Vom Falken und seiner Beute
#5
Es tat gut, eine Zukunft zu haben, Gilbhart 1406

Bisher hatten drei Personen eine entscheidende Rolle in meinen Leben gespielt. 

Meine Mutter Rosamunde, von allen Rose genannt weil sie ihren eigentlichen, von ihrer Großmutter stammenden Namen nicht ausstehen konnte, lebte in der Vergangenheit. Sie versucht so verzweifelt, den Fehler meiner Geburt, der dazu geführt hatte, dass ich ein schwaches, krankes Kind gewesen bin, rückgängig zu machen, dass sie sich allmählich zu einem Monster verwandelt hatte. Sie war meine Welt gewesen und gleichzeitig langsam und sicher mein Untergang. Wäre sie nicht gestorben, hätte mich eine ihrer fixen Ideen in Form von unseriösen Pillen, Aderlass oder Sezierwerkzeug früher oder später sicher umgebracht. 

Mit Marcos, meinem atemberaubenden Geliebten, existierte nur die Gegenwart. Wir lebten von einem heimlichen Treffen zum nächsten und genossen die Stunden, die wir gemeinsam hatten. Die Vergangenheit war nicht wichtig, eine Zukunft gab es nicht. Er hätte seine warmherzige Frau und die vier Töchter nie für mich verlassen. Es war eine Liebe auf Zeit und damals war es mir recht. 

Mein Eheweib Erianna hingegeben plante eine Zukunft. Im Grunde genommen lebte sie nur für die Jahre, die vor ihr lagen. Herrliche Jahre, in denen sie tun und lassen konnte, was ihr beliebte. Einen Platz für mich gab es in diesen Vorstellungen jedoch nicht: Ich war bereits gestorben und hatte unsere Abmachung, ihr für eine durch mein Herzleiden begrenzte Zeit mehr oder weniger mustergültiger Ehemann zu sein, eventuell ein oder sogar zwei Kinder zu zeugen, dafür auf Kosten des Familienreichtums meine mir verbleibenden Jahre in Sorglosigkeit und Wohlstand zu verbringen, erfüllt. 

Als ich meine Heimat dann verlassen und nach Löwenstein gekommen bin, hatte ich weder eine Vergangenheit, Gegenwart noch Zukunft. Ich radierte den Mann, der ich gewesen war, bis auf den Vornamen aus. Ich wollte von Nortgrad und den Geschehnissen dort einen weiten Abstand nehmen und die Erinnerungen daran am besten ganz tief in meinem Gedächtnis vergraben und nie mehr hervorhohlen. Ich hatte keine Ahnung, wie und ob ich in der Hauptstadt bestehen würde und an die möglicherweise miserable Zukunft, welche glücklicherweise wegen meiner Befindlichkeiten nicht allzulange andauern würde, sollte ich versagen, wollte ich nicht denken.

Und dann lernte ich Innes kennen.

Mit ihr schien meine Vergangenheit weniger scharfe, schmerzende Kanten zu haben. Die Priesterin weinte um das, wofür ich schon lange keine Tränen mehr hatte oder nie gehabt habe. Die Gegenwart war herrlich, unkompliziert, erregend. Und sie plante voraus und in diesen Plänen spielte ich eine der Hauptrollen. 

Es tat wirklich gut, eine Zukunft zu haben. Obwohl ich wusste, dass es nur eine Illusion war. 

Das Heilmittel hatte versagt. Vermutlich war mein Leiden schon zu weit fortgeschritten oder mein Körper weigerte sich nach den jahrelangen, folterartigen Heilkuren meiner Mutter schlichtweg, ein neues Medikament anzunehmen. Es gab Tage, da kam ich kaum aus dem Bett. Ich verschleierte dann meine Abwesenheit, indem ich Studien oder Kräutergänge vorschob. Dieser dämliche Stock war nun mein gebräuchlicher Begleiter. Ich gebe zu, er gab mir irgendwie einen distinguierten Anstrich, auf den ich aber liebend gerne verzichtet hätte. 

Innes kannte mehr von mir als jeder andere Mensch und auch das war bislang nur die halbe Wahrheit. Sie zog mir beständig eine nicht verdiente weiße Weste an. Sie hatte stets Verständnis für meine Lage. Ich war eine Ehe aus reinem Kalkül eingegangen, hatte meine Frau mit einem verheirateten Mann betrogen - nicht, dass Erianna besser gewesen wäre, aber der Eheschwur war nun mal ein Eid vor Mithras - und war feige in ein anderes Lehen geflohen. Selbst dann fand die Priesterin noch tröstende Worte und natürlich wieder Tränen. Sie kannte noch nicht einmal meinen richtigen Namen. Es konnte nur bergab gehen. 

Irgendwann, es war nur eine Frage der Zeit, würde Innes die Entscheidung, dass ich der Mann wäre mit dem sie leben wollte, bitter bereuen. Sie verschwendete ihre besten Jahre an mich und manchmal wünschte ich mir, dass ein anderer Mann, eine andere Frau, irgendjemand kommen und ihr Herz stehlen würde. In meiner Verderbtheit hatte ich nicht den Mut, sie selber wegzuschicken, denn dafür hing ich zu sehr an ihr. An ihrem Lachen, dem roten Haar, ihrem verschmitzten Charme, selbst an ihrer verdammten, unförmigen roten Kutte. 

Wenn sie von dannen gezogen wäre, in ihre verdiente Zukunft, echt und wahrhaftig, wäre ich endgültig ein gebrochener Mann. Aber für wenige Monate in meinem jämmerlichen Leben hatte ich die Illusion einer strahlenden Zukunft vor mir gehabt. Und mehr kann ein Mann wie ich kaum verlangen.
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Vom Falken und seiner Beute - von Dewain Dary - 17.09.2018, 00:54
RE: Vom Falken und seiner Beute - von Dewain Dary - 27.10.2019, 02:25



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