut zu opfern. 

"Sind dir die 21 bekannt, Valyra?" "Ja das sind sie," sprach die junge Frau nachdem sie an ihren Fingern alle 21 abgezählt hatte. Sie würde nicht geopfert.. sie würde.. wieder diese Lähmung. Anouk fragte die Rekrutin über die Götter aus. Welche Sagen kannte sie, welches Bildnis stellt welchen Gott dar und wofür stehen die Götter. Valyra antwortete jedes Mal so wahr wie es ihr möglich war und dennoch war es als würde sie diese Szene wie durch einen Schleier erleben. Anouk trat in den Steinkreis und deutete Valyra ihr zu folgen. Sie positionierte das Mädchen in der Mitte des Kreises. 
"Warum glauben wir an die 21?" 
"Ich glaube an die 21 weil es sich richtig anfühlt. Sie schenken mir Freiheit. Sie waren schon immer hier und werden immer hier sein. Von ihnen gehen Wärme und Kälte aus. Licht und Schatten. Feuer und Wasser. Sie sind alles um uns herum und alles was wir Tag für Tag erleben. Die 21 dringen durch mein Herz in diese Welt und aus dieser Welt in mein Herz hinein. In ihren Armen fühle ich mich frei."
"Warum glauben wir nicht an Mithras?" Valyra grummelte bei dem Namen, diese Antwort würde alles entscheiden. Nicht weil die Druidin darüber urteilen wollte, sondern weil Valyra sich sicher war. Sie musste es nur noch aussprechen um den Pakt mit sich selbst zu besiegeln. 
"Ich glaube nicht an Mithras weil er ein falscher Götze ist, erschaffen von Menschen um andere Menschen zu verängstigen und zu kontrollieren. Mit seinen schwarzen Flügeln und seinem Schwert treibt er die Unwissenden in die Dunkelheit, auf das sie im Schein der letzten wärmenden Feuer seinen Namen brabbeln. Aus dieser Furcht nährt er seine falsche Macht. Seine Priester sind Schausteller die nach dieser Macht gieren. Der Glaube an Mithras ist kein Glaube an einen Gott, es ist ein Bündnis zwischen Angst, Schwäche und faulender Dekadenz." Valyra schaute starr gerade aus, sie konnte nicht sehen wie die Lippen der Druidin ein Lächeln formten.

Irgendwo in der Ferne erklang ein leises Grollen, Wolken schoben sich vor den Mond und gaben sein Licht wieder frei. Vereinzelte Schleier von Nebeln zogen zwischen dem Mond und den Frauen umher. 
"Die Götter sind sich uneins. Bist du bereit ihnen etwas zu geben?" Viel zu lange schon, dachte Valyra über diese Frage nach. Was war ihr nicht alles in den Sinn gekommen. Doch letzten Endes konnte die Antwort keine andere sein, als jene die auf ihrer Zunge lag. 
"Ohne die 21 würde ich noch in einem wabernden Meer alles verschlingender Finsternis leben. Ohne die Kraft der 21 würde ich noch in den Fängen des wilden Irren sein. Ohne die 21 würden mein Leib und meine Seele nicht mehr sein. So biete ich ihnen nichts geringeres als mein Blut und mein Leben." Es mochte nur einen Bruchteil lang dauern. Nicht genug um mehr als einen Lidschlag zu tun, doch für diesen einen Moment, war das Licht in ihren Augen strahlend hell und hart genug um selbst den Blick von Kordian zu zerschmettern. Eine nie gekannte Entschlossenheit raste durch den Körper der jungen Soldatin. Ihr Blut pulsierte in ihren Adern, ihr Herz schlug laut genug um die Grundfesten Ravinsthals zu erschüttern selbst ihr Magen stimmte in das tosende Gewitter ein, dass ihr Körper beinhaltete. 

((Musik))

Es gab keine Warnung, es gab keine Aufforderung es gab nur die Worte und die Schmerzen. 

"Weisung - Schmerz" flüsterte der Blitzschlag, und fuhr durch die Rüstung und Haut Valyras hindurch. Es fühlte sich als würden aber tausende kleiner Eiskristalle ihren Leib zerschneiden. 
"GRAAAAAAAAAAAHAAARRRRRRRR." Sie schlang die Arme um ihren Leib versuchte zusammen zu halten was ihr Körper sein sollte. 

"Weisung - Schmerz" röhrte der Hirsch im Unterholz und sein Blick bohrte sich tief in die Eingeweide des Mädchens. Sein Geweih nahm sie hoch und warf sie wieder auf den Boden.

"Weisung - Schmerz"  schrie die Eule in der Nacht und trieb ihre Krallen in den Rücken Valyras. Ihr Schrei im Mondlicht erschütterte die seelischen Grundfesten Valyras. 

"Weisung - Schmerz" Kläffte der Wolfshund und grub seine Fänge so tief in den Oberschenkel Valyras, dass sie in die Knie ging. Keuchend, schnaufend und einer Ohnmacht nah. 

