FSK-18 Der Ruf der Verdammnis
#3
Ich hatte mir einen Glimmstengel vom Musterknaben gestohlen und mich mit Feuerstein und Zunder auf den Turm der Ruine zurück gezogen. Ich mochte diesen erhöhten Platz. Man hatte eine wunderbare Aussicht über den Flüsterwald und das angrenzende Meer. Doch die Aussicht war nur die halbe Wahrheit, weshalb ich dort hinauf stieg. Die ganze Warheit würde wohl lauten, dass ich es vorzog, alleine zu sein und dort oben, wo sich auch die Gemächer des Meisters befanden, traute sich beinahe niemals jemand hin.

So war ich also alleine, hing meinen Gedanken nach, bließ Rauchkringel in die kalte Winterluft und beobachtete, wie die Nacht ihre Finger über die Baumwipfel gleiten ließ, das Land mit Dunkelheit umfing. Schon lange, nachdem die Kippe geraucht sein würde, würde auch die Sonne wieder aufgehen - gleißend, doch ohne Wärme - bis mir das Licht in den Augen stach und ich mich einer Ratte gleich in den Bauch der ruinösen Festung verkriechen würde.

Ich habe unzählige Abende und Nächte dort oben verbracht. Zeit hatte ich genügend - ob das nun gut oder schlecht war, wusste ich mir noch immer nicht zu beantworten, trotz der nächtelangen Grübeleien. Das Stundenglas hatte keine Bedeutung und so verlor ich manchmal jedes Gefühl dafür, wie oft die Sonne auf- und wieder untergegangen war. Es hätte ein Tag sein können, ein ganzer Wochenlauf, vielleicht ein Jahr ... Allenfalls der Hunger, dieser schreckliche, nie zu stillende Hunger, ließ mich das Areal verlassen, um auf die Jagd zu gehen.

Unter mir hatte sich die Räuber in gesichtslose Schehmen verwandelt. Zwei Gestalten drückte sich nach kurzer, grober Turtlei in eine Ecke und ließen ihren tiereischen Instinkten freien Lauf. Ich saugte an meiner Zigarette und beobachtete sie einige Momente wie wohl ein Forscher ein Insekt betrachten würde. Doch auch dieses Schauspiel, im Grunde immer gleich, konnte meine Aufmerksamkeit nicht lange fesseln und ich wandte mich schlußendlich ab, besinnte mich einer Aufgabe, der ich mehr schlecht als recht nachkam und stieg zu den Gefangenen hinab.

Der Geruch von ungewaschenen Leibern und Auscheidungen lag in der Luft. Eingepfercht auf engsten Raum hielten wir sie dort wie Vieh, bis endlich der Tag gekommen war, sie ihrem zugedachten Schicksal zuzuführen. Einige hatte der Mut schon längst verlassen. Ich sah es an ihrem leeren Blick, dass sie keine Lebensgeister mehr hatte. In anderen jedoch schwelte noch immer die Hoffnung, dass dies hier ein gutes Ende nehmen würde. Ich sammelte etwas Obst und Brot zusammen, füllte ein paar Krüge mit Wasser und trieb die Glücklosen von den Gitterstäben weg.

Wie würde sie sich dort machen? Schreien, weinen, nach Hilfe brüllen, bis ihre Stimme ganz heiser und kratzig war? Oder würde sie ihre Schultern straffen und sich der Situation wie eine Dame stellen? Es reizte mich, dies auszuprobieren, doch eigentlich war sie mir zu schade hierfür. Beging ich Frevel mit diesen Gedanken? Höchstwahrscheinlich, denn sie wäre ein Juwel für den bleichen Lord, ein Opfer, welches er sicher zu gerne in Empfang nehmen würde. Doch ich behielt sie für mich, für mich alleine, denn sie war eine Figur eines anderen Spieles, was ich noch längst nicht bereit war, aufzugeben.
... wer die Hand in Blut wäscht, muß sie in Tränen baden ...
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Der Ruf der Verdammnis - von Belshira Karde - 25.07.2015, 04:06
RE: Der Ruf der Verdammnis - von Belshira Karde - 07.08.2015, 01:57
RE: Der Ruf der Verdammnis - von Belshira Karde - 31.01.2018, 17:49
RE: Der Ruf der Verdammnis - von Belshira Karde - 28.02.2019, 21:23



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