Anouk: Gedanken
#2

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Ein wohliger Schauer läuft mir über den Rücken und ich spüre, wie sich die feinen Häärchen an meinen Armen und Beinen aufstellen. Das Kribbeln zieht meinen Rücken hinauf, hoch in den Nacken und von dort bis zum Scheitel. Es ist der bloße Gedanke an das, was passiert ist, der meinen Körper in Erregung versetzt.

Dein Blut ist längst getrocknet und in den Fugen zwischen den Steinen versickert. Mit meinen Fingern berühre ich die kalte, glatte Oberfläche, während der Wind unbarmherzig dunkle Wolken über den Himmel treibt. Der Schnee wird das Zeugnis dieser Nacht unter sich begraben und mit Einsetzen der Schmelze unwiderruflich vom Antlitz der Erde tilgen, doch keine natürliche Kraft vermag mir die Erinnerung daran zu rauben. 

Es fällt mir schwer dieses Gefühl in Worte zu fassen. Es ist, als würde es sich mit aller Kraft meinem Verstand entziehen wollen. Ich schließe die Augen und lausche in mich hinein, doch auf das Flüstern der Götter warte ich vergebens - stattdessen höre ich ein leises, scharrendes Geräusch.

Ein Scharren, das meinen Herzschlag beschleunigt.
Ein Schnauben, das mir durch Mark und Bein fährt.
Ein Knurren, das mich zusammenzucken lässt.

Angst keimt in mir auf und ich verspüre den Drang zu fliehen, ehe ich realisiere, dass es keine Fluchtmöglichkeit gibt. Ich sitze in der Falle.

Die Jägerin entblößt ihre Zähne. Wie ein gespiegeltes Ebenbild imitiere ich ihre Grimasse und starre ihr trotzig entgegen. Das schwarze Haar rahmt ihr in Mondlicht getauchtes, blasses Gesicht. Die dunklen, eng zusammengeschobenen Augenbrauen verleihen ihr einen bedrohlichen Ausdruck.

"Töte sie!", befielt die Kriegerin zu ihrer Rechten mit eisiger Stimme. 
"Verschone sie!", fleht die Mutter zu ihrer Linken leise.
Die Jägerin schweigt und sieht auf ihre Beute hinab.

Ich sehe deine stahlblauen, klaren Augen noch vor mir, weit aufgerissen vor Angst. Meine Finger haben dein Haar fest im Griff und zwingen dich mich anzusehen. Tränen wandern an deinen Wangen hinab und hinterlassen eine feuchte Spur auf deiner Haut. Die Klinge des Dolches drückt sich zärtlich in deinen schmalen Hals. Es ist dieser Moment, von dem ich zehre, der meine Gier stillt und mich berauscht.

"Töte sie!"


Die Kriegerin gurrt verzückt beim Anblick des Blutquells, der deiner Kehle entspringt.
Dein Leib sinkt kraftlos in die Arme der trauernden Mutter.

"Schenk ihr das Leben!"


Der Kuss der Mutter nährt deinen fast erloschenen Lebensfunken und spendet ihm neue Kraft, während die Kriegerin sich enttäuscht vom Geschehen abwendet.
Du ziehst die klirrend kalte Luft gierig in deine Lungen und schlägst die Augenlider wieder auf.
Die Jägerin leckt sich über die blutigen Lippen - ihr Hunger ist vorerst gestillt.


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Anouk: Gedanken - von Anouk - 02.11.2017, 21:44
RE: Anouk: Gedanken - von Anouk - 08.12.2017, 19:24
RE: Anouk: Gedanken - von Anouk - 16.02.2018, 15:17



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