FSK-18 Das Beste In Uns
#3
Der Scharlatan

Noch im Schleier der Dunkelheit konnte man erkennen, dass nur eine Person am Feuer saß und still in die Flammen blickte. Keiner, der um ihn herum am Boden schlief, kein zweites Lager, nur eine Tasche. Es war recht offensichtlich, dass ich es mit einem Alleinreisenden zu tun bekommen würde. Mein Begleiter indes, immer paranoid, immer vorsichtig, entschied sich, im Hintergrund zu bleiben und mich in einem Akt der Generösität vorzuschicken.

"Heda, Freund am Feuer!"
durchbrach ich die nur durch das Knistern des Feuers erhellte Stille. Der Mann hingegen, gekleidet in allerhand bunte Lumpen, schien mich bis zu meinem Herantreten gar nicht gehört zu haben und blickte zutiefst erschrocken auf. Ich hob meine Hände beschwichtigend und setzte nach:"Euch droht keine Gefahr Herr, suche ich nur eine Auskunft um wieder auf den rechten Pfad gelangen." Der Mann sagte noch immer kein Wort, aber hatte immerhin in der Bewegung innegehalten, mit der er sich offenbar hinter den Baumstamm hinter sich befördern wollte. Die Skepsis in seinem Blick war dennoch sichtbar. Auch auf die Gefahr hin, dass mein Begleiter mich dafür später schelten würde, holte ich in einer endlos langsamen Bewegung ein Stück Brot hervor und hielt es am ausgestreckten Arm in Richtung des Mannes. "Teilt ihr ein paar Worte mit mir, so teile ich mein Essen mit euch, Freund."

Momente der Stille vergingen, in denen der Blick des Mannes vom Brot zu mir und wieder zurück wanderte. Sein Mund öffnete sich in einer langsamen Bewegung als er das Brot fixierte und ein dünner Sabberfaden sich einen Pfad aus der Mundhöhle gen Boden bahnte. Meine Hoffnung auf einen geistig gesunden Menschen getroffen zu sein schwindeten rapide bis sich das bunte Menschlein schliesslich doch zu einigen Worten befleissigte. "Ihr zahlt im voraus!" kam die fordernde Stimme des kleinen Menschleins. Ich lächelte und dachte bei mir:"Jeder ist bestechlich, selbst die Schwachsinnigen." Ich warf ihm das Brot zu und er begann direkt mit seinen nur noch stellenweise intakten Zähnen darauf herumzunagen.

Als ich mich näherte, schien er sich seiner vielleicht einstmals erlernten, guten Manieren zu erinnern und breite seine Hände über sein karges Lager aus und präsentierte es wie die Manege eines großen Schausteller-Ensembles. "So tretet ein, Freund Wanderer und nehmt Platz am kargen Feuer von Belfus dem Einzigartigen, dem Mann der tausend Geschichten, der jeden Weg in ganz Amhran, Galatia und Juretai bereist hat.. und..!" dabei hob er einen schmutzigen Zeigefinger in die Höhe und ergänzte:"Selbst die schwarzen Strände Indharims habe ich bereist und kehrte zurück um in ganz Amhran davon zu berichten! Also setz' dich ans Feuer Freund und lausche den Geschichten von Belfus, denn sie sind einzigartig und wundersam!"
Während der Narr so um sein eigenes Feuer herumstolzierte, hoffte ich darauf, dass mein Begleiter rechtzeitig zur Stelle sein würde, so sich dieser dem Wahnsinn anheim gefallene Mann entschied, mich bei lebendigem Leib verpeisen zu wollen. "Ich weiss nichts von Indharim und des Königs Feldzug Herr Belfus, aber vielleicht könnt ihr mir zuerst einfach sagen ob dieser Weg nach Servano führt?" Seine Augen wurden größer. "Servano, das Lehen der Hauptstadt! Das Zentrum der Macht! Neidstatt des Fürsten von Silendir und vom König verlassenes Juwel des Reiches! Diese Straße? Ja! Ja..! Sie führt geradewegs dorthin, doch werdet ihr die Marschen nicht auf direktem Weg verlassen können, nein.. nein, nein, nein." Jedes neuerliche "nein" ebbte etwas mehr ab und verhallte schliesslich im Knistern des Feuers, das seinerseits gierig nach den wenigen Stellen sauberer Luft in diesem dreckigen Sumpf leckte. "Ich weiss, dass es nicht einfach.." begann ich und der Scharlatan begann bereits mir das Wort mit erhobenem Zeigefinger abzuschneiden. "Wird es nicht! Nein! Nein!" Nun begann er zu schreien:"NEIN! WIRD ES NICHT! NIEMALS EINFACH! NIEMALS LEICHT!" Dies war der Moment, an dem ich entschied, dass es besser war, das Weite zu suchen, doch die Ketten des Wahnsinns waren offenbar nicht nur für den einen Menschen an diesem Feuer ausgelegt, denn seine Worte banden mich am Ende doch wieder:"Will er die Trolle schlagen? Die Drachen ausnehmen? Servano, Zugang zu den Gruseligkeiten! Niemals sah ich mehr als dort! Niemals, nie!" Während er so um das Feuer hüpfte wie ein besessener, armer Teufel - und das war er vermutlich - sagte mir jede für Vernunft empfängliche Faser meines Körpers, dass ich diesem Schwachsinnigen keinen Glauben schenken durfte. Wenn es jedoch nur eine Möglichkeit gab, dass er mir den Eintritt in die Welt des Obskuren verschaffen konnte, dann musste ich vermutlich auch seinen Schwachsinn ertragen. Ich wusste, dass mein Begleiter dies für eine Fügung von Dingen gesehen hätte, die bei der richtigen Betrachtung schon immer zusammengehört hatten:"Wo der Wahnsinn endet, beginnt der Horror." hörte ich seine dunkle, tiefe Stimme sagen und hatte nichts was ich dem entgegensetzen konnte.

