FSK-18 Schlaflos
#4
Die Herbstnacht raubt mir den Atem. Es ist nicht so sehr das Rascheln des Laubes in den Böen von kaltfeuchtem, kräuselndem Wind, und auch nicht ausschließlich der Geruch von Schnee und Frost, der Nachts in der Luft liegt. Es ist auch nicht das Prickeln der Wärme meines Kachelofens, die mir in den Rücken strahlt, während ich im Eingang meines Hauses stehe, und die Hitze in die Nacht entkommen lasse.
Es ist die Verbundenheit. Das Gewebe. Es kribbelt über meine Haut, durch sie hindurch, in mein Herz und von dort geradewegs in mein Hirn, wo es mit dem milden Zug im Nacken Gänsehaut auslöst, die bis zu meiner Steiß hinab kriecht. Mit einem Mal war es plötzlich da, wie eine Schelle aus dem Nichts. Am liebsten wäre ich zu Boden gesunken, aber das wäre eine Schwäche gewesen, die ich mir vor den Anderen nicht leisten konnte. Und seitdem ist es, als würde ich durch anschmiegsame Spinnfäden laufen, die meinen Bewegungen mit mal milderem, mal stärkerem Zug folgen.
Maergys ist begeistert. Seit Stunden, vielleicht sogar schon seit gestern Nacht, zupft sie an dem Gewebe, dem Netz wie ich es mir vorstelle, herum und drängt mich dazu, den Fäden zu folgen, die anderen zu finden, einfach so. Es ist eine Ablenkung, die mich aufatmen lässt. In letzter Zeit war sie fast schon in der Lage, mich zu verführen. Ihre Einflüsterungen dazu, was man mit den Töpfchen voller Teekräutern sonst noch so tun kann, außer krampflösende, schmerzlindernde oder berauschende Heißgetränke zu brauen, trieben mich beinahe dazu, es auszuprobieren, nur einmal, nur ein wenig, ohne böse Absicht, ehrlich.
Ich hingegen labe mich an dem so lange gemissten Gefühl von Zusammengehörigkeit, von Verbundenheit. Die Anderen mögen mich vielleicht noch nicht wahrnehmen, aber ich spüre sie, zu jedem Moment, egal wo sie sind. Ich wusste in meinem Kopf schon zuvor, dass ich nicht alleine bin; es zu fühlen ist allerdings etwas ganz anderes. Beinahe stillt es den immerwährenden Hunger, der im leeren Zentrum meiner Brust lauert, aber nur beinahe.
Der Raum hinter mir ist inzwischen besorgniserregend abgekühlt. Es stört mich nicht wirklich, aber es ist auffällig. Außerdem kann ich mich schwer bei offener Türe in mein Kostüm zwängen, und ohne meine Hurenaufmachung nach Nahrung zu suchen erscheint mir angesichts der vielen Warnungen und der allgemeinen Angst dann doch zu gefährlich.
Und vielleicht gebe ich ja Maergys' Drängen doch nach. Folge einem der Fäden, sehe wo er mich hinführt. Weide mich an der simplen Befähigung. Ja. Das sollte ich tun. Nie gehörte die Nacht mehr mir, als heute.
You and I, we may look the same
But we are very far apart
There's bullet holes where my compassion used to be
and there is violence in my heart
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Schlaflos - von Vertigo - 24.09.2016, 03:01
RE: Schlaflos - von Vertigo - 25.09.2016, 23:28
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RE: Schlaflos - von Bijoux - 25.03.2019, 18:09



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