Eine Hand schlich sich in die Haare der jungen Frau und bog den Kopf in den Nacken. Im Mondlicht blitze eine Silber verzierte Klinge aus Damaststahl auf. Nur einen Herzschlag später lag das kalte Metall an ihrer Kehle. Valyra wollte sich nicht wehren, selbst wenn sie es gekonnt hätte. Wenn dies das Ende war, würde sie Stolz sein. Stolz darauf das die Götter ihr Leben als Opfer akzeptierten. Mit weit aufgerissenen, stahlblauen Augen sah sie in den Himmel und nickte ganz schwach. Von ihren Lippen konnte Anouk das tonlose -Ich bin bereit- lesen. Die Druidin zeigte wieder ihre strahlend weißen Zähne. Ob es dieses Mal wieder ein Lächeln war konnte Valyra nicht sagen. "Nun sehet das Opfer dieser Frau."

Dann, ein sauberer Schnitt, ein letzer Schmerz und ein letztes Blinzeln Valyras. 

Der Dolch fiel zu Boden. Valyra fiel zu Boden. 

Die Zeit schien diesen Augenblick in eine Ewigkeit zu wandeln. 

Blut rann aus ihrer Kehle und bedeckte auch die letzten sauberen Stellen ihres Körpers. 

Arme fingen Valyra auf. 

"Nun hast du ihnen alles gegeben." Die Stimme wehte durch die Nebel die mehr und mehr des Ritualplatzes verschlangen. Augenblicke schlichen dahin, helles rotes Blut sickerte auf den Boden, eine Hand entließ die Robe in die sie sich krallte. Minuten vergingen, das erste Mal setzte das junge Herz einen Schlag aus. Es wurde dunkel. 

"Heilung - Sturm." Wie ein Chor aus fünf Stimmen erklangen diese Worte, sie waren weit weg. Sehr weit. Aber sie entzündeten ein Licht. Eine kleine Fackel in der Dunkelheit. Eine Flamme der Hoffnung die nun Wärme spendete. Der Lebensfunke, der vor einem Augenblick noch im Begriff war für immer zu erlöschen, erholte sich. Er half der Flamme die Dunkelheit zu vertreiben. Schritt für Schritt kämpften die beiden sich durch die Finsternis. Schlussendlich vereinten sie sich... und nach dem Öffnen ihrer Augen sah Valyra einzig und allein den klaren Mond. Wie aus feinstem Marmor gehauen hing er dort oben und warf sein Licht auf Valyra und die Frau die sie seit gefühlten Jahren im Arm hielt. 

"Willkommen in den Reihen der Mondwächter, Valyra." Die junge Frau blinzelte ein weiteres Mal. Es dauerte lange bis sie die Worte richtig verarbeiten konnte. Tränen rannten dabei über ihre Wangen und fielen in die Blutpfütze unter den Frauen. Anouk gab ihr diese Zeit. Erst nachdem Valyra sich klar war, in welcher Situation sie nun war, bot sie ihr an ihre Schicksalsgötter zu deuten. Valyra stimmte zu und setzte sich mit Hilfe der Druidin aufrecht hin. Geheimnisvoll nahm Anouk einige hölzerne Stäbchen aus einem Beutel. Ein Wurf. Dann beugte sich die Druidin über das Ergebnis, nahm eines der Stäbchen und verkündete...

"Nodons, er ist der Schildwall der Heimat. Der Heiler des Grundes." Valyra ballte ihre Faust so gut es ihr möglich war. Sie wusste nicht wieso aber sie hatte gehofft er wäre unter ihren Schicksalsgöttern. Es fühlte sich wie ein kleiner Sieg an. Doch für wen? Die Druidin barg ein weiteres Stäbchen.

"Branwen, er ist die Wildheit und Fruchtbarkeit, der leidenschaftliche Rausch." Die junge Soldatin blinzelte. Genau diesen Zeitraum dauerte es ihre Wangen in sanftes rot zu tauchen. Hoffentlich würde er nicht sobald auf sich aufmerksam machen. Der dritte Stab wurde in die Höhe gehalten. 

"Taranis, Meister über das Wetter und die Gewitter. Der ungeduldige Sturmbringer." Ungeduldig, das konnte Valyra noch einsehen. Aber sie, die kein Wässerchen trüben konnte sollte einen Sturm entfachen. Vielleicht gab es etwas an ihm das sie noch nicht verstand. Ein letztes Mal griff Anouk nach einem Stäbchen.

"Galates, der stille Wächter der Erinnerungen. Der stumme Hüter der Geheimnisse." Wächter der Erinnerungen.. Valyra lächelte, willkommen in meinem Herzen, Wächter. 

Valyra ließ sich von Anouk aufhelfen. Doch der Drang den sie vor Kordian so erfolgreich unterdrückt hatte war dieses mal zu stark. Tränen überströmt umarmte sie die Druidin und dankte ihr mit belegter Stimme. Es dauerte lange bis sie die Druidin wieder freigab. Dann machte sie sich auf zur Wache. In keinem Augenblick ihres Lebens, von der Geburt bis jetzt, war sie glücklicher.
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RE: Von der Holzfällerin zur Ritterin - von Valyra Eichenwald - 02.12.2017, 19:43



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