Dies ist der Weltenlauf...
#1
... und keines der Dinge hat Bestand.
Wenn man ihnen glauben schenken mochte, würden nur wir Bestand haben. Bis in die Ewigkeit - Wenn ich mich nicht dumm anstellte, wenn ich vorsichtig wäre und alle ihre kleinen und großen Warnungen beachtete. Ich höre ihre Worte, nehme sie in mich auf. Sie sind da, in meinem Gedanken, in meinen Erinnerungen abrufbar. Doch berühren sie mich nicht. - Alles Lügen! - Das Sonnenlicht, die Wölfe, der Hunger. Alles Dinge auf die ich nun acht geben soll... damit ich überlebe. Das schien ihnen wichtig. In mein Herz hat sich zusammen mit der Dunkelheit jedoch eine Gleichgültigkeit geschlichen, die körperliche Pein verursachen würde, wenn dieser Leib hier nicht so schrecklich tot wäre.
Ich würde ewig leben. Diese abrupte Wendung der Geschichte hätte sich nicht einmal der geschmackloseste Schnulzenschriftsteller Löwensteins aus den Fingern saugen können. Ewiges Leben. Wie eine sarkastische Verhöhnung all unserer menschlichen Hoffnungen, spinnen diese zwei Worte ein Lügennetz in meinem Inneren. Poeten würden es wohl der Tragik wegen ewiges Leben nennen. Doch ich bin kein Poet. Ich nenne es Gefangenschaft. Die Geiselnahme meiner Seele. Und ich bin nicht allein hier drin. Hier in diesem Körper, der nur noch aus purer Willenskraft und Schatten heraus funktioniert. Er spricht zu mir. Doch ist es keine Stimme im eigentlichen Sinne. Kein Flüstern im Dunkel, wie man es sich vorstellen würde oder wie es in den Geistergeschichten für Kinder stünde. Er existierte einfach. Er war da und ließ es mich deutlich spüren. Das erste mal war Er einfach nur die Finsternis die alles Licht verdunkelte. Wie eine große, dunkle Scheibe die sich schmerzhaft langsam vor die Sonne schiebt und ihre heilenden Strahlen in sich aufnimmt und im Ganzen verschluckt. Und das Fressen dieses Lichtes kostete ihn Kraft. Auch das konnte ich spüren. Er wurde müde, einem Jagdhund gleich, der den ganzen Tag brav Enten durch das Schilf getrieben hatte und hungrig wie eben jener, weil er keine der Enten für sich schnappen konnte. Und mit dieser Müdigkeit und dem Hunger kam die Frustration. Und sie schwappte in meinen Geist über. Es war eine ansteckende Krankheit, die von ihm auf mich übersprang und plötzlich war es meine Müdigkeit und mein Hunger.
Sie brachten mir Essen. Etwas gegen den Hunger, der mit voranschreitender Stunde drohte mein Sein zu verschlingen.
Nie war ich jemand gewesen, der versuchte sich Situationen so hin zu drehen, dass vielleicht doch noch ein Vorteil für mich heraus spränge. Dies war die Stärke des anderen Nachkommen. Ich war nie so gewesen. Ich nahm die Sachlage nüchtern als das hin was sie war. Ich akzeptierte den Hunger und was getan werden musste um ihn zu stillen. Danach würde ich hoffentlich meine Ruhe haben und mir überlegen können wie ich das alles hier beenden könne.

Es war dreckig, blutig und abstoßend. Glorreich, ekstatisch und der größte Rausch. Es nahm mir das bisschen Unschuld, das ich mir all die Jahre bewahrt hatte. Wie ein Fluss der gewaltsam über die flachen Ufer trat, schwemmte das Blut alles in meinem Inneren fort. Es ertränkte die Furcht, die Zweifel und mein Gewissen, bis nur noch Er da war. Seine Gefräßigkeit kannte keine Grenzen. Würde es immer so sein? Es war als hätte ich diesem zerbrechlichen, kleinen Menschen die Seele ausgetrunken. Wie süßen, teuren Rotwein aus einem bauchigen Glas, kostete ich jeden Tropfen bis nichts mehr da war. Mein ganzer Körper kribbelte und füllte sich mit künstlichem Leben. Ein ehrfurchtgebietendes Gefühl von Überlegenheit machte sich in meinem Bewusstsein breit und nahm mir den Atem. Die Macht, von der sie alle sprachen, präsentierte sich mir mit derartiger Gewalt, dass ich nie wieder widerstehen könnte. Dahinter kroch die Angst, wie eine räudige Gossenratte aus der Kanalisation, in meinem Geist. Ja, es würde immer so sein. Er würde immer mehr verlangen und ich würde es ihm bringen müssen. Und all die Gesichter der lieben Menschen in meinem Leben traten vor mich. Sahen mich angsterfüllt und anklagend an. Würde ich auch sie irgendwann verschlingen?
Die schlimmste Pein ist, das dieser Splitter, den er mir ins Herz rammte, mir nicht die Fähigkeit nahm zu lieben. Ich gaukle mir halbwegs glaubhaft vor, das alles einfacher sein würde, wenn da keine Zuneigung mehr wäre und ich kein Mitleid mehr verspüren könnte. Doch das hatten mir die roten Augen gelassen. Ob es grausame Absicht war oder einfach nicht in seiner Macht lag... ich weiß es nicht. Und ich frage mich ob er wohl genauso leidet? Ob da in dieser untoten Hülle die Reste eines Menschen stecken der bedauern kann? Das würde seine Tat umso entsetzlicher machen. Das Menschen Menschen töten ist in unserem Blut verankert. Die Götter hatten uns so geschaffen. Wir waren kleine, traurige Raubtiere, die nie wirklich voneinander ablassen konnten. Für manch einen war es sogar ein Befreiungsschlag. Endlich würde man von seinem elenden Leben erlöst. Und ich hatte immer mit einem Auge auf diesen Moment geschaut. Ich wollte blutend, kämpfend und schreiend untergehen, umgeben von sich windenden Leibern und klirrenden Klingen. Ich wollte mit nacktem Stahl in den Händen gehen und so viele Seelen wie möglich mitnehmen. Das war der Traum... das Ziel. Die roten Augen haben mir diese kleine, aber wichtige Fantasie genommen und mich eingesperrt und an sich gekettet. Bis in die Ewigkeit. Er zog mich, wie in einer kalten und starren Umarmung, in die Abhängigkeit. Er hat das Wissen, die Erfahrung und ich brauche ihn. Er hat das aus mir gemacht, was ich nun bin. Es war seine Hand die den kristallinen Dolch führte. Er hat mein Herz berührt, es korrumpiert und von meiner Seele getrunken. Selbst meinen Glauben hat er mir genommen. Und ich will ihn das spüren lassen.

