FSK-18 Schlaflos
#9
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(Boy Epic - Wolf)


Der Mond ist nicht mehr ganz voll vor meinem Fenster. Angenagt. Abgebissen. Als hätte ein Gott in seinem unstillbaren Hunger versucht, ihn zu verschlingen. Vielleicht ist er daran erstickt.
Mein eigener Hunger schwankt wie die Gezeiten, nur unberechenbarer. Mal ist es ein Leichtes, ihn zu kontrollieren. Dann wieder muss ich an mich halten, meine Angestellte nicht zu verschlingen. Es hat nichts mit dem Erlernen von Kontrolle zutun, dafür alles mit diesem Knoten in meinem Bauch, der mich elend macht. Ich könnte nicht einmal schlafen, wenn ich schlafen könnte, und dort wo einst mein Zwerchfell seinen Dienst tat, herrscht nun ein stetiges, nervöses, unwohles Prickeln. Ein Zug an den Rippen, als könnte ich mich jeden Moment selbst ersticken. Ein Gefühl von drohendem Unheil, von einer Katastrophe, die mich sicherlich jeden Moment heimsucht.
Angst.
Ich kenne sie gut, sie war immer schon mein Begleiter. Bevor ich mit einem unheiligen Splitter erdolcht wurde und zu dem erwuchs was ich nun bin, bevor ich schlaflos wurde, kannte ich bereits die Angst. Angst vor Ablehnung, Angst vor Gelächter, Angst vor Enttäuschung, Angst vor Fehlern, Angst vor der Erkenntnis, dass eine andere hübscher sein könnte als ich, oder klüger, oder geschickter. Angst davor, dass ich eines Tages herausfinden würde, was meine Liebsten wirklich von mir halten.
Jetzt habe ich nur noch Angst um meinen Mann. Er kommt kaum noch von der Baustelle zurück, und da ich nicht schlafe, da meine Gedanken niemals ermüden oder erschlaffen, spinnt mein Kopf die wildesten Ideen zusammen. Vielleicht hat er mich über? Mich und meine Blutgier, mich und meine Sünden, mich und meine Makel. Ich könnte es ihm nicht verdenken, aber ich kann auch nicht von ihm ablassen.
Es ist dies die Art der Vampire. Sie klammern. Sie steigern sich in etwas hinein, bis es verteufelungswürdige Ausmaße annimmt. Da ist der schwarze Ritter mit seiner Manie für sein tragisches Ende und das Elsternspiel, und da ist die Katze, die so mit sich selbst beschäftigt ist, dass ich manchmal darum fürchte, sie könnte sich selbst und ihren Mann verzehren, nur um Beidem noch näher sein zu können. Und da bin ich, mit meiner Obsession für meinen Mann. Mein Leben dreht sich um ihn und ohne ihn kann ich nicht atmen, so erscheint es mir, und die Stimme in meinem Kopf gewinnt zunehmend an Stärke. Er hat eine andere, wispert Maergys, und bei jener ist er. Du solltest ihn verfolgen, rät sie, sehen wohin er geht. Das Weib töten, dessen Haus er betritt, reinen Tisch machen, sodass er zurück kehrt zu dir.
Ich widerstrebe. Natürlich widerstrebe ich. Der Teil in mir der ich ist, vertraut ihm. Der Teil aber der Maergys ist, der Splitter in meinem Innersten, er gewinnt zunehmend an Macht. Und Maergys vertraut niemandem, ganz besonders keinem Mann. Deshalb verabscheut sie mich, verabscheut mein kriecherisches Weinen nach seiner Gesellschaft. Deshalb frisst sie mich von innen auf, wie die Götter den Vollmond auffressen. Und irgendwann werde ich die Stimme in Maergys' Kopf sein, und sie der Herr über meinen Leib.

Mondlicht scheint durch die Fenster, blendet mich und scheucht mich zurück in eine dunklere Ecke der Stube. Mit gekräuselter Oberlippe blicke ich um mich, spüre das prickelnde Kriechen meiner Haut, das mich vor einer beginnenden Verwandlung warnt. Oh ja, ich kenne Mittel und Wege um Maergys zu bremsen, sie gefallen mir nur nicht. Ich lasse dem Tier in mir nicht gerne lockere Zügel, denn dann passiert Chaos. Blut und Tränen und soviele erzwungene Erklärungen, die ich mir fortan merken muss. Ich mag es wahrlich nicht, aber welche Wahl habe ich?
Nur drei. Meinen Mann finden, mein Tier füttern, oder mich Maergys ergeben. 
Was wähle ich also in dieser Nacht?


