Sonnenwende
#2
Es ist still, es ist heiss, es ist finster und sie wagt kaum zu atmen in der Furcht, dass allein das schon genug wäre um die lauernde Dunkelheit zu wecken. Momente reihen sich aneinder und werden zu Minuten, Minuten wachsen und dehnen sich zu Stunden. Und als sie es erstmal wagt die verspannten Glieder zu lockern, klingt das leise Lachen in ihr Ohr.
"Aber ich war niemals fort."






"Name?"

"Delahne Magreid."

"Wohnhaft?"

"Eine kleine Hütte gerade ausserhalb von Eigen am Gamsensteig."

Für den robusten Charme Eigens kam die Amtsstube des Schreibers einer Offenbarung gleich. Die Erinnerung an meinen ersten Besuch vor so vielen Jahren ist noch immer verbrämt vom warmen Gefühl des Staunens und dem Duft der weiten Welt: Über die Jahrhunderte hinweg waren Kleinode aus allen Lehen zusammengetragen, dann sorgsam dekoriert, beschriftet und ausgestellt wurden.
Da gab es einige ausgestopfte Singvögel aus Candaria, die ganz lebensecht in einem Käfig aus Kupferdraht saßen, sogar an die Wasserschale war gedacht worden und direkt daneben thronte in einer Vitrine ein Krummschwert aus Nortgard, das die gravierte Zinnplatte dem Besitz des Barons Sigismut Alteros von Eberklamm zuordnete. Essgeschirr aus Inhdarim, die Maske eines Ravinsthaler Werwolfs, eine aus Granit gehauene Hand von erstaunlichem Detailgrad, der Federschmuck eines garantiert echten Galatiers und natürlich der in Silber gefasste Fingerknochen des Magiers Reonard Parges, der Eigen zu seinen Lebzeiten in Angst und Schrecken versetzt hatte.

"Das ist ein eigenartiger Name. Habt ihr Wurzeln in Indharim?"

Die Schreiber wechselten regelmässig, einige pflegten die Schaustücke mit mehr, andere mit weniger Enthusiasmus, aber niemand wagte es etwas an der festgeschriebenen Ordnung zu ändern. Dieser hier war neu: Ein Mann gerade jenseits der Dreissig und mit einem hungrigen Ausdruck mühsam gezügelten Ehrgeizes in den Augen.
Für Eigen war das nicht ungewöhnlich, denn auch wenn jeder der hierher Verbannten "um eine wertvolle Lektion zu lernen", sich als Unikat dünkte, hatten die Eigener sich bald daran gewöhnt, dass der Baron das Dorf als seine persönliche Abfallgrube benutzte. Ich vermute die Einsicht sorgte hier und da sogar für einen gewissen Stolz.

"Nein. Hier geboren, hier aufgewachsen. Aber es gibt eine kurzweilige Geschichte dazu, wie der Name entstand."

"Bestimmt, Fräulein .. Magreid. Aber die Zeit des Ritters ist kostbar und so ist es auch die Meine. Was kann ich für Euch tun?"

"Frau."

"Bitte?"

"Frau Magreid. Ich war verheiratet."

Wenn er verärgert war, liess er es nicht erkennen, stattdessen fiel die Aufmerksamkeit des Mannes herab auf das Bündel an Pergament, das er offenbar als Vorbereitung auf das Gespräch hatte herbringen lassen. Ein Bündel, das ich ohne Zweifel besser kannte als er und das mir verriet, dass er bereits gewusst hatte wer ich war, bevor mir erlaubt worden war die Schreibstube zu betreten.

"Ihr .. ja, verheiratet mit Peter Magreid. Verstorben bei .."

Und da war er: Der Blick, der das Gelesene, aber Unausgesprochene als grosse Frage in den Raum stellte.

"Ja."

"Lieber Herr Mithras. Ihr seid das also. Mein Vorgänger hat eine hübsche Akte über Euch angelegt. Hier steht auch, Ihr hättet ihn geohrfeigt."

"Das war ein Missverständnis."

"Zweimal."

"Beim zweiten Mal war es Absicht."

"Und Ihr wurdet aus Eigen verbannt für .. ein halbes Jahr."

"Ich kam zurecht."

"Offenbar."

Dieses Mal schätzte er mich genauer ab, suchte nicht allein den Finger der Linken nach einem Ring ab, den ich schon lange zwangsweise eingetauscht hatte.
Ich wusste, was er sah: Die fransig geschnittenen blonden Haare, denen man die Spuren des Messers ansah, die gebräunte Haut, die ihm verraten musste, wie oft ich unter der freien Sonne unterwegs war. Ein Gesicht in dem Unterordnung und Herausforderung miteinander stritten. Robuste, aber abgetragene Kleidung, zweckmässig und schlicht.

"Ihr zieht Euch an wie ein Mann. Ihr gebärdet Euch wie ein Mann. Aber der Verstand verrät doch unfehlbar das Weib und führt Euch in die Irre. Wenn Ihr gekommen seid um darum zu bitten, dass der Bann vor der Zeit aufgehoben wird, dann habt Ihr meine Zeit verschwendet. Ein halbes Jahr. Kein Tag weniger."

"Ich bin nicht deswegen hier."

Die Hände, die bereits dabei waren die Akte zu schliessen, verharrten.

"Was dann?"

"Ich will einen Vorfall melden."

"Ihr wollt mich auf den Arm nehmen. Schon wieder?"
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Sonnenwende - von Delahne Magreid - 25.09.2016, 14:09
RE: Sonnenwende - von Delahne Magreid - 26.09.2016, 14:30
Asche zu Asche - von Delahne Magreid - 04.10.2016, 13:34
RE: Sonnenwende - von Delahne Magreid - 01.03.2018, 18:26
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RE: Sonnenwende - von Delahne Magreid - 21.06.2018, 06:15



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