Alles was noch übrig ist bin ich, ganz tief drinnen, und die hungrige Dunkelheit. Ich sollte dieser Finsternis einen Namen geben, so wie man einem ungeliebten Tier einen Namen gibt, um Diesen wütend schreien zu können, wenn man es tritt und schlägt. Ein Gesicht, dass ich hassen kann. Mir wird noch etwas einfallen. Ich habe Zeit...
Zuerst muss ich mich um mein Herz kümmern. Muss sehen ob es noch da ist oder ob auch dieses Band von dem Splitter durchtrennt wurde.
Ich war nie sonderlich laut in meinen Bewegungen, doch erschreckt es mich, wie klanglos ich mich nun fortbewege. Wie ein Geist kann ich diesen Raum betreten und nicht einmal die kleine Maus, die hier wohnt, würde mit den Ohren wackeln. Ich sehe ihn dort liegen, traue mich keinen Schritt näher. Und der erste Moment ist nicht voller Liebe und Sehnsucht für diesen Menschen, der mein Herz ist. Dieser Augenblick ist gezeichnet von Neid. Er lebt, er atmet, er altert und er schläft. Friedlich wie ein Kind, dass den ganzen Tag mit seinen Freunden auf den Weiden getobt hat. Er besitzt immer noch all das, was mir genommen wurde. Und ich hasse mich dafür, ihn zu verfluchen. Er lacht mich aus und ich schiebe es bei Seite. Ich schiebe den Neid bei Seite und lasse etwas Freiraum für all die Gefühle, die ich als Mensch spürte, wenn ich mein Herz ansah. Und es überwältigt mich. Wären da noch Tränen hätte ich sie in diesem Moment vergossen. Ich weiß nicht ob ich mich fern halten sollte oder einfach hoffe das er es nicht spürt. Mein Herz ist so unschuldig. Er soll das Monster niemals sehen müssen. Und so beschränke ich mich darauf, wie ein obskurer Schatten in der Zimmerecke seinen Schlaf zu beobachten. Jedes ach so kleine Zucken seiner Muskeln läßt mich staunen. Ich sehe ihn in einem völlig neuen Licht und rieche den Duft des Lebens an ihm. Dieses Haus ist voll davon. Ich höre das stetige Trommeln seines starken, jungen Herzens und das Rauschen seines Blutes, vertreibt die nächtliche Stille. Als ich mich von ihm losreißen kann, kündigt die rote Sonnenscheibe ihre Ankunft an. Ein letztes mal, sage ich mir selbst.

Ich suche einen abgelegene Platz, mit Ausblick auf das östliche Meer. Den schweren, dunkle Stoff der Kapuze ziehe ich mir tief ins Gesicht. Die Angst vor der Richtigkeit Ihrer Warnungen wurde nicht gänzlich von meiner Gleichgültigkeit vertrieben. Und so sehe ich atemlos dabei zu, wie die Sonne sich, über dem Meer, den Himmel hinauf schiebt und das nächtliche Blau in ein Gemälde aus bunten Wasserfarben verwandelt. Meine Augen brennen und meine nackten Finger kribbeln. Es ist auszuhalten. Vermutlich nicht für lange, doch werde ich es ertragen. Dieser Sonnenaufgang wird zu einem Symbol für mich. Er deutet einen Übergang an, ein Schlussstrich wenn man so will. Der letzte seiner Art. Es sind Stunden, ich spüre nicht wie viele, in denen ich mich der Qual des Sonnenlichtes zum ersten Mal hingebe. Ich verstehe nun...  
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Nachrichten in diesem Thema
Dies ist der Weltenlauf... - von Gisla - 12.06.2018, 13:05
RE: Dies ist der Weltenlauf... - von Gisla - 18.06.2018, 13:04
RE: Dies ist der Weltenlauf... - von Gisla - 23.06.2018, 16:07
RE: Dies ist der Weltenlauf... - von Gisla - 17.02.2019, 12:32



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