Sonnenwende
#1
Die Dunkelheit lächelt, während sie sich ausbreitet, die Lichter erlöschen lässt.
"Warum bettelst du um den Tod? Gefällt dir meine Gesellschaft nicht mehr?"




Die letzten Tage des Sommers waren vorüber, daran konnte es trotz der letzten glutheissen Tage keinen Zweifel geben. Es lag eine Vergeblichkeit in diesem Aufbäumen, die meine Laune trübte sobald die Sonne sich im Westen glutrot dem Horizont entgegenstreckte.
'Alles stirbt.' - flüsterten die Bäume mir zu, während ihre Blätter noch in das prachtvolle Gewand von Rot und Gelb gekleidet waren.
'Alles stirbt.' - murmelte der Bach in seinem halb ausgetrockneten Bett, während er sich an gesammelten Ästen und Zweigen vorbeizwängte, stinkenden Schmutz auf Inselchen aus Sand und Stein abladend.

Als hätte ich die Erinnerung nötig. Als wäre die nahende Dunkelheit nicht schon genug, um das Herz zum rasen zu bringen. Ich hasse es, wie den Tagen jeden Tag ein wenig mehr gestohlen wird.

"Gerald ist ausgeflogen."
Wie gewöhnlich sahen die Marktweiber über mich hinweg, während sie ihren Tratsch zum Besten gaben und ich ignorierte sie auf gleiche Weise. Die einfachen Leute haben ein lange Gedächtnis und wenn auch Einzelne vergeben mögen: Die Menge ist gnadenlos. Vielleicht wäre es anders, wenn ich damals in mein altes Leben zurückgefunden hätte, aber damit verhielt es sich wie mit einem Paar viel zu kleiner Schuhe: Egal wieviel Mühe ich mir gegeben hätte, sie hätten niemals mehr gepasst und wer möchte schon durch das Leben humpeln.

Zur Hölle mit ihnen.

Und dennoch spitzte ich die Ohren.

Es wäre falsch zu sagen, dass ich in der Hütte des alten Jägersmannes willkommen gewesen wäre, aber im Laufe der letzten drei Jahre hatte ich dort mehr als nur einmal Halt gemacht, die Beine auf der krummen Bank an der Südseite ausgestreckt und hinuntergestarrt in das Tal und auf die Häuser die sich dort an die Hänge drückten. Die hübschen roten und gelben Dächer sprachen überdeutlich von der Existenz der beiden Tongruben nördlich der Siedlung, aber das Muster verriet nicht, wie erbittert seit Generationen zwischen den verfeindeten Besitzern gestritten wurde. Sein Dach in Rot oder Gelb einzukleiden war hier mehr als nur die Laune eines Augenblicks und die langen Wintermonde boten hier viel Gelegenheit die Langeweile in Groll umzuwandeln.

Dafür gab es einen einfachen Grund: Der schnelle Passweg Richtung Löwenstein war sobald der erste Schnee das Tal erreichte, unpassierbar und die Hütte des Alten gewöhnlich der letzte Halt für Wanderer, die den Ausführungen der erfahrenen Dörfler einfach nicht glauben wollten.

Mit etwas Glück bekamen sie hier einen heissen Grog.
Mit noch ein wenig mehr davon kam vielleicht die Einsicht, dass hier erst im Frühjahr ein Durchkommen wäre.

Und doch sammelte Gerald Jahr für Jahr die Habseligkeiten der Erfrorenen ein, brachte sie zurück in seine Hütte und von dort aus im Frühjahr hinunter ins Dorf. Wo sie dann neben all den Dingen, die ein einsamer Jäger in zugiger Höhe braucht, auch in Grog umgesetzt wurden. Der Kreislauf des Lebens in voller Pracht.

Ich kann bis heute nicht sagen, wie er mich fand und warum das Leben noch nicht ganz aus mir geflohen war.

"Hallo?"

Erst vor einer Woche hatte ich den mürrischen Jägersmann dabei beobachtet, wie er eine erlegte Gans rupfte ohne dabei auch nur einmal in meine Richtung zu blicken. Alles an seinen Bewegungen verriet Gewohnheit, eine Gewohnheit, die sich durch mich weder stören noch beeinflussen liess. Er möchte mich aus dem Schneefeld gezogen haben, aber das hatte uns nicht .. verbunden. Was es an Worten zu wechseln gegeben hatte, war bereits vor einem Jahr besprochen worden und seitdem hatte sich an den Umständen wenig geändert.
Er war damit zufrieden und ich war es auch.

Der Frühling kam und dann der Sommer, die Blätter fielen und dann herrschten die langen Nächte.
Ein Jahr. Ein weiteres Jahr. Und noch eines in dem ich darauf wartete, dass die Wunden heilten.

Und nun war die Hütte verlassen.
An einem anderen Tag hätte ich dem kaum Aufmerksamkeit geschenkt: Wie ich war der Jägersmann ein Zugvogel, den seine Berufung durchaus für Tage, bisweilen sogar Wochen von seinem Wohnsitz entfernte, aber dieses Mal war es anders.

Ich wusste es, noch bevor ich die Details bemerkte: Die nicht ganz geschlossene Türe. Die nicht fortgeräumten Teller auf der Fensterbank. Das blanke Beil im Baumstumpf hinter der Hütte. Andere Kleinigkeiten, die das Bild vervollständigten.

Und sonst nichts.
Keine Kampfspuren. Keine Schäden. Nichts, was als Beweis getaugt hätte, nichts, was beim örtlichen Ritter für mehr als ein Stirnrunzeln sorgen würde.

Aber ich wusste Bescheid.
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Sonnenwende - von Delahne Magreid - 25.09.2016, 14:09
RE: Sonnenwende - von Delahne Magreid - 26.09.2016, 14:30
Asche zu Asche - von Delahne Magreid - 04.10.2016, 13:34
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RE: Sonnenwende - von Delahne Magreid - 21.06.2018, 06:15



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