FSK-18 Der Ruf der Verdammnis
#4
Soll ich euch ein Geheimnis verraten? Belshira Karde ist nicht in dieser anonymen Zelle gestorben.

Im Grunde genommen ist sie nun bestimmt schon mehr als zwanzig Jahre tot, ihr Körper im fernen Silendir von Würmern und Ratten zerfressen, ein einfaches Holzkreuz, der Name eingeritzt, ziert die Stelle auf einem der Armenfriedhöfe von Guldenach. Ich weiß es, ich habe es gesehen.

Sie wurde fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, so genau kann es ich es nicht sagen. Wie auch? Die ganze Geschichte musste ich mir aus dem wirren Gerede einer ehemaligen Säuferin zusammenreimen.

Das Kind war schon bei Geburt mit dem Makel des Todes belastet gewesen: ein kleines, schmächtiges, blau angelaufenes Ding, als sie aus dem Leib ihrer Mutter gepresst worden war. Nur aufopfernder Fürsorge, die so vielen Müttern zu Eigen war und jener ganz besonders, denn sie war eine anerkannte Heilerin, war es zu verdanken gewesen, dass das Mädchen so viele Jahre überlebt hatte, während die Atemzüge immer qualvoller und jede Bewegung zur mühevollen Last geworden waren. Bis sie eines lauen Sommerabends, während die endlosen Weizenähren sich im Winde wogten, schlichtweg erstickte. Die Mutter versank in Agonie, ertränkte ihren Kummer in billigem Fusel; der Vater hatte sich schon Jahre zuvor ins Grab gehurt.

Doch gänzlich wollte der Ruf ihrer Kunst nicht verblassen und als eine Hebamme benötigt wurde, deren Schweigen man mit Gold erkaufen konnte beziehungsweise die niemand vermissen würde, brachte eine dunkle Kutsche die verwirrte Frau in eines der besseren Viertel in Guldenach.

Der Alkohol dämpfte ihren Argwohn. Normalerweise schickte die gehobene Gesellschaft ihre ungewollt schwanger gewordenen Töchter aufs Land und hielten sie nicht in einem Verlies unter dem Haus gefangen. Normalerweise wurden diese Töchter trotz ihrer Verfehlung mit allem Komfort ihres Standes bedacht. Normalerweise wollte man werdende Mutter und Kind retten. Doch mit einer kühlen Schnoddrigkeit wurde der Frau befohlen, das Kind einfach aus dem Leib zu schneiden, wenn es denn nicht anders ging. “Und das Mädchen?”, war die bange Frage der Heilerin, worauf sie ein emotionsloses “Meinetwegen, lasst sie krepieren.” als Antwort erntete.

Diese Stimme aus dem schummrigen Dunkel des unterirdischen Kerkers, von meinem ach’ so verhassten, integrierenden, über Leichen gehenden Vater, kam ihr bekannt vor, doch war es ihr Glück, ihn nicht mit seinem Namen anzusprechen. Hätte sie ihn zur Gänze erkannt, wäre sie vermutlich ebenso tot gewesen wie ich. Doch ihre Gedanken schwirrten nur um das bleiche, geschwollene Mädchen, welches sich dort im Saft der längst überfälligen Niederkunft wälzte. Wenigstens eine der Seelen wollte sie retten und schnitt das Kind aus dem aufgedunsenen Leib heraus ...

Als dies geschehen war, wurde das Mädchen belanglos, nur noch eine leere Hülle, deren Zweck erfüllt worden war. Das Neugeborene wurde der Hebamme wider Willen für einen dicken Goldbeutel grob entrissen, nachdem man sich vergewissert hatte, dass es den Eingriff unbeschadet überlebt hatte. Man überließ die Frau sich selbst, die Kutsche würde sie nach Hause bringen. Doch anders als angedacht, lebte das zerteilte Mädchen mit flatterndem Herzen noch, tat einen Atemzug nach dem nächsten …

Die Heilerin nähte den Schnitt, der von der Scham bis beinahe zwischen die Brüste reichte sorgsam wieder zu. Und betete. Sie hatte eine Tochter verloren, aber hier eine Neue gefunden. Ein armes, kleines Ding, wie Abfall weggeworfen worden, welches sie nun gesund pflegen konnte.

Und sie nannte mich nach ihrer verstorbenen Tochter Belshira.
Kein gutes Omen, oder?
... wer die Hand in Blut wäscht, muß sie in Tränen baden ...
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Der Ruf der Verdammnis - von Belshira Karde - 25.07.2015, 04:06
RE: Der Ruf der Verdammnis - von Belshira Karde - 07.08.2015, 01:57
RE: Der Ruf der Verdammnis - von Belshira Karde - 31.01.2018, 17:49
RE: Der Ruf der Verdammnis - von Belshira Karde - 28.02.2019, 21:23



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