Gegen den Uhrzeigersinn
#2
"Sie kannte die Musik - kannte sie im tiefsten Kern ihres Seins - auch wenn sie sie nie zuvor gehört hatte.
Zwar fremdartig, war sie trotzdem immer in ihr gewesen, darauf wartend geweckt zu werden. Dem tiefsten Kern alter Mysterien entwachsen, welche Geheimnissen ihr Entzücken verliehen, und Religion ihre Ehrfurcht. Fordernd akzeptiert zu werden durch einfachen Glauben, nicht zerlegt und in Frage gestellt, gleichzeitig aber darum bettelnd angezweifelt und erforscht zu werden..."


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Ein leise, gesummte Melodie ertönte in den ersten Tagen des Lenzing um ein kleines Anwesen in Hohenquell. Es war eine galatische Melodie, eine alte Melodie, normalerweise begleitete Gesang diese Melodie und Flöte verlieh ihrem Gefühl Ausdruck.
Doch die junge Frau die sie summte, verzichtete wie oftmals auf die Worte, und ließ das Gefühl Blüten tragen.
Ihr Gesicht trug eigenartige, aber nicht zu auffällige filigrane Muster, die mit schlanken Fingerspitzen, und feuchter Asche aufgetragen wurden. Sie erinnerten entfernt an Ranken die sich über ihr Gesicht wanden.
Und ähnlicher Machart waren die Muster, die sie nun vorsichtig mit ihren blanken Fingern des nachts auf die blanke Rinder der alten Bäume malte, welche wie ein Wald in einem Märchen um eine geheimnisvolle Burg, dieses Anwesen in Hohenquell umgaben.
Die junge Frau mit der Narbe am Kinn, deren Herz ein-, zwei-, dreimal gebrochen wart, summte die alte Melodie leise und unentwegt, während sie wie im Traum wandelnd ihrem Werk nachging.
Es heißt das Herz wäre Gefäß einer ganz eigenen Art der Magie, die in dunklen Nächten aus so manchem gebrochenen Herz nur herausströmte, stets Gefahr laufend, eine leere Hülle zurückzulassen.
Dies war hier nicht die Gefahr, soll an dieser Stelle gesagt sein, denn dies ist nicht die Geschichte dieser Frau. Es ist die Geschichte des Lieds, der eigenen Magie die in dieser Geschichte und der Melodie mitschwingt. Eine Geschichte die eine blasse Erinnerung aufrecht erhält, um ein altes Omen.
Es ist die Geschichte der wilden Jagd. Das unausweichliche Todesomen, scheinbar abhängig von der Willkür der Feengestalten die dieser Hatz zugehörten. Eine Naturgewalt. Vergessen, aber nicht vergangen. In Zeiten in denen die Magie dieser Welt immer mehr Willen und Zweck unterworfen wurde, blasse Vernunft die Illusion von Kontrollierbarkeit erzeugte, war die wilde Jagd Zeugin einer ursprünglicheren, urtümlicheren Magie. Einer Kraft die man zu besänftigen hoffen konnte, aber sich nicht darauf verlassen konnte. Eine Kraft der man sich nicht leichtfertig zuwandte. Eine Naturgewalt der in düstereren Zeiten die Menschen einen anderen Respekt zollten.
In Gedenken an diese Kraft, zeichnete die junge Frau, wie in Trance ihre Muster an die Bäume. Ritualisierte Muster, eine Bitte an die Götter und die Geister des Waldes. Die wilde Jagd zu lenken, dass sie das Haus verschonen mögen, sollten Musik und Hufgetrampel dieser unerbittlichen Prozession jemals die Richtung dieses Zufluchtsorts einschlagen.
Und auch wenn die junge Frau nur selten darüber sprach, für Viele nur die Aschespuren an den Bäumen zurückblieben, so war sichtbar dass hier etwas geschah. War sichtbar dass hier an alte, ursprüngliche Kräfte appelliert wurde. Und im Hinterkopf mancher Betrachter regte sich vielleicht ein Hauch des Gedächtnisses, dieser Mischung aus Liedern, Märchen und Hörensagen, das die alte Magie ein wenig lauter atmen ließ, derer diese Bäume seit jeher stumme Zeugen waren. So wie sie stumme Zeugen der Bewohner - Geister, Feen und Götterwesen waren - die oft ungesehen aber manchmal doch so spürbar durch die Wälder wandelten, waren.
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Gegen den Uhrzeigersinn - von Meran - 22.02.2016, 22:27
RE: Gegen den Uhrzeigersinn - von Meran - 13.03.2016, 17:51



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