Die Saat des Irrtums
#10
Unsterblichkeit, ein kühnes Wort bist du!
An den Särgen zu sprechen,
Gegen den Augenschein, gegen alles,
Was der Sinn lehrt:
Sieh, das ist unser Leben!

Unsterblichkeit, ein scharfes Wort bist du!
Dringst, ein Schwert, in die Seele:
Ob er noch umlenkt, der Gottvergessne,
Vor dem Abgrund!
O schneide scharf und heile!


Siegfried August Mahlmann (1771 - 1826)

Die tropfende, kalte, feuchte Steinplatte seiner Zelle war das Erste, das er wieder bewusst wahrnahm, auch wenn er sich sicher war, irgendwo zwischen dem Gang vom Dach der Kirche bis hierher einen Ton von sich gegeben haben zu müssen. Die Erinnerung daran, was die Erzpriesterin mit dem Feuer getan hatte, war auch nicht fort, er erinnerte sich daran. Es ergab in seinem Verstand nur keinen Sinn, war eine Aneinanderreihung von unzusammenhängenden Bildern, von Lichtblitzen, Schmerzen, Gesichtern, und dem Gefühl dass ihm etwas entrissen worden war.
Wie er so da lag, beraubt seiner Decke und mit zerschnittener, geröteter Brust, da versuchte er sich daran zu erinnern was die Priesterin ihm genommen haben könnte. Sie hatte etwas gesagt, aber die Worte waren schon nicht mehr zu ihm durch gedrungen, zu sehr hatte der rituelle Sermon ihn aufgewühlt.
Es war etwas über Seelen gewesen, und über entreißen, und heilen, aber es machte keinen Sinn. Einfach keinen Sinn. Seine Seele war unerschütterlich zerstückelt, halb hier, halb dort, und die Teile, die im Jenseits bereits brannten, die konnte kein Gott einfach so zurück gewinnen. Die Teile hier jedoch waren den Mondwächtern geweiht, und bisher hatte er angenommen, dass Mithras sich ihrer nicht bemächtigen können würde, solange er im Geiste seinen Göttern treu blieb. Aber doch, da war etwas gewesen.
Ich brauche den Meister.
Ein bemitleidenswertes Geschöpf war in die zweite Zelle gebracht worden, wehrte sich mit Händen und Füßen gegen die unverrückbare Kraft der Legionäre, und verlor doch. Der Anblick fesselte Kyrons Aufmerksamkeit nur für einen kurzen Moment, und selbst dann fühlte er kein großes Mitleid mit der Kreatur, deren Augen schwarz wie die Adern waren, die über ihre Wangen hoch krochen. Er kannte sie nicht, und damit war sie einer verlorenen Sache geweiht, die ihn nicht betraf.
Etwas mehr aus seiner Schale lockte ihn da schon der Moment, als einer der Novizen ein Kohlebecken und ein Brandeisen heran trug, und Kyron zu seinem Schrecken feststellen musste, dass weder der Novize noch die Erzpriesterin sonderliche Erfahrung mit derlei Werkzeug zu haben schienen. Es waren ein paar klare Momente in einer Zeit, in der die Seele ihn schmerzte, und er nutzte die Freiheit herzlich dazu, mit einigen gejapsten Erklärungen zumindest sicher zu stellen, dass sie ihm nicht das Hirn aus dem Schädel kochten.
Nicht dass es den Schmerz linderte.
Er fraß sich durch seine Haut und erlosch dann schlagartig, als das heiße Eisen sich schlicht hindurch brannte und Taubheit hinterließ, dann setzte ein tieferer Schmerz ein, einer, der durch seine Knochen bohrte, und ihn atemlos aufbrüllen ließ bevor die Welt verschwand.
Mochte so ein Brandeisen auch keine so große Wunde hinterlassen, es war doch eine andere Form von Schmerz, die ihn sicherer zu Boden schickte als es ein Messer vermocht hätte, und wäre da nicht der Novize gewesen, der ihn hinauf und bis auf den Vorplatz stützte, er wäre wohl nach wenigen Schritten umgefallen.
Ich brauche den Meister.
Cahiras Schatten fiel auf Kyron, noch während er auf der Treppe sitzend versuchte, gleichzeitig seinen ohnmächtigen Zorn herunter zu schlucken, und seine Rüstung trotz der Verletzungen und Schmerzen anzulegen. Es war keine Sache von Stolz, eher eine Sache von Sicherheit. Keinesfalls wollte er einen nackten Fuß hinaus auf die Straße setzen, nach dem was er erlebt hatte... Allerdings wollte er auch nicht mit Cahira reden, nicht jetzt, wo er so gebrechlich war, nicht in einem Moment der Schwäche. Am Ende würde sie ihn noch überzeugen oder umstimmen, und so sehr ihm das Herz jedes Mal stach wenn er ihr Gesicht sah, die lautere Stimme, Kyrthons Stimme in seinem Kopf, wusste gute Argumente gegen Schwäche vorzubringen.
Er hätte auch ihre Hilfe brauchen können, immerhin hielt ihn nur blanker Starrsinn auf den Beinen, als er sich schließlich erhob, aber selbst das kleinste Einlenken hätte ihn wieder zurück geworfen. Hätte den Meister verärgert, und gerade jetzt brauchte er Zuversicht des Meisters, nicht dessen Zorn.
Er schüttelte sie ab so schnell es ging, und stolperte weiter, hoffend, dass er erst dann zusammenknicken würde, wenn sie zwischen den Häusern verschwunden war.
Isabelle war seine Rettung, und sie erschien wie der Morgenstern am Horizont und nahm sich seiner an. Viele Worte wechselten sie nicht, aber die wichtigste Botschaft, die überbrachte er ihr noch bevor sie die Zuflucht erreicht hatten."Heim. Ich brauche den Meister."
[Bild: spxyfrht.png]

Pain clears the mind of thoughts
Let pain clear your mind of all thought
so that the truth may be known
(Life - Charlie Crews)
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Die Saat des Irrtums - von Kyron Mendoza - 23.07.2015, 16:45
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