Mein Tier leitet mich durch den Wald, wo wir einen einsamen Ziegenhirten verschlingen, ihm sein Leben durch das Loch in seinem Leib entreißen und uns gierig in seinen Überresten wälzen. Es gibt uns nichts, dieses makabre Spiel, aber mein Tier tut es weil es verboten ist. Und weil unser Mann der Spur folgen kann, wenn er es will.
Dann laufen wir weiter, hinauf in die Berge, den Schmugglerpfad entlang, wo wir den Ziegenhirten wieder erbrechen. Unser Magen ist nicht dafür gemacht, das Fleisch zu verzehren, aber das hindert mein Tier nicht daran, es trotzdem zu versuchen. Wieder und wieder.
Als ich mich das nächste Mal aus meinem Kopf wage, sind wir bereits in den Thalwäldern und steuern auf einen Ort zu, an dem ich mich zu jeder anderen Stunde nur unter großem Widerwillen aufhalten würde. Ich weiß bereits wohin meine Schritte mich führen, aber ich kann es nicht mehr aufhalten; das Bad im Chronosschrein ist kurz und oh so schmerzhaft, es bringt mich zum kreischen und strampeln. Mein Tier lacht gehässig zwischen den Schmerzlauten, lässt mich tanzen und springen wie ein Rumpelstielzchen und ergötzt sich an meiner Fassungslosigkeit. Es hasst mich fast so sehr wie Maergys, weil ich es an die Leine zwinge, es verleugne, versuche etwas zu sein das ich nicht mehr bin, und nun bekomme ich zu spüren wie es sich anfühlt am anderen Ende dieses Machtgefüges zu sitzen.
Wir brechen wieder auf, und innerlich bete und bettle und hoffe ich darauf, dass wir nicht in Rabenstein enden.
Eine halbe Stunde später stolpern wir durch das Tor und murmeln etwas von "Überfall", hastig in unserer Eile, der neugierigen Wache rasch zu entkommen. So ärmlich und zerrupft wie wir aussehen, macht die Wache sich gar nicht erst die Mühe nach dem üblichen Kopfgeld für die Täter zu fragen - jemand wie wir hat keine Münzen locker, das sieht sogar ein verschlafener Gardist.
Wohin auch immer mein Tier geht, der Weg ist sowohl vertraut als auch befremdend, und als wir auf den Rabensteiner Friedhof stolpern, erkenne ich mit gewisser Verblüffung, dass ich nur zweimal überhaupt hier war. Bei einem sehr spezifischen Grab. Dem Grab, auf das mein Tier nun zusteuert, kehlig kichernd. Soviel Spaß hatte es schon lange nicht mehr, und es wird sich seine Unterhaltung so schnell auch nicht rauben lassen, zumindest nicht von mir, wo ich es so schlecht behandelt habe.
Während mein Tier mit bloßen Händen durch das Erdreich scharrt, einem Erdmännchen gleich buddelt, versuche ich meine Vorstellungskraft zu bändigen und all die möglichen Ausgänge dieses makabren Ausflugs zu verdrängen. Verspreche hoch und heilig, mein Tier zukünftig besser zu behandeln, es öfters hervor zu locken, seine Impulse zu erhören wenn es möglich ist. Alles, alles was ich beitragen kann um nicht noch einmal in einem solchen erschreckenden Zustand des Kontrollverlusts zu enden. Gefangen im eigenen Leib, und das vielleicht für den Rest meiner unendlichen Existenz? Nein. Niemals. Eher lasse ich es willens einige Menschen töten.
Immer wieder müssen wir uns verstecken, die Arbeit unterbrechen, sei es weil ein Gardist vorbei patroulliert oder aber ein Einwohner trunken gen' Heimstatt schwankt, aber mein Tier ist unerbittlich. Gräbt, bis wir bäuchlings über den Grubenrand baumeln. Gräbt, bis es auf den Sarg stößt. Durchbricht das morsche Holz und wühlt jovial durch die Sickerwasserbrühe, in der Kleiderreste, Knochen und... andere Reste schwimmen. Hascht nach einem Knochen und zieht ihn hervor, umarmt ihn wie ein liebgewonnenes Spielzeug. 
Dann graben wir die Grube wieder zu und hechten davon, als ginge es darum, unserem Mann den Knochen zu apportieren wie ein gut erzogener Jagdhund. Nur dass mein Mann ihn nicht bekommen wird, oh nein. Auch ich sammle nämlich, und wenn ich schon meinen Mann nicht haben kann, dann gehört mir nun das einzige andere Ding, das er jemals liebte. Nach und nach werde ich mir alles holen was ihm gehört, und am Ende, am Ende wird er zurückkommen müssen.
Meins.
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Schlaflos - von Vertigo - 24.09.2016, 03:01
RE: Schlaflos - von Vertigo - 25.09.2016, 23:28
RE: Schlaflos - von Vertigo - 13.10.2016, 14:13
RE: Schlaflos - von Vertigo - 23.10.2016, 03:43
RE: Schlaflos - von Vertigo - 18.12.2016, 19:49
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RE: Schlaflos - von Vertigo - 09.05.2017, 17:58
RE: Schlaflos - von Bijoux - 04.01.2018, 17:15
RE: Schlaflos - von Bijoux - 02.06.2018, 02:54
RE: Schlaflos - von Bijoux - 25.03.2019, 18:09



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