Im Namen der Rose
#2
Und dort lag sie nun, rot schimmernd, wie Mithras Feuer selbst. Der Stoff war noch rauer als sie erwartet hatte, doch das machte nichts. Es musste nicht bequem sein. Das Leben selbst war nur selten bequem. Ihre langen, blassen Finger strichen über das Gewebe des Stoffs. Wie es so da lag, auf ihrem schmalen Bett ausgebreitet, fühlte es sich fast wieder an wie am Morgen ihrer Hochzeit. Wenn die Braut, voll Zweifel und Hoffung zugleich, nicht aufhören kann das Kleid für ihre Vermählung anzustarren. Es immer mal wieder anzufassen muss, um sicher zu gehen das es echt war... das dieser Moment echt war. Und wie es einem inneren Kampf mit einem Drachen gleich kam, es dann tatsächlich über zuziehen. Berührt der Stoff erst einmal die Haut gänzlich war alles zu spät. Es war ein Versprechen ohne Worte, eine stumme Zustimmung, das stoische Hinnehmen der Situation in die man sich selbst gebracht hat. Es war ein Bund für's Leben. Und wie bei einer Hochzeit, begann alles mit dem Anziehen dieses Kleidungsstücks. Ein Symbol das jeder sofort erkannte. Es gab kein Versteck vor den Blicken all dieser Menschen. Wie ein Kriegsbanner, trug man sein Innerstes nach Außen. Verwundbar für all die stechenden und schneidenden Blicke. Doch gleichzeitig war der raue Wollstoff eine Rüstung. Er markierte den Beginn von etwas Gutem. Er ließ einen aufrechter gehen und stehen. Wie ein Harnisch geflochten aus ihrem Glauben selbst, würde er fort halten, was sie am meisten fürchtete. 
Die Nortgarderin war nur in ein dünnes Unterkleid gehüllt und das bisschen Wind, dass durch ihr kleines Fenster wehe, brachte nicht mal den hauchdünnen Leinenstoff zum flattern. Die Hitze hier in Servano hatte ihr schon immer am meisten zu schaffen gemacht. Es würde nicht besser werden, wenn sie erstmal diese Robe trüge. Sie würde sie jeden Abend auslüften müssen, um nicht zu stinken wie ein Hafenarbeiter. 
"Was wohl Halvar dazu sagen würde?"
Sie sprach diesen Gedanken laut genug aus, dass er durch das kleine, leere Zimmerchen hallen konnte. Sie dachte ihn mehrmals am Tag, doch jetzt wo er zum ersten mal von ihrer Stimme getragen wurden, schnitten die Worte ihr tief ins Fleisch. Sie machten die Lücke noch deutlicher, die er hinterlassen hatte. Seine Absenz war wie eine ewig blutende Wunde, die einfach nicht heilen wollte, egal wie viele Salben und Tinkturen man drüber schmierte. Ob er ihre Entscheidung gutheißen würde? Würde er sie davon abbringen wollen? Wäre es überhaupt soweit gekommen, wenn er die letzten Jahre bei ihr gewesen wäre? 
Sie kamen gemeinsam auf diese Welt und sie würden sie gemeinsam verlassen. Das war immer der Plan gewesen. Wie ein heiliges Mantra hatten die Zwillinge diese Worte immer und immer wieder zueinander gesprochen, wenn das Leben drohte sie auseinander zu reissen. Doch das Leben nahm wenig Rücksicht auf die Wunschträume naiver Kinder. Es waren schon bald drei Jahre, in denen sie ihren Bruder nicht mehr gesehen hatte. Und so humpelte sie allein durchs Leben, als würde ihr ein Bein fehlen. Alles was sie noch hatte war ihr Glauben. Abseits dessen war da nichts mehr. Immer wenn sie sich vor ihren kleinen Spiegel stellte, war da die kleine Hoffnung sein dämlich glotzendes Gesicht über ihrer Schulter zu erblicken. "Schmier dich nicht so voll, du bist hübsch genug... für eine nortgardische Bache zumindest!" würde seine tiefe, grollende Stimme tönen. Sie würde ihm einen nassen Lappen ins Gesicht klatschen und sie beide würden ausgelassen lachen. 
Zusammen mit Halvar war das Lachen aus ihrem Leben verschwunden. Und es war nie wieder zurück gekehrt. Und dann kamen die Tränen wieder... würde es irgendwann aufhören?
Würde Mithras ihr helfen diese Lücke zu schliessen?
Wieder tasteten die weißen Finger nach dem roten Stoff, ergriffen ihn vorsichtig und hoben ihn vom Bett. Sie zog sich die Robe langsam über den weißblonden Schopf. Das blutrote Gewebe schmiegte sich etwas steif fallend an ihren großen, schlanken Körper. Sie ließ den Saum zu Boden fallen und sah an sich herunter. Es gab kein Zurück, kein Verstecken.
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Im Namen der Rose - von Helga - 28.03.2018, 18:03
RE: Im Namen der Rose - von Helga - 08.06.2018, 11:21



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