FSK-18 Bevor ich sterbe
#3

1. Wonnemond 1402

Es war nicht leicht gewesen, den perfekten Ort für ein Versteck in dem Gestrüpp des Gebirgswalds ausfindig zu machen. Entweder die Harpien, oder aber Wölfe oder ein verirrter Bär hatten sie wieder und wieder verjagt, gezwungen ein bereits gefundenes Loch aufzugeben, und langsam war sie das nächtelange Herumkriechen leid. Nun, vor ein paar Jahren hätte sie es eher als würdelos empfunden, aber ging sie genügend weitere Jahre in die Vergangenheit, vor die Zeit als sie Status und Rang und Ruhm gehabt und wieder verloren hatte, konnte sie sich an eine Zeit erinnern, in der sie frohlockend ein paar Dutzend Schritt gesprintet war, um in eine Erdgrube zu hechten bevor verwirrte, mit Sprengtränken versehene Ziegen mit einem letzten Meckern in die Luft geflogen waren.

Glorreiche Zeiten. Damals war Dreck noch Dreck, und ehrliche Spionage etwas wert.

Und heute war der perfekte Ort für ein Versteck… eine alte Schubkarre aus Holz, vor Jahren schon umgestürzt, kurzzeitig Heim für eine Familie Marder, und nach kleinem, hartem Streit mit der blassen Frau nun frei für einen neuen Mieter. Marder geröstet hatte eine widerliche Wildnote, aber der Karren war gerade groß genug, um mit wenig Schaufeln darunter Platz zu finden.
Genau unter dieser Schubkarre saß Shae nun, spickte durch einen schmalen Schlitz hinaus in die blasspinke Dämmerung, und unterdrückte ein Niesen. Das verdammte Gebilde hatte ein besseres Echo als die Löwensteiner Theaterbühne, und natürlich war kein Platz mehr für wärmende Kleidung gewesen, also hatte sie die letzten fünf Stunden in absoluter Kälte verbracht.
Wie lange sie diesen Zustand noch dulden müssen würde, hing ganz von der Bewohnerin der Hütte ab, und die ließ sich an diesem Tag Zeit. Shae hatte es nicht riskieren können, zu prüfen ob nur sie, oder er und sie in der Hütte waren, aber das war auch unnötig. Er verließ ihr Heim meist als Erster, eifrig und eilig bereit seinen Zinnsoldatentag anzutreten, schön im Gleichschritt hinter seinem kleinen Servanoer Titusherzog her. Wie gutbürgerlich er geworden war! Vom anarchistischen Anführer und Kriegsherren zum… Leutnant. Noch nicht einmal Hauptmann oder General, nein, die berühmte zweite Fiedel. Shae konnte an seinem Gesicht ablesen wie sehr er es hasste, mit jedem Lächeln, jedem Schlendern, jedem Moment den er sinnlos herumstand und sich insgeheim fragte, welchen Lebenszweck er überhaupt noch erfüllte... Er musste seine Zähne überaus stark abnutzen, so wie er sie täglich zusammenbeißen und knirschen musste. Der Löwe hinter Gittern, der nur darauf wartete, dass sein Bändiger unaufmerksam wurde. Es würde ein Blutbad werden, eine Ehre für die Götter.

Hoffentlich stirbt er dabei nicht. Aber sein Schicksal sagt, dass er nach mir sterben sollte. Oder sagte… wer weiß was die Fäden inzwischen gewoben haben.

Der Meister war nicht sehr freigiebig mit Informationen über die Eisenthaler, verständlich bei der kurzen Zeit, die sie sich kannten, aber ein paar der allgemeinen Fakten hatte Shae doch herauskitzeln können. Die Namen der Offiziere, welche von Kordians Gefolgsleuten den Weg zurück gefunden hatten, alltägliche Gesprächsthemen und derlei Ähnliches. Über grüngewandete Räuber machte Shae sich keine Sorgen, nicht soviele wie Kordian, der sich an die Erscheinungen zu klammern schien wie an eine Rettungsleine auf hoher See.
Mehr schon besorgte sie, wie wenig sie von dieser Frau wusste, mit der er seine Nächte verbrachte. War es seltsam, ihr - ihnen - auf diese Art nachzusteigen? Shae grinste und schüttelte den Kopf. Natürlich war es seltsam. Es war himmelschreiend verrückt, geisteskrank, paranoid, nicht ganz dicht, aber andererseits waren all das Worte, die an irgendeinem Punkt der Zeit als Beschreibung für Shae benutzt worden waren. Neben böse, verschlagen, teuflisch, abartig und schwarz, aber an solche Konnotationen glaubte Shae nicht. Sie tat, was das Beste war, und nicht einmal nur für sich. Manchmal für sich, ja, aber nicht ohne dass es auch einen Nutzen für das größere Ganze hatte. Und in diesem Fall hatte ihr Lauern in dem Graben den Zweck, ihrem größeren Ganzen zu dienen, ihrer Familie, so verstreut und kaputt sie auch sein mochte.

