FSK-18 Bevor ich sterbe
#12


11. Julmond 1402

Gute Rache muss sein wie ein guter Wein. Spät geerntet, mit Füßen weich getreten, an einem kalten, dunklen Ort vergoren, bis sich Trester, Weinstein und Schaum absetzen, und eine klare, schwere, zungenschmeichelnde Komposition zurück bleibt. Und wie Wein muss eine gute Rache ruhen, ungestört, ohne Trubel, ohne Aufwühlen, für eine längere Zeit als die Geduld eines Menschen normalerweise erlauben würde. Ruht der Wein - oder die Rache - allerdings zu lange, so wird er bitter, säuerlich, ungenießbar, Essig. Rache darf niemals bis zur Vergällung ruhen, denn so entstehen verbitterte Hexen.

Die Axt auf der Theke war auf den ersten Blick ein durchaus verlässliches Werkzeug. Der Stahl des Axtkopfes war geölt worden, die Schneide geschliffen und poliert, der Griff geharzt gegen Wasser. Zudem fiel das Gerät nicht auseinander, wenn Shae es probehalber hob und etwas schüttelte, und das war immerhin schon etwas. Eine Axt sollte nicht zerfallen, wenn man sie nur anhob, soviel Bauernschläue besaß selbst eine Schwangere. Dennoch… dennoch.
Trotz des beginnenden Bäuchleins lehnte Shae sich vor, mit einer behandschuhten Hand kritisch das Kinn reibend, während sie die Axt aus nächster Nähe beäugte. “Ich sehe selbst von hier, dass der Stahl zu weich ist,” teilte sie dem Händler mit, der prompt einmal mehr missbilligend die Zähne bleckte. Der Mann mochte sie nicht, das hatte sie schon in dem Moment festgestellt, als er das erste Mal ihren Akzent gehört und eine angewiderte Miene gemacht hatte.
“Der Stahl ist zu weich,” wiederholte sie, und richtete sich wieder auf. Und dieses Mal bekam sie auch eine Antwort. Es war nicht die Antwort, die sie gerne gehört hätte, aber eine.
“Dann kauf doch wo anders, dreckiges Inselweib!”

Einmal mehr im eisigen Winterwind Löwensteins angekommen warf Shae einen missgünstigen Blick zum verhangenen Himmel. Auch auf einigen Inseln Galatias konnte es selten einmal zu Schnee kommen, aber die Nase für das Winterwetter hatte sie sich erst in der harten Schule Nortgards angeeignet. Und dieser Tag roch nach Frost, und Kälte, und einigen Flocken, die spätestens am nächsten Morgen schmelzen und jeden Erdweg in glitschige, rutschige Moore verwandeln würden.
Gemessen daran, dass sich in Löwenstein auch kein guter Schmied auftun lassen wollte, der etwas von Äxten verstand, waren zwei gute Gründe gefunden, den Heimweg nach Ravinsthal unverrichteter Dinge anzutreten. Der Gedanke daran, die Stadt einmal mehr ohne befriedigende Rauchwolken zu verlassen, mochte ihr den Abend nun zwar nicht versüßen, aber Shins großartige Nicht-Grog-Komposition hatte ihr zumindest die Brust angenehm gewärmt. Es ging nichts über ein paar Schlucke Schnaps mit Frucht, wenn man plante, später weite Fußmärsche zurück zu legen.
Es wird Zeit, dass du deine Angelegenheiten auch einmal zu Ende bringst, Sturmkrähe, wisperte die immer präsente Stimme in ihrem Kopf. Wieviele Faustschüttler, wieviele Drohungen willst du noch ansammeln? Bald nimmt dich keiner mehr ernst… Und wie sollten sie auch? Sieh dich an, du wackelst durch die Landschaft wie eine Fähe kurz vorm Platzen.
Shae erwiderte nichts. Es war schwer, Kritik zu erwidern, wenn man insgeheim von Herzen zustimmte. Wieviele Rachepläne sollte sie noch ansammeln? Da war Kordian, da war Anouk, da war Viktor Veltenbruch, und nun Axis und Eirene, und jeder einzelne Plan musste aufrecht erhalten, gepflegt, wieder aufgegriffen und am Leben erhalten werden. Es war mehr als Zeit, zumindest einen dieser Racheakte zu vollziehen. Und der Leichteste dieser Pläne war Axis.
Sie würde zu Aki gehen müssen. Nicht dass sie etwas gegen Aki hatte, der Mann schien zumindest noch einen Funken in sich zu tragen, eine Lebensflamme, die sich weigerte, von der Amhraner Gesellschaft erstickt zu werden. Aber zu Aki zu gehen beinhaltete auch, dass sie vorsichtig damit sein musste, was sie sagte. Aki war ihr nicht durchschaubar genug, um leichtfertig Pläne zu verkünden, und wenn er am Ende Fäden nach Löwenstein oder Zweitürmen, oder am Ende gar zur Kirche hatte, konnte ihre Rache nur zu leicht zu Essig verfallen.
Wenn du nicht in der Lage bist, deine Charade aufrecht zu erhalten, weil dein Kopf so voll von ‘Na warte, bald..’ ist, dann solltest du vielleicht endlich einmal den Schwanz einziehen, schlug die Stimme in ihrem Kopf vor. Und hatte Recht.
Dieses Mal aber kannte Shae die richtige Antwort auf das stetige Wispern und Raunen hinter ihrer Stirn.
“Halt deine verdammte Drecksklappe!”
Aki. Aki würde es sein. Nun hieß es nur noch, den Schmied im rechten Moment abzupassen, und ordentlich einzubuttern.
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Bevor ich sterbe - von Shae MacLoscann - 06.06.2015, 00:15
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