FSK-18 Von der Holzfällerin zur Ritterin
#17
Wer einen Stein zerschmettern will, muss härter sein als der Stein.
Die junge Soldatin schaufelte noch mehr Sand in den Jutesack hinein. Mit jedem Hub Erde füllte und spannte jener sich. Erst als sie zufrieden war hob sie ihn unter Mühen auf. Trotz ihres dünnen Hemdchens und den eisigen Winden konnte der aufmerksame Beobachter unzählige Schweißperlen auf ihrem Körper sehen. Einige rannen das Gesicht hinab, andere perlten über ihre Unterarme und wieder anderen hielten sich tapfer auf der Stirn. Den Sack zum Haus hinauf zu schleppen war nur der erste Teil des Trainings heute. Der Sack wurde unter dem Dach des Schuppens aufgehangen.

Sie hatte noch keine Stunde damit zugebracht den Sack mit ihren Fäusten zu bearbeiten als sich durch das Dunkel der Nacht, Hufgetrappel näherte. Dieses Geräusch war so nahe bei der Hauptstraße nichts ungewöhnliches und so ließ die junge blonde Kriegerin sich nicht ablenken. Erst als eine ihr bekannte Stimme sie ansprach, fuhr sie zusammen.

"Valyra, was..?" Es war Anouk, die sie mit forschender Miene ansah. Der Blick der Vatin glitt über den Stellenweise geschundenen Leib von Valyra. Jene brauchte nicht lange um zu verstehen was die Vatin meinte.
"Ach die paar Blutergüsse verdanke ich Algrid." Diese Antwort stellte die Vatin nicht zufrieden. Zumindest nicht in dieser Form.
"Nein nein, wir haben gemeinsam trainiert. Ich versuche meine Reflexe zu verbessern und habe die Geschwindigkeit ihrer Steingeschosse unterschätzt."
Die beiden Frauen sprachen noch eine Weile über das Training ehe sie sich in die kleine Hütte begaben. Valyra berichtete Anouk von ihrem Ziel, im nächsten Turnier den Streitern Löwensteins die Stirn zu bieten. Als die Sprache auf Yvgvar Stein kam waren die Frauen sich sogleich einig. Dieser Mann war eine der größten Bedrohungen für den Rabenkreis. Sein fanatischer Glaube konnte sehr schwere Folgen haben und das dieser Berg von Mann ein entsprechend geschickter Kämpfer war, machte es nicht leichter. Ob Anouk es merkte oder auch nicht konnte man nicht sagen, aber mit jedem Wort das sie über diesen Mann sprachen wurden die Augen von Valyra härter. Glücklicherweise wechselte bald das Thema.

"Ich würde gern deine Meinung hören. Ich habe es mir zum Ziel gesetzt den verbrannten Wald wieder aufzuforsten. Damit dieser Schandfleck von Mithras wirken endlich wieder erblühen kann." Anouk hörte sich die Ausführungen der jungen Soldatin an, ab und an sah man ein Nicken und eine nachdenkliche Stirnfalte. Doch letzten Endes erachtete die Vatin diese Queste als rechtschaffen im Sinne der Einundzwanzig. Sie sagte sogar zu, den Ort mit ihren Schülerinnen zu besuchen und ihn im schlimmsten Fall von der Verderbtheit des Mithras Glaubens zu bereinigen. Valyra atmete auf, eine Hürde weniger die es zu nehmen galt.
"Wenn ihr für die Reinigung ein Menschenopfer braucht... wir könnten den Stein einladen und ausbluten."
"Das wäre aber ein großes Opfer, und ich bin mir sicher er wird nicht freiwillig mitmachen." Valyra verstand was die Vatin meinte. Sie beließ es dabei und konzentrierte sich auf die positive Zusage zu ihrem Anliegen.

