Die Saat des Irrtums
#3
Es ist ein Wahn zu glauben,
daß Unglück den Menschen besser macht.
Es hat dies ganz den Sinn,
als ob der Rost ein scharfes Messer macht,
der Schmutz die Reinlichkeit befördert,
der Schlamm ein klar' Gewässer macht.


Quelle: Friedrich Martin von Bodenstedt (1819 - 1892) - "Lieder der Klage"

"Nein."
Es war kein Wort, das der fleischgewordene Diener des bleichen Herren allzu oft zu hören bekam, und es war kein Wort, das Kyrons Lippen ihm gegenüber allzu oft als Entscheidung aussprachen. Bei Fragen, wo ein 'Nein' eine Information war, sicherlich, da hatte er es ohne Bedenken von sich gegeben, aber seit langer Zeit nicht mehr, wenn es um eine Entscheidung ging. Es war eine dumme Antwort, unbedacht und impulsiv, aber sie besiegelte den Rest des Gesprächs. Kyron war stets wie ein Fels zu den Worten gestanden, die er sprach, und nun war der Würfel gefallen und kein Weg führte zurück, fort davon.
Wo das eine Wort die Saat gesät hatte, da waren die darauf folgenden Worte sein Untergang. Hätte er den Mund gehalten,... ja, hätte er nur den Mund gehalten.
Die rechte Entscheidung hat aus der Ruhe des Geistes zu entstammen, anstatt aus den Feuern des Herzens.
Als der Abyss durch seinen Verstand heulte wie ein Sturm aus kreischenden Stimmen, ganz so wie er sich an die grausamen Klänge des Abgrunds erinnerte, da wusste er bereits was für eine Dummheit er begangen hatte. Es änderte allerdings nichts, denn eine Entscheidung rückgängig zu machen wäre nur ein Beweis dessen gewesen, dass er nicht an die Richtigkeit des Gedankens dahinter glaubte. Es war dumm gewesen seine Meinung zu sagen, ohne Frage, aber seine Meinung war nicht falsch gewesen, war auch jetzt noch nicht falsch. Eine einfache Handlung im Affekt hatte ihn um Wochen zurück geworfen, zurück an den Anfang, an einen Punkt an dem er in den ätzend scharfen Blick der Aufmerksamkeit seines Herren geriet, statt seine Zeit in den Schatten abzusitzen er es eigentlich geplant hatte. Ein paar Worte, in der Hitze des Moments gesprochen, würden ihn mehr kosten als die Fläche Haut, die seine erste Strafe ihm nehmen würde.
Es war eine gar seltsame Stimmung, die zwischen ihm und den zwei Kultisten herrschte, als ihr Herr und Meister in die Nacht verschwand. Weniger Hass und Zorn, als eher schon Mitleid und Mitgefühl schienen seine zwei widerwilligen Kerkermeister zu regieren, und auch dies ließ Kyron aufmerken. Alle drei wussten sie zwar, was mit dem Morgengrauen in dem feuchten, dunklen Keller zwischen den paar Habseeligkeiten und den Steinmauern geschehen würde, und alle drei hatten sie Erinnerungen an Zeiten, in denen solche Keller Tod und Verderben bedeutet hatten, und doch... Die alles verschluckende Angst wollte sich nicht einstellen. Sie würde kommen, später dann, und vielleicht würde er auch bereuen, wenn ihn die Peitsche das erste Mal traf, aber nicht jetzt, noch nicht.
Wie konnte ein Mann Widerstand leisten, wo keine Zwingkraft einwirkte? Konnte überhaupt ein Widerstand entstehen, wenn kein Zwang zu bekämpfen war? Widerstand gegen Nichts war kein Widerstand, sondern schierer Starrsinn. Irrsinn. Wahnsinn?
Die Antwort liegt nicht im Pfad den der Gegner erklomm, und nicht in der Länge des eigenen Weges, nicht in der Laune und nicht im Gestern oder Morgen.
Und als die Sonne ein weiteres Mal auf die Erde schien, da hatte auch die Erinnerung wieder eingesetzt, das Gedenken daran, dass er nicht mehr der junge, naive Tölpel war, der glaubte mit eingesteckten Prügeln etwas zu beweisen. Schmerz war einfach nur Schmerz, eine Konstante im Leben wie man sonst keine zweite fand, aber ohne tiefere Offenbarung. Die Strafe war zu einer tatsächlichen Strafe geworden, hatte ihm keine neue Erkenntnis über die eigenen Stärken und Schwächen gebracht, die er nicht schon gekannt hätte, nur das übelschmeckende Wissen darum, dass er immer noch nicht gelernt hatte, sein Temperament zu zügeln, wenn er schon keine Einsicht dazu zeigen wollte, einmal gesprochene Torheiten zurück zu nehmen.
Der Herr kam, und der Herr war verständnisvoll, aber entschlossen. Grausig und schrecklich in seiner Sanftheit und Geduld, hassenswert ob seiner kühlen, profunden Logik. Seine schiere Existenz, die Aufeinanderfolge von Ereignissen und die Art wie der Herr und Meister damit umging, soviel eleganter als Kyron selbst, schürten seinen Hass auf ein Neues an. Es war ohnmächtiger Hass, vergleichbar mit jenem eines problematischen Sohnes, der nicht akzeptieren konnte was ein Vater verlangte, und alleine die Idee, den Meister mit einem Vater zu vergleichen, versetzte Kyron insgeheim in Panik die sein Herz umschloss.
Eine kleine Stimme in seinem Inneren warnte ihn davor, sich von dieser Panik leiten zu lassen, aber diese Stimme blieb ungehört. Wenn Kyron eines gelernt hatte, dann dass es richtig war, jene zu zerstören, die Angst einflößten. Anders konnte man sich von der Furcht nicht befreien.
Nur aus der Kühle der Mäßigung kann die rechte Entscheidung zur rechten Zeit das rechte Gehör finden.
Dies war die Lehre, die Kyron niemals vollständig verinnerlicht hatte.
[Bild: spxyfrht.png]

Pain clears the mind of thoughts
Let pain clear your mind of all thought
so that the truth may be known
(Life - Charlie Crews)
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