Zwei Stunden später ging die Türe der Hütte endlich auf, und die große Unbekannte - metaphorisch gesehen - verließ ihr Heim. Shae rührte sich nicht, wartete ab, zunehmend fröstelnd nun wo die kalte Luft sich in ihrer Kuhle sammelte und es draußen heißer wurde. Eine weitere Stunde später kehrte sie zurück, frisch gewaschen und wie aus dem Ei gepellt, und tat Dinge in ihrem Heim. Mit zunehmendem Unmut musste Shae sich eingestehen, dass ein bequemeres Versteck, etwas zu Trinken und etwas zu Essen eine wirklich gute Idee gewesen wären, hätte sie nur früher daran gedacht, aber nun war es zu spät.
Am frühen Nachmittag erst verließ die Frau ein weiteres Mal die Hütte, dieses Mal gerüstet in einer Mischung aus Stoff und Leder, und mit Bogen und Köcher betan. Dreißig Minuten später war Shae sich sicher, dass sie nicht wiederkehren würde, und kletterte aus ihrem Versteck.
Es galt sich zu sputen.

Die Hütte war schäbig, schäbiger als so mancher Unterschlupf den sie zuvor frequentiert hatte. Es lag nicht an Anouk, sondern schlicht daran wie weit der nächste Handwerker entfernt war, und dass hier hinauf niemand kommen würde um etwas zu reparieren. Nicht mal Hilfe konnte schnell genug hierher kommen, wenn jemand die zwei eines Nachts in ihrem Haus einsperrte und das verdammte Ding in Flammen steckte. Unwillkürlich schlich ein boshaftes Schmunzeln auf ihre Lippen, so sehr sie sich dagegen zu erwehren versuchte. Na, na, die Rachegedanken stehen dir nicht zu Gesicht. Entweder du willst ihn ganz, oder du musst ihn ziehen lassen wenn du hast was du willst. Wähle, wähle…
Ihr Blick glitt nach oben, während die Stimme in ihrem Kopf noch hänselte und lästerte. Reetdächer waren ein großer Spaß für die ganze Familie. Sie brannten wie Zunder und allerlei giftiges Getier verbarg sich darin, um sich nachts auf die Gesichter der Einwohner abzuseilen. Wenn Shae etwas nicht vermisste, dann waren das die Reetdächer ihrer Heimat. Hier aber kamen sie ihr gelegen.
Es kostete einiges an Mühe, sich am Gerüst hoch ins Dachgebälk zu ziehen, und genug vom Reet um ein Loch herum abzudecken, sodass sie hindurch passte, aber es war ein besserer Weg als die Türe aufzubrechen, oder ein Fenster zu beschädigen. Umso länger sie verdeckt agieren konnte, umso größer würde ihr Vorsprung am Ende sein, und vielleicht… ja, vielleicht würde Kordian niemals wissen dass sie überhaupt hier gewesen war. Vielleicht würde er sein langweilig friedliches, nettes Leben weiter leben können, und ergraut und alt friedlich entschlafen.
Zwischen den Dachbalken sitzend blickte sie ins schlichte Hausinnere und grinste. Genauso gut könnte sie dem Krieger die Keuche an den Hals wünschen, es würde aufs Gleiche hinaus laufen… auf etwas, das Kordian fürchtete und verachtete wie nichts anderes.
Den Rock an der Hüfte hochknotend schob sie sich über das Loch und ließ sich in die Tiefe fallen. Der Aufprall war hart und beim Abrollen stieß sie einige der Kisten an, landete am Ende aber auf dem Fell- und Strohlager in der Ecke und rappelte sich keuchend hoch. Eine Diebeskarriere stand nicht in ihren Sternen, soviel stand fest, aber für Wertgegenstände war sie nicht gekommen.
Auf den Fellen zurecht rutschend zückte sie ihren Dolch und machte sich auf die Suche nach jenen Flecken, die im Tageslicht für Schamesröte sorgen und eine Behandlung mit Wasser, Seife und einer Bürste auslösen würden. Den besten Fleck fand sie unglücklicherweise in der Mitte eines der Felle, und so blieb ihr nichts anderes übrig, als mit dem Dolch ein ungefähr Guldengroßes, ovales Stück aus dem toten Tier zu schneiden. Die Beute in den Beutel am Gürtel steckend machte sie sich für einige Momente daran, zumindest die umgekippten Gegenstände wieder aufzustellen - wenn auch mit denkbar wenig Sinn dafür, alles dorthin zu bugsieren wo es vorher gewesen war -, dann kletterte sie begleitet von einem kleinen Heuregen zurück aufs Dach und verteilte die dickeren Reetstängel wieder auf dem Gebälk. Vermutlich würde das Dach nun dichter sein als zuvor, aber dass jemand dort gewesen war, würde früher oder später auffallen.
Spezifisch der einzelne, orange-grün gesprenkelte Frosch, der in den Fellen herum krabbelte und definitiv nicht dort heimisch war, würde wohl ein Hinweis sein.
“Du kannst es nicht lassen, hm? Sie werden dich erwischen.” - Sollen sie. Lachend falle ich von der Klippe.
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Bevor ich sterbe - von Shae MacLoscann - 06.06.2015, 00:15
RE: Bevor ich sterbe - von Shae MacLoscann - 06.06.2015, 22:22
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RE: Bevor ich sterbe - von Shae MacLoscann - 18.03.2016, 03:25



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