Sonnenwende
#7
"Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein."




"Es gibt kein Muster. Nichts, was sie verbindet. Wenn du mich fragst: Er tötet willkürlich, aus einer Laune heraus und ohne sich um das Opfer und dessen Geschichte zu scheren."


Der Sommer war mit Macht nach Löwenstein gekommen, die trockene Hitze, die bereits das ganze Lehen ausgedörrt hatte, konzentrierte sich nun auf die Hauptstadt und diese schwitzte und glühte wie im Brennpunkt einer gewaltigen Lupe. Selbst die Nächte brachten keine Erleichterung mehr - die Wärme steckte in jedem Stein, in jeder Schindel und die schwache Brise von Seiten des Meeres blieb ein unerfülltes Versprechen von Linderung.

Ebenso unerfüllt wie meine wöchentlich wiederholten zähneknirschenden Durchhalteparolen: Ja, wir verfolgten die Sache weiter. Nein, wir versoffen unseren Sold nicht auf Kosten der besorgten Bürger. Ja, ich war dankbar für die Hauptmannsklappen. Nein, ich brauchte keinen stadtratbestimmten Aufpasser um endlich Ergebnisse zu liefern. 
Nächste Woche. Nächste Woche bestimmt.
Die Rechtfertigung war irgendwann zwischen einer der vielen Wiederholungen zu unbehaglicher Gewohnheit geworden.

Nur in dem kleinen Altstadthaus, durch dessen Türe Areng trotz aller Mühen niemals gepasst hatte, war ich nicht von Erwartungen und Vorwürfen umgeben. Sie alle wollten das Gleiche: Den Kopf des Mannes, der so wahllos andere Köpfe nahm. 

Und mit jedem vergehenden Tag fragte ich mich mehr, ob es mich auch den Meinen kosten würde. 

Denk an Eigen, Delahne. Denk daran, wo du herkommst. Das hier ist nichts. Du brauchst nur ein wenig mehr Geduld. Ein wenig mehr Zeit. Ein wenig mehr Glück.

Das Gesicht im Bronzespiegel wollte sich nicht zu einem Lächeln bequemen, ganz gleich wie sehr ich mich bemühte: Wenn die Mundwinkel sich bewegten, dass zu einer verzehrten, grimmigen Maske, die eher an das Fletschen von Fängen erinnerte als alles andere. 

"Woran denkst du jetzt?"

'Schuld.' 

"Daran, dass wir das Muster nur nicht erkennen können. Weißt du, wie sie ihn mittlerweile nennen? Den 'Rächer von Löwenstein'. Aus unwissender Hoffnung heraus machen sie ihn zu einem Werkzeug höherer Gerechtigkeit. Manche ziehen die Köpfe ein, aus Furcht sie zu verlieren. Andere tragen ihre nur umso höher und posaunen ihre Überzeugung heraus, als wäre das Ende aller Tage gekommen. Wenn wir dem nicht bald ein Ende bereiten können, ist das das Ende. 
Das ist das Ende, verstehst du? 
Wir können einpacken. Wir brauchen keinen Rächer, weil der Stadtrat unsere Köpfe gleich samt Körper an das Tor nageln lassen wird."

Es war so einfach die Schuld in Zorn zu ersticken, sie zu ertränken in flammenden Worten, bis er nicht anders konnte, als zu lächeln und die Arme um meine Schultern zu legen. 

Auch das vertraut.

Sieh in den Spiegel, Delahne. Sieh hin. Denk an Eigen.

"Wir machen Fortschritte, das kannst du nicht abstreiten. Wir wissen, dass es ein Mann ist. Wir wissen von dem Schwert. Mit jedem Tag wird das Bild ein wenig deutlicher, gibt ein wenig mehr Details frei. Lass die Bürger tratschen, lass die Geschichten von Garmelin erzählen - das spielt uns nur in die Hände. Mehr wachsame Augen behalten die Strasse im Auge. Weniger achtlose Passanten bieten sich als Opfer an. Es wird schwerer und er wird einen Fehler machen. Und wenn etwas daran ist, dass er sich durch die Kanalisation bewegt, dann braucht es nur ein Quentchen Glück und er verrottet auf immer in den lichtlosen Tiefen."

Die Kanalisation.

Keine gute Woche war der letzte Besuch in den stinkenden Gemäuern her, aber auch das war etwas, was ich hier nicht sagen, nicht erwähnen durfte. Für meinen Besucher lag die letzte Erkundung bereits einen Mond zurück und war - genau wie die Versuche zuvor, ein fruchtloses Fiasko gewesen: Gänge über Gängen. Abzweigungen und Sickergruben, Ratten, so gross wie Strassenhunde und die heillose Verwirrung, wenn das so hübsch detailgetreue Kartenwerk sich wieder und wieder als so ungenau erwies, dass es genauso gut das Produkt reiner Fantasie hätte sein können.

Denk an Eigen, Delahne. Du kennst diesen Geruch. Es ist eine Witterung, die man nie wieder vergisst.

Ich hatte keine Fackel mitgebracht und keine Laterne, nichts was geeignet wäre meine Anwesenheit weithin zu verraten. Das letzte Licht der Oberfläche war zurückgeblieben, als ich das angerostete Gattertor hinter mir geschlossen und die moosbewachsenen Stufen hinabgestiegen war in einen der weiten Kanäle. Ungezählte Ziegelsteine waren verbaut worden um der Scheiße der Stadt ein gemütliches Bett zu geben, eine Straße unter der Stadt. Aber das war nicht alles: Über die Jahre hinweg war die Kanalisation unzählige Male geflutet worden, hatte Häuser und ganze Straßenzüge verschlungen um eine absurde Wunderwelt zu schaffen, die wie in der Zeit erstarrt schien, während sich die Gülle der Zivilisation hindurchwälzte. 
Es gab Menschen, die hier unten lebten - manche ausgestossen von der Gesellschaft, vertrieben aus der Gemeinschaft wegen furchtbarer Verbrechen, die ihnen nur die Wahl liess zwischen dem Strick oder dem lichtlosen Dunkel hier unten. Andere kamen freiwillig hierher, getrieben von Wahnsinn oder zumindest wahnsinnigen Launen und die Kanäle verschlangen sie alle ohne Unterschied. Ihr Hunger kannte kein Ende.

Ein Licht hierher zu bringen, war der sicherste Weg sie anzuziehen: Die Messerschwinger und die Prediger, die Verfluchten und die Hoffenden. Keiner von diesen trug die Witterung, die mich hierher geführt hatte. Die, die ich suchte, waren Schatten in Schatten: Vorsichtig. Wachsam. Hungrig. 

So wie ich.
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Sonnenwende - von Delahne Magreid - 25.09.2016, 14:09
RE: Sonnenwende - von Delahne Magreid - 26.09.2016, 14:30
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RE: Sonnenwende - von Delahne Magreid - 21.06.2018, 06:15



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