Also wandte ich mich wieder um und fragte Belfus den Einzigartigen - und wahrlich, das war er in der Tat - was er mir sagen konnte, zu diesen Gruseligkeiten. Leider folgte nur eine weitere Tirade von Sinnlosigkeiten, von Trollen die sich in den Nebeln Rabensteins versteckten und Kinder fraßen, von Drachen die noch immer unter Candaria lebten und dass Drechsler niemals den letzten Drachen erschlagen haben konnte, weil sie zu listig waren. Das immerhin, so ehrlich war er, wollten ihm die Ratten Löwensteins geflüstert haben. Zu mehr kam er immerhin nicht, da sich mein Begleiter endlich entschied, sich zu erkennen zu geben. Die Kettenglieder, die er noch aus der Siedlung bei sich trug, schmiegten sich wie ein bitterer Husten um den Hals des Verrückten und bevor er auch nur begriffen hatte, was tatsächlich vor sich ging, zeigten die weit aufgerissenen und eingebluteten Augen auf, dass er das Tor zum Wahnsinn wohl niemals wieder verlassen würde. "Ein Scharlatan." sagte mein Begleiter mit der dunklen Stimme. "Aber wir sind auf dem richtigen Weg." und hier wurde seine Stimme vertrauter, gleich einer Verschwörung, die niemand sonst hören durfte:"Wir folgen einfach dem Wahnsinn." und dabei tippte er sich gegen die Stirn. Ich fragte mich in diesem Augenblick, wann ich das Ableben anderer Menschen so regungslos hinzunehmen gelernt hatte. Vermutlich war mein Begleiter Schuld daran, denn in seiner Anwesenheit hatte ich diverse Menschen ihr Leben aushauchen sehen. Bereitete er mich vor? Vielleicht war es ein Segen, dass wir den Leichnam nicht getroffen hatten. Vielleicht mussten wir erst einmal lernen, wie man das Normale, das Nicht-Abstoßende töten konnte, bevor wir uns dem Obskuren zuwanden? Die Frage verursachte mir Übelkeit und mein Magen verkrampfte sich. Wir folgten tatsächlich dem Wahnsinn und ich glaubte, dass wir ihm dichter auf den Fersen waren, als mein Begleiter es tatsächlich realisierte.

[Bild: lagerfeuer_martin_cathrae1.jpg]
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Das Beste In Uns - von Gast - 08.12.2015, 18:40
Das Beste In Uns Pt. 2 - von Gast - 10.12.2015, 12:09
Das Beste In Uns Pt.3 - von Gast - 14.12.2015, 17:40



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