Mika
#1
Die Karte

Der Vater lag in seinen letzten Zügen, rasselnd gelang das bisschen Luft in seine Lungen, die Lippen blau und der Gesichtsausdruck so angestrengt, dass es Mika ganz schwach ums Herz wurde.
"Meine Zeit ist gekommen, Mika, auch wenn ich noch gern bleiben würde, man lässt mich nicht," schwer ging sein Atem, mühevoll schnaufte er ihr seine letzten Worte entgegen. "Du wirst nach Norden ziehen, hin zum großen Wasser, suche deinen Onkel Romuald, den Kapitän der Brigga, gibt ihm diese Karte, wer weiss, was da vergraben liegt." Begleitet von blutigem Husten und Ächzen zog er unter dem Kopfkissen einige Schillinge hervor sowie ein zusammengerolltes, doch recht abgenutztes Pergament und drückte es Mika kraftlos in die Hand. "Schwöre, dass du Romuald suchst, dass du dich aus dem Sumpf hier rettest, zögere nicht, " und mit diesen letzten Worten verschied er und ließ Mika zurück, still saß sie da, die Dämmerung hüllte den kleinen Raum der Hütte ein, Nebel stieg auf als wolle er den Ort der Trauer sämtlichen Augen entziehen.
Drei Tage später wurde der Vater von Mika allein im Sumpf bestattet, in graues Leinen gehüllt und fest versurrt, einige gelbe und weisse Blüten schmückten sein dunkles, nasses Moorgrab. Mika sprach Worte zu den Göttern, in der Hoffnung dass der Vater seinen Weg zu den Arkadien finden werde.
Dann war sie allein. Zurück in der armseeligen Hütte, betrachtete sie des Vaters Erbe, ein Beutelchen mit Schillingen sowie das Pergament. Mika strich das Band ab und entrollte die Karte. Eine deutliche Landmarke war auf dem Papier festgehalten worden, Gebirgszüge, Bäume, waren es Kiefern, Tannen? Mika betrachtete sie, das Pergament drehend, mal kopfüber dann wieder zurück. An einer Stelle war deutlich ein X gezeichnet. Die junge Frau rollte das Pergament mit einem Schulterzucken zusammen, schlang dreimal das Band herum und steckte alles zusammen in den groben Beutel aus Leinen. Noch zögerte sie den Ort ihrer Kindheit zu verlassen, stumm saß sie auf dem armseeligen Hocker, erinnerte sich an die Zeit als hier Leben herrschte, als Mutter leise summend Kaninchenragout kochte, als ihre kleine rothaarige Schwester fröhlich spielte und lachte, als Vater noch gesund und stark war und sie oft in die Sümpfe mitnahm, ihr das Bogenschießen und Fallenstellen beibrachte.
Sie alle waren tot, Mika packte mit einem sich lösenden Atemzug ihr Bündel und trat aus der Hütte, ein letzter Blick und schlug, wie sie dem Vater geschworen hatte den Weg nach Norden ein, hin zur Küste, nur fort von hier.

[Bild: 4xs3s44g.jpg]
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Mika - von Mika - 26.02.2017, 15:26
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