Wieder trugen die Worte das Thema in eine ganz andere Richtung. Auf Valyras Frage hin wie sich die Schülerinnen der Vatin machten, folgte ein Lächeln. Es wurde über die Heißblütigkeit einer gesprochen und über die zarte Zurückhaltung anderer.
"... nur bei Vivienne bin ich mir noch nicht ganz sicher." Valyra schmunzelte und erklärte der Vatin warum diese eventuell noch ein wenig schockiert sein könnte.
"Der Hauptmann sprach sie an, welche der Schülerinnen des Rabenkreises mitkommen an die Front in Candaria. Ihr wisst schon, praktische Erfahrungen in der Seelsorge sammeln. Bei dem Gedanken in der Kälte schlafen zu müssen, bedeckt von Dreck und Schlamm, täglich den Untoten und schlimmerem ins Auge blicken zu müssen... das wurde sie schon ein wenig blass glaube ich."
"Das Leben ist kein Zuckerstein schlecken. Sie wird das schon schaffen. Viel Auswahl haben wir da nicht."
"Sag mal, ist es falsch von mir, wenn ich mich auf die Rückkehr zur Front freue?" Anouks Blick wechselte und bekam eine vollkommen neue Bedeutung während die Vatin, Valyra musterte.
"Wenn du so redest, erinnerst du mich an Kordian. Ich sehe der Rückkehr nach Candaria mit gemischten Gefühlen entgegen." Noch während Valyra schlussfolgerte, dass es daran lag das Kordian gern selbst im Getümmel stand, haftete der Blick der Vatin sich an die Kerze auf dem Tisch. Dies war der wunde Punkt. Hier fand sich die Ursache für ihre Bauchschmerzen. Die junge Soldatin verspürte einen Drang den sie nicht unterdrücken konnte. Das linke Knie gebeugt sank sie vor Anouk herab bis sie der Frau auf dem Hocker in die Augen sehen konnte.

"Bei Nodons Schild, ich verspreche dir, dass er nicht fallen wird. Und das tue ich nicht weil du eine Vatin bist, oder er mein Vorgesetzter. Ich verspreche es dir weil ich euch beiden soviel mehr schulde als das. Ohne dich und ohne ihn, wäre ich immer noch eine dumme Mithras gläubige Blonde die ziellos durch die Wälder irrt." Anouks Augen leuchteten förmlich auf während Valyra sprach. Als sie dann noch ihre Dankbarkeit für dieses Versprechen zum Ausdruck brachte, war es wieder da. Ein Gefühl das Valyra so lange vermisst hatte.
~Warum willst du den Weg des Schwertes gehen?~
~Weil ich meinen Schild für jene erheben will die dies nicht selbst können~

Sie wurde also wieder gebraucht. Keine langweilige Wache, keine Materialbestellungen und keine Rundgänge durch immer die gleiche Gehöfte und Wälder. Der Schutz eines Menschenlebens. Der Schutz eines Freundes.
"Das habe ich vermisst, weißt du?" Anouk konnte sich denken was Valyra vermisst hatte, ließ es sicher aber dennoch erklären.

"Ich beneide dich manchmal Anouk. Für die Menschen bist du soviel mehr als mein Schild und ich jemals sein könnten. Sie tragen ihre Sorgen und Nöte zu dir, sie erbitten deinen Rat. Deine Worte spenden mehr Trost und gewähren mehr Sicherheit als meine Waffen und Schilde." Das Gesicht der Vatin veränderte sich schlagartig.
Das Lächeln - weg.
Die Erhabenheit - weg.
Der Blick der Vatin war starr und von etwas gefangen das die Soldatin nicht verstand. Die Lippen Anouks bewegten sich mit einem leichten Zucken als sie ansetzte zu sprechen.
"Hast du dich einmal gefragt, wen Druiden aufsuchen die Trost und Rat brauchen?" Dann dämmerte es Valyra. Nein es traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Ein Druide, schon gar nicht die Erste unter gleichen, hatte niemanden bei dem er einmal Trost suchen konnte. Sicher ihren Ehegatten, Kordian. Aber er war ein Mann, er war immerzu ein starkes Bollwerk. Aber an einer Mauer konnte sich Anouk in diesem Augenblick nicht lehnen. Was sie brauchte war...

"Zu einer Freundin, einer Tochter im Geiste oder einer lieb gewonnenen Kriegsbeute. Es ist egal wie du es nennst. Aber die Person vor dir hat viel von dir erhalten und ich wäre froh dir auch nur den kleinsten Teil davon zurück geben zu dürfen." Valyra erkannte sofort was ihre Worte auslösten. Die Festung Anouk bröckelte. Der feuchte Schimmer in ihren Augen lies es erahnen. Das schwere Schlucken das man in der ganzen Hütte hören konnte bestätigte es. Die junge Soldatin reichte Anouk die Hand, hielt sie nach oben offen vor sie.
"Ich kann dir die Hand nur anbieten, nehmen musst du sie selbst." Und sie nahm die Hand, mehr noch sie zog Valyra an sich, betete ihr Haupt an die Schulter der Blondine und ließ ihren Gefühlen freien Lauf.
"Ich werde immer für dich da sein." Anouk verlor in diesem Moment ihre letzte Beherrschung, sie schluchzte. Ihre Tränen bahnten sich den Weg und ließen sich nicht aufhalten.

"Ich bin so oft nur noch Druidin des Rabenkreises und nicht Anouk."
"Nicht Anouk, das Kind aus dem Wald."
"Nicht Anouk, von den galatischen Inseln."
"Weißt du wie schwer Federn sein können? Auf mir lasten sie wie Blei."

"Ja, weil es zu viele sind, sie rauben dir die Sicht und nehmen dir den Atem."
"Selbst wenn ich diese Robe ablege, das Gewicht ist immer noch da."
"Ich will manchmal einfach nur Anouk sein, verstehst du?"

"Ja. Ich verstehe nur zu gut. Sie schreien nach der Vatin, sie schreien nach der Druidin. Niemand begrüßt Anouk auf der Straße. Aber ich werde ihre Schreie von diesem Ort hier fernhalten. Ich kann dir nicht viel bieten, aber ein Versteck wird es allemal sein."
Während Valyras Worte immer leiser wurden und damit an Kraft gewannen, schüttelt das Schluchzen die Vatin immer wieder. Die Soldatin versichert der Vatin, dass es hier immer ein Bett für sie gäbe und das sie jederzeit einen Schlüssel vorfinden wird. Der leise gemurmelte Dank der Druidin klingt belegt. Valyra streicht über den Rücken Anouks und versichert ihr ebenso leise, dass man sich unter Freundinnen nicht bedankt.

"Es ist mir unangenehm wenn du mich so siehst."
"Du meinst als Mensch? Muss es nicht, ich habe schon immer einen Menschen unter der Robe vermutet. Außer du zeigst mal wieder deine Zähne, dann sieht es eher nach einer Wölfin aus."
"Einer Wölfin, ja?" Ein Grinsen schleicht sich in die Züge der Vatin, in diesem Moment erwacht ihre innere Wölfin erneut.
"Erzähl es dennoch niemandem, bitte." Valyra musste lächeln, sie erklärte Anouk das ihr sowieso niemand glauben würde. Aber auch das dieser Moment ihren Respekt gegenüber der Druidin gesteigert hatte. Anouk schien verwundert, fragte nach wie das sein könnte.
"Es zeigt mir das du trotz all deiner Stärke, tief drinnen immer noch Anouk bist. Das was Kordian für die Garde leistet, das was Cahira für die Verwaltung leistet.. das musst du für einen gesamten Landstrich tun." Jedes Wort für sich wäre eventuell belanglos gewesen, aber so wie Valyra sie aussprach zauberten sie ein Lächeln auf Anouks Züge. Valyra legte ihre Hand auf das Herz von Anouk.

"Seit heute weiß zumindest ich, wie stark du hier drinnen wirklich bist. Und das ist es was mich an dir fasziniert, was mich zu dir aufblicken lässt."
"Auf dem Turnier habe ich mich zum ersten mal seit langer Zeit, wieder wie Anouk gefühlt. Es war sehr befreiend."
"Du hast auf dem Turnier einen Satz wiederholt der mich angespornt hat. Das ist eine waschechte Ravinsthalerin. Das war eine große Anerkennung für mich, fühlte ich mich bisher doch immer ein wenig fremd."
"Ich habe nur gesagt was ich denke."
"Ja, und dafür danke ich dir."
"Unter Freundinnen bedankt man sich nicht!" Anouk grinste die Soldatin frech an. Als Valyra ihr frecher weise die Zunge raus streckte wurde diese Geste sofort und auf gleiche Weise erwidert.
"Aber nun legst du dich erst einmal schlafen." Valyra kramte aus einer Kommode eine Schlafmatte hervor und rollte sie auf dem Boden aus. Als sie sich darauf niederließ um die Stiefel auszuziehen erkannte sie das Anouk sie immer noch ungläubig ansah.
"Du willst das ich hier übernachte?" Valyra nickt bekräftigend zu den Worten der Druidin. Die beiden Frauen sprachen noch einige Augenblicke. Dann schlief Anouk im Bett ein. Valyra sah noch ein letztes Mal vom Fußboden zu ihr hinauf und lächelte in sich hinein. Was hier heut geschehen war, würde dieses Haus niemals verlassen.
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RE: Von der Holzfällerin zur Ritterin - von Valyra Eichenwald - 28.01.2018, 20:20



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