Zwei Banner für eine Baronie...
#4
Im Zwischengeschoß herrschte rege Betriebsamkeit. Das erstaunlichste dabei war, dass jene von einer einzelnen Person ausging, die um den großen Tisch herumwirbelte und es dabei schaffte, dass diese Hektik den ganzen Raum auszufüllen schien. Bereits seit der Früh, nämlich der fünften Morgenstunde, war sie auf den Beinen und arbeitete weiter an dem Banner. Die getrockneten Stoffe wurden noch in der Morgendämmerung aus der Gerberei geholt und in sauberen Lagen auf den Tisch gestapelt. Selbstverständlich nach Farben sortiert. Den Göttern sei Dank, hatte alles funktioniert wie geplant. Das Blau war kräftig und fleckenfrei und bei dem gelbgoldenen Tuch machte sich das Laugenbad besonders gut bemerkbar, indem der Stoff so fein glänzte, als wären es tatsächlich Goldfäden darin verwoben. Die Mühe und Plackerei hatte sich also gelohnt.

Das Ganze stellte sich zwar einen Deut schwieriger heraus als gedacht, nachdem sie sich am gestrigen Abend an der Esse noch eine Brandblase am Daumen zugezogen hatte und sie eine Strafpredigt von Beric über die Benutzung von Handschuhen bei der Bearbeitung von Metallen im Feuer über sich ergehen lassen musste. Jedoch mit einem zweckdienlichen, notdürftigen Verband und genug Stress um Schmerzen jeglicher Art zu vergessen, war alles durchaus zu schaffen. Die Götter waren diesmal verdammt schnell im Bestrafen für unangemessenes Fluchen. Aber wer wird schon gern auf seine Körperbehaarung angesprochen.

So saß sie nun zwischen Schnittmustern, die die Form des Löwen von Servano aufwiesen, den bereits erwähnten Stoffstapeln, einer halbvollen und inzwischen ausgekühlten Tasse Tee, sowie einem kleinem Teller, der noch einige verirrte Krümel vom beiläufig eingenommenen Frühstück aufwies. Zwei Stundenläufe hatte sie damit zugebracht, die Fäden und Garne zu wachsen, damit sie widerstandsfähiger und wasserabweisender wurden. Schließlich sollte die Baronie noch lange etwas von ihren Bannern haben. Sie breitete die blauen Stoffbahnen vor sich auf dem großen Tisch aus. Die Maße nahm sie sorgfältig mit dem Knotenmaß und hängte sich jenes, weiterer Dinge harrend, um ihren inzwischen verschwitzten Nacken. Mit weißer Kreide hatte sie die innere Form eingezeichnet und den Außenrand zum Vernähen mit gestrichelter Linie markiert. Sie griff voller Tatendrang zur großen Stoffschere, fädelte die Finger in die dafür vorgesehenen Löcher und schnitt das Banner entlang der Linie zügig, aber sorgfältig aus.

In solchen Momenten konnte selbst eine der großen Kanonenkugeln aus einer der Ravinsthaler Kanonen neben ihr einschlagen, sie hätte sie vermutlich nicht einmal bemerkt. Es hatte eben seine Vor- und Nachteile perfektionistisch zu sein.

Die Zuschnitte wurden dann in drei Lagen akkurat aufeinander abgelegt, der Rand doppelt umgeschlagen und dann festgenäht. Dieser doppelte Vorstich würde dafür sorgen, dass die Ränder nicht ausfransten, wenn der Wind an ihnen zerrte. Sie zeichnete die Umrandung des Löwen-Schnittmusters auf dem gelben Stoff und schnitt auch diesen sorgsam aus. Jener wurde sodenn mittig aufgelegt und mit einem einfachen Laufstich darauf festgehalten. Im oberen und auch im unteren Drittel, nähte sie mit einem Stoffrest vom Verschnitt, eine Tunnelschlaufe, in der später die Gewichte eingeführt werden sollten. Dazu ließ sie am oberen Rand als Zugang die Führung eine Daumennagelgroße Öffnung. Genau so wurde auch das zweite Banner vorbereitet, ehe es dann zur Mittagsstunde endlich an die Feinarbeiten gehen konnte.

Vollkommen in ihrem Element, führte sie in absoluter Konzentration den Faden durch das Nadelöhr, was einem Betrachter vermutlich zu äußerster Belustigung verführt hätte. Das linke Auge zugekniffen, die Zungenspitze fest und durchaus sichtbar im rechten Mundwinkel eingeklemmt, peilte sie das Löchlein mit dem Ende des Fadens an und zog diesen bereits beim ersten Versuch hindurch. Ganz offensichtlich war diese seltsame Taktik sehr erfolgreich und hätte den Lachenden spätestens jetzt verstummen lassen. Mit Nadel und Faden bewaffnet, begann sie entlang seiner Konturen, den Löwen mit einem doppelten Steppstich fest auf das blaue Tuch zu bannen. Dann verpasste sie ihm mit filigranen Schnurstichen endlich seine Struktur. Er bekam seine Augen, die wilden Strähnen seiner Mähne, die Längen und Tiefen seiner Pranken und die feine Verzierung seiner Krone. Sie lächelte dem Wappentier zu. Jenes brüllte stumm mit seinem offenen Maul zurück. Sie nahm sich das zweite Banner vor und erschuf auf jenen seinen Zwilling. Ein Weibchen hätte ihm sicherlich besser gefallen, aber dies war nun mal von Südwald nicht verlangt worden. Das musste er wohl leider einsehen und so hinnehmen.

Sie betrachtete die Ränder des Banners. Eine Weile schwankte sie mit hin und her wiegendem Haupte und angespannten Auf-der-Unterlippe-kauen zwischen einem Zweigstich für jene, oder aber einen Fischgrätenstich. Einen halben Stundenlauf und eine Tasse Tee später entschied sie, dass die Baronie den letzteren verdient hätte, da er wesentlich kunstvoller wirkte als der einfache Zweigstich. Dafür benötigte sie nun die gülden gefärbten Wollfäden. Wieder vollführte sie den wenig anmutigen Akt der Konzentration um die Vereinigung von Nadel und Faden und setzte sorgsam Stich um Stich das fein ineinander verwobenen Fadengeflecht.

Zu allerletzt schnitt sie aus dem gleichen Faden etliche Fransen zurecht, zog sie mit einer dünnen Häkelnadel an den Rändern durch die Fäden, schob die Enden durch die damit entstandene Schlaufe und knüpfte sie somit in kurzen, regelmäßigen Abständen an das Banner. Dann bürstete sie jene noch auf und atmete tief durch. Sie nahm die mit Schweiß, Blut und Brandblase gefertigten Eisenstangen zur Hand und schob sie in die Tunnelführungen des Stoffes.

Dann ließ sie sich auf ihren Stuhl zurückfallen, stieß die Arme in die Luft und lehnte den Kopf in den Nacken. Die Jubelschreie, die sie dabei ausstieß waren eher schon tierischer Natur als menschlicher.

Diese Götterverfluchten Banner waren endlich fertig und jetzt wollte sie jene auch eine verdammt lange Zeit nicht mehr sehen.

[Bild: jr2o-33-fa81.jpg]
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
RE: Zwei Banner für eine Baronie... - von Carmelina Tartsonis - 05.08.2015, 